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Artikel

1998

Kameras

ROLLEIFLEX 6006 

Made in Germany: Die Profi - Rollei

Der Name Rollei hat nach wie vor einen guten Klang in den Ohren der Profifotografen. Mit der brandneuen Rolleiflex 6006 will Rollei dafür sorgen, daß das auch so bleibt. So nahm man die Wünsche der Profis ernst, spendierte der Neuen Wechselmagazine und gleich dazu eine praxisgerechte Ausstattung der Magazine: das Magazin-Rollo. Aber das ist nicht das einzige Merkmal, das die Arbeit mit dieser Kamera erleichtert. Was nicht heißt, daß nur Profis sich diese Kamera näher anschauen sollten. 

Eine neue Kamera zu bauen, ist nicht Sache von wenigen Monaten. Die Zeit, die zwischen der Idee und der fertigen Kamera liegt, bemißt sich nach Jahren. Um die neue Rolleiflex 6006 im richtigen Zusammenhang zu sehen, sollte man vielleicht noch etwas weiter ausholen.

Vorgeschichte, erster Teil

Es war einmal, da sprach kein Fotograf von seiner "Mittelformatkamera". Nicht etwa, weil er keine gehabt hätte, sondern weil es ein einfacheres Wort für "Mittelformatkamera" gab: "Rollei".
Wenn zu jenen Zeiten also ein Anhänger des Mittelformats von seiner Rollei sprach, so meinte er eine jener zweiäugigen Rolleis. Sie kamen ohne Wechselobjektive aus, ohne Elektronik und ohne (eingebauten) Motor. Wenn man recht bedenkt, woran es diesen Kameras mangelte, so scheint es ein Wunder, daß man mit solchen Apparaten überhaupt fotografieren konnte, und das sogar gut.
Dann kam der Einbruch der Elektronik in die Fotografie und alles wurde anders.

Vorgeschichte, zweiter Teil

Es war einmal, da wollte man auch bei Rollei dem elektronischen Zug der Zeit folgen. Aus einem eigens zu errichtenden Kamerawerk sollte eine Kamera mit folgenden Merkmalen kommen:

Format 6x6 cm

Ins Gehäuse integrierter Belichtungsmesser und -automatik

Ins Gehäuse integrierter motorischer Filmtransport

Bewegung der Blendenlamellen mittels ins Objektiv eingebauter Linearmotoren

Filmschnellade-System durch Filmeinsätze

Preis weit unter dem, was Mittelformatkameras damals kosteten.

Angestrebt wurde also eine "Volks-Mittelformatkamera", preiswert durch den massierten Einsatz preiswerter Elektronik.
Es kam tatsächlich eine Kamera, die die angestrebten Merkmale aufwies. Aber sie kam nicht aus einem eigens errichteten Kamerawerk, und sie war aufgrund der geringen Stückzahlen trotz des massiven Einsatzes von Elektronik nicht so preiswert, wie das geplant gewesen war. Im Gegenteil: Sie war recht teuer. Die eigentliche Zielgruppe - die engagierten Hobbyfotografen - wurde verfehlt. Und die Profis, die sich diese schnelle und außerordentlich komfortable Kamera hätten leisten können? Sie bemängelten, daß Wechselmagazine fehlten.
Und so war diese Kamera für die Profis nicht ideal und für die, für die sie bestens geeignet war, zu teuer. Die Kamera, von der hier die Rede war, ist die Rolleiflex SLX.

Ein großer Schritt nach vorn...

Nun präsentiert Rollei ein Schwestermodell zur SLX: die Rolleiflex 6006.AufdenerstenBlickähneltdie neue Rollei mehr der kleineren, wenn auch nicht jüngeren, Schwester aus der Rollei-Familie, der SL 2000 F. Und sie macht durch ihr Erscheinungsbild deutlich, daß
die spöttische Bemerkung unseres Chefredakteurs stimmt, die da lautete: "Die SLX sieht aus wie eine Agfa-Box mit angesetztem Planar!" (Pardon, Herr Agfa!)
Die 6006 ist also eine bildhübsche Kamera geworden, die prima in der Hand liegt. Sie hat, wie schon die SLX, je einen Auslöser rechts und links an der unteren Vorderfront, sie hat einen Einschalter für den Belichtungsmesser, der auch der Meßwertspeicherung dient. Sie hat weiterhin einen Hauptschalter mit den Positionen "Off", "S" (Single = Einzelbildschaltung) und "C" (Continuous = Serienbildschaltung mit 1,5 Bildern pro Sekunde). Diese Schalter und Knöpfe sind griffiger und besser bedienbar geworden, und das ist zu begrüßen.
Auch die Tatsache, daß die Rolleiflex 6006 nun Wechselmagazine hat, ist zu begrüßen. Insbesondere deshalb, weil diese Wechselmagazine eine Neuerung aufweisen, die tatsächlich praxis- und nicht nur umsatzgerecht ist.
Ich will etwas weiter ausholen, denn wer bislang nur mit Kleinbildkameras gearbeitet hat, kennt ein Ärgernis der Mittelformatfotografie nicht: Um ein Wechselmagazin mitten im Film wechseln zu können, erfand man den Wechselschieber. Er schließt das Magazin lichtdicht ab, man kann es abnehmen. Setzt man das Magazin
wieder an die Kamera, so entfernt man den Schieber und macht da weiter, wo man aufgehört hat. In der Zeit aber, in der der Schieber nicht am Magazin sitzt, steckt er in der Hemdentasche, in der Hosentasche, liegt auf dem Aufnahmetisch und wenn man ihn braucht, ist er weg.
Wer das im Streß eines Aufnahmetages mehrfach erlebt hat, wird nun die Neuerung von Rollei (nun ja, Neuerung: ähnliches gab es schon um 1900, damals aber noch für Plattenkameras und aus Mahagoniholz) zu schätzen wissen. Rollei "hat den Schieber raus", er wurde durch ein Rollo ersetzt, das fest mit dem Magazin verbunden ist. Durch einen Bügel am Magazin wird das Rollo geöffnet oder geschlossen.
Gleichzeitig ist das Magazin mit einer doppelten Sicherung versehen: bei geschlossenem Rollo kann nicht ausgelöst, bei geöffnetem Rollo das Magazin nicht abgenommen werden. Gleichwohl läßt sich das Magazin bei geöffnetem Rollo aufklappen, um den Filmeinsatz einzusetzen bzw. zu entnehmen.

... und ein Schritt zurück

Wie gesagt: Wechselmagazine und Rollo (oder Laminar-Schieber, wie die Rollei-Bezeichnung lautet) sind sehr begrüßenswert. Hier wurde eine Idee zu Ende gedacht. Um so unverständlicher ist etwas anderes: Die Filmempfindlichkeit (von 25 ASA bis 6400 ASA) muß am Gehäuse eingestellt werden,
nicht am Magazin wie das bei der Rolleiflex SL 66 E und bei der Rolleiflex SL 2000 F schon möglich ist. Fehler sind damit vorprogrammiert. Bei einer hochmodernen Kamera, die soviel Elektronik in sich trägt, ist das ein Rückfall in die Kamerasteinzeit. Um eines richtig zu stellen: ich bin nicht dafür, daß eine Kamera dem Fotografen das Denken abnimmt. Wenn aber eine Kamera, wie die Rolleiflex6006, höchsten elektronischen Komfort auf ihr Panier geschrieben hat, so sollte sie diesen auch konsequent bis zum letzten bieten.
Es ist auch schade, daß die Entwicklungsingenieure von Rollei etwas nicht realisierten, das die Kollegen von Olympus der neuen OM-4 mitgeben: die Spot-Mehrfachbelichtungsmessung mit Mittelwertbildung, die die mittenbetont integrale Belichtungsmessung der 6006 praxisgerecht ergänzen würde. Daß sie ohnehin schon gut ist, zeigt mir eine Aufnahmeserie, bei der ich mich auf die Belichtungsmessung sowohl bei automatischer wie bei manueller Blendennachführung verließ. Eine andere Serie zeigt mir, daß die individuelle Beeinflussung der Belichtung durch die Meßwertspeicherung über den Belichtungsmeßknopf und durch Korrektur der Filmempfindlichkeitseinstellung bequem möglich ist.

Bewährtes Baukastenprinzip

Den Mittelpunkt des Rolleiflex 6006-Systems bildet das Gehäuse, in dem neben dem motorischen Filmtransport der Belichtungsmesser für normale Aufnahmen, der TTL-Blitzbelichtungsmesser für Blitzaufnahmen mit darauf abgestimmten Blitzgeräten und die Einrichtungen für die Belichtungssteuerung untergebracht sind. Am Gehäuse sind auch alle für die Aufnahme wichtigen Einstellelemente angeordnet, mit zwei Ausnahmen, auf die weiter unten eingegangen wird. Auf der (in Aufnahmerichtung) rechten Seite der Kamera befindet sich neben dem erwähnten Hauptschalter und dem Belichtungsmeßkopf (der auch der Schärfentiefenprüfung dient) das kombinierte Zeiten- und Filmempfindlichkeits-Einstellrad.
Die Zeiten sind in ganzen Stufen von der 1/500 Sekunde bis zu 30 Sekunden (plus B) vorwählbar, der Einstellindex dient gleichzeitig als Warnanzeige für Überschreitung des Meßbereichs. Vor diesem Einstellrad ist der Knopf zur Spiegelvorauslösung angeordnet. Vorne an der Kamera ist zwischen den beiden Auslösern der Drahtauslöseranschluß, dessen Abdeckplatte geradezu dafür prädestiniert ist, schnellstmöglich verlorenzugehen. Auf der linken Kameraseite sind der Blitzschuh (mit drei Kontakten) und das Anschlußgewinde für Blitzsynchronisation (X-Kontakt) untergebracht. Auch der wichtigste Teil der Kamera ist von der linken Seite her zugänglich: der Akku.
Es mag seltsam klingen, wenn der Akku als wichtigster Teil der Kamera apostrophiert wird, aber er ist es: Ohne Strom ist die Rollei 6006 ein toter Kasten, mit dem sich nichts anfangen läßt.
Die Sucheranzeigen scheinen, verglichen mit den Datenterminals mancher modernen Kleinbild-Spiegelreflexkameras, dürftig - reichen aber aus, um alle wirklich nötigen Informationen zu übermitteln. Rechts im Sucher zeigen zwei rote Leuchtdioden Über- bzw. Unterbelichtung an, leuchten beide, so ist der Meßbereich überschritten. Oben im Sucher signalisiert eine rote LED abfallende Akkuspannung, eine grüne LED Blitzbereitschaft bzw. korrekte automatische Blitzbelichtung.
Zwei für die Aufnahme wichtige Einstellungen werden am Objektiv vorgenommen: Die Fokussierung, wie in den allermeisten Fällen an einem Ring, der für meinen Geschmack beim Planar 1: 2,8/80 mm zu nahe am Gehäuse liegt, und die Umstellung von Blendenautomatik auf manuelle Blendeneinstellung. Die Objektive zur Rolleiflex sind mit linear gesteuerten Zentralverschlüssen versehen. Sowohl Wechselmagazine als auch die Wechselsucher sind bar jeder Einstellung. Zur Verfügung stehen Magazine für 120er- und 220er Rollfilm jeweils für die Formate 4,5x6 cm und 6x6 cm und ein Polaroidrückteil (die Magazine können an der SLX nicht verwendet werden); als Alternativen zum Faltlichtschacht der Grundausstattung werden ein starrer Lupenlichtschacht und 2 Prismensucher angeboten.

Fazit

Die totale Abhängigkeit von der Stromversorgung mag dieser Kamera von manchem als Makel angekreidet werden - wie eingangs erwähnt, tatens die alten Rolleis auch ohne Strom und sie tatens gut. Jedoch: Wer sich daran gewöhnt hat, daß weder Stereoanlage noch Kühlschrank, weder Fernsehapparat noch Waschmaschine ohne Strom ihren Dienst tun, der wird auch daran nichts merkwürdig finden, wenn eine moderne Kamera sich ebenso verhält.
Und so präsentiert sich - alles in allem - die Rolleiflex 6006 als schöne (was nicht so wichtig ist) und gute (was sehr wichtig ist) Mittelformatkamera für die optisch einwandfreie Objektive in einer guten Brennweitenabstufung von 40 mm bis 350 mm zur Verfügung stehen. Mit der erwähnten Einschränkung läßt sich mit dieser Kamera bestens arbeiten - sie ist durch den eingebauten Motor schnell und kompakt, auf die Belichtungssteuerung kann man sich - bis an die Grenzen einer Automatik - verlassen.

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