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Magazin Rollei Fortschritt der Fotografie? Wie sich der deutsche Kamerahersteller Rollei nach bewegter Geschichte in den letzten Jahren - unter britischer Flagge entwickelt, lesen Sie in diesem Bericht. Bis Anfang der 60er Jahre hatte der Name Rollei im Welthandel den gleichen Stellenwert wie etwa Leitz und Zeiss. Selbst in der größten Wirtschaftskrise der 20er Jahre war das "made in Germany" dieser drei Firmen so gefragt, daß es in Jena (damals!), Wetzlar und Braunschweig keine Not gab. Aber die alten Herren Franke und Heidecke (Inhaber von Rollei) machten nach dem Krieg den gleichen Fehler wie viele große alte Herren hierzulande: arrogant und diktatorisch verhinderten sie qualifizierten Nachwuchs, neue Technologien, und sie hielten nichts von den Japanern. Dafür wurden die Zahlen in den Bilanzen grau, rosa und schließlich waren sie rot wie die Pleite. Etwa 800 Jahre nach Herzog Heinrich dem Löwen zog Heinrich der Peesel als Geschäftsführer in Braunschweig ein, um Rollei zu retten. Und er hatte eine Idee, die damals schon fasziniernd war, und um die ihn heute viele Politiker beneiden, die nicht darauf gekommen sind: "Man muß", so sagte er, "nicht Menschen hierher zu den Maschinen holen, sondern dorthin gehen, wo es genug Menschen gibt." Zunächst einmal warf er von den 120 bei Rollei daneben wirkenden Führungskräften 110 hinaus und steigerte den maroden Rollei-Umsatz von 24 Mio. 1964 auf 85 Mio. Mark 1970. Und dann transportierte er Maschinen und Fachwissen nach Singapur, wo es genug Menschen gab, die beides benutzen wollten. Das kostete enormes Geld, die Banken warfen es Rollei nach, und dort war man froh, einen Diktator zu haben, der sagte, wo es lang ging. Leider sagte er dann etwas Falsches! Denn mit billigen Massenprodukten konnte man nicht gegen die Konkurrenz an, und die Banken bekamen einen Schock durch die erste Bankpleite in Köln. Das Rollei-Schicksal war besiegelt. Was dann kam, ist Neuzeit: Kein Mensch wußte, was aus Rollei werden würde, ein kurzes Zwischenspiel mit Hans-Heinz Porst als Rollei-Retter brachte die totale Verwirrung. Wer eine gute alte "zweiäugige" Rollei besaß, hoffte auf enormen Sammlerwert, und in dem ehrwürdigen Rollei-Werk wechselten die Manager schneller, als sie der Portier sich merken konnte. Da geschah das Wunder: Was den Schweizer Geldgebern bei Leitz in Wetzlar teuer, war den Engländern in Braunschweig billig: die britische Firma United Scientific Holdings (USH) stieg ein, und am 1.1.82 wurde die neue Firma Rollei Fototechnic GmbH gegründet. Das Konzept des neuen Managements ist sicherlich richtig: keine Massenware mehr, nur noch mit dem "made in Germany" klotzen und nur noch das Beste produzieren, was ein Rest von deutschen Fachkräften (350 gegen einmal 4000) der Welt bieten kann. Im allgemeinen lief das auch, wenn man von kleinen Pannen absieht, die man Großen nicht übelnimmt, Kleinen jedoch bitterböse anlastet. So gaben falsche Leute an falschen Telefonen falsche technische Auskünfte, und mit dem einstmals vielgerühmten Superservice lag es im Argen: eine andere Firma hatte den Service übernommen und wie ich zu hören bekam - ebenso arrogant wie schludrig erledigt. Dies wäre auf Dauer für eine Firma, die hochwertigste, modernste und recht teure Kameras anbietet, tödlich gewesen. Rollei Fototechnic übernahm daher ab 1.1.84 diesen Service selber. Eine deutsch-britische Symbiose Ganz uneigennützig haben allerdings die britischen Gentlemen auch nicht in die Kasse gegriffen: man produziert auch Geräte, die man weder der Öffentlichkeit verkauft, noch dafür wirbt, mit denen man aber ein Bein in der Bundesrepublik haben wollte. Und was da in Braunschweig geschieht, nennt man in der Zoologie "Symbiose". zwei verbinden sich unzertrennlich miteinander, und jeder profitiert vom Partner. So bekommt USH von Rollei hochwertige optisch-technische Geräte, wenngleich auch meist für militärische Zwecke, und Rollei bekommt von USH ebensolche Maschinen und Prüfgeräte, die man sonst erst hätte selber entwickeln und fertigen müssen. Ein Kaufmann mit technischem Verständnis ist eine ebensolche Rarität wie ein Techniker, der kaufmännisch denken kann. Dies gilt bei sehr spezialisierten technischen Produkten besonders. Und nun - das ist nach dieser Vergangenheit ganz selbstverständlich - bremsen die Rollei-Kaufleute ganz offensichtlich den Elan der Techniker; denn sie befinden sich in einer Zwickmühle. Einerseits müssen sie mit - teilweise fremdem - Geld sparsam umgehen, andererseits müssen sie mit Neuheiten auf dem Fotomarkt beweisen, daß Rollei Fototechnic nicht nur repariert und Auslaufmodelle nachbaut, sondern in der Lage ist, neue und richtungweisende Technik zu verwirklichen. Das führt zu Kollisionen: die Techniker könnten etwas noch besser machen, die Kaufleute brauchen das Produkt im Markt. Und nach der alten Regel: "Wer zahlt, Scham an", behalten die Kaufleute das Sagen. Was - in meinen Augen - noch schlimmer ist, hat sich in einem langen Gespräch mehrmals offenbart. Da war die Rede von dieser oder jener technischen Möglichkeit, ein Produkt noch interessanter, noch besser zu machen, und da kam der Satz: "Das würde zu teuer werden". Hier irrt Rollei ganz gewaltig, und es wundert mich, daß man in Braunschweig aus dem bisherigen Verlauf der allgemeinen Restriktion keine Schlüsse gezogen hat! Bei Produkten von einer gewissen elitären Klasse an aufwärts spielt der Preis keine Rolle mehr! Da kommt es weder beim Profi noch bei dem Hobbyfotografen darauf an, was eine SL 2000 F, was eine SLX, eine 6006, eine SL 66 E kosten, entscheidend allein ist der Wunsch, ob man sowas haben will oder nicht. Entscheidend ist für den Profi und den betuchten Amateur allein die einwandfreie Funktion einer solchen Kamera, ihre Zuverlässigkeit im Gebrauch und ein nirgendwo übertroffener Service. Das muß das neue Management von Rollei Fototechnic endlich mal begreifen, sonst erreicht man in Braunschweig niemals das, was man sich dort, aber auch in aller Welt, unter einem Erzeugnis vorstellt, das den Namen Rollei trägt. Und schließlich wäre es noch gut, wenn Rollei einen Fehler abstellen könnte, den ich noch aus der Ära Peesel kenne und den es heute immer noch gibt: bei Rollei müßte die Linke wissen, was die Rechte tut. Zwei kleine Beispiele sollen klar machen, was ich meine. Innerbetriebliche Kommunikationsprobleme? Ich nahm mir die wunderschöne Rolleiflex 6006 mit. Ich habe seit Jahren die SLX, und es steht geschrieben, daß man alle Teile der SLX auch in der 6006 verwenden kann, ausgenommen SLX-Gehäuse und Rückwand. (Bedienungsanleitung 6006, S. 10). Folglich nahm ich einen Filmhalter der SLX in das Magazin. Als ich den belichteten Film herausnehmen wollte, hatte ich eine Menge interessierter Zuschauer, denen ich diese Kamera als Nonplusultra gepriesen hatte, und dann konnte ich die Rückwand nicht öffnen, weil das Sucherprisma dies verhinderte. Nun, ich weiß von der SLX her, daß man das Prisma schwenken kann, aber wo - so frage ich Rollei -, wo steht das denn für weniger Eingeweihte? Und dann: ich bekomme, selbst als langjähriger Eingeweihter, den Filmeinsatz nicht aus dem Magazin und den Film nicht aus dem Einsatz. Nicht ums Verrecken! Zuschauer grinsen. Ein Profi, mitten in der Arbeit, hätte das ganze Gelumpe an die Wand geworfen und von da an jeden als Idioten bezeichnet, der ihm Rollei empfiehlt. Ich bin kein Profi, also rief ich bei Rollei an, bekam als dritten einen Techniker an die Strippe und erfuhr: "Ja, das wissen wir, die Filmhalter der SLX klemmen in der 6006." Sehen Sie, meine Herren in Braunschweig: das ist es, was ich seit Jahren kenne und was Sie endlich in den Griff bekommen müssen! Die weithin leuchtende, dreiseitige Reklametafel auf hoher Säule vor dem Bahnhof in Braunschweig habe ich vor mehr als zehn Jahren fotografiert. Sie steht auch heute noch dort, aber sie strahlt nicht mehr so hell. Das Management der Rollei Fototechnic GmbH wird noch eine Weile zu polieren haben, um den alten Rollei-Glanz wieder deutlich sichtbar zu machen. Alexander Borell in Color Foto 10/1984 {ewl Thnhlp32.dll,THIN,SKIN.LZH;STEIMERM.BMP}