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Artikel

1998

Photographica Aktuell

Superkompakte Stereokamera

An der Sawyers "View-Master Personal Stereo Camera" aus den frühen 50er Jahren ist fast alles exotisch. Sie hat das gewisse Etwas. Das Druckgehäuse, das nicht zu schwer und nicht zu leicht ist, gerade so, daß es ein Gefühl von Qualität vermittelt, die Bedienungselemente, die ganz anders als gewohnt und dennoch sinnvoll plaziert sind, und das deutlich wahrnehmbare, metallische Auslösegeräusch.

Plastik finden Sie an dieser Kamera nicht. Sie stammt aus den USA, aber sie erinnert nicht an Fast food. Sie vertritt das andere Amerika, ist für Leute gemacht, die genau hinsehen und gediegene Qualität schätzen. Aber als exotisch muß sie dennoch bezeichnet werden. Denn sie arbeitet mit 35-mm-Film in normalen Patronen, aber ihr Bildformat beträgt nur zweimal 12 x 13 mm. Filmverschwendung? Nein. ganz im Gegenteil. Der Viewmaster bringt 70 Stereopaare auf einen 36er Kleinbildfilm! Ein ausgeklügelter Mechanismus sorgt dafür, daß der Film zweimal durch die Kamera transportiert wird. Beim ersten Durchgang wird die unterer Hälfte belichtet, beim zweiten die obere. Nach dem ersten Durchgang blockiert der Aufzug, und der Benutzer muß das Rad zwischen den Objektiven in Pfeilrichtung drehen. Dann passiert etwas absolut Ungewöhnliches: Die Objektive mit der Irisblende und der Filmbühne bewegen sich nach oben, die Filmtransportrichtung wird geändert, der Film wandert beim zweiten Durchlauf wieder in die Patrone. Der Schieber-Verschluß, der aus zwei horizontal beweglichen, langen Blechstreifen besteht, wird dabei nicht verändert. Er hat für jedes Objektiv zwei Öffnungen. Der View-Master-Stereo-Betrachter verrät auch den Sinn des kleinen Formats: Die mit der Kamera aufgenommenen Dias wurden in Pappscheiben geklebt und vermittelten beim Betrachten einen guten Stereoeffekt. Der Betrachter hat, zusammen mit Bildserien von Walt Disney und anderen, in großer Stückzahl den Weg in europäische Kinderstuben gefunden. Aber die Kamera blieb diesseits des Atlantiks eine Rarität. Weil alles an ihr so ungewöhnlich ist, wird es genau erklärt: Am Boden findet sich die Bedienungsanleitung für das Filmeinlegen, auf dem Deckel wird das Belichtungssystem beschrieben. Blende und Belichtungszeit(1/1000 - 1/10 s, B) werden mit den Einstellrädern auf der Oberkappe reguliert. Durch Exzenterscheiben sind beide mit dem mittleren Rad gekuppelt. Und dieses zeigt dann den durch Blende und Zeit definierten Belichtungswert an - nicht in Zahlen wie bei manchen deutschen Kameras der 50er und 60er Jahre, sondern durch Begriffe von "bright" bis "dull". Ein Belichtungsmesser ist also nicht vorhanden. Die Filmempfindlichkeit muß für diese Art von Kalkulation am zentralen Rädchen eingegeben werden. Sogar die Motivhelligkeit und die Jahreszeit wird auf den Skalen berücksichtigt. Ob der unerfahrene Fotograf damit zurechtkam und ob es andererseits dem erfahrenen eine Hilfe war, darf bezweifelt werden. Immerhin ist das System lieb erdacht und wert, seinen Platz in der Kamerageschichte einzunehmen. Welche Mühe sich die Konstrukteure gaben, zeigt auch die Wasserwaage im Sucher, die so winzig ist, daß sie sicher von vielen Benutzern gar nicht entdeckt wurde. Die Objektive sind dreilinsige Anastigmate mit der Lichtstärke 1:3,5. Bei der Brennweite von 25 mm erübrigt sich eine Entfernungseinstellung. Die Schärfentiefe wird mit den kleinen Zahlen am Blendenrad angezeigt. Die Idee, einen 35-mm-Film zunächst nur auf der oberen beziehungsweise unteren Hälfte zu belichten und in einem zweiten Durchgang die andere Hälfte auszunutzen, ist allerdings nicht einzigartig.
Die "Biflex", eine Mono-Kamera für das Format 11 x 11 mm, brachte durch dieses System bis zu 200 Bilder auf einen 36er Kleinbildfilm. Sie war sogar recht handlich, doch wie so oft, konnte sich die ungewöhnliche Idee nicht durchsetzen. Es gab aber noch eine andere Stereokamera, die Bildpaare im Kleinstformat auf 35-mm-Film belichtete, die Meopta Stereo (zirka 1960). Bei dieser tschechischen Konstruktion lief der Film diagonal durch die Kamera und wurde in einem Durchgang belichtet. Im Vergleich zum View-Master wirkt die Meopta allerdings recht billig, wird aber jetzt unter Sammlern ähnlich teuer gehandelt. Wer auf den Geschmack gekommen ist, und die Fotografie der etwas anderen Art ausprobieren möchte, sollte bei Angeboten unter 300 Mark zu greifen.

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