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Artikel

1998

Normtest

Rolleiflex SL66E

Neues Rezept: Mechanik und ein Schuß Elektronik

Diese Kamera blieb auch als Rolleiflex SL66E eine mechanische Kamera. Im Gegensatz zum Vorgänger SL66 besitzt die SL66E nun jedoch eingebaute Elektronik. Ein "Schuß" Elektronik als Beigabe, denn (fast) ausschließlich die mit den Kameraeinstellungen gekoppelte TTL-Belichtungsmessung gab den Ausschlag, dem Kameranamen ein "E" als Ergänzung anzuhängen.

Vergangene Kamerahersteller hätten in diesem Fall gewiß nur vom "eingebauten und mit der Kamera gekoppeltem Belichtungsmesser" gesprochen, ohne den Wert dieser Einrichtung geschmälert zu sehen. Doch die auf eine elektronische Schaltung basierende Belichtungsmesser-Konstruktion, bei der im übrigen nach dem Prinzip der Nachführbelichtungsmessung mit einer Leuchtdioden-Lichtwaage als Anzeige gearbeitet wird, ist nur ein Teil der Elektronik in der Rolleiflex SL66E. Auch für Blitzfotos kam etwas hinzu: Die TTL-Blitzsteuerung, für die eine eigene Fotodiode mit Blick auf die Filmoberfläche eingebaut wurde.
Die Rolleiflex SL66E ist eine einäugige Spiegelreflexkamera für das Aufnahmeformat 6x6 cm, eine Mittelformatkamera also.
Die Verschlußzeiten der Kamera werden mechanisch gesteuert und ihr Tuchschlitzverschluß läuft vertikal ab. Die mechanische Steuerung des Verschlusses besitzt nicht die extrem hohe Genauigkeit der elektronisch gesteuerten Kameraverschlüsse, doch bei einer maximalen Abweichung von 0,4 Blendenwerten, die im NORMTEST bei den kurzen Zeiten festgestellt wurde, sind die Forderungen der Toleranz voll erfüllt.
Neben der Position "B" für Langzeitbelichtungen bietet die Rolleiflex SL66E die in Rasten wählbare Skala der Zeiten zwischen 1 Sekunde und 1/1000 Sekunde. Bis zu 1/30 Sekunde sind die Markierungen der Zeiten in der Farbe Orange ausgelegt. Damit wird die Verwendbarkeit dieser Zeiten mit einem Elektronenblitz signalisiert. Die kürzeren (nicht synchronisierbaren) Zeiten ab der 1/60 Sekunde sind weiß ausgelegt.

Blitzaufnahmen mit TTL-Blitzsteuerung

Für Blitzaufnahmen kann jeder Elektronenblitz genommen werden, der entweder im seitlich angebrachten Blitz-(Zubebör-)Schuh eingeschoben wird oder (wichtig für den Anschluß von Studioblitzanlagen) über ein Synchronkabel in der Synchronbuchse seitlich unterhalb des Zubehörschuhs mit der Kamera zu verbinden ist. Systemspezifische Blitzgeräte werden von der Kamera durch eine TTL-Blitzbelichtungsmessung gesteuert. Zu diesem Zweck ist in der Kamera eine eigene Fotodiode untergebracht, die das vom Film reflektierte Licht mißt und dieser Messung entsprechend das Blitzlicht bei Erreichen der notwendigen Lichtmenge abschaltet.
Diese "Verlagerung des Meßsensors" in das Kamerainnere bringt eine brennweitengerechte Bewertung des Blitzlichts und ist ebenfalls eine zusätzliche Leistung der Elektronik dieser Kamera. Die drei großen Meßzellen des Belichtungsmessers sind mit dem halbdurchlässigen Spiegel verschraubt. Sie verleihen der Meßcharakteristik die Form eines dreiblättrigen Kleeblatts.
Der halbdurchlässige Spiegel, der einen Teil des Lichts für die Belichtungsmessung abzweigt, kann bei der Verwendung von Linearpolfiltern zu Fehlmessungen führen, so daß bei dieser Kamera Zirkular-Polarisationsfilter verwendet werden müssen.
Die Vorgabe der Filmempfindlichkeit muß am Filmmagazin vorgenommen werden. Dies sichert die korrekte Einstellung insoweit ab, daß auch bei Film - beziehungsweise Magazinwechsel zügig mit unterschiedlichen Filmempfindlichkeiten gearbeitet werden kann, sofern die Magazine richtig eingestellt wurden. Raststufen der Filmempfindlichkeitseinstellung zwischen 25 ASA und 6400 ASA lassen die Verwendung aller heute bekannten Filme zu und der Spielraum nach den höheren Filmempfindlichkeiten ist für die absehbare Zukunft ausreichend groß gewählt. Die Übertragung der Information über die Filmempfindlichkeit wird durch drei vergoldete Federkontakte am Magazin und ebenfalls vergoldete Gegenstücke am Kameragehäuse sichergestellt.
Die prinzipiell mögliche Korrektur der Filmempfindlichkeitseinstellung am Magazin wird durch eine zwischen + 1,5 und -1,5 Blendenwerte rastend verstellbare Korrekturscheibe erreicht, die auf der Objektivstandarte angebracht ist.

Belichtungsmessung mit LED-Anzeige

Die Belichtungsmessung wird im Nachführ-Meßprinzip vorgenommen. Dazu wird entweder die Zeit oder die Blende vorgewählt und je nach Vorwahl entweder die Blende oder die Zeit nachgeführt bis im Sucher eine grüne Leuchtdiode aufleuchtet. Der Feinabgleich wird in der Regel mit der Blende vorzunehmen sein, mit der feinfühlig auch Zwischenwerte einstellbar sind. Die Anzeige zur Belichtungsmessung funktioniert in der Art einer Lichtwaage. Dazu sind fünf LEDs in unterschiedlichen Farben in einer schmalen Leiste oberhalb des Sucherbildes angeordnet. Diese LEDs liegen unter der auswechselbaren Suchermattscheibe und leuchten durch diese hindurch. Die mittlere LED signalisiert in Grün die korrekte Einstellung der Blende und Zeit. Links und rechts davon sind je eine orangefarbene LED angeordnet, die einer Abweichung von jeweils einer halben Blendenstufe (Über- beziehungsweise Unterbelichtung) entsprechen. An den Außenseiten ist noch je eine rote LED angeordnet, für die das eben gesagte - jedoch nun mit je einer ganzen Blende Abweichung - gilt. Der Belichtungsfehler der Kamera wurde von NORMTEST mit -1/2 bis + 2/3-Blendenstufen festgestellt. Diese schwankenden Abweichungen, die nur bei den kürzesten Zeiten mit + 2/3-Blendenwerten die zulässige Toleranz voll ausschöpfen, ergeben sich einerseits durch die Abweichungen des Verschlusses, der über den gesamten Zeitenbereich betrachtet nicht gleichmäßige Abweichungen aufweist, und andererseits durch die Charakteristik des Belichtungsmessers, der ebenfalls über den gesamten Arbeitsbereich schwankende Abweichungen aufweist. Die Abweichungen, die aber immer noch im DIN-Toleranzbereich liegen, setzen sich somit aus den Abweichungen des Belichtungsmessers, des Kameraverschlusses und den Fehlern des Blendensimulators und der Blendensteuerung zusammen. Es sind Abweichungen, die in der üblichen professionellen Studioarbeit (einem Schwerpunkt-Einsatzgebiet dieser Kamera) weitgehend bis auf den niedrigen Wert von 0,4 Blendenstufen, der bei den kurzen Zeiten des Verschlusses zu messen war, reduziert werden können.
Die Rolleiflex SL66E arbeitet mit Filmmagazinen, die wie bereits erwähnt, dem Belichtungsmeßsystem die voreingestellte Filmempfindlichkeit bei jedem Magazinwechsel mitteilen. Eine sichere Sache, die dieses Magazin auch "profisicher" macht. Durch einen Magazinschieber, der Fehlschüsse auf den Schieber ebenso wie versehentliches Abnehmen des Magazins ohne Schieber-Sicherung verhindert, wird dieser positiv zu vermerkende Eindruck sogar noch wesentlich verstärkt. Der Magazineinsatz nimmt Rollfilme der normalen Länge (120er) und die der doppelten Länge (220er) auf. Das Zählwerk muß bei einem Wechsel der Filmlänge manuell umgestellt werden.

Filmeinlegen besonders einfach und sicher

Nach der letzten Aufnahme springt ein Transportknopf seitlich aus dem Magazin heraus - ein Signal, das auch während einer hektischen Arbeitsphase vom Fotografen nicht übersehen werden kann. Sobald der Knopf herausgesprungen ist, muß durch wenige Umdrehungen dieses Knopfes der Film vollständig aufgespult werden. Zum Filmeinlegen, wofür der gleiche Knopf bedient wird, ist es nicht nötig, auf eine Marke des Trägerpapiers einzustellen. Nach dem sicheren Befestigen des Trägerpapiers muß nur das Magazin geschlossen werden und der Knopf bis zu einem gut fühlbaren Anschlag weitergedreht werden. Damit ist das Magazin für die erste Aufnahme bereit. Sobald das Magazin an der Kamera befestigt ist, kann der Schieber entfernt werden. Aufmerksamerweise wurde im Magazin ein weiteres Fach eingebaut, das den Schieber für die Dauer der Aufnahmen aufzubewahren gestattet.

Filmtransport mit zwei Hebelschwüngen

Der Filmtransport sowie das Spannen des Verschlusses wird durch eine herausklappbare Kurbel vorgenommen. Rollei hat das Prinzip, das bei den zweiäugigen Rolleiflex-Kameras bekannt war, für diese Kamera übernommen. Transport und Spannen des Verschlusses werden also mit einem Kurbelschwung nach hinten und daran anschließend einem zweiten Kurbelschwung nach vorn in die Ausgangsstellung durchgeführt. Für ein zügiges Arbeiten sollte die Kurbel herausgeklappt bleiben. Die Rolleiflex SL66E verwendet Objektive in Bajonettfassung, wobei ohne Einschränkung die Objektive der SL66 verwendbar sind. Als Standardobjektiv wird ein Planar 1 :2,8/80-mm-Objektiv angeboten, das beidseitig mit dem Bajonettanschluß versehen ist. Dadurch kann dieses Objektiv zum einen in der Normalstellung, zum anderen aber auch in der Retrostellung benutzt werden. In der Retrostellung ist die Arbeitsblende ohne Springblendenfunktion zu benutzen. In dieser Stellung ist somit auch stets mit der Arbeitsblendenmessung die Belichtung festzustellen. Durch die Retrostellung wird der Balgenauszug optimal genutzt.

Die Schärfedehnung nach Scheimpflugsystem

Eine Besonderheit dieser Kamera ist - wie schon erwähnt - der Balgenauszug' der um jeweils 8 Grad nach oben oder nach unten verstellbar ist. Damit ist es in den angegebenen Grenzen möglich, eine Schärfedehnung nach dem Scheimpflug-Prinzip vorzunehmen. Lobenswert ist, daß Rollei diesem Thema viel Raum in der wie sie selbst sagen "für den Fachmann" geschriebenen - Gebrauchsanweisung widmet. Diese Anleitung kann freilich weder die Praxis der Schärfedehnung ersetzen noch die Feinheiten dieses Prinzips im gesamten Umfang erklären, doch sie befähigt (einschließlich der beigefügten Hilfsmittel, den "Scheimpflug-Indikatoren") den Fotografen, sich erfolgreich in die Anwendung dieser Verstellbarkeit einzuarbeiten.
Die Objektivstandarte wird an einer seitlichen Führung gehalten, die mit Skalen für 80-mm-, 120-mm- und 150-mm-Brennweiten sowie einer Millimeterskala (bis zum maximalen Auszug von 50 mm) versehen ist. Der große, griffige Einstellknopf zur Fokussierung ist mit umstellbaren Skalen versehen, die ein Ablesen der Schärfentiefe für die Brennweiten von 30 mm bis 250 mm zulassen.
Das System präsentiert sich als sehr ausbaufähig - mit Objektiven der Brennweiten 30 mm bis 1000 mm, ferner gibt es Adapter zur Verwendung von Lupenobjektiven und zum Anschluß an Mikroskope. Der Lichtschachtsucher ist gegen weitere Sucher, z. B. Prismensucher, austauschbar - ebenso gibt es unterschiedliche Einstellscheiben, die mühelos austauschbar sind.
Fazit: Die Rolleiflex SL66E ist als Systemkamera für den professionellen Einsatz, insbesondere auch für das Fotostudio prädestiniert und spricht damit einen Berufszweig an, für den die Leistungsfähigkeit des Systems und der Kamera selbst ausschlaggebend sind. In dieser Beziehung reiht sich die Rolleiflex SL66E in die Reihe robuster Handwerkszeuge ein und bietet darüber hinaus noch ein bißchen mehr als alle anderen.

+ Viel Systemzubehör
+ Schärfedehnung nach Scheimpflug möglich
+ Umstellbare Schärfentiefe-Skala für Brennweiten zwischen 30 und 250 mm am Fokussierknopf

- Belichtungsmessung könnte gleichmäßiger und etwas genauer sein
- Belichtungsfehler können (trotz eingehaltener Toleranz) sichtbar werden

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