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Artikel
1998
Der Alexander Borell-Kommentar
Toyo Super Graphic
Großformat für Aufsteiger
Fingerspitzengefühl, ein paar Lehrstunden und reichlich Übung - mehr gehört nicht dazu, um mit einer Großformatkamera den Weg zum Erfolg zu beschreiten. Die Verstellbarkeit dieser Kamera läßt Aufnahmen zu, die normalerweise nicht vorstellbar sind - doch lesen Sie selbst, was es heißt, auf "90 x 120"-Dias umzusteigen.
Wer ein Pferd benutzt, um bequem von A nach B zu kommen, muß weder Turnier- noch Springreiter sein. Wer an Festtagen, in den Ferien oder auf einer Reise auf den Auslöser seiner Kamera drückt, muß noch lange kein engagierter Hobbyfotograf sein, er will ja nur das im Bild festhalten, woran er sich später erinnern möchte. Wer sich jedoch mit der Fotografie schöpferisch befassen will, sollte auch alle Möglichkeiten der Fotografie kennen; wie weit er sie dann für sich anwenden wird, ist seine Sache.
Die Hohe Schule fängt mit der Wahl der Brennweite an. Weitwinkel und Tele werden bereits von vielen KB-Fotografen zur Bildgestaltung verwendet. Zugleich hören aber damit die rein kameratechnischen Möglichkeiten auf: man kann Kleinbildkameras weder verstellen, noch verschieben oder gar verschwenken. (Von einigen neuen Balgengeräten und - beschränkt - Shift-Objektiven abgesehen!) Aber gerade beim Verstellen, Verschwenken und Verschieben fängt die Hohe Schule der Fotografie erst wirklich an. Während man mit KB- und fast allen Mittelformatkameras nichts dergleichen machen kann, ist das Ideal hierfür eine "Studiokamera", eine "optische Bank", ohne die heute kein Profi auskommt. In der Mitte zwischen Kleinbild/Mittelformat und optischer Bank liegen "Laufbodenkameras", deren Objektiv verstellt, verschoben und verschwenkt werden kann. Eine solche Kamera ist die Toyo Super Graphic, der legendären amerikanischen "Speed Graphic" nachempfunden, die wir noch aus alten Filmen kennen: jeder Reporter arbeitete damals damit.
Man kann mit der Toyo auch aus der Hand fotografieren: sie hat einen gekuppelten E-Messer, der das Objektiv über Kurven steuert.
Verwendet man die Toyo als normale Kamera, z.B. für die üblichen Reise-, Dokumentar-, Schnappschuß- und Portraitfotos, ist man zunächst vom Format 9 x 12 cm hingerissen. Wer einmal solche Dias in der Hand hatte, oder Vergrößerungen von 9 x 12 auf 18 x 24, der schwört in diesem Augenblick, nie mehr im Leben eine Kleinbildkamera anzufassen. Auch der Unterschied zum Mittelformat ist noch so groß, wie von KB zu Pocket.
Die Belichtungszeit müssen Sie allerdings mit einem Belichtungsmesser ermitteln, was dem Resultat oft zugute kommt: keine Automatik nimmt Ihnen das Denken ab. Sie verwenden entweder 9 x 12 Planfilme in Doppelkassetten, oder Rollfilm in entsprechender Kassette (dann 6 x 9 cm!) oder ein Polaroid-Rückteil, im Studio zur Kontrolle. Das internationale Rückteil ist für Hoch- oder Querformat schwenkbar, und da auch diverse Brennweiten zur Verfügung stehen, hat diese Kamera dem Qualitätsfanatiker eine Menge zu bieten.
Aber nun zu dem, was in Richtung Hohe Schule mit dieser Kamera möglich ist.
Die Verstellung: Das Objektiv läßt sich nach oben und - nach Abklappen des Laufbodens auch nach unten verstellen. Damit hat man die Möglichkeit, z. B. durch Hochverstellen einen unerwünschten Vordergrund zu beseitigen.
Die Verschiebung: Das Objektiv läßt sich auf dem Laufboden seitlich nach rechts oder links verschieben. Man kann damit buchstäblich "um die Ecke" fotografieren, z.B. ein Gerät, eine Maschine oder ein Haus so, daß die Vorderfront ohne Verzeichnung abgebildet wird, zugleich aber auch die Seite sichtbar wird nach der man verschoben hat. Man kann dies aber auch durch Querlage der Kamera und Verstellen des Objektivs erzielen. Man geht in beiden Fällen mit der optischen Achse des Objektivs aus der Kameraachse heraus. Das wiederum setzt Objektive voraus, die einen besonders großen "Bildkreis" haben, damit sie bei einer Verstellung oder Verschiebung nicht vignettieren können.
Die Verschwenkung: Hier wird das Objektiv um seine Achse gedreht, "verschwenkt". Es zeigt dann schräg nach links oder rechts, bzw. unten oder oben. Damit beherrschen wir die jedem Fotografen geläufige Regel, die ein gewisser Herr Scheimpflug aufgestellt hat und ohne die heute kein Fotograf mit Sach- oder Werbeaufnahmen klarkommen könnte.
Sie wissen natürlich, was "Schärfentiefe" ist, und Sie arbeiten damit auch bei KB- oder Mittelformatkameras. Und womöglich haben Sie sich schon darüber geärgert, daß Sie trotz extremen Abblendens die Schärfe nicht genug "dehnen" konnten, daß sie von ganz vorne bis nach ganz hinten reichte. Mit der Scheimpflug'schen Regel und einer verschwenkbaren Kamera ist das kein Problem. Man stellt so ein, daß die (gedachte) Linie durch den Gegenstand, die Linie der Filmebene und die des verschwenkten Objektivs sich irgendwo schneiden. Dann reicht nicht nur die Schärfentiefe man muß meistens nicht einmal stark abblenden.
Das sind nur einige Hinweise auf das, was man mit einer solchen Kamera anfangen kann.
Besonders billig ist dieses Vergnügen nicht; Sie müssen für die Toyo Super Graphic - mit Objektiv- ca. 4000 DM bezahlen. Viel Geld für eine Hobbykamera.
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