← Zurück

Artikel

1998

Photographica

Stereokameras

Die dritte Dimension

Die Stereofotografie ist fast so alt wie die Fotografie selbst. Meistens führte sie ein Schattendasein. Doch in den fünfziger Jahren gab es eine kurze Blütezeit. Zwei Kameras von damals stellen wir hier vor: die Wirgin Stereo aus Wiesbaden und die Stereo Realist aus Milwaukee, USA.

Stereokameras machen von jedem Motiv zwei Fotos. Diese beiden Bilder werden mit zwei nebeneinanderliegenden Objektiven im Augenabstand fotografiert. Die Kameras liefern also analog zu den menschlichen Augen zwei leicht versetzte Bilder.

Die Wirgin Stereo. Sie ist das einfachere der beiden hier vorgestellten Modelle und verfügt über zwei dreilinsige Objektive (Steinheil Cassar 3,5/35 mm) sowie Hinterlinsenverschlüsse mit den Zeiten 1/30, 1/75, 1/200, Sekunde und B. Vielleicht sollte die merkwürdige Zeitenreihe die Bedienung vereinfachen. Eine übliche Skala mit vier Zeiten wäre jedoch konstruktiv nicht aufwendiger gewesen. Der wesentliche Verschlußmechanismus befindet sich im rechten Objektiv; ein Hebel ragt zum linken hinüber und betätigt auch dort die Lamellen. Die drehbaren Frontlinsen sind zur Entfernungseinstellung über ein flexibles Stahlband gekuppelt, die Blendenringe sind mit einem Hebel verbunden beides findet sich unter der Abdeckung. Für den Transport müssen Sie den Schnellschalthebel mehrmals betätigen. Dann signalisiert eine automatische Sperre, daß der Transportvorgang beendet und der Verschluß gespannt ist. Die Wirgin ist einfach, aber solide und ganz aus Metall gebaut. Ihr Finish ist gut. Es gab sie auch unter dem bekannteren Namen "Edixa Stereo" in mehreren Ausführungen mit Selen-Belichtungsmesser und Entfernungsmesser. Ein Kuriosum ist allerdings das Filmformat. Auf normalen Kleinbildfilm werden Bilder in der Größe 24x22 mm belichtet. Warum? Der Augenabstand des Menschen gab dieses Maß vor. Offenbar sollte das Bild möglichst quadratisch sein. Wegen des Objektivabstandes von 69 mm war aber zwischen den Bildpaaren auf dem Film nicht genug Platz. Und so sparte man ein bißchen an der Bildbreite, so daß zwischen den Bildpaaren noch zwei andere Bilder Platz finden. Schade, denn das schränkt die Nutzung der Kamera heute stark ein. Diarahmen für dieses Format gibt es nicht mehr, so daß man selber Pappmasken anfertigen muß. Und die Automaten der Großlabore zerschneiden gern auch mal ein Filmbild, da sie das Format nicht erkennen.

Die Stereo Realist hat das gleiche Problem. Hier sind die Negative etwas breiter und lassen keinen Zwischenraum auf dem Film, so daß die Printer der Großlabore nur Puzzleteile liefern. Auch sonst ist die Stereo Realist ungewöhnlich. Die Objektive (dreilinsige Anastigmate 3,5/35 mm) werden durch eine Klappe geschützt, die bei der Aufnahme als Sonnenblende dient. Der Suchereinblick befindet sich unten an der Kamera, so daß man sie zur Aufnahme vor die Stirn hält. Der Strahlenverlauf des Suchers wird in der Kamera umgelenkt; der Ausblick befindet sich genau zwischen den Objektiven - es gibt also keine Parallaxe(Abweichung des Sucherbildes vom Filmbild). Die Belichtungszeiten (1-1/150 s und B) werden am Ring um den Sucherausblick eingestellt. Die Blendenskala befindet sich am rechten Objektiv und ist mit dem linken über einen Federstahl verbunden. Eine Besonderheit ist die Enternungseinstellung: Statt der Objektive wird die Filmebene bewegt. Der Mechanismus wirkt einfach und logisch: über das Rad an der rechten Kamerawand wird eine Achse gedreht, die wiederum über vier bewegliche Winkel auf die Filmbühne wirkt. Der Schnittbild-Entfernungsmesser im Kameraboden hat eine so große Meßbasis, daß es mitunter schwierig ist, die Linien im Bild zu finden, die man zur Deckung bringen will. Eine Doppelbelichtungssperre fehlt. Statt dessen zeigt ein rotes Signal, ob nach dem Transport ausgelöst wurde oder nicht. Der Verschluß muß vor der Aufnahme mit dem Hebel unter den Objektiven gespannt werden. Die Stereo Realist ist sehr massiv, aber nicht unhandlich.

Brauchbare Bildqualität. Beide Stereomodelle sind - sofern gut erhalten für den praktischen Gebrauch zu empfehlen. Für die Wirgin wird man mindestens 250 Mark bezahlen, die Realist kann leicht an 400 Mark herankommen. Bleibt die Frage, wie man die Stereobilder präsentiert. Die einfachste Möglichkeit ist, Dias zu belichten und die Diafilme ausdrücklich unzerschnitten entwickeln zu lassen. Stecken Sie die Dias mit Pappmasken in normale Rahmen und kleben Sie zwei kleine Diabetrachter zusammen, um die Doppelbilder zu betrachten - vielleicht der Einstieg in einen faszinierenden Bereich der Fotografie. 

{ewl Thnhlp32.dll,THIN,SKIN.LZH;STEIMERM.BMP}