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Artikel

1998

Test & Technik Praxisbericht

Spitzenmodelle renommierter Hersteller im Vergleich, Teil 2

Der andere Traum

Etwas karger ausgestattet als die High-Tech-Kameras unseres letzen Praxisberichts. sprechen Leica M6, Leica R6, Nikon F3, Olympus OM-4Ti und Rolleiflex 3003 die Puristen unter den anspruchsvollen Fotografen an. Es sind Spitzenkameras, die sich durch ausgeprägte Individualität auszeichnen und die man schon heute getrost als Kameraklassiker bezeichnen kann. Als reizvolles Kontrastprogramm zu den Kameras mit Spiegelreflex-Prinzip haben wir die Meßsucherkamera Leica M6 mitgeprüft. Unser Praxisbericht zeigt, ob und wie sich die Klassiker in der Praxis bewähren.

Vielleicht noch mehr als die fünf "Traumkameras" des ersten Teils unseres Praxisberichts vermitteln die Leica M6 und die Leica R6, die Nikon F3. die Olympus OM-4Ti und die Rolleiflex 3003 dem Fotografen ein wundersames Selbstwertgefühl: Wer mit einer dieser Kameras arbeitet, der muß etwas vom Fotografieren verstehen. Das müssen sogar unbedarfte Passanten erkennen, auch wenn man selbst gar nicht damit prahlt.
Ausstattungswunder sind unsere Testkandidaten nicht. Solides Handwerk wird dem Fotografen abverlangt, die meisten Einstellungen werden traditionsbewußt per Hand erledigt. Der einzige Belichtungskomfort wird - die mechanischen Leicas sind hier ausgenommen - von der Zeitautomatik verkörpert.
Getestet haben wir die Kameras in wichtigen Motivbereichen mit folgenden Objektiven:

die Leica M6 mit Elmarit-M 2,8/21 mm. Summicron-M 2/90 mm, Tele-Elmar-M 4/135 mm;

die Leica R6 mit Elmarit-R 2.8/19 mm, Summicron-R 2/90 mm, Elmarit-R 2,8/180 mm;

die Nikon F3 mit Nikkor 2,8/20 mm, Nikkor 1,4/85 mm und Nikkor 2,8/180 mm ED;

die Olympus OM-4 Ti mit Zuiko Auto-W 2/21 mm, Zuiko Auto-T 2/85 mm und Zuiko Auto-T 2,8/180 mm;

die Rolleiflex 3003 mit Zeiss Distagon 4/18 mm HFT. Zeiss Planar 1,4/85 HFT und Rolleinar-MC 3,5/200 mm.

Landschaft

Wir haben uns für ein Durchschnittsmotiv entschieden. Trotz der reflektierenden Wasserfläche und der Himmelpartie war der Kontrast nicht erhöht, weil die Szenerie vom schwachen Licht der untergehenden Sonne frontal beleuchtet war. Die Aufnahmen, wurden ohne Belichtungskorrektur und ohne Ersatzmessung belichtet. Mit Ausnahme der beiden Leicas haben wir mit Zeitautomatik gearbeitet. Die Selektivmessung der Leica M6 arbeitete bei diesem Motiv eine drittel Stufe zu knapp (-1/3 LW) ebenso die Integralmessung der Leica R6. Die Dias wirken aufgrund der höheren Farbsättigung dennoch besser- als das richtig belichtete Dia der Rolleiflex 3003. deren rechteckiges querformatiges Meßfeld das Motiv am genauesten erfaBt hat. Die Nikon F3 belichtete mit +1/3 bis +1/2 LW etwas zu reichlich. Bei der Olympus OM-4 Ti war die Abweichung bei Integralmessung mit -1 LW am höchsten

Architektur

Die Weitwinkelaufnahme eines Hauses mit einem stark betonten Vordergrund bei Frontalbeleuchtung durfte auch im Hochformat eigentlich für keine TTL-Belichtungsmessung ein Problem darstellen Die Notwendigkeit einer Ersatzmessung und Meßwertspeicherung war auch bei diesem Motiv nicht gegeben. Genau belichtete Aufnahmen haben dennoch nur zwei Kameras geliefert: Leica M6 und Leica R6 mit Integralmessung. Die Unterschiede lagen unter 1/6, Belichtungsstufe. Die Nikon F3 und die Rolleiflex 3003 flankierten die genaue Belichtung durch Ahweichungen von +1/2 LW (Nikon) beziehungsweise -1/2 LW (Rollei). Die Olympus OM-4 Ti verleugnete ihre Tendenz zur Unterbelichtung bei Integralmessung auch diesmal nicht und lieferte um -2/3 LW zu knapp belichtete Dias.

Sonstige Motivbereiche

Nur minimal waren die Unterschiede auch bei dem Motiv mit der Brücke, dessen Helligkeitsdurchschnitt in etwa der Standard-Graukarte entsprach. Die beiden Extreme. die Leica R6 mit der genauesten Belichtung und die Rolleiflex 3003, lagen nur eine halbe Belichtungsstufe auseinander.
Eine etwas delikate Belichtungssituation stellt die Bildserie 5 mit der dominanten Wasserspiegelung im Vordergrund dar. Dennoch hätte die großflächige Reflexion bei schwachem, diffusem Dämmerlicht die TTL-Belichtungstmessung nur geringfügig irreführen dürfen. Daher haben wir bei allen Kameras mit einem Korrekturtfaktor von +0,5 LW gearbeitet. Tadellose Belichtungen lieferten aber nur die Leica R6 mit Integralmessung und die Leica M6. Die Nikon F3 belichtete eine halbe Stufe zu knapp. Die Rolleiflex 3003 und die Olympus OM-4 Ti mit Integralmessung haben sich um -2/3 LW getäuscht. Allerdings muß man zu diesen Angaben den Korrekturfaktor von +0,5 LW addieren Die Aufnahme mit der Multispotmessung der Olympus OM4 Ti gelang dagegen tadellos Zwei Messungen auf das Ufer und eine Messung auf die Wasserfläche ergaben hier die richtige Mischung.

Handhabung

Die Olympus OM-4 Ti ist neben der mittenbetonten Integralmessung mit Spotmessung (2 Prozent des Bildfelds) und sogar Multispotmessung ausgestattet. In der Multispotmessung errechnet die OM-4 Ti einen Mittelwert aus bis zu acht Einzelmessungen. Die Leica R6 ist sowohl mit Integral- als auch mit Selektivmessung (Meßkreis 7 Millimeter) ausgestattet, während die anderen drei Testkandidaten lediglich eine Art Selektivmessung haben, was mitunter problematisch werden kann. Bei der Leica M6 beispielsweise verändert sich die Meßfeldgröße bei jedem Objektiv - das Meßfeld wird aber nicht angezeigt. Das runde Meßfeld entspricht bei jedem Objektiv etwa 23 Prozent des jeweiligen Sucherbilds, und Leica empfiehlt als Anhaltswert für den Durchmesser etwa zwei Drittel der kurzen Seite des gültigen Sucherrahmens. Mit diese Angaben, so nützlich sie auch sein mögen, läßt sich der Meßkreis aber nicht genau abgrenzen. Die genaue, das heißt sichtbare Abgrenzung des Meßfelds ist jedoch unerläßlich für genaue Messungen. Bei der Rolleiflex 3003 markiert ein graues Rechteck das relativ große Meßfeld, und bei der Nikon F3 begrenzt ein Kreis mit 12 Millimetern Durchmesser die Meßfläche, deren 80prozentige Gewichtung einer Selektivmessung nahekommt. Standardsituationen sind mit der ein wenig groß geratenen Selektivmessung von Leica M6, Nikon F3 und Rolleiflex 3003 gut zu bewältigen, nicht aber kontrastreiche Motive, die eine punktgenaue Messung erfordern.
Diese Schwächen sind vermutlich darauf zurückzuführen, daß unsere Testkandidaten nicht mehr ganz "taufrisch" sind.
Recht einfach ist die Bedienung von Leica M6 und Leica R6. Die vielbeschworene "Konzentration auf das Wesentliche" findet hier ihren reinsten Ausdruck. Der Belichtungsabgleich über die Lichtwaage ist, obwohl er einfach und präzise funktioniert, nichts für "drehfaule" Fotografen. Der Schalter für die Belichtungskorrektur der Leica R6 ist nicht nur umständlich zu bedienen, sondern scheint uns auch bei einer mechanischen Kamera überflüssig.
Eine besondere Stellung in der heutigen Kamerawelt hat ohne Zweifel die Leica M6. In der M6 erreicht die Evolution der Meßsucherkameras ihren Höhepunkt. Wer diese Kamera in der Hand hält' verspürt etwas vorn legendenumwobenen "Leica-Feeling". Wer mit der Leica M6 aber fotografieren will, muß sich erst einmal mit den Besonderheiten dieser Kamera anfreunden. Dazu zählt zunächst der Sucherrahmen, der passend zum jeweiligen Objektiv eingeblendet wird; außerdem lassen sich über den Hebel für den Bildfeldwähler auch andere Bildausschnitte einspiegeln. Eine Bildkomposition, der Weitwinkelbereich ausgenommen, fällt Ungeübten jedoch schwer. Der Sucher ist für die Brennweite 28 Millimeter ausgelegt der Sucherrahmen für die anderen Brennweiten wird bei gleichbleibender Objektgröße entsprechend kleiner. Die nicht gerade reichhaltige Objektivpalette ist aber von erlesener optischer Qualität. Zu loben ist die Leica M6 ob ihres sanften und leisen Auslösens, der präzisen Scharfstellung auch in der Dämmerung oder bei schwierigen Lichtverhältnissen und der hochwertigen Verarbeitung.
Die zwölf Jahre alte Nikon F3 ist bei den Freunden der Marke, die dem Autofokus abschwören, immer noch erste Wahl. Robustheit und Features wie Wechselsucher und umfangreiches Zubehör tragen zum guten Ruf der Kamera bei. Etwas antiquiert sind die Belichtungsmessung und so manche Schalter und Hebel, deren Bedienung kräftige Fingernägel voraussetzt. Schlecht gelöst ist auch die Belichtungskorrektur, die nicht ohne Schmerzen in den Fingerspitzen eingestellt werden kann. Was letztlich gar nicht schlecht ist, weil die nachhaltigen Schmerzen das signalisieren, was eigentlich Aufgabe der Sucheranzeige wäre: in Erinnerung zu rufen, daß eine Belichtungskorrektur eingestellt wurde.
Eine karge Sucheranzeige ist auch bei der Olympus OM-4 Ti zu beklagen. Eine Blendenanzeige sucht man vergeblich, und die Verschlußzeitanzeige über eine sogenannte "Indexkette" ist mindestens so gewöhnungsbedürftig wie der Einstellring für die Verschlußzeiten selbst, der, wie bei einigen Mittelformatkameras, direkt am Bajonett plaziert ist. Im Gegensatz zu Mittelformatkameras ist der Verschlußzeitenring der OM-4 Ti aber umständlicher zu bedienen, weil er kleiner dimensioniert ist. Zu den Besonderheiten der Olympus OM-4 Ti zählen die Shadow- und die High-Light-Korrekturtaste sowie die bereits erwähnte Multispotmessung.
Die Rolleiflex 3003 ist, von den Schwestermodellen abgesehen, ein Unikum unter den Kleinbildkameras. Vom Konstruktionsprinzip her an Mittelformatkameras angelehnt, ist sie mit Wechselmagazin und Lichtschachtsucher (zusätzlich zum Prismensucher) ausgestattet. Außerdem hat die 3003 einen integrierten Motor und ein Energiepack, so daß sie vielen Mittelformatkameras auch in puncto Gewicht in nichts nachsteht. An die ungewöhnliche Kamerahaltung gewöhnt man sich schnell, und sogar Hochformataufnahmen sind dank der drei günstig plazierten Auslöser leichter zu bewältigen, als man nach der Gehäuseform vermuten würde. Der Memo- und der Hauptschalter sind etwas zu leichtgängig und so plaziert, daß sie mit dem rechten Daumen oft ungewollt verstellt werden. Die Stellscheibe für die Belichtungskorrektur dagegen ist schwergängig und läßt sich nicht ohne weiteres verstellen - das Umgekehrte wäre besser.

Fazit

Alles in allem sind auch diese "Traumkameras" sehr gute Arbeitsgeräte für den engagierten Fotografen, die aber mehr Zuwendung verlangen als die im ersten Teil unseres Praxisberichts geprüften. 

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