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Magazin Firmenporträt Balda Westfälische Wertarbeit Von den deutschen Kameraherstellern scheinen nur noch Leitz, Minox und Rollei übrig zu sein. Doch in der westfälischen Provinz blühen, ein wenig im Verborgenen, die Balda-Werke. Ein Firmenporträt beschreibt das mittelständische Unternehmen, dem es an "know how" nicht mangelt. Bünde, eine Kleinstadt im Ravensberger Land mit typisch westfälischer Backstein- und Fachwerkbebauung und engen Sträßchen aus Kopfsteinpflaster. Dem Reisenden kündet bei der Ankunft ein Schild am Bahnhof vom - freilich ehemaligen Haupterwerbszweig seiner Bewohner: Bünde - die Zigarrenstadt. Kein Wort, kein Bild zeugt davon, daß die 4000-EinwohnerStadt in ihren Mauern seit 1948 eine Kamerafabrikation beherbergt, dies ist in Deutschland, dem Pionierland des Kamerabaus, heutzutage eine echte Rarität. Max Baldeweg, ein Feinmechaniker aus Dresden gründete 1908 in der sächsischen Hauptstadt eine eigene Firma. Ein Jahr später befaßte sich der junge Unternehmer bereits mit der Herstellung von Kameras - ein damals vielversprechender Erwerbszweig. Box- und Balgenapparate für Rollfilm der unteren und mittleren Preisklasse machten die Balda-Werke groß. So groß, daß sie in den dreißiger Jahren, die größten mittelständischen Hersteller von Stehbildkameras waren und vor Kriegsausbruch rund 1200 Mitarbeiter beschäftigten. Ein Großteil derer widmeten sich jedoch schon der Fabrikation von Kompassen für Rüstungsgüter. Nach dem Krieg begann die Produktion in Bünde, bezeichnenderweise in einer ehemaligen Zigarrendreherei, nachdem das Dresdner Werk enteignet wurde. Es folgten Jahre des Aufschwungs im ersten deutschen Kameraboom der Sucherkameras. Namen wie Baldessa und Baldamatic säumten den Weg des Erfolgs in den Fünfzigern. Die höchste Entwicklungsstufe der Balda-Kameratechnik verkörperte die Baldamatic In mit Schneider-Wechselobjektiven, Synchro Compur-Verschluß und einem als Zubehör erhältlichen elektrischen Winder "Servo-Baldamat", dem ersten seiner Art überhaupt. In den sechziger Jahren, als das langsame Sterben der deutschen Kameraindustrie begann, setzten die Westfalen geschickt auf die Instamatic-Welle und verkauften 40000 Kameras monatlich in die USA. "Sicherlich gäbe es die Balda-Werke heute nicht mehr, wenn wir nicht schon zu dieser Zeit ein zweites Standbein in der Kunststoffverarbeitung errichtet hätten", räumt Ingenieur und Ökonom Dr. Winfried Hofmann (40) ein, der dynamische, sympathische Geschäftsführer, den seine Mitarbeiter freundlich mit "Herr Doktor" ansprechen. Kunststoffertigung als zweites Bein Im Jahre 1965 errichtete man ein Zweigwerk für die Herstellung von Kunststoff-Spritzgußteilen im Vorort Bustedt. "Unser klarer Schwerpunkt", so der Geschäftsführer, liegt heute in der Kunststoffverarbeitung. Sie erwirtschaftet 75 Prozent vom Umsatz." Balda, der angesehene Spezialist auf diesem Gebiet hat bedeutende Kunden vieler Branchen: Von AEG bis BMW, von Philips bis Sennheiser. Sie alle schätzen für Kunststoffteile und Gerätegehäuse die hervorragende Qualität und das überdurchschnittliche "know how", für das die 200 Mann starke Belegschaft steht. Was kaum jemand weiß: Der Kamerahersteller wird über den Umweg Kunststoff zum Zulieferer für die Kamerahersteller. Balda fertigt Gehäuseteile für die Rolleiflex SL 66 E und für die SL2000 F aus gleichem Hause. Bei der Lieferantenliste von Minox stehen die Westfalen ganz oben. Balda - geschätzter Zulieferer der Kameraindustrie Sie liefern "sehr kompliziert herzustellende Teile" (Hofmann) für die Minox-Kleinstbildfilmkassetten sowie das Kleid der Minox EC, der kleinsten Kamera der Welt. Daß Balda nicht nur für die Verpackung sorgt, sondern auch die Technik liefern kann, bewies die Firma mit der wohl aufwendigsten Pocket-Sucherkamera aller Zeiten, der Minox 110 S mit Mischbild-Entfernungsmesser und Zeitautomatik sowie einem lichtstarken vierlinsigen Objektiv. Sie wird heute noch unter eigenem Namen zu einem günstigen Preis verkauft. Schon früh in den siebziger Jahren stellte Balda den voluminösen und leistungsstarken Motor (vier Bilder pro Sekunde) für die Leicaflex SL 2 mot her. Zu den Abnehmern der Balda-Kameras zählen auch Handelsmarken wie zum Beispiel Bosch Bauer (Modell Scout). Dem Trend zur kompakten Zweitkamera für Spiegelreflex-Fotografen und zur Abkehr von Kassettenkameras folgend lancierten die trickreichen Westfalen eine Kompaktkamera im Stile der Minox 35. Für diese lieferten sie übrigens früher das Gehäuse. Die Balda C 35 gilt als die leichteste Kleinbildkamera der Welt. In der Kategorie Außenmaß belegt sie den zweiten Platz gleich hinter der Minox 35 GT Die Kamera gibt es in drei Ausstattungsversionen. Sie paßt bequem in die Hemdentasche. Ihr Einsatzbereich läßt sich durch ein adaptierbares Blitzgerät aus eigener Fertigung noch erweitern. Gag der C 35 ist die Frontklappe, die durch eine Zahnradübertragung absolut spielfrei das Objektiv fixiert. "Die Japaner trauen sich bei ihren Kompakten noch nicht ran an dieses System", sagt Winfried Hofmann stolz. Auf die Frage, warum eine Firma wie Leitz zum Beispiel bei einer 2500-Mark-Kamera aus Kostengründen im Billiglohnland Portugal produzieren muß, während Balda es schafft 250-Mark-Apparate unter schwarz-rot-goldener Flagge zu bauen, antwortet Dr. Hofmann ohne Umschweife: "Die Problemlösung liegt im Kunststoff. Er läßt sich wesentlich leichter bearbeiten als Metall. Die Maschine spuckt das komplette Rohgehäuse der Balda C 35 in einem Arbeitsgang mit allen Bohrungen, den Anschlußpunkten der Leiterplatten und sogar mit dem säuberlich gefrästen Stativgewinde fix und fertig aus. Dies spart Arbeitsgänge und damit letztendlich Personal. Ein solcher Arbeitsprozeß wäre bei Metall zwar nicht unmöglich, aber wegen der enormen Investitionen schier unbezahlbar." Auch im Elektronikbereich engagierte sich Balda früher als andere. Der Strukturwandel in der Kameratechnik von der Mechanik zur Elektronik forderte dies einfach. Man machte allerdings aus der Not eine Tugend und diversifizierte gleich die Produktpalette. Jüngstes Ergebnis dieser Anstrengung ist das kleinste Diktiergerät der Welt, das Balda für die Münchener Vertriebsfirma Stenocord entwickelte und baut. Es kommt in diesen Wochen auf den Markt und kostet 450 Mark. Bei allem Fortschritt existiert in einem Winkel des alten Werks noch ein liebenswerter Anachronismus. Ein paar Mitarbeiter fertigen alte Baldamatic-Metallgehäuse vornehmlich für einen österreichischen Kunden. Die Gehäuse werden für die Elektronenmikroskop-Fotografie verwendet. Dr. Winfried Hofmann sieht die Balda-Zukunft recht gelassen. "Wir beherrschen außer der Kameratechnik noch die Bereiche Werkzeugbau, Kunststoffverarbeitung und Elektronik." Dies müßte bei gesunder Konjunktur dem mittelständischen Betrieb als Existenzgrundlage reichen. Natürlich gibt es auch Probleme. Wie alle Mittelständler klagt auch Dr. Hofmann über die Lohn- und Lohnfolgekosten. Für die nähere Zukunft hat Balda auf dem Sektor Kompaktkameras noch einige Trümpfe im Ärmel, wenn auch zur photokina noch keine Neuheiten vorgestellt werden. Alf Cremers in Color Foto 10/1984 {ewl Thnhlp32.dll,THIN,SKIN.LZH;STEIMERM.BMP}