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Magazin
Fotografie und Polizei
Wenns blitzt
Für viele Autofahrer gehört der Strafzettel-Block noch untrennbar zur Vorstellung vom Verkehrspolizisten. Kamera und Blitz passen noch nicht so recht in dieses Bild, obwohl die Fotografie gerade bei der Ahndung von Temposünden eine wichtige Rolle spielt.
Hand auf's Herz: Selbst wer sich nicht zu den notorischen Rasern zählt, ist bestimmt schon das eine oder andere mal schneller gefahren, als es die Polizei erlaubt. Ärgerlich ist es dann, wenn's blitzt und eine gebührenpflichtige Verwarnung ins Haus flattert. Und so passiert's:
Innerhalb von eineinhalb Stunden hat das "Multanova 5 F"-Gerät, so heißt die moderne Anlage zur mobilen Verkehrsüberwachung, mit leisem Klacken die Geschwindigkeit von insgesamt 798 entgegenkommenden Fahrzeugen gemessen. Insgesamt 16 mal hat es zusätzlich gepiepst, diese Fahrzeuge waren zu schnell, sind mitsamt ihrer Insassen abgelichtet worden. Auf einer solchen Frontaufnahme ist neben Datum, Ort und genauer Uhrzeit auch die beanstandete Geschwindigkeit eingeblendet. Im Normalfall zeigt die Aufnahme den Fahrer ebenso deutlich wie das Kennzeichen seines Wagens. Die Ahndung von Geschwindigkeitsübertretungen läßt sich die Polizei einiges kosten. Wer glaubt, daß er - einmal beim Rasen ertappt - von einer normalen Spiegelreflexkamera abgelichtet wird, wie sie sich jeder Hobbyfotograf um den Hals hängen kann, irrt gewaltig. Zur mobilen Verkehrsüberwachung werden spezielle Registrierkameras verwendet, die besonders robust, wenig störanfällig und - um die Bedienung zu vereinfachen - auf ein notwendiges Minimum aller denkbaren Funktionen reduziert sein müssen. Weil sie aus letztem Grund für ein breites Käuferpublikum nicht interessant sind, werden sie nur in kleinen Stückzahlen zu einem entsprechend hohen Preis verkauft. Eine der Jacknau-Registrierkameras, mit denen die bayerische Polizei arbeitet, kostet samt Objektiv und Motor runde 5000 Mark, dazu kommen noch einmal 10000 Mark für die mit komplizierter Elektronik ausgestattete Datenbox, über die die später auf dem Bild festgehaltenen Informationen während der Aufnahme eingeblendet werden. Zusammen mit einem kompletten Blitzgerät müßte man in die fotografische Anlage etwa 20 000 Mark investieren.
Spezialanforderungen an die Kamera
Jeder normale Fotograf hätte sich mit dem Kauf einer solchen Ausrüstung einen Bärendienst erwiesen. Schon die Registrierkamera weist einen kleinen, für den alltäglichen Gebrauch allerdings entscheidenden Makel auf. Sie verfügt über keinen Sucher, da sie im Radarwagen ja lediglich auf einen bestimmten Winkel zur Straße justiert werden muß. Zudem sehen die meisten von der Polizei verwendeten Kameras neben einer festen Verschlußzeit von einer fünfhundertstel Sekunde nur noch die Möglichkeit einer Dauerbelichtung vor. Wer meint, es könnte nicht schlecht sein, sich wenigstens eines der Blitzgeräte anzuschaffen, mit denen die Polizei für Sekundenbruchteile die Nacht zum Tag macht, wäre ebenfalls schlecht beraten. Der Blitz wird von einer Batterie gespeist, die so schwer ist, daß man sie auf einem Handkarren hinter sich herziehen müßte.
Zunächst arbeitete auch die Polizei, zumindest, was die Kamera anbelangte, mit einer ganz normalen Profiausrüstung. Die Schweizer Firma Zellweger belieferte die bayerische Polizei mit Umrüstsätzen für Zivilfahrzeuge, die mit einer Canon F 1 bestückt waren. Äußerst robust, nahm man an, daß sie sich auch für die Zwecke der Verkehrsüberwachung eignen würde. Erst der permanente Einsatz unter unterschiedlichsten Bedingungen sollte zeigen, daß dem nicht ganz so war.
Günter Marketon, technischer Angestellter im Bayerischen Polizeiverwaltungsamt in München, kann auch erklären, warum. In der Regel muß, wenn das Tageslicht für eine einwandfreie Belichtung nicht mehr ausreicht, ein Blitz zugeschaltet werden. Dabei kann es, wenn der Schlitzverschluß einer Kamera (wie bei der alten F 1 ) wegen der vorgeschriebenen Synchronisationszeit eine sechzigstel Sekunde lang geöffnet ist, zu Bewegungsunschärfen kommen. Verschwimmt dabei dummerweise das Nummernschild, hat der Temposünder Glück gehabt und die Bemühungen der Radarfahnder waren für die Katz. Vorgekommen sind derartige Malheurs nur während der Dämmerung. Die Begründung Marketons hierfür ist einleuchtend. Bei absoluter Dunkelheit ergibt sich durch die Einschaltung des Blitzgerätes eine "theoretische" Verschlußzeit von einer tausendstel Sekunde, jede Bewegung wird eingefroren. Anders in der Übergangsphase zwischen Tag und Nacht. Die Kamera registriert, solange noch ein wenig Tageslicht vorhanden ist und die Blende offensteht, die Bewegung des Objektes und bildet sie auf dem Film ab. Einmal angenommen, ein Autofahrer würde während der Dämmerung mit Tempo 120 dahinbrausen, so würde sein Fahrzeug im Laufe einer sechzigstel Sekunde immerhin etwa eine Strecke von einem halben Meter zurücklegen. Nachdem dieser für die Tempowächter höchst unbefriedigende Tatbestand erkannt worden war, bestückte man in der Schweiz die neuen Anlagen mit anderen Kameras. Wichtigste Bedingung: ein Zentralverschluß, der auch bei der Koppelung mit einem Blitzgerät die für die Polizeiarbeit ideale Verschlußzeit von einer Fünfhundertstel Sekunde erlaubt.
Diese Bedingungen erfüllte die Registrierkamera von Agfa. Heute werden diese Geräte, wie Marketon weiß, von der Berliner Firma Jacknau in Eigenregie gebaut, die die Lizenz von Agfa übernommen hat.
Ausgestattet werden diese Registrierkameras zur Verkehrsüberwachung mit Objektiven einer Festbrennweite von 85, manchmal auch 75 Millimetern. Die Lichtstärke variiert dabei je nach Objektiv zwischen 1,8 und 3,8.
Machen die Lichtverhältnisse den Einsatz eines Blitzgerätes notwendig, soll der Autofahrer, der wegen einer Geschwindigkeitsübertretung zur Kasse gebeten wird, allerdings nicht geblendet werden. Wer schon einmal in direktes Blitzlicht geschaut hat, weiß, daß sich die Pupillen sofort zusammenziehen, was den Effekt hat, daß man einen Moment lang überhaupt nichts mehr sieht. Da sich eine solche Wirkung gerade für einen Autofahrer, der ohnehin zu schnell fährt, fatal auswirken könnte, hat die Polizei auf die Erkenntnis der Optik zurückgegriffen.
Rotfilter fürs gelungene Porträt
Vor dem Blitzgerät wird ein Rotfilter angebracht, der blaues und grünes Licht absorbiert, dafür aber rotes Licht größerer Wellenlänge durchläßt. Dadurch entfällt die Blendwirkung die der Blitzstrahl hätte, würde man ihn als weißes, gleißendes Licht wahrnehmen. Um dieses rote Licht nutzen zu können wird vor das Objektiv ebenfalls ein Rotfilter geschaltet. Zusätzlich verwendet die Polizei neben dem handelsüblichen HP 5 von Ilford spezielle Schwarzweißfilme, die besonders auf den Rotlichtanteil des Lichtes reagieren. Diese Empfindlichkeit für das rote und einen Teil des infraroten Lichtes weisen der Agfapan 200 sowie der Kodak Recording 2475 auf.
Daß es überhaupt möglich ist, Temposünder auch im Bild festzuhalten, haben die Autofahrer indirekt dem österreichischen Mathematikprofessor Christian Doppler zu verdanken. Er fand im 19. Jahrhundert heraus, daß der Differenzbetrag zwischen der Sendefrequenz und der Frequenz der reflektierten Welle genau proportional zur Geschwindigkeit ist, mit der sich die Distanz zwischen Sender (dem Radarwagen) und Reflektor (dem Fahrzeug) ändert.
Nachdem der Bußgeldkatalog eine gebührenpflichtige Verwarnung erst dann vorsieht, wenn der Autofahrer die zulässige Höchstgeschwindigkeit um mehr als 10 Stundenkilometer überschritten hat, wird entsprechend die Richtgeschwindigkeit eingestellt. Zusätzlich wird noch eine Toleranz von drei km/h zugegeben, die eventuelle Meßungenauigkeiten ausgleichen soll, die durch einen Fahrbahnwechsel zum Zeitpunkt der Messung zustandekommen könnten.
Die Mär von der australischen Großmutter am Steuer der Familienkarosse, die so mancher Autofahrer früher aufzutischen versuchte, zieht heute nicht mehr. Und auch der Glaube an den rettenden Einfluß von Dunst, starkem Nebel, Regen oder Schnee verliert sich in der Regel spätestens beim Eintreffen der Zahlungsaufforderung. Wer sich mit seinem Fahrzeug als fotografisches Objekt der Polizei zur Verfügung stellen will, dem steht auch noch die Möglichkeit offen, eine mit einer Überwachungsanlage ausgestattete Kreuzung bei Rotlicht zu überfahren. Während der Otto-Normal-Verbraucher brav auf's Bremspedal tritt, wenn die Ampel auf Gelb umschaltet, riskiert Bruder Leichtsinn an solchen Kreuzungen nicht nur einen Frontalzusammenstoß, sondern auch ein saftiges Strafmandat.
Keine Chance für Rotlichtsünder
Möglich wird letzteres für die Polizei, die ja nicht Tag und Nacht einen Streifenwagen an jede besonders gefährliche Kreuzung beordern kann, durch fest installierte Kameras, die jeden Rotlichtsünder mit einem 35-Millimeter-Objektiv zweimal von hinten ablichten. An die Registrierkameras wird dazu ein Magazin aufgesetzt, das bis zu maximal 1200 Aufnahmen ermöglicht. Meist wird aber ein Kodak Cervelance Film mit einer Empfindlichkeit von 27 DIN verwendet, der je nach Bedarf 200, 400 oder 600 Schwarz-Weiß-Aufnahmen liefert.
Die hierzu notwendige Technik ist weniger aufwendig als bei der Radarüberwachung. Überfährt ein Wagen bei Rotlicht die in die Fahrbahn eingelassenen Drähte, so verändert er damit ein Magnetfeld. Ein Detektor der diese Veränderung registriert, löst dann die Kamera aus. Das geschieht frühestens 0,6 Sekunden, nachdem die Ampelanlage auf Rotlicht umgeschaltet hat. Um auszuschließen, daß auch ein Autofahrer belangt wird, der zu spät gebremst, seinen Wagen aber noch vor dem Einfahren in die Kreuzung angehalten hat, wird nach 1,3 bis 1,4 Sekunden eine zweite Aufnahme gemacht. Früher scheint es gerade unter Taxifahrern ein beliebter Sport gewesen zu sein, diesen Umstand auszunutzen. Sie fuhren bei Rot gerade so weit an die Kreuzung heran, daß es blitzte, um dann in der Gewißheit stehenzubleiben, der Polizei ein Schnippchen geschlagen zu haben. Heute wird jeder Autofahrer, der dreimal mutwillig die Kamera ausgelöst hat, wegen Überfahrens der Haltelinie belangt und muß für sein kindliches Vergnügen 20 Mark berappen.
Die Fotos, die die automatische Kamera schießt, sind von besserer Qualität, als sich mancher Autofahrer wünscht, den es "erwischt" hat.
Zwar wird er bislang noch nicht von vorne abgelichtet, für eine Ahndung genügen sie aber meistens allemal. Wer sich also nicht unbedingt darauf verlassen will, daß sein Auto dank einer glücklichen Fügung des Schicksals von einer dichten Nebelwolke eingehüllt ist oder ein technischer Defekt das Bild unbrauchbar gemacht hat, dem bleibt nur anzuraten, sich lieber doch an die Spielregeln der Straßenverkehrsordnung zu halten.
Irmgard Kern in Color Foto 6/1985
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