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Artikel
1998
Titelstory
Extrabreit
Sie ist da, da, da - die " Extrabreit- Panoramakamera" aus der Schweiz, die Alpa-Rotocamera 6070, und wer sie in die Hände nimmt, schwärmt von einer neuen Welle ganz besonderer Prägung. Möglicherweise sogar nach dem Motto: "Ich schreib's an jede Wand, neue Bilder braucht das Land". Wollen Sie nun wirklich noch daran zweifeln, daß es sich bei dieser professionellen Ausrüstung um einen ganz aktuellen Schlager, "eine heiße Scheibe" wie der Diskjockey sagen würde, handelt?
Gut sieben Kilogramm Gewicht bringt diese Kamera auf die Waage, oder besser gesagt auf das Stativ. Sie liefert Panoramaaufnahmen, 360xGRADx-Rundum-Ansichten, die auch den müdesten Fotofan vom Sessel reißen. Eine Kamera, der man "Schweizer Handarbeit" bescheinigen kann.
Zwischen Panorama und kreativer "Verfremdung"
Das Arbeitsprinzip dieser Kamera ist im Grunde genommen sehr einfach: In der Kamera wird Rollfilm (oder perforierter 70-mm-Film) eingespannt. Das Objektiv zeigt auf einen Abschnitt der Rundum-Umgebung und im schmalen Mattscheibenspalt an der Seite kann eine Motivkontrolle vorgenommen werden. Der Druck auf den Auslöser läßt die Kamera zu einer Umdrehung um die eigene Achse starten, wobei Film und Objektiv zueinander still stehen. Auf dem sich bei dieser Umdrehung synchron mit der Kamerabewegung umspulenden Film wird das Motiv praktisch "zeilenweise" abbildet.
Die ungefähr 13000 Mark teure Kamera birgt eine Technologie, die trotz der einfach anmutenden Abläufe viele Funktionen sehr präzise steuern muß. Das beginnt bereits beim Druck auf den Auslöser, mit dem sowohl der Verschluß geöffnet wird als auch die Rotation der Kamera um sich selbst einzuleiten ist. Zwei Funktionen, die praktisch verzögerungsfrei ablaufen müssen. Der Spiegel klappt weg und gibt den schmalen Schlitz vor der Filmfläche frei. Entsprechend einer Schlitzverschlußkamera ist die Breite dieses Schlitzes für die Belichtungszeit, die bei dieser Kamera zwischen 1/250 Sekunde und 1/15s Sekunde gewählt werden kann, maßgeblich. Im selben Augenblick muß die Kamerarotation bereits beginnen, da sonst auf den ersten Zentimetern des Filmbildes eine satte Überbelichtung die Aufnahme verderben würde. Diese Rotation muß außerdem sofort mit der vollen (und beizubehaltenden) Geschwindigkeit ablaufen - ebenfalls um Differenzen in der Belichtung zu vermeiden.
Mit viel Elektronik und einem durch diese Elektronik in seiner Geschwindigkeit kontrollierten und gesteuerten Motor haben die Schweizer Konstrukteure der Alpa-Rotocamera 6070 diese Probleme auf optimale Weise gelöst. Die eigenen Tests - natürlich in der Praxis, da es bislang noch keine labormäßige Apparatur gibt, die dieser Kamera im wahrsten Sinne des Wortes "nachlaufen" kann, bewiesen, daß die (wohl unvermeidbare) Anlaufzone superschmal ist und nur wenig (ein paar Grad vom vollen Kreis) abzuschneidender "Abfall" entsteht. Trotzdem sind mit dieser Kamera Panoramaaufnahmen vom vollen Kreis zu machen, denn sie rotiert über den Startpunkt hinaus und bildet noch etwa 20 Grad zusätzlich ab. Diese Betrachtungen betreffen natürlich nur den Fall, daß ein 360xGRADx-Panoramabild entstehen soll. Die Kamera bietet darüber hinaus die Möglichkeit, Teile vom vollen Kreis zu wählen. Stufenlos, und somit haben Sie die Möglichkeit 45xGRADx-, 90xGRADxoder auch 270xGRADx-Aufnahmen durch die Elektronik der motorischen Steuerung zu bewältigen. Da diese Funktion stufenlos wählbar ist, darf auch jeder Zwischenwert eingestellt werden, wobei Aufnahmen unterhalb 45xGRADx horizontalem Aufnahmewinkel witzlos erscheinen und auch dem Zweck dieser Panorama-SLR-Kamera nicht angemessen sind. Ein anderes Extrem bietet sich, wenn die automatische Steuerung des Motors abgeschaltet wird. In diesem Augenblick rotiert die Kamera so lange wie Sie den Auslöser gedrückt halten und je nach Filmsorte beziehungsweise Länge des Films werden nun 720xGRADx oder gar 1080xGRADx abgebildet - das Motiv ist im vollen Kreis dann also zwei- oder sogar dreimal abgebildet.
Aus der Praxis mit der Alpa-Rotocamera 6070
Sieben Kilogramm wiegt die Kamera - kein Leichtgewicht wie Sie sehen, doch ich glaube, die Besonderheit der Aufnahmen und der Kamerakonstruktion lassen keine Zweifel an der Notwendigkeit der schweren Ausführung. Zu diesem Gewicht kommt das des Zubehörs, der Akkus, der Filme, eines Stativs und des Koffers hinzu. Die wichtigste Anschaffung zur Ausrüstung ist ein "Kofferkuli" stabiler Ausführung mit Rollen darunter um auch noch längere Strecken ohne deformierte Armlänge zurückzulegen. Ein praktischer Roller ist für knapp vierzig Mark in jedem Kofferladen zu bekommen und man darf sich (vorerst) wundern, daß Alpa zwar an einen stabilen Großraumkoffer (der mit fast 1000 Mark trotzdem etwas teuer scheint) aber nicht an die Bandscheiben der "Gepäckträger" gedacht hat.
Die Praxis bewies, daß die 220erRollfilmlänge optimal verwendbar ist, denn sie erbringt genau drei Aufnahmen von 360xGRADx, wobei die Länge jedes Bildes 475 Millimeter (plus Zuschlag) beträgt. 120erRollfilme (Ektachrome-Typen) werden ausdrücklich nicht empfohlen, da bei diesen Filmen ein Papier als Filmträger dient, daß seltsamerweise im Filmtransport der Kamera einen gewissen Schlupf haben kann. Ein Nebeneffekt, der bei den langen Rollfilmen ausgeschlossen ist. Sie können allerdings auch perforiertes 70-mm-Filmmaterial verwenden, für das eine (leider nicht markierte) Umstellung der Filmbühne notwendig wird. Der etwas breitere 70-mm-Film bringt einen Gewinn in der Höhe der Aufnahme.
Mit den ersten Handgriffen (nach sorgfältiger Prüfung der Umgebung auf Panorama-Eignung) muß die Kamera auf ein ausreichend schweres Stativ geschraubt werden. Dabei sollte sie bereits annähernd waagerecht ausgerichtet sein, um beim Blick durch den Sucher einen Eindruck von der zu erwartenden Aufnahme zu bekommen. Es ist ein "Eindruck auf Raten", denn die Kamera zeigt nur einen schmalen Sucherstreifen und mit dem Auge am Sucher sollte man die Kamera auf dem Stativ drehen. Dabei achtet man auf die oberen und unteren Bildbegrenzungen, die im Niveau durch das in der Höhe verschiebbare 75-mm-Objektiv (ein Rodenstock Grandagon 1:6,8) veränderbar sind. Ist man mit diesen Betrachtungen zufrieden, so sollte mit Hilfe der in der Kamera eingebauten Wasserwaage für exakte Ausrichtung gesorgt werden. (Mit etwas Übung kann man sich auch durch Schrägstellen der Laufebene an abfallende Gelände wagen). Jetzt wird es Zeit, den Film einzulegen und die Belichtung zu messen. Das Filmeinlegen ist sicher nicht kompliziert, doch scheinbar auf Grund der Eignung der Rückwand für alle genannten Filmsorten nicht gerade sehr bequem zu bewerkstelligen. Sobald der Film in der Rückwand eingelegt ist, muß am Fuß der Kamera ein Ring mit Gradeinteilung und Markierungen für die Filmsorten auf die richtige Filmlänge eingestellt werden.
Dann wird die Kabel-Fernbedienung, die Kamera, Akku-Pack und Auslöser verbindet, auf Automatikbetrieb eingestellt. Ein Druck auf den Knopf startet die Kamera, die nun mit einer der Filmlänge entsprechenden Rotation den Vorspann transportiert. Der nächste Knopfdruck wird das erste Bild auf dem Film ergeben - probieren, ob alles richtig läuft, ist zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich.
Messen Sie jetzt das Licht und übertragen Sie die Werte auf Blende und Zeit. Hier ist mehr zu tun, als dies üblicherweise bei einer Kamera der Fall ist. Die Blende wird - wie üblich - am Objektiv eingestellt. Da es ein Fixfokus-Objektiv ist, das die Nähe erst durch kräftiges Abblenden (bis zum Wert 32) in Abhängigkeit vom Blendenwert scharf abbildet, muß man sich die Kombination von Blende und Zeit auch unter diesem Gesichtspunktgenau überlegen.
Die Zeit ergibt sich aus der Einstellung der in zwei Stufen wählbaren Rotationsgeschwindigkeit und der Schlitzbreite. Eine Umdrehung der Kamera dauert in der Stufe A etwa 1,4 Sekunden und in der langsameren Stufe B etwas länger als zwei Sekunden. Eine Tabelle auf der Rückwand erklärt in eindeutiger Weise, welche Einstellungen gemacht werden müssen, um die gewünschte Belichtungszeit zu erlangen. Zur Einstellung A oder B kommt nun noch die Voreinstellung der Schlitzbreite, die an zwei Knöpfen vorgenommen wird und sich aus den Anteilen "Schlitzbreite" und "Korrekturfaktor" zusammensetzt. Dabei fällt gleich noch eine Besonderheit auf: Die Schlitzbreite kann derart verstellt werden, daß es einen "schiefen Schlitz" ergibt, der (wahlweise) oben oder unten schmaler ist. Somit läßt sich ein zu heller Vordergrund oder ein sehr heller Himmel etwas kürzer belichten und gut dem übrigen Motivanteil anpassen.
Die folgende Belichtung, zu der sich der Fotograf unterhalb der Kamera (bei 360xGRADx-Aufnahmen) verstecken muß, ist dann nur noch eine "reine Formsache", obgleich sie einem jedes Mal als ein besonderer Vorgang erscheint - doch das mag daran liegen, daß mit dem Druck auf das Auslöserknöpfchen eine Filmlänge durch die Kamera "rauscht", auf der sonst etwa sieben Mittelformat-Aufnahmen (6x6) Platz hätten.
Herausforderung für jeden Fotografen
Es hieße sicher, die Technik einer Panoramakamera, ihr vornehmliches Arbeitsgebiet zu verkennen, wollte man die Alpa-Roto nicht in erster Linie zu sauberen "Postkartenmotiven" mit verblüffender Wirkung benutzen. Doch in der Alpa-Roto steckt noch mehr - vor allem der Spaß, nach kreativen Anwendungsmöglichkeiten zu suchen. Wer diese Kamera "kopfüber" auf das Stativ schraubt, kommt diesem Thema schon naher. Jetzt steht nämlich das Objektiv fest, nur der Film (mit Motor) rotiert und die Kamera arbeitet als eine Art "Zielkamera", wie sie im Sport benutzt wird. Ein still stehendes Motiv wird dabei natürlich fast bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, doch ist im Motiv eine Bewegung in oder gegen die Laufrichtung des Films vorhanden (wobei noch die relative Geschwindigkeit dazu - schneller oder langsamer als der Film - eine Rolle spielt), dann können die verblüffendsten Effekte erzielt werden. Damit ist dann allerdings auch ein Arbeitsbereich der Kamera angesprochen, der sich nur durch experimentieren (in engen Grenzen auch durch einfache Geschwindigkeitsberechnungen und Vergleiche) in seiner ganzen Vielseitigkeit ergründen läßt.
Der richtige Film für Panoramaaufnahmen
Für die Alpa-Rotocamera können Rollfilme benutzt werden, wobei sich wie bereits erwähnt, die doppelt langen Filme vom Typ 220 empfehlen. Daneben bringt auch die Verwendung von 70 mm breitem perforiertem Film einen Vorteil: Die Höhe der Aufnahmen gewinnt ein paar Millimeter.
Das Filmmaterial darf Diapositiv sein, was sehr anschauliche Originale ergibt, die allerdings in dieser Größe nicht projiziert werden können. Aufnahmen auf Negativmaterial hingegen können mit einem eigens für dieses Verfahren entwickelten Vergrößerungsapparat auch auf Fotopapier gebracht werden. Dieser Spezialvergrößerer, der analog zur Kamera mit einem Schwenkkopf ausgerüstet ist, ermöglicht in drei wählbaren festen Maßstäben Papierbilder bis zum Format von 30x240 cm.
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