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SERVICE Report
Contax T VS und Nikon 35 Ti Quartz Date
Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
Wenn das Besondere etwas teurer sein darf, dann bauen Contax und Nikon die richtigen Kameras. Zum Jahreswechsel brachten die beiden japanischen SLR-Produzenten zwei Edel-Kompaktkameras auf den deutschen Markt. Von Contax kommt für 2500 Mark eine Sucherkamera mit Titan-Gehäuse, passivem Autofokus, Zoomobjektiv und Keramik-Andruckplatte. Die Nikon (2000 Mark) hat ein 35-mm-Objektiv, ebenfalls ein Titan-Gehäuse und als Extra eine Analoganzeige, die wie ein altes Chronometer aussieht. Die beiden Kameras mit der Aura des Besonderen bieten moderne Technik in edlen Gehäusen.
Rügen, Kap Arkona - im Spätherbst. Zwischen Kreidefelsen und Meer vier Meter Strand, in der Luft der Geruch des Wassers. Die Touristen sind schon vor Wochen abgefahren. Jetzt wirkt die Insel menschenleer. Genau der richtige Ort, die richtige Zeit, um Urlaub zu machen und Bekanntschaft zu schließen mit zwei neuen, nicht ganz alltäglichen Kompaktkameras: Contax T VS und Nikon 35 Ti Quartz Date.
Aura - mit diesem Wort läßt sich das Besondere der beiden Kameras am besten beschreiben. Wer die Nikon oder die Contax kauft, bekommt zunächst eine solide Kamera mit moderner Technik. Doch darüber hinaus erwirbt man ein Stück Faszination: kühl-elegant die Contax, nostalgisch-verspielt die Nikon. Statt Designer-Produkten aus Billig- oder High-Tech-Kunststoff liegen schwere Metallquader in der Hand. Es macht Spaß, diese Kameras auszuprobieren, sie einzustellen, mit ihnen zu fotografieren. Alte, schon vergessene Bekannte tauchen wieder auf. So überrascht die Contax mit einem Blendenring, der genau dort sitzt, wo er schon immer hingehörte: am Objektivanschluß. Statt Gummi-Nippel und Motorzoom erleichtert ein Zoom-Hebel die exakte Brennweitenwahl. Überhaupt sucht man an der Contax vergeblich nach den winzigen Knöpfen anderer Kompaktkameras, die man fünf oder zehnmal drucken muß, um die gewünschte Einstellung zu realisieren. Stattdessen sind die meisten Schalter eindeutig gekennzeichnet und jeweils mit nur einer Funktion belegt. Eine Ausnahme hiervon macht lediglich der Knopf für die Blitzabschaltung - wer ohne Blitz fotografieren will, muß diesen Knopf zweimal drücken. Sollte man anschließend die Kamera irrtümlicherweise ausschalten, heißt es wieder: zweimal drucken.
Bedienung
Der Blick durch den Sucher der Contax zeigt ein großes Bild, das in der Weitwinkeleinstellung bei 28 Millimetern allerdings leicht vignettiert. Im Vergleich zu einer Spiegelreflexkamera fällt der nahezu erschütterungsfrei ablaufende Zentralverschluß angenehm auf. Dieser bauartbedingte Vorteil von Zentralverschlüssen gegenüber den Schlitzverschlüssen verringert die Bewegungsunschärfe bei langen Belichtungszeiten.
Wer nicht aufpaßt, fotografiert mit aufgesetzter Objektivkappe schwarze Bilder. Das Fehlen einer Sperre ist aber von Vorteil, wenn man einen halb belichteten Film in die Kamera einlegen und vorspulen will.
Beide Sucher nach links versetzt
Wie bei der Contax ist auch der Nikon-Sucher nach links versetzt, hell und groß. Positiv fallen ferner der eindeutig gekennzeichnete Funktionswahlschalter (links), Programm-Shift und Blendenvorwahl auf Die meisten anderen Einstellungen aber sind zu kompliziert und unter winzigen Druckknöpfen versteckt. Einige Beispiele:
Die Belichtungsmessung arbeitet ohne Meßwertspeichen Die bei Sucherkameras häufige Funktion des Auslösers als Meßwertspeicher fehlt. Dementsprechend ändert sich die gemessene Belichtungszeit, wenn man die Kamera bei gedrucktem Auslöser (erste Stufe) durch den Raum schwenkt und dabei dunkle und helle Ecken anmißt. Absurd ist, daß dabei die Blitzfunktion gespeichert bleibt und nicht ebenfalls variiert wird. Die Nikon 35 Ti koppelt also eine permanente Belichtungsmessung mit einem Blitzfunktionsspeicher.
Zu den besonders nachahmenswerten Details der Nikon gehört der Programm-Shift - für den man allerdings hier kräftige Finger braucht. Zwar sitzt das Einstellrad für den Programm-Shift, die Blendenvorwahl und die Entfernungseinstellung an der richtigen Stelle, doch ist es viel zu schwergängig.
Umständliche Blitzabschaltung
Den meisten Ärger verursacht jedoch die mühsame Blitzabschaltung. Wer nicht bei jeder Aufnahme mit dem Fingernagel eine winzige Taste gedrückt halten will, muß die Kamera umprogrammieren. Umprogrammieren bedeutet, auf der zweiten Programmebene einen abstrakten Zahlencode einzugeben. Insgesamt hat dieses Programm der Nikon sechs Ebenen.
Die höchstens mäßige Bedienungsfreundlichkeit der Nikon ärgert um so mehr, wenn man den Blick auf technische Highlights, wie rekordverdächtige 833 AF-Schärfestufen, wendet.
Das Äußere der "neuen alten" Nikon hingegen besticht: die solide Verarbeitung, das gefällige Design und die nostalgische Analoganzeige mit eingebauter Beleuchtung. Schmale, lange Zeiger schwenken langsam über vier Zifferblätter. Es geht um Entfernung, Blende, Belichtungskorrektur - doch eigentlich ist es gleichgültig, was die Zeiger melden. Hauptsache, sie bewegen sich und es ist dunkel - damit man einen Grund hat, die Zifferblatt-Beleuchtung einzuschalten. Man hat schnell verdrängt, daß sich unter dem Zifferblatt vier Elektromotoren verbergen, mit deren Hilfe die klassische Mechanik so geschickt simuliert wird. Illusion heißt das Zauberwort - sie verleiht dem Umgang mit der Kamera hier einen zusätzlichen Reiz.
Beide Kameras gewähren zunächst mehr fotografische Freiheiten als andere Kompaktkameras. Wer will, kann die Entfernung von Hand einstellen oder die Blende per Zeitautomatik vorwählen. Für perfekte Bilder sorgt dann die verborgene moderne Technik. Die beiden Kameras bieten ein zeitgemäßes Abenteuer - die "Gefahr" ist simuliert, der Ausgang vorherbestimmt.
Moderne Technik in Luxusgehäusen
Die Ausstattung beider Kameras genügt und läßt überflüssige Spielereien weg. Gegenüber anderen Zoom-Kompaktkameras warten die Contax und die Nikon mit drei SLR-typischen Details auf:
Der Autofokus ist abschaltbar. Wer will, kann von Hand scharfstellen. Die Contax unterstützt zudem die manuelle Fokussierung mit einem Schärfe-Indikator im Sucher.
Beide Kameras ergänzen ihre Vollautomatik mit einer Zeitautomatik (Blendenvorwahl) und einer Belichtungskorrektur in Drittelstufen.
Die Kameras zeigen die eingestellte Blende und die Belichtungszeit an. Ohne diese Informationen sind gezielte Korrekturen bei Diafilmen praktisch unmöglich. Keine der in COLOR FOTO 12/93 getesteten Zoom-Kompaktkameras kann in diesem Punkt mithalten. Entsprechend bieten einfache Sucherkameras auch kaum Korrekturmöglichkeiten. Die Contax und die Nikon sind eben nicht nur teurer als andere, sondern auch besser ausgestattet.
Ein Grund für den hohen Preis der Contax ist das Carl-Zeiss-Objektiv mit asphärischen Linsen aus geschaffenem und poliertem Glas. Viele der Objektive zu Spiegelreflexkameras mit asphärischen Linsen können in diesem Punkt nicht mithalten. Bei ihnen sitzt aus Kostengründen oft eine asphärische Kunststoffkappe auf einer sphärischen Glaslinse. Zur Ausrüstung der Contax gehören ferner das Titan-Gehäuse, eine Filmandruckplatte aus Keramik, ein Zweifach-Zoom (28 bis 56 Millimeter) und ein passiver Autofokus, wie er in Spiegelreflexkameras üblich ist. Allerdings mißt der Contax-Autofokus nicht durch das Objektiv.
Für eine Spiegelreflexkamera typische Details zeigt auch die Nikon 35 Ti. Bei ihr kann der Fotograf zwischen einer mittenbetonten Integralmessung und einer 3D-Messung wählen - ähnlich wie bei der Nikon F90. Die 3D-Messung verwendet die Entfernungsinformation des Autofokus, um die Einzelwerte der Belichtungsmessung motivangepaßt zu gewichten. Der hohe konstruktive Aufwand setzt sich beim Infrarot-Autofokus fort, wie bereits erwähnt, fokussiert die Nikon 35 Ti beinahe stufenlos mit 833 Einstellstufen. Die meisten anderen Sucherkameras bieten 30 bis 40 Schärfestufen pro Brennweite (die Contax T VS immerhin 150).
Das i-Tüpfelchen ist bei der Nikon das Analog-Display mit seinen vier Motoren. Das Nikon-Informationsangebot im einzelnen: Analog-Display (Entfernungsanzeige, Bildzählwerk, Anzeige der Belichtungsdauer bei Langzeitbelichtungen, Blendenanzeige, Belichtungskorrekturwert, Selbstauslöser, Filmrückspulung); LC-Display (Bildzählwerk, Jahres- und Zeitangaben der Datenrückwand); Sucheranzeige (AF-Meßfeld, Blitz, Bildbegrenzung für Panorama und Vollformat Verschlußzeit, Arbeitsblende, Belichtungskorrektur).
Zwei Traumkameras mit Macken
Braucht man denn Kameras wie die Contax T VS oder die Nikon 35 Ti Quartz Date überhaupt? Ebenso läßt sich fragen: Wer braucht eine Uhr für 500 Mark, wenn eine für 30 Mark es auch tut? Und was ist mit Uhren für 5000 oder gar 50000 Mark und Personenkraftwagen mit Peilstäben? Die Contax und die Nikon sind ein exklusives Angebot an alle, die nicht einfach nur knipsen mögen, sondern sich Zeit nehmen und genießen wollen. Warum muß Fotografie immer schnell gehen?
Kameras, die auf Ausstattungsorgien und Kreativprogramme verzichten, lassen dem Fotografen die Freiheit zu fotografieren, ohne daß ihn ein Apparat bevormundet. Die Contax zwingt niemanden auf Unterebene sieben nach künstlicher Intelligenz zu graben. Sie erinnert an die Anfänge der Fotografie, lange bevor Regeln zur korrekten BiIdgestaltung die Fotos eroberten die ersten Fotografen arbeiteten dokumentarisch. Sie hielten die Objekte und Personen fest, die sie für wichtig hielten. Es ging um Qualität, doch dachte zunächst niemand an Kunst.
Die Bilder der Contax wirken einwandfrei, allerdings tendiert die Kamera zu Unterbelichtungen. Die Nikon ruft durch ihre umständliche Bedienung oft Unwillen hervor. Zu ihrer technischen Qualität sind an dieser Stelle noch keine gesicherten Aussagen möglich - es wäre wenig sinnvoll, ein Vorserienmodell zu bewerten. Die technischen Daten machen jedoch auf ein Serienmodell neugierig.
Die beiden Kameras verbreiten eine faszinierende Aura von Wertigkeit und Stil. Es wäre ein Mißverständnis, sie als bloße "Bild-Notizbücher" zu verwenden; andererseits gehören sie auch nicht in die Vitrine. Mit beiden Kameras sollte man hinaus gehen - zum geruhsamen, genußvollen Fotospaziergang.
Pro
CONTAX T VS
Titan-Gehäuse
Zoombereich ab 28 Millimeter
Belichtungskorrektur ± 5 EV
Zeitautomatik
sehr ruhig ablaufender Zentralverschluß
einfache Bedienung und gute Handhabung
klar definierte Tasten
Brennweitenverstellung ohne Motor
150 Einstellstufen des Autofokus bei jeder Brennweite
Entfernungseinstellung von Hand mit Schärfeindikator im Sucher
großer, nach links versetzter Sucher
Belichtungszeiten-Anzeige im Sucher
NIKON 35 TI QUARTZ DATE
Titan-Gehäuse
sehr solide wirkende Verarbeitung
Belichtungskorrektur ± 2 EV
Zeitautomatik
sehr ruhig ablaufender Zentralverschluß
833 Einstellstufen des Autofokus
Entfernungseinstellung von Hand
großer, heller, nach links versetzter Sucher
Belichtungszeiten-Anzeige im Sucher
wahlweise mittenbetonte Belichtungsmessung und Sechs-Feld-Messung
Kontra
CONTAX T VS
Zoombereich endet bei 56 Millimetern
kein Drahtauslöseranschluß
der unebene Kameraboden erlaubt nur kleine Stativplatten
Stativgewinde aus Kunststoff
leichte Vignettierung im Sucher bei Brennweite 28 Millimeter
deutliche Verzeichnung des Suchers
Blendenvorgabe für Zeitautomatik nur bei 28 Millimetern eindeutig eingraviert
umständliche Blitzabschaltung - die Blitzfunktionstaste ist zu klein; mit dem Ausschalten der Kamera erlischt die Blitzabschaltung
Tendenz zur Unterbelichtung
NIKON 35 TI QUARTZ DATE
sehr umständliche Bedienung (Unterprogramme statt Schalter)
überbelegter Drehknopf
schlecht zu druckende Tasten
lauter Autofokus-Motor o kein Drahtauslöseranschluß
Stativgewinde aus Kunststoff
deutliche Verzeichnung des Suchers
ungenaue Bildfeldbegrenzung im Sucher
kein Schärfeindikator im Sucher
äußerst umständliche Blitzabschaltung - wer ohne Blitz fotografieren will, muß entweder in einem Unterprogramm den Blitz abschalten oder eine winzige Taste bei der Aufnahme gedrückt halten
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