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Artikel
1998
Der Alexander Borell-Kommentar
Rolleiflex SL66E
An ihr ist alles Spitze
Noch zu Beginn der siebziger Jahre wurden Mittelformatkameras nahezu ausschließlich von Profis benutzt; das hat sich im Verlauf der letzten Jahre schlagartig geändert: der Trend zum größeren Format - vor allem bei den versierten Hobbyfotografen, den "Aufsteigern" - ist unverkennbar. Die qualitativen Vorteile des Mittelformats scheinen sich inzwischen herum gesprochen zu haben. Die Kamerahersteller haben sich auf diesen Trend eingestellt, die Produktpalette der Mittelformatkameras wurde größer, der Bedienungskomfort zum Teil erheblich verbessert. Eine solche Kamera mit hohem Bedienungskomfort, die keine Wünsche mehr offenläßt, ist die Rolleiflex SL 66 E mit elektronischer Innenmessung durch das Objektiv.
Spricht man heute irgendwo auf der Welt den Namen Rollei aus, so denken alle etwas älteren Fotografen an die Kamera, die eben diesen Namen weltberühmt gemacht hat: die unsterbliche "Zweiäugige", die heute nur - immer noch perfekt funktionierend! zu horrenden Liebhaberpreisen zu bekommen ist. Sie kam vor mehr als einem halben Jahrhundert zum ersten Mal auf den Markt. Viele Bücher wurden ihr gewidmet, es gab eine eigene Zeitschrift, und es täte manchem Fotografen gut, diese Literatur einmal durchzusehen. Was Rang und Namen in der Fotografie hatte, fotografierte mit dieser Rollei, egal ob Sport, Mode, Architektur oder Dokumentation. Und alles mit nur einer Standardbrennweite. Leider erkannten die Schöpfer dieses Prachtstückes Paul Franke und Reinhold Heidecke, die Zeichen der Zeit nicht. "Nur über meine Leiche", erklärte einer, "baue ich eine Kamera mit Wechselobjektiven". Fast wäre darüber die ganze Firma Rollei zur Leiche geworden, denn es ist viel schwerer, Versäumtes nachzuholen, als Neues zu entwickeln.
Es wurde aber entwickelt, und so kam zur photokina 1966, also vor siebzehn Jahren, die Rollei SL 66 auf den Markt, wo sie sofort wieder - und dies wörtlich genommen! einen Maßstab im Mittelformat setzte, der bis heute von keinem noch so modernen oder illustren Namen eingeholt worden ist. Denn nicht nur ermöglicht sie es, dank eingebauten Balgenauszugs, ohne Hilfsmittel im Nahbereich bis 1:2 zu fotografieren, man kann das Objektiv auch um jeweils 8xGRADx nach oben oder unten verschwenken, und damit sich die gestalterischen Möglichkeiten der Scheimpflug-Regel erschließen, die sonst nur Studio-Kameras vorbehalten sind.
Selbstverständlich erreicht man mit der SL 66 nicht den Grad an Schärfendehnung, wie mit einer Studiokamera, aber in vielen Situationen hilft die SL 66 fotografische Probleme zu lösen wie keine andere Mittelformatkamera.
Allerdings war man mit ihr darauf angewiesen, Blende und Belichtungszeit mit einem Handbelichtungsmesser festzulegen. Dem Profi macht das nichts aus, er tut das heute auch noch sogar mit Automatikkameras, soweit er solche überhaupt verwendet. Der Markt jedoch, von allen Seiten mit Elektronik überschwemmt, ging auch an Braunschweig nicht vorbei, und so gibt es heute die neue Rolleiflex SL 66 E.
Dieses "E" steht für elektronische Belichtungsmessung durch das Objektiv.
Äußerlich hat sich dadurch an dieser Rollei so gut wie nichts geändert, aber sie bietet- in erster Linie dem engagierten Hobbyfotografen - nun die Möglichkeit, z. B. die Verschlußzeit vorzuwählen, um dann anhand von fünf Leuchtdioden-Signalen oberhalb des Sucherbildes die entsprechende Blende zu finden. Es geht natürlich, etwa bei geforderter Schärfentiefe, auch umgekehrt; da sich jedoch der Schlitzverschluß nicht stufenlos einstellen läßt, wird man die Feinkorrektur doch mit der Blende vornehmen.
Das Wechselmagazin ist umstellbar
Der Meßumfang reicht bei 100 ASA-Film von EV 1 - 18. Das ist ein nicht nur praxisbezogener, sondern auch recht guter Wert.
Auch in anderer Beziehung ist die SL 66 E vorbildlich: mit einem Handgriff ist das Wechselmagazin von 1 20er Film auf 220 umzustellen; das Bildzählwerk reicht dann statt bis 12 Aufnahmen bis 24. Diese einfache und geniale Einrichtung erspart mindestens ein weiteres Magazin, das man zusätzlich übrigens auch im Format 4,5 x 6 kaufen kann. Außerdem sind ein Polaroid-Magazin sowie Kassetten für Planfilm erhältlich, was die universelle Anwendbarkeit dieser Kamera noch erhöht.
Der Balgenauszug beträgt 50 mm; eine Skala an der Seite zeigt Zahlen für Auszugslänge, Verlängerungsfaktor und den Grad der Neigung des Objektivs an. (Wird über TTL gemessen, ist eine Berücksichtigung des Verlängerungsfaktors nicht nötig!)
Eine weitere Möglichkeit ist die Verwendung der Rollei-Objektive - dank ihrer Frontbajonetts - in Retrostellung für Nahaufnahmen. (In diesem Fall müssen Zeit und Blende an der Kamera manuell eingestellt werden.)
Besonders sparsam im Stromverbrauch
Die SL 66 E ist eine sparsame Stromverbraucherin: das Meßwerk wird durch sanften Druck auf den (verriegelbaren!) Auslöser aktiviert, schaltet sich aber nach ca. 20 Sekunden automatisch ab.
Die Belichtungsmessung mit Elektronenblitz durch das Objektiv und auf dem Film kennzeichnet die modernsten Konstruktionen auf dem Kleindild-Sektor. Um so bemerkenswerter ist es, daß diese Art der besonders präzisen und zuverlässigen Messung auch der SL 66 E mitgegeben wurde. Rollei arbeitet mit der ebenso renommierten Firma Metz auf diesem Sektor zusammen, und daher stehen für die neue Rollei auch zwei Metz-Blitzgeräte mit Innenmessung zur Verfügung: der Mecablitz 45CT5 und das Profigerät Metz 60CT2.
Die frühere, einfache Rollei SL 66 wird weitergebaut werden, und Bewährtes wurde auch für die SL 66 E übernommen; so etwa die Transportkurbei mit dem berühmten doppelten Rollei-Schwung vor und zurück, sowie die leichte blitzschnelle Möglichkeit, den Trageriemen zu wechseln. Ebenso wurden die auswechselbaren Suchersysteme übernommen; Sie können zwischen Lichtschacht, Lichtschacht mit Rahmen-Sportsucher, Lupenlichtschacht und Prismensucher wählen. Fünf verschiedene Mattscheiben für alle fotografischen Aufgaben stehen Ihnen auch bei der neuen SL 66 E zur Verfügung.
So ist diese neue Rollei nicht nur auf dem Papier eine neue Rollei, sondern tatsächlich eine überaus praxisgerechte, für Profis und anspruchsvolle Hobbyfotograf en gleichermaßen geeignete Kamera, die selbst höchsten Ansprüchen weit über das sonst beim Mittelformat gewohnte Maß hinausgeht.
Und obendrein wird sie in Braunschweig gebaut, womit nicht nur ihr "Made in Germany" voll gerechtfertigt ist, sondern wo sie auch vielen Menschen seit einiger Zeit wieder ihren Arbeitsplatz sichert: Rollei ist seit vielen Monaten aus den roten Zahlen heraus, und wer eine Rollei kauft, geht damit keinerlei Risiko mehr ein!
PS.: Die Qualität der Rollei-Zeiss-Objektive ist seit Jahren bekannt und begehrt, es erübrigt sich, darüber besonders zu berichten.
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