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Artikel
1998
Photographica
Spiegelreflex-Klappkamera
9x12 Klapp-SLR der 20er Jahre
Die einäugige Spiegelreflexkamera gilt heute als der höchstentwickelte Kameratyp. Doch auch SLRs aus der Frühzeit der Fotografie haben einiges zu bieten. Die Houghton Ensign Folding Reflex aus England mag stellvertretend für eine ganze Reihe von Klapp-Reflexkameras stehen, die in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderte die Fotoszene mitprägten.
Eine einäugige Spiegelreflexkamera für das Format 9x12 cm? Für den heutigen Kleinbildfotografen ist das wohl schwer vorstellbar. Wie läßt sich der Belichtungsablauf, das Hochklappen des Spiegels und das Auslösen des Schlitzverschlusses bei den großen Ausmaßen überhaupt einigermaßen elegant bewerkstelligen? Das Betriebsgeräusch ist in der Tat beträchtlich. Und die Vibrationen sowohl durch das Hochklappen des Spiegels als auch durch den Schlitzverschluß bergen starke Verwacklungsgefahr. Aber der Klappmechanismus ist genial konstruiert, zusammengefaltet ist die Kamera ein handliches Paket mit den Außenmaßen 18 x 8 x 17 cm.
Um sie betriebsbereit zu machen, dreht man das Ganze so, daß sich die Seite mit dem Griff und dem Objektivdeckel unten befindet. Nachdem die Verriegelung gelöst ist, kann man den Lichtschacht ausklappen und den Objektivträger dann um 90 Grad nach oben drehen. Der Lederbalgen spannt sich dabei wie ein Cabriolet-Dach. Und der Spiegel? Kein Problem, die Drehachse des Gehäuses ist fast identisch mit der Drehachse des Spiegels, so daß es beim Zusammenklappen unerheblich ist, in welcher Stellung sich der Spiegel befindet. Das Objektiv ist ein Ross Xpress englischer Fertigung und dürfte etwa dem deutschen Tessar entsprechen. Die Entfernung wird über einen Schneckengang eingestellt und bietet nur einen Bereich von 2 Meter bis unendlich. Die Lichtstärke beträgt 1:4,5, die Brennweite 135 mm. Das Sucherbild ist recht dunkel. Der Schlitzverschluß bietet Zeiten von 1/1000 bis 1/10 Sekunde, B und T. Die gesamte Technik befindet sich in dem schmalen Seitenteil. Vor der Aufnahme muß zuerst mit dem unteren seitlichen Hebel der Spiegel nach unten geklappt werden; danach muß die Verschlußzeit eingestellt und der Verschluß gespannt werden. Nun kann die Aufnahme erfolgen. Zur Vermeidung von Erschütterungen kann man auch auf die Benutzung des Spiegelreflexsuchers verzichten, man klappt dann den Spiegel nicht herunter und stellt auf der Mattscheibe in der Filmebene scharf. Doch die Vibrationen des Schlitzverschlusses bleiben natürlich. Es fragt sich, ob das Rezept aufging; ob die Großformat-SLR eine sinnvolle Alternative zur weitverbreiteten "normalen" Balgenkamera war, oder ob sie nur ein ausgefallenes Gerät für Individualisten oder spezielle Aufgaben war.
Für die Folding-Reflex spricht ihre gute Qualität und die Kompaktheit, die es ohne weiteres mit herkömmlichen Balgenkameras aufnehmen kann. Das Spiegelreflexprinzip kann aber die Vorteile, die es uns bei modernen Kameras bietet, nur zum geringen Teil ausspielen. Eine Abblendhilfe, die für ein helles Sucherbild sorgt, war in den zwanziger Jahren unbekannt. Der riesige Lichtschacht der Houghton Reflex schirmt zwar das Außenlicht wirkungsvoll ab, aber er macht Hochformataufnahmen so gut wie unmöglich. Das Objektiv ist abschraubbar, Wechselobjektive im heutigen Sinne gab es aber noch nicht, und die Eignung für Nahaufnahmen war sehr begrenzt. Die klassische Balgenkamera ohne Reflexsucher hatte auf diesem Gebiet wesentlich mehr zu bieten: Für Nahaufnahmen gab es den doppelten Balgenauszug, und viele hatten sogar teilbare Objektive, deren Hinterglied als Teleobjektiv dienen konnte. Das größte Handicap der Großbild-SLR waren die Vibrationen bei der Aufnahme. So war es nur logisch, daß Kameras vom Schlage der Houghton in den dreißiger Jahren vom Markt verschwanden. Mittelformatkameras (4x6 cm, 6x6 cm) eigneten sich wesentlich besser für das Spiegelreflexprinzip. Und für die Großformat-Fotografie waren Flexibilität und erschütterungsarme Zentralverschlüsse nötig - Dinge, die die Klapp-Reflex-Kameras nicht bieten konnten. Um so mehr ist die Houghton gesucht. Für einigermaßen gut erhaltene Exemplare wird man ab 400 Mark bezahlen müssen.
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