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Fotopraxis
Filmtransport
Von der Kurbel zum Motor
Zunächst Profis vorbehalten, gelang dem motorischen Filmtransport vor etwa zehn Jahren der Sprung ins Amateurlager. Dort ergänzte er zunächst den Schnellschalthebel und schickt sich jetzt an, ihn zu ersetzen.
Manch einer, der sich eine Kamera neuester Machart kauft, weiß mit seinem rechten Daumen nichts mehr rechtes anzufangen. Wo früher der Schnellschalthebel seiner harrte, um mit einem großen oder mehreren kleinen Schwüngen den Film von einem Bild zum anderen zu transportieren, gähnt jetzt Leere. Rollei-Besitzer, die zur SLX oder 6006 greifen, müssen den so charakteristischen Doppelschwung an der Transportkurbel den Besitzern einer SL-66 (beispielsweise) überlassen, und wer unbeschwert mit einer kompakten Sucherkamera fotografieren will, muß schon heute suchen, um noch ein Rändelrad für den Filmtransport zu finden. Der Grund: Motoren haben uns die Arbeit abgenommen, den Film manuell zu transportieren und dabei den Verschluß zu spannen.
Populär wurde der motorische Filmtransport mit der Canon AE-1, die als erste erfolgreich einen "Winder" in der Zubehörliste führte.
Natürlich gab es auch vorher schon "Motoren", mit Federwerk sehr erfolgreich von Robot und auch von Leitz und sogar Topcon hatte versucht, diese Annehmlichkeit (schon mit Elektroantrieb) unter die Leute zu bringen - um nur einige zu nennen.
Der Durchbruch des Winders kam, wie gesagt, mit der AE-1 und damit auch die Verketzerung als "Filmvernichtungsmaschine" und die Neuheiten gegenüber übliche Frage "Wofür soll das eigentlich gut sein?".
Wozu soll der motorische Filmtransport tatsächlich gut sein?
Fragen wir zunächst danach, wozu der Filmtransport überhaupt gut ist, so stellen wir fest daß manche Kameras ohne ihn auskommen - die Großformatkameras.
Mehr als eine Filmvernichtungsmaschine
Während in der Großbildfotografie jedes Bild ein einzelner Film ist, sind im Mittelformat, im Kleinbildformat und in den kleineren Formaten immer mehrere Bilder auf einem Träger nebeneinander angeordnet.
Natürlich muß der Film in einem solchen Fall transportiert werden, wenn nicht das gleiche Stückchen zweimal belichtet werden soll. Das ist als Ausnahme allerdings auch nicht ohne Reiz und wir kommen darauf noch zu sprechen.
Für den manuellen Transport das Filmes wurden verschiedene Methoden entwickelt vom einfachen Rändelrad, das direkt auf die Aufwickelspule einwirkt, über den Schnellschalthebel, dessen Bewegung auf Zahnräder übertragen wird, bis zu gerätetypischen Lösungen wie dem legendären Agfa Ritsch-Ratsch: die beiden Teile einer Pocketkamera wurden zusammengeschoben und wieder auseinander gezogen, wobei der Film in der Kassette transportiert wurde.
Beim manuellen Filmtransport macht sich (Ausnahmen bestätigen die Regel) unangenehm bemerkbar, daß die Kamera für den Transport vom Auge genommen werden muß und daß sich der beim Bild 1 gewählte Ausschnitt bei Bild 2 schon etwas verändert hat. Zudem ist der Bildfolge die natürliche Grenze der "Trägheit des Daumens" gesetzt - es gelingt also kaum, einen rasch vergehenden Vorgang in einer Bildserie festzuhalten, wenn von Bild zu Bild der Schnellschalthebel, die Transportkurbel oder ein Rändelrad bewegt werden muß. Hier zeigt der motorische Filmtransport seine Vorteile.
Da störende Kollisionen zwischen Schnellschalthebel und Stirn des Fotografen ausgeschlossen sind, kann die motorbestückte Kamera ruhig in Aufnahmeposition bleiben, während der Film um ein Bild weitergeschaltet wird, und da dieses Weiterschalten (Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel) mit einer Frequenz von zwei bis fünf Bildern pro Sekunde vor sich geht, können Bewegungen recht einfach in Phasenbildern festgehalten werden.
Das Zusammenspiel dieser beiden Vorteile ist klar: Wer versucht, ein galoppierendes Pferd dreikommafünfmal oder auch nur zweimal pro Sekunde im Bild festzuhalten, wird nämlich bemerken, daß er das Pferd nur dann während der gesamten Aufnahmezeit an derselben Stelle im Sucher- und damit später auch im Bild - halten kann, wenn die Hebelkräfte des Schnellschaltens nicht auf die Kamera einwirken und damit den Bildausschnitt verändern. Und nur die schnelle Bildfolge macht es möglich, nachzuweisen, daß das Pferd im Galopp alle vier Hufe gleichzeitig vom Boden gelöst hat (wofür Eadweard Muybridge vor etwas mehr als 100 Jahren einen komplizierten Versuchsaufbau mit 24 Kameras brauchte). Damit ist bereits ein Gebiet angesprochen, in dem der motorische Filmtransport für Aufnahmeserien eingesetzt wird: die Tierfotografie, neben die noch die Sportfotografie und die Kinderfotografie treten.
Gleich Wieder schußbereit
In den übrigen Motivbereichen ist ein anderer Vorteil des Winders bzw. Motors schätzenswert: daß man sofort nach der einen Aufnahme schußbereit ist für die nächste. Wie oft kommt es vor, daß das Auto in dem Moment am Fachwerkhaus vorbeifahrt, in dem der Fotograf den Auslöser betätigt - der zweite Schoß ohne Auto kann dank Motor sofort erfolgen.
Noch wichtiger ist die schnelle Schußbereitschaft natürlich bei Schnappschüssen und auch bei Porträts. Bei Schnappschüssen deshalb, weil kein Moment verloren gehen darf und weil sich die Situationen sehr schnell ändern können, bei Porträts, weil Menschen ihr Fotogesicht aufsetzen, sobald ein Objektiv auf sie gerichtet wird, und weil dieses Fotogesicht nach dem Auslöseklick sich entspannt und die Leute beginnen, sich selbst und nicht etwa ihren alten Bildern ähnlich zu sein.
Eine Belichtungsautomatik ist der natürliche Partner eines motorischen Filmtransports, denn die Belichtungsmessung unmittelbar vor dem Verschlußablauf und die (zum Teil) noch während des Verschlußablaufes wirksame Belichtungssteuerung machen das schnelle Fotografieren erst zum sicheren Fotografieren, soweit die richtige Belichtung betroffen ist.
Manchmal aber bringt die Belichtungsautomatik Sand ins Getriebe des Motors. Wenn bei einer Bildserie plötzlich ein sehr dunkler Hintergrund ins Bild kommt, steuert die Kamera eine lange Belichtungszeit, der Motorlauf wird verlangsamt (ein Schutz gegen einen Transport solange der Verschluß noch offen ist) und die Bildfrequenz stimmt nicht mehr. Außerdem wird das Hauptmotiv, das ja in jedem Bild immer wieder auftaucht, je nach Umgebung anders belichtet, und das bringt Unruhe in die Serie.
Solange kein Totalautomat für die Aufnahmen verwendet wird, ist dieses Problem leicht zu lösen: durch die manuelle Einstellung von Zeit und Blende auf den Wert, mit dem das Hauptmotiv belichtet werden soll. Eine Lichtmessung (mit Handbelichtungsmesser und mit Kalotte) scheint dem Sinn und Zweck des Motors, nämlich die Fotografie schneller zu machen, entgegenzustehen, kann im Fall der Motorserie aber durchaus angebracht sein.
Der motorische Filmtransport selbst ist der natürliche Partner von Steuerrückteilen oder Fernauslösern aller Art. Was nützt es, wenn die Kamera am Vogelnest aufgebaut ist und aus 100 m Entfernung ausgelöst werden kann, ohne daß die Bewohner durch den Fotografen gestört werden, wenn nur eine Aufnahme möglich ist. Der Motor, der selbsttätig um ein Bild weiterschaltet, macht diese Aufgabe ebenso lösbar wie programmierte Aufnahmen vom Öffnen und Schließen einer Blüte während des Tages oder von der Wanderung des Mondes über das Firmament, während der Fotograf schlummert.
Ohne Strom: Totalausfall
Zur Zeit gibt es zwei Varianten von Motorkameras. Die, an die ein Winder angesetzt werden muß, wodurch der Fotograf die Chance hat, ganz darauf zu verzichten oder nach seinem Bedarf einen langsamen Winder oder einen schnelleren Motor zu kaufen. Die andere sind die Kameras mit eingebautem motorischen Filmtransport, der die Kameras nun wieder etwas größer und etwas schwerer macht. Da der Schnellschalthebel bei diesen Modellen ganz dem Fortschritt zum Opfer gefallen ist, ist der Fotograf mehr als zuvor von Batterien abhängig oder davon, nie zu vergessen die Akkus wieder aufzuladen.
Allerdings dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben, daß Fotoapparate auf ihre Energie angewiesen sind. Wer bislang nicht vergessen hat, auf seine Reisen eine oder zwei Knopfzellen mitzunehmen, wird jetzt ebenso daran denken, ein oder zwei Päckchen größerer Batterien einzupacken.
Zum Schluß zurück zur schon kurz angesprochenen Doppelbelichtung. Mit dem Filmtransport ist der Verschlußaufzug verbunden - ohne gespannten Verschluß kann nicht ausgelöst werden, ergo nicht ohne den Film transportiert zu haben. Wer nun aber doch zwei Motive auf einem Filmstück belichten möchte, sieht sich von den Kameraherstellern oft allein gelassen - nur wenige spendieren ihren Kameras die Möglichkeit, Filmtransport und Verschlußaufzug per Knopfdruck zu entkuppeln. In einem solchen Fall hilft oh der leider nicht immer sehr genau wirkende Trick, den Rückspulknopf gedrückt zu halten, während der Schnellschalthebel bewegt wird. Dadurch wird die Transportfunktion außer Kraft gesetzt, der Verschluß aber doch gespannt. Bei den modernen Kameras mit motorischer Rückspulung ist dies nicht so einfach: sobald Sie den Rückspulknopf drücken, wird der Film zurückgewickelt und es gilt, ihn im richtigen Moment zu stoppen.
Herbert Kaspar in Color Foto 4/1985
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