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Artikel

1998

Test & Technik Report

Fotografentypologie als Wegweiser beim Kamerakauf

Welcher Fotografentyp sind Sie?

Es genügt nicht, zu wissen, daß jeder Fotograf seine eigene Art und Weise des Fotografierens hat - er muß sich das für seine eigene Person bewußt machen und seine Kameraausrüstung darauf abstimmen. Hier erfahren Sie, warum das erforderlich ist und wie Sie genau die Kamera auswählen können, die ideal zu Ihrem Fotografentyp paßt.

Die Zahl der Spiegelreflex-Hersteller ist zwar mangels SLR-Nachfrage geschrumpft, die Anzahl und die Vielfalt der angebotenen Kameramodelle jedoch größer als je zuvor. Zwar ist auch die Zahl der aktiven Spiegelreflexfotografen eher rückläufig, die heutigen Fotoamateure sind aber raffinierter geworden, ihre Ansprüche individueller, differenzierter. Die optimale "Universalkamera", die für jeden Fotografentyp gleichermaßen geeignet ist, gibt es nicht- und es wird sie auch in Zukunft nicht geben. Das ist aber nicht weiter schlimm, denn angesichts der Modellvielfalt der Kamerasysteme müßte eigentlich jeder Fotoamateur die für ihn am besten geeignete Kamera finden. Die zahlreichen Briefe und Anrufe, die COLOR FOTO erreichen, belegen aber genau das Gegenteil.

Selbsteinschätzung

Falsche Kaufberatung und vor allem die Unklarheit über das, was man eigentlich von seiner Kamera erwartet, führen oft zu Fehlkäufen und nicht zuletzt zu Frust und somit zur Vernachlässigung oder gar zum Aufgeben des Hobbys. Sich selbst als Fotograf einzuschätzen, ist eine enorm wichtige Voraussetzung für die Wahl der jeweils richtigen Kamera. Die Persönlichkeitsstruktur und die Bedeutung, die man der Fotografie beimißt, sind hier oft unterschätzte Kriterien. Ausgangspunkt der Überlegungen im Vorfeld der Kamerawahl sollte folglich die Einschätzung der eigenen Person als Fotograf sein. Man muß sich also die Frage beantworten: Welcher Fotografentyp bin ich?

Bin ich ein bedächtiger, methodisch arbeitender oder eher ein hektischer Fotograf, dem alles nicht schnell genug gehen kann?

Ist die Kameratechnik für mich Selbstzweck oder Mittel zum Zweck?

Gehöre ich zu den von Händlern gern gesehenen Fotografen, die - ständig auf der Suche nach der perfekten Kamera - immer das neueste Modell kaufen, ohne ernsthaft damit zu fotografieren?

Bin ich ein vom Spieltrieb heimgesuchter Feinmechaniker oder habe ich Ehrfurcht vor der Technik?

Ist die Kamera für mich ein imageträchtiges Prestigeobjekt oder ein Werkzeug im Fotoalltag?

Bin ich ein Halbprofi oder jemand, der eigentlich nur im Urlaub und bei Familienfesten fotografiert? 

Ein bedächtiger, methodisch arbeitender Fotograf wird mit einer manuell einzustellenden Kamera am besten zurechtkommen, wobei er in erster Linie nicht nur an das Kleinbildformat, sondern auch an Groß- und Mittelformat denken wird. Ein eher ungeduldiger, impulsiver Fotograf oder einer, der von High-Tech fasziniert ist, wird mit einem Autofokus-Multiautomaten gut bedient sein. Diese Kameras eignen sich, zumindest in der Programmautomatik, auch für Technikmuffel. Außerdem schätzen auch fehlsichtige Fotografen die Vorteile der automatischen Scharfstellung. Wer ernsthaft fotografieren will, ohne auf einen gewissen Bedienungskomfort zu verzichten, wird zu einer professionellen oder semiprofessionellen Kamera mit einfachen und einfach zu bedienenden Automatikfunktionen greifen.

Fotografentypologie als Charakterprofil

Um unseren Lesern die Selbsteinschatzung als Fotograf zu erleichtern, haben wir zehn Charakterprofile erstellt, die für die Auswahl einer geeigneten Kamera wichtig sind. Dabei muß die Beschreibung der Charaktereigenschaften zwangsläufig einseitig und etwas übertrieben sein, um eine bestimmte Typologie herauszuarbeiten. Selbstverständlich werden auf viele Fotografen die Eigenschaften von mehreren Fotografentypen zutreffen, genauso wie eine bestimmte Kamera für mehrere Fotografentypen gleich gut geeignet ist. Eine Eingrenzung der Kameraauswahl und vor allem der Ausschluß von ungeeigneten Modellen sind aber natürlich möglich. 

Der Aktionist

Action- und Sportfotografie sind seine Domäne, ein schnelles AF-System mit Schärfenachführung und eine möglichst verzögerungsfrei arbeitende Belichtungsautomatik die bevorzugten Merkmale seiner Kamera. Die sogenannte Autofokusfalle ist auch für Actionfotografen eine willkommene Funktion. Ein High-Eyepoint-Sucher erleichtert nicht nur für Brillenträger den Suchereinblick und das Verfolgen von bewegten Motiven. Der motorische Filmtransport sollte mit mindestens fünf Bildern pro Sekunde aufwarten.

Extrem wichtige Funktionen: AF-Kreuzsensor und/oder großes AF-Meßfeld, auf Spot-AF umschaltbar, Blendenautomatik mit Zeitvorwahl, Programmshift (für Anfänger: Motivprogramm Sport/Action)

Besonders geeigneter Kameratyp: leistungsfähige AF-5LR-Kamera; typische SLR-Kameras: Canon EOS 1N RS, Canon EOS 1N, Minolta Dynax 9xi, Nikon F90X, Pentax Z1P

Der Bequeme

Die Kamera dieses Fotografen muß ein geringes Gewicht haben und mit einem Zoomobjektiv mit möglichst großem Zoombereich bestückt sein, denn eine schwere Ausrüstung wäre ihm zu "unbequem". Natürlich verfügt seine Kamera über ein Autofokussystem, aber die horizontalen und vertikalen AF-Sensoren sollten zu einem großen AF-Meßfeld gruppiert sein, um die etwas umständlichere Schärfespeicherung zu vermeiden. Die shiftbare Programmautomatik erspart das lästige Umschalten in die Zeit- oder Blendenautomatik und sollte folglich nicht fehlen.

Extrem wichtige Funktionen: großes AF-Meßfeld, Programmshift, Belichtungsreihenautomatik (und für Anfänger: Motivprogramme)

Besonders geeigneter Kameratyp: AF-Multiautomat

Typische SLR-Kameras: Canon EOS 100, Minolta Dynax 700si, Pentax Z-1P

Der Computerfreak

Das eigentliche Fotografieren ist ihm weniger wichtig als die Einstellung der Kamerafunktionen auf dem Display, denn das Umprogrammieren der Kamerafunktionen bereitet ihm großes Vergnügen. Der Computerfreak schätzt mehrfach belegte Bedienungselemente und betrachtet die konventionelle Kameraergonomie als nicht zeitgemäß.

Extrem wichtige Funktionen: Custom-Functions (individuell programmierbare Kamerafunktionen)

Besonders geeigneter Kameratyp: Computergesteuerter Multiautomat

Typische SLR-Kameras: Nikon F50, Nikon F70, Minolta Dynax 7xi

Der Handwerker

Er stellt am liebsten alle Kamerafunktionen manuell ein, Autofokus ist ihm verpönt, Displays sind ihm ein Greuel. Automatikfunktionen betrachtet er als entbehrlich; sie können aber dennoch vorhanden sein, sofern sie die manuelle Belichtungseinstellung nicht behindern. Die Bedienungselemente sollten konventionell sein: Blendeneinstellung (halbstufig) über Blendenring am Objektiv, Verschlußzeiten über ein herkömmliches Verschlußzeitenrad. Wechselbare Einstellscheiben für motiv- und brennweitenabhängige Scharfeinstellung werden hoch geschätzt.

Extrem wichtige Funktionen: manuelle Fokussierung und manuelle Belichtungseinstellung: außerdem Blendeneinstellung in halben Stufen am Objektiv.

Besonders geeigneter Kameratyp: mechanische oder elektronische MF-SLR-Kameras

Typische SLR-Kameras: Leica R6.2, Leica R7 (mit halbstufiger Blendeneinstellung); Nikon FM2, Contax 52, Contax RX (nur mit ganzstufiger Blendeneinstellung)

Der Individualist

Kameras aus der Massenproduktion läßt er links liegen. Der Individualist sucht stets das Besondere, und zwar sowohl designmäßig als auch technisch. Das darf dann natürlich auch seinen Preis haben. Bei Kameras aus der Großserienfertigung können individuell programmierbare Funktionen einen zusätzlichen Spielraum geben, obwohl die modernen AF-Spiegelreflexkameras nicht gerade individuell aussehen.

Extrem wichtige Funktionen: heute kann man eher durch die Abwesenheit zahlreicher Funktionen Individualität zeigen

Besonders geeigneter Kameratyp: AF- oder noch besser MF-SLR-Kamera, die nicht aus der Großserienfertigung stammt

Typische SLR-Kameras: Leica R6.2, Leica R7, Olympus OM-3Ti, Olympus OM-4Ti, Minolta Dynax 600si Classic

Der Komfortverwöhnte

Eigentlich hat jede elektronische SLR-Kamera automatische Belichtungsfunktionen. Der Komfortverwöhnte sucht jedoch eine Kamera, bei der der Automatikkomfort auch bei manuellen Eingriffen in die Belichtungsautomatik (z.B. manuelle Belichtungskorrektur) voll erhalten bleibt, denn er ist anspruchsvoller als der "Bequeme". Die Scharfeinstellung sollte ebenfalls automatisch erfolgen, wobei die Schärfespeicherung und die freie Wahl des AF-Sensors so gedacht sind, daß der Automatikkomfort nicht beeinträchtigt wird. Der Komfortverwöhnte wird seine Kamera nicht allein aufgrund der Ausstattung wählen, sondern besonders auf den Bedienungskomfort achten.

Extrem wichtige Funktionen: manuelle Belichtungskorrektur, Programmshift, Belichtungsreihenautomatik, Blitzbelichtungskorrektur

Besonders geeigneter Kameratyp: herkömmliche AF-5LR-Kameras mit gut gelöster Ergonomie

Typische SLR-Kameras: Canon EOS 5, Canon E0S 100, Minolta Dynax 600si Classic, Minolta Dynax 700si, Nikon F90X, Pentax Z1-P

Der Technikmuffel

Am liebsten wäre ihm eine Kodak-Boxkamera ("You press the Button, we do the rest"). Es gibt heute zwar keine Boxkameras mehr, dafür aber zahlreiche Autofokus-Spiegelreflexkameras, bei denen es genügt, das Motiv durch den Sucher anzuvisieren und auf den Auslöser zu drücken. Für den Technikmuffel besonders geeignet sind Autofokuskameras für Einsteiger, die auch mit Motivprogrammen ausgestattet sind.

Extrem wichtige Funktionen: Programm- und Vollautomatik, Motivprogramme, großes AF-Meßfeld, AF-gekoppelte Mehrfeldmessung

Besonders geeigneter Kameratyp: AF-5LR-Einsteigerkamera

Typische SLR-Kameras: Canon EOS 500, Minolta Dynax 500si, Nikon F70, Pentax Z-20/Z-50/Z-70, Sigma SA 300/500

Der Perfektionist

Kameras und Objektive, die gegenwärtig die Grenzen des technisch Machbaren verkörpern, sind ihm gerade gut genug. Kompromisse jeglicher Art liegen ihm fern. Hochwertige Materialien und tadellose Verarbeitung sind weitere Schwerpunkte bei seiner Kamerawahl. Und weil all das seinen Preis hat, ist er auch gerne bereit, etwas tiefer in die Tasche zu greifen.

Extrem wichtige Funktionen: shiftbare Programmautomatik, Zeit- und Blendenautomatik, manuelle Belichtungseinstellung, Integral- und Spotmessung, manuelle Belichtungskorrektur

Besonders geeigneter Kameratyp: hochwertige MF-SLR-Kameras und eventuell die Spitzenmodelle unter den AF-SLR-Kameras

Typische SLR-Kameras: Leica R6.2, Leica R7, Olympus OM 3Ti/4Ti, Contax RTS III

Der Schärfefanatiker

Der Schärfefanatiker muß beim Kamerakauf nicht nur an die Scharfeinstellung am Gehäuse, sondern auch an die Qualität der zum Kamerasystem gehörenden Objektivpalette denken.

Für beste Abbildungsqualität eignen sich hochwertige Festbrennweiten immer noch am besten. Bei MF-Kameras sollte man auf auswechselbare Einstellscheiben achten (für eine genaue Fokussierung), während bei AF-Kameras die Grenzen der automatischen Scharfeinstellung (Motivkontrast) und die AF-Genauigkeit wichtige Faktoren darstellen.

Extrem wichtige Funktionen: genaue Scharfeinstellung auch bei geringem Motivkontrast

Besonders geeigneter Kameratyp: hochwertige MF-SLR-Kameras oder die Spitzenmodelle unter den AF-SLR-Kameras

Typische SLR-Kameras: Leica R6.2, Leica R7, Canon E0S 1N, Minolta Dynax 9xi, Nikon F3, Contax RTS III

Der Vernünftige

Das wichtigste Argument für die Kaufentscheidung ist ein günstiges Preis-Leistungs-Verhältnis. Der Vernünftige wird vor allem bei den AF-SLR-Kameras der unteren und mittleren Klasse fündig, wo für relativ wenig Geld eine üppige Ausstattung geboten wird.

Extrem wichtige Funktionen: Programm-, Blenden- und Zeitautomatik, für Anfänger auch Motivprogramme

Besonders geeigneter Kameratyp: AF-SLR-Kameras der unteren und mittleren Preisklasse

Typische SLR-Kameras: Canon EOS 500/EOS 1000 FN, Minolta Dynax 500si, Pentax Z-70

Die richtige Wahl

Es ist für den einzelnen Fotografen von großer Bedeutung, die richtige Kamera zu wählen. Sie kann seine eigene Art und Weise des Fotografierens fördern oder hemmen. Sie kann den persönlichen fotografischen Stil einengen oder neue Horizonte eröffnen. Dennoch sollte man sich stets bewußt sein, daß nicht die Kamera, sondern der Fotograf die Bilder macht. Visualisierung, Motivwahl, Bildgestaltung sind wichtiger als Markenfetischismus beim Kamerakauf. Die Technik darf nicht Selbstzweck, sondern immer nur Mittel zum Zweck sein. Aber je genauer man die technischen Grundlagen der Fotografie beherrscht und Motiv- und Lichtsituationen analysieren kann, desto besser wird man die eigenen Bildvorstellungen fotografisch umsetzen können -vorausgesetzt, man hat die Kamera gekauft, die der eigenen Art und Weise des Fotografierens am besten entspricht. Die hier vorgestellte Fotografentypologie soll Ihnen helfen, aus der Vielzahl der Kameras einige wenige in die engere Wahl zu ziehen. Der Fotograf könnte beispielsweise zunächst zu Hause Kamerakonzeption, Ausstattung und Funktionen anhand von Prospekten nochmals kritisch betrachten und dann im Fotogeschäft durch eifrige Trockenübungen feststellen, ob er mit der Bedienung der Kamera zurechtkommt. Noch besser wäre es, wenn man einen Fotohändler kennt, der bereit ist, gegen eine Garantie (Scheck in Höhe des Kaufpreises) eine Kamera mit Objektiv für etwa zwei Stunden zur Verfügung zu stellen. Ein Fotospaziergang durch die Stadt und die Belichtung und Betrachtung eines Diafilmes, den man über Nacht entwickeln läßt, können bestehende Zweifel ausräumen - oder neue erzeugen. Die Geräte vor dem Kauf auszutesten, hat außerdem den Vorteil, daß "Ausreißer" erkannt werden, die sogar bei namhaften Herstellern nicht immer auszuschließen sind. 

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