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Artikel

1998

Kameras

Olympus OM 30

Grün ist scharf

Sit-in, einst täglich gebrauchter Begriff aus der Demo-Szene, ist vergessen - da demonstriert Olympus das neue ...-in, das Zero-in. Nur unbeholfen als Ein-Nullen zu übersetzen, beschreibt dieser Begriff das elektronisch unterstützte Einpendeln auf die exakte Schärfeeinstellung des Objektivs.

Ich fahre nicht mehr mit der Postkutsche, ich beleuchte meine Wohnung nicht mehr mit dem Kienspan, ich bewahre meinen Wein nicht mehr in Ziegenhaut-Schläuchen auf, und ich gieße mir zum fotografieren meine Emulsion nicht mehr selber auf Glasplatten: ich glaube an den Fortschritt und schätze ihn sehr! Das bedeutet aber nicht, daß ich alles, was neu oder auch nur anders ist, als Fortschritt akzeptiere. So erblicke ich z. B. in der Erfindung des Elektrischen Stuhls gegenüber dem Fallbeil keinen Fortschritt, höchstens mehr Komfort.
Vieles, was uns die Fotoindustrie in den letzten Jahren als Fortschritt anpreist, gehört nur zum Komfort. Da ich auch nicht grundsätzlich gegen Komfort eingestellt bin, war ich mit der bisherigen Kameraentwicklung recht zufrieden. Ich finde es gut, im Bedarfsfall zwischen Zeit- und Blendenautomatik wählen zu können; ich finde es gut, über eine Verschlußzeit von 1/2000 oder gar 1/4000 verfügen zu können, und ich finde es komfortabel, mit Winder oder Motor zu arbeiten. Besonders angenehm ist es, wenn Komfort und Fortschritt zusammen gehen, das heißt, daß ich mir neue Technik nicht mit mehr Einstellzwang erkaufen muß. Aber es ist schlimm, wenn nur ein Systemwechsel den Fortschritt möglich macht, so daß man eine Handvoll Objektive an Nostalgiker verschenken muß. Alles schon dagewesen!
Olympus hat es bis jetzt fertiggebracht, so zu konstruieren, daß heute zur neuesten Kreation, der OM-30, alles paßt, was es je gegeben hat. Fortschrittlich und zugleich komfortabel ist die Entfernungseinstellung mit dem elektronischen Schärfenindex der OM-30, über den noch einiges zu sagen ist.
Hat sich in den letzten Jahren die Lichtstärke 1,4 beim Standardobjektiv durchgesetzt, so finde ich es fortschrittlich, daß man der OM-30 ein 1,2/50 mm als Standardobjektiv mitgibt. Und was den Komfort betrifft, ist dieses Objektiv - wie bekanntlich alle Olympus-Objektive! - erheblich leichter und kleiner, als vergleichbare von anderen Objektiv-Herstellern. Die Konsequenz, in der Olympus entwickelt, ist bewundernswert und verbraucherfreundlich; und so ist die OM-30 direkt in die 10er-Reihe integriert: OM-10, OM-20 und jetzt OM-30. (Es gibt ja auch die 1er-Reihe: OM-1, OM-2, und eines Tages wird auch hier weiterentwickelt zu OM-3 und OM-4.)
So ist die OM-30, wie die OM-20, ein Zeitautomat mit der von Olympus kreierten "autodynamischen Meßsteuerung", die sich auch manuell mit den Zeiten von 1 - 1/1000 einstellen läßt. Mit Automatik schafft sie 2 Sekunden. (Messung auf dem Film.)
Die bei Olympus sprichwörtliche Bedienungsfreundlichkeit kommt allen jenen zugute, die grundsätzlich keine Bedienungsanleitungen lesen. Daß man den deutlichen und griffigen Schalter- links oben auf der Kamera - von "Off" fortbewegen muß, ist heute jedem klar, der sein Radio einschalten kann. Stellt man auf "AUTO" arbeitet die Zeitautomatik, stellt man auf "CHECK" werden die Batterien geprüft: es piepst, wenn sie noch gut sind. Den Pieps, auch anderweitig noch verwendbar, kann man abstellen, was diese Kamera von Kinderspielzeug deutlich unterscheidet. Schließlich können Sie auf "MANUAL" stellen und Sie wissen auch als Nichtakademiker, was das bedeutet; und zuletzt ist es möglich, in der "B"-Stellung den Verschluß für längere Zeiten offen zu halten. Alles was man braucht an einem Schalter übersichtlich angeordnet.
Was Sie vorerst noch müssen: die Filmempfindlichkeit einstellen; was Sie noch können: eine Belichtungskorrektur über je zwei Blendenstufen nach oben und unten - in Drittelstufen! einstellen. Dieser Dreh_ Schalter, er ist so ins Auge springend, daß man auf ein Signal im Sucher verzichten kann. Das Sucherbild ist sauber, die Einstellscheibe hervorragend, und am linken Sucherrand zeigen Zahlen und Leuchtdioden die Verschlußzeiten an. Letzteres könnte inzwischen auch besser geworden sein; denn wenn Sie links ein dunkles Motiv im Sucher haben, sehen Sie zwar die roten Dioden, nicht aber die dazugehörigen Zahlen. Wenigstens den verwacklungs-gefährdeten Bereich hätte Olympus kennzeichnen sollen.
Bis hierher ist nichts an der OM-30 aufregend, ich hätte dafür keinen Finger an meiner Schreibmaschine krumm gemacht. Fortschritt und Komfort liegen bei dieser Kamera ganz woanders, nämlich bei der entfernungseinstellung. Wenn man bedenkt, daß mehr als 70% aller fehlerhaften Aufnahmen nur durch falsche Einstellung der Schärfe entstehen, dann weiß man zu schätzen, was Olympus mit der Bezeichnung "elektronischer Schärfenindex" in der OM-30 anbietet.
Natürlich können Sie auch hier die Schärfe konventionell über Schnittbild, Mikroprismen und Mattscheibe einstellen, aber das ist ja wohl die Ursache, weshalb 70% damit nicht zurechtkommen.
Blicken Sie durch den OM-30-Sucher, nachdem Sie auf "Auto" geschaltet haben, sehen Sie unter dem Sucher zwei rote Pfeile und ein grünes Quadrat. Leuchtet letzteres, haben Sie richtig scharf eingestellt, leuchtet ein roter Pfeil, drehen Sie den Entfernungsring am Objektiv in Pfeilrichtung, bis es grün leuchtet. Anfangs werden Sie - wie ich - versucht sein, diese Lichtspiele andächtig zu beobachten; nach kurzer Zeit aber stellen Sie wie gewohnt auf der Mattscheibe ein und kriegen das Grün/Rot-Signal sozusagen nur noch "am Rande" mit, und dann merken Sie erst, welche hervorragende Hilfe das ist, wie sicher man vor allem da wird, wo man auch mit Sucherbild und den Prismen nicht mehr sicher ist: wo es keine Linien oder Kontraste gibt, bzw. wo es dämmrig wird.
Olympus gibt an, dieser Index funktioniere mit 100-ASA-Film bis herab zu Lichtwert 5. Das ist tiefgestapelt. Nach meinen Erfahrungen mit dieser Kamera funktioniert das "Zero in focus"-System, wie es international und unverständlich im japanischen Original heißt, auch bei so wenig Kontrast bzw. bei so schwachem Licht, daß Sie da ohnedies - und auch mit Schnittbild und Prismen! - nur noch schätzen können. An der Kamera befindet sich ein - mir viel zu leichtgängiger - Schalter, der sich bei einem Objektivwechsel selber auf "4" stellt, und den Sie, wenn Sie mit Objektiven arbeiten, die lichtstärker sind als 2,8, auf "2" stellen müssen. Hier wird es in der Praxis Pannen geben; aber wenn man's weiß, kann man sie verhindern.
Ganz empfehlenswert scheint mir diese Kamera für Brillenträger zu sein; ich kann mit Brille nicht nur das ganze Sucherbild sehen, sondern kriege auch sofort mit, ob meine Einstellung richtig ist. Um alles klarzustellen: die OM-30 ist keine "Autofokus"-Kamera, jedoch eine Kamera mit recht wirksamer Scharfstell-Hilfe, die übrigens auch ein ganz leises Signal von sich gibt und damit ihr korrektes Arbeiten ankündigt. (Auch dieses kann man abstellen!)
Eine noch interessantere und - wie mir scheint - bereichernde - Neuheit zu dieser Kamera wird es demnächst geben: ein Kabel ("In-Focus-Auslösekabel"), mit dem Winder (Motordrive) und Kamera verbunden werden. Sie können dann eine vorher festgelegte Entfernung einstellen, und wenn Ihr Motiv (Rennwagen, Pferd, Turmspringer usw.) diese Entfernung erreicht, löst die Kamera aus. Es bieten sich damit auch allen jenen Chancen zu rasanten Aufnahmen, die bisher an zu langsamen Fingern litten.
So reiht sich die OM-30 durchaus würdig in die Reihe der Olympus-Kameras, die ja auch bisher schon auf dem oder jenem Gebiet mehr konnten, als die Konkurrenz.

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