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Artikel

1998

Photographica

Kameras für Kleinstbildfilme

Die Schnellen

Bevor die Kompaktkameras mit elektrischem Filmtransport ihren Siegeszug antraten, gab es Modelle mit Federwerk. Beliebt und erschwinglich waren die Canon Dial 35 und die Ricoh Auto Half SL, die in den sechziger Jahren erschienen. Um bei Serienaufnahmen den Filmverbrauch in Grenzen zu halten, waren diese Modelle für Halbformataufnahmen auf Kleinbildfilm ausgelegt.

Die Ricoh war zu ihrer Zeit hochmodern. Wenn der Film eingelegt und das Federwerk mit dem Rad an der Unterseite aufgezogen ist, muß für die Aufnahme nur noch die Entfernung eingestellt und der Auslöser gedrückt werden. Alles weitere erledigt die Automatik. Ein CdS-Belichtungsmesser sorgt für die richtige Einstellung des Programmverschlusses. Verschluß und Blende sind kombiniert, und wie bei den meisten neueren Kompaktkameras erfährt der Benutzer nicht, welche Belichtungswerte die Kamera einstellt. Ein rotes Warnsignal warnt aber vor Unterbelichtung. Das Federwerk reicht für 24 Aufnamen, dann muß nachgespannt werden. Auch das Rückspulen der Films geht per Federkraft. Alle Operationen des Aufzugsmotors werden von einem surrenden bis kreischenden Geräusch begleitet.
Das Gehäuse der Ricoh Auto Half SL ist ungewöhnlich dick, aber sehr kompakt, und es liegt gut in der Hand. Der Sucher ist klein, hat aber einen deutlichen Leuchtrahmen und ein Rotsignal bei Unterbelichtung. Mit dem Hebel vor dem Auslöser wird der Selbstauslöser aufgezogen. Das Objektiv überzeugt durch hohe Lichtstärke (1,7/35 mm) und unterstreicht den Charakter der Kamera als Gerät für den schnellen Einsatz, verlangt aber auch eine genaue Entfernungseinstellung.
Die Aufzugsfeder befindet sich in der Filmspule, fällt also vom Volumen her kaum auf. Das Design mit den gebürsteten Alublechen paßt in die sechziger Jahre. Die Bleche kleben auf einem Kunststoffrahmen, aber das Chassis der Kamera besteht aus Metall-Druckguß, und alles macht einen soliden Eindruck. Ein originelles Detail ist die Schublade für die Batterie in der Vorderwand. Der Federmotor der Canon Dial 35 befindet sich in dem angesetzten Drehgriff und ist etwas leistungsstärker als der der Ricoh. "Dial" bedeutet "Telefonwählscheibe" - ein merkwürdiger Name für eine Kamera. Er bezieht sich offensichtlich auf das ungewöhnliche Aussehen des Belichtungsmesser-Fensters, das rund um das Objektiv angeordnet ist. Man mag zunächst annehmen, daß sich - wie bei andern zeitgenössischen Kameras - dahinter eine ringförmige Selenplatte befindet. Doch der Anblick täuscht: Eine fortschrittliche kleine CdS-Zelle steuert die Belichtung. Die Linsen in dem Plastikring dienen nur zur Einstellung der verschiedenen Filmempfindlichkeiten - ein netter Designergag. Die Canon Dial ist vielseitig. Am äußeren Objektivring werden die Belichtungszeiten eingestellt (1/250 - 1/30 Sekunde, ohne B). Die Kamera steuert automatisch die Blende dazu, die im Leuchtrahmensucher angezeigt wird. Der Fotograf kann auch selbst die Blende bestimmen, indem er das kleine Rädchen über dem Auslöser herauszieht und dreht, bis im Sucher der gewünschte Wert erscheint. Auch die Entfernungseinstellung ist zusätzlich zur Außenskala im Sucher abzulesen Die Abbildung zeigt die Kamera in normaler Aufnahmestellung; die Sucheranzeigen sind für Querformataufnahmen optimiert. Die Haltung mit dem vornliegenden Auslöser ist ungewöhnlich, aber sehr handlich. Weniger handlich sind die Einstellhebel, vor allem das Blendenrädchen kann Fingernägel kosten. Ansonsten ist die Kamera sehr gut gemacht. Auch ihr Chassis besteht aus Metall. Die relativ große Belichtungsmesser-Batterie vom Typ RM1R (1,3 V) dürfte heute kaum noch erhältlich sein, aber eine andere 1,3-Volt-Knopfzelle mit einer Zwischenlage von Metallscheiben aus der Heimwerkerkiste tut es auch. Das Objektiv mit den Daten 1:2,8/28 mm ist zu hoher Leistung fähig, obwohl natürlich - wie bei der Ricoh - die Grenzen des kleinen Formats beachtet werden sollten. Diese beiden Kameras sind Beispiele dafür, daß auch japanische "Youngtimer" hochinteressante Sammler- und Anwenderkameras sein können. Das schlägt sich im Preis nieder. Vor kurzen sah ich die Canon, in sehr gutem Zustand, für 550 Mark im Angebot. Realistisch dürften Preise bis 200 Mark sein. Die Ricoh dürfte gut die Hälfte kosten. Origineller und vielseitiger ist die Canon. Sie ist übrigens trotz eines eventuellen Ausfalls des Belichtungsmessers - ein häufiges Problem bei älteren automatischen Kameras - immer noch verwendbar.
Für den technisch Interessierten haben beide sicher starken Aufforderungscharakter und können auch heute noch im Gebrauch begeistern.

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