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Artikel

1998

Kameras

Erster Test: Pentax 645N

Retorten-Kamera

Bei der 645N hat sich Pentax kräftig aus den Regalen des Konzerns bedient und die Gehäusekonzeption der Mittelformatkamera Pentax 645 mit der Autofokus- und Belichtungstechnologie der Kleinbildkamera MZ-5N kombiniert. Das Ergebnis ist ein durchaus gelungenes Produkt "fototechnischer Gentechnik", mit Stärken und Schwächen.

Bereits im Spätherbst vergangenen Jahres haben wir mit der ersten Autofokus-Spiegelreflexkamera mit Wechselobjektiven im Mittelformat, der Pentax 645N, in Tokio ausgiebige Trockenübungen machen können. Die Kamera hinterließ einen zwiespältigen Eindruck. Daher waren wir beim Eintreffen der ersten für Testzwecke freigegebenen Kamera in der Redaktion sehr neugierig und gespannt: Werden die Testergebnisse den ersten Eindruck widerlegen oder bestätigen?
Woher aber kommt der zwiespältige Eindruck. Er kommt aus der Verbindung von fortschrittlicher Kameratechnik mit der nur unwesentlich veränderten Gehäusekonzeption einer Kamera, die seit 1984 auf dem Markt ist. Die neue Kamera ist zwar etwas "windschnittiger" geworden, die Kanten abgerundet, aber das Design ist immer noch alles andere als zeitgemäß. Und weil man über Design und Geschmack bekanntlich trefflich streiten kann, werden wir das der Kamera nicht ankreiden. Relevant für die Fotopraxis ist jedoch die Gehäusekonzeption. Die Pentax 645N ist als Würfelkamera konstruiert, eine im Mittelformat klassische Gehäuseform. Die unumstrittenen Vorteile des Würfelprinzips sind die Möglichkeiten, an jeder Seite des Würfelgehäuses Zubehör anzubringen, das die fotografischen Einsatzmöglichkeiten erweitert. Dazu zählen vor allem Wechselmagazine und Wechselsucher. Diese Möglichkeiten bietet die Pentax 645N nicht. Deutlich besser fällt die Bedienung aus, weil die Tasten der Pentax 645 von 1984 ersetzt wurden durch Einstellräder (konventionelles Verschlußzeitenrad und Korrektureinstellrad) und Hebel (Belichtungsreihenautomatik, Belichtungsmeßart). Auch die Sucheranzeigen und die Einstellung der Belichtungsfunktionen wurden verbessert.
Das Autofokus- und das Belichtungssystem der neuen 645er wurden im wesentlichen von der Kleinbildkamera Pentax MZ-5N übernommen. Das Safox-IV-Autofokussystem arbeitet mit drei linienförmigen AF-Sensoren, wobei der mittlere AF-Sensor auch einzeln aktiviert werden kann. Mit einem Schalter an der Gehäuserückseite kann man , zwischen AF-Single, also statischer ab AF mit Schärfepriorität und AF-Servo, das heißt Schärfenachführung umschalten. Für den AF-Betrieb sind die neuen AF-Objektive SMC FA 645 erforderlich. Der Autofokus arbeitet in der Praxis zwar nicht sehr schnell und leise, dafür aber recht genau. Vorausgesetzt, die Ausrichtung der Motivstrukturen verläuft nicht parallel zur Ausrichtung der AF-Liniensensoren. Spätestens dann vermißt man einen zentralen AF-Kreuzsensor, der auf alle Motivstrukturen, unabhängig von ihrer Ausrichtung, fokussieren kann. Im Zweifelsfall ist jedoch auch manuelle Scharfeinstellung möglich (und zwar mit allen Pentax 645er Objektiven). Das AF-System der Pentax 645N kann auch bei manueller Scharfeinstellung mit den MF-Objektiven SMC A als elektronische Fokussierhilfe eingesetzt werden. Bei erfolgter Scharfeinstellung leuchtet bei angetipptem Auslöser die grüne Fokussieranzeige im Sucher auf.
Mit Programm-, Zeit- und Blendenautomatik und manueller Belichtungseinstellung sowie drei Belichtungsmeßarten ist die Pentax 645N für jede Motiv- und Belichtungssituation gut gerüstet.
Die Mehrfeldmessung wurde für das größere Aufnahmeformat optimiert und besteht aus einer sogenannten "doppelten Sechsfeldmessung", bei der zwei Sechsfeldsysteme sozusagen übereinander angeordnet sind: Das eine umfaßt das gesamte Bildfeld, das andere nur den zentralen Bildbereich. Das funktioniert in der Praxis sehr gut und führt zu einer genaueren Belichtungsmessung auch bei kontrastreichen Motiven oder sogar bei leichtem Gegenlicht. Für gezielte Messungen steht die Spotmessung zur Verfügung, deren Meßfeld einem Prozent der Bildfläche entspricht. Natürlich verfügt die Pentax 645N über eine mittenbetonte Integralmessung. Sehr praxisgerecht ist die Kombinationsmöglichkeit der drei Meßarten mit jedem Belichtungsprogramm. Die einzelnen Belichtungsprogramme werden durch die Kombination der Einstellpositionen am Verschlußzeitenrad der Kamera und am Blendenring der Objektive aktiviert. Wenn beide auf "A" stehen, ist die Programmautomatik eingeschaltet. Bei Zeitautomatik steht nur das Verschlußzeitenrad auf "A", in der Blendenautomatik nur der Blendenring auf "A". Für manuelle Belichtungseinstellung werden sowohl Verschlußzeitenrad als auch Blendenring aus der "A"-Position gedreht. Der Belichtungsabgleich wird auf einer Skala im Sucher in Drittelstufen angezeigt. Die Anzeige in Drittelstufen ist bei der manuellen Belichtungskorrektur oder bei Belichtungsreihen sinnvoll, weil auch diese Einstellungen in Drittelstufen ausgelegt sind. Die Belichtungsabweichung in Drittelstufen anzuzeigen, obwohl man Blende und Verschlußzeit nur in halben Stufen einstellen kann, ist dagegen weniger sinnvoll.
Die Anlehnung der Gehäusekonstruktion der neuen 645N an die der alten 645er hat auch praktische Aspekte: Sämtliches Systemzubehör kann an der neuen Kamera angesetzt werden. Neben Objektiven können Blitzgeräte, Winkelsucher oder Makrozubehör für die alte 645er an die 645N angeschlossen werden. Auch die TTL-Blitzsteuerung der neuen Kamera ist weitgehend identisch mit der des Vorgängermodells und funktioniert mit den AF-Zoom-Blitzgeräten. Trotz aller Schwierigkeiten, eine Retortenkamera wie die Pentax 645N zu beurteilen, zeichnen wir, in Abwägung aller Vor- und Nachteile, die neue Kamera mit dem Prädikat sehr gut**** aus.

Fazit. Zugegeben, die Gehäusekonzeption ist nicht gerade als neuartig und das Autofokussystem nicht als blitzschnell zu bezeichnen. Die AF-Leistung reicht aber in der Abwesenheit leistungsstärkerer AF-Systeme aus, um neue Zielgruppen, wie Aktion-, Mode- und Sportfotografen, für die Mittelformatfotografie zu erschließen. Und die üppige, praxisgerechte Kameraausstattung liefert weitere Argumente für die Pentax 645N.

+ Autofokus (siehe aber auch "Minus") 
+ 3 Belichtungsmeßarten 
+ TTL-Blitzsteuerung 
+ Belichtungsreihenautomatik 
+ 4 Belichtungsprogramme 
+ für Freihandaufnahmen sehr gut geeignet

- Gehäuse entspricht dem Stand von 1984 
- Autofokus könnte schneller und leiser arbeiten und mit einem zentralen AF-Kreuzsensor ausgestattet sein 
- keine Wechselmagazine 
- keine Wechselsucher 
- keine Abblendfunktion in der Programm- und Blendenautomatik

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