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Sofortbildtechnik

Das Polaroid 600 System

Vollautomatik mit Qualitätsgarantie

Vollautomatische Kameras mit Belichtungsautomatik, Autofokus und automatischer Steuerung eines eingebauten Blitzgerätes sind im Kommen. Sie ermöglichen auch technisch ungeübten Fotografen einwandfreie, gelungene Aufnahmen.

Daß vollautomatische Kameras Realität werden konnten, ist auf [)eine ganze Reihe von Faktoren zurückzuführen. Die wichtigsten sind: - Die ständige Weiterentwicklung der Programmsteuerungen in Verbindung mit einer zuverlässigen, auf die Charakteristik moderner Farbfilme abgestimmten Belichtungsmessung und die Anzeige der für die Schnappschußfotografie wichtigen Belichtungszeit- und Meßgrenzen. - Die insbesondere bei den Farbnegativfilmen zunehmende Unempfindlichkeit gegenüber Fehlbelichtungen, insbesondere Oberbelichtungen.
Mit der Kombination Automatikkamera und SW- bzw. Farbnegativfilmen ist im Bereich der jeweiligen Meßgrenzen eine nahezu 100%ige Belichtungssicherheit gegeben. Bei Verwendung von Umkehrfilmen läßt sich dieser Sicherheitsgrad auch bei Spitzenmodellen nicht erreichen. Das muß dann nicht an der Meßgenauigkeit des eingebauten Belichtungsmeßsystems liegen, sondern kann auf die grundsätzliche Abhängigkeit jeder Belichtungsmessung vom Objektkontrast zurückzuführen sein. Dieses Handikap ist typisch für jede Art Integral- und mittenbetonte Messung und zwar unabhängig vom Grad der Automatisierung. Dieses Problem ist auf eine sehr unkonventionelle und ausgesprochen praxisbezogene Weise von Polaroid bei den neuen 600er Modellen gelöst worden.

Kontrast, Filmempfindlichkeit und Belichtung

Die Polaroid Filmpacks vom Typ SX 70 und die neuen 600er sind Einphasensysteme, d.h., daß das Bild auf dergleichen Bildträgerunterlage wiedergegeben wird, auf der es auch belichtet wird: die Qualität des Bildes hängt also von der Präzision der Belichtung und dem Objektkontrast ab und zwar mehr als bei einer Trennung von Negativ- und Positivprozeß, bei der Kontrast- und Dichtesteuerungen durch Veränderung der Entwicklungszeit grundsätzlich möglich sind. Die Leuchtkraft der Bilder ist bei den Einphasensystemen stark vom Objektkontrast abhängig. Daher ist es logisch, daß eine Minimierung der Belichtungsfehlerrate nur durch einen automatischen Kontrastausgleich am Objekt möglich und denkbar ist. Die Lösung lag nahe: automatischer Ausgleich der Hell-Dunkel-Unterschiede am Objekt durch Blitzlicht, dessen Intensität nicht nur von der Gesamthelligkeit, sondern auch vom automatisch zu messenden Objektkontrast abhängt. So naheliegend diese Lösung auch erscheint, so komplex ist deren praxisgerechte Realisierung. Sie unterscheidet sich übrigens in Einzelheiten bei den beiden neuen Polaroid-Kameramodellen 640 und 660. Beim Modell 640 handelt es sich um ein Fixfokussystem und bei dem etwas aufwendigeren Modell 660 um eine Abwandlung der bekannten Polaroid-Ultraschall-Entfernungsmessung, hier im Zusammenhang mit der Dosierung der Blitzleuchtzeit.

Kontrastausgleich durch höchstempfindlichen Film

Voraussetzung für die Entwicklung dieses neuen Systems war die Verfügbarkeit eines neuen höchstempfindlichen Filmes. Der Sofortbildfilm vom Typ 600 hat 600 ASA/29 DIN und ist somit um 3 Blendenstufen empfindlicher als der bekannte und vergleichbare SX 70 Supercolor-Film. Polaroid ist für seine einschlägigen Erfahrungen mit höchstempfindlichen Filmen bekannt. Dieser Film stellt aber alles bisher Dagewesene in den Schatten.
Die Frage liegt nahe, ob ein so hochempfindlicher Film wirklich erforderlich ist. Grundsätzlich nicht, weil das Ziel einer in einem weiten Belichtungsbereich wirksamen und gleichbleibenden Balance von 1:3 zwischen den hellsten und dunkelsten Bildteilen lediglich eine möglichst hohe Gesamtempfindlichkeit des Aufnahmesystems bedingt. Das bedeutet, daß eine höhere Lichtstärke des optischen Systems eine Verringerung der Filmempfindlichkeit ermöglicht. Dabei waren offensichtlich Polaroid-spezifische Optimierungsprobleme ausschlaggebend. Bekanntlich haben alle Polaroidkameras relativ geringe Öffnungsverhältnisse, wodurch die Fokussierung vereinfacht wird. Die Ultraschall-Entfernungsmessung von Polaroid zeichnet sich dadurch aus, daß sie als einziges Autofokussystem keine Punktmessung voraussetzt, weil der das Objekt abtastende Ultraschallkegel nahezu das ganze Bildfeld erfaßt und als Meßwert die Entfernung des in diesem Feld nächstliegenden Objektes festlegt. Das hat den für die automatische Scharfeinstellung wichtigen Vorteil einer Art "lntegralmessung", die keine Festlegung auf Meßdominanten im Bildfeld voraussetzt. Das paßt gut in die Philosophie der automatischen Kameras, wobei allerdings in Kauf genommen werden muß, daß das zu messende Objekt nicht immer mit der gewünschten Scharfstellebene übereinstimmt. Solche Diskrepanzen lassen sich nur mit einer ausreichend großen Schärfentiefe überbrücken. Diese erhält man bekanntlich bei gegebener Brennweite nur durch ein mäßiges Öffnungsverhältnis des Objektives, wodurch nebenbei auch ein beträchtlicher Aufwand für die Objektivkonstruktion gespart werden kann.
Der erwünschte weitgehende Einfluß des vorhandenen Lichtes läßt sich auch durch veränderte Relationen von Öffnungsverhältnis und Filmempfindlichkeit erreichen. Wichtig ist, daß das vorhandene Licht bei einer möglichst großen Zahl von Aufnahmesituationen dominiert, weil sich nur dann der erwünschte Ausgleich des Objektkontrastes durchführen läßt. Darin liegen Sinn und Aufgabe des neuen Polaroid 600er Systems.

Available- und Blitzlicht

In der konventionellen Fotografie haben erfahrene Fotografen längst eine ihren individuellen Ansprüchen genügende Synthese zwischen den gegensätzlichen Extremen des Available- und Blitzlichtes geschaffen in Form einer künstlichen Überbrückung der jeweils vorherrschenden Beleuchtungssituation: flache Ausleuchtung bei Blitz-Vorderlicht und zu harte Licht-Schattenbildung durch das meist von oben einfallende vorhandene Licht. Dafür gibt es viele Rezepte. Das technisch einfachste ist die dosierte Fill-in-Technik mit einem Blitzgerät. Damit läßt sich zumindest im Bereich der mittleren und nahen Einstellungen jede gewünschte Hell-Dunkel-Abstufung erreichen. Dieses Prinzip sollte automatisiert werden. Keine leichte Aufgabe, wenn man sich vorstellt, wieviel Einflußgrößen gemessen und automatisch in Übereinstimmung gebracht werden müssen. Bei beiden neuen Polaroidkameras werden beim Auslösen insgesamt 42 digitale Steuerentscheidungen getroffen. Bei ausreichendem Lichtniveau werden dann 75% des vorhandenen Lichtes mit 25% des Blitzlichtes kombiniert. Dieses 3:1 Verhältnis sichert den optimalen Objektumfang auch entfernungsabhängig bis etwa 41/2 Meter. Mit dem Maß der Abnahme des vorhandenen Lichtes erhöht die Kamera den Anteil des Blitzlichtes bis zur reinen Blitzbelichtung bei Dunkelheit. Spätestens jetzt erkennt man, wie wichtig die Empfindlichkeit des Aufnahmesystems ist: sie schützt vor den Nachteilen der reinen Frontalausleuchtung.

Autofokuskamera 660

Hier wird das Blitzlicht in Abhängigkeit von der automatischen Ultraschall-Entfernungsmessung dosiert. Die Entfernungseinstellung selbst erfolgt nicht durch das Fokussieren eines Objektives, sondern durch das Vorschalten von 4 Ergänzungslinsen, mit denen die Brechkraft des Linsensystems verändert wird. Diese sind in einer drehbaren Scheibe angebracht, wodurch sich in Verbindung mit den feststehenden Frontlinsen 4 Schärfenbereiche ergeben: 0,6 ... 0,9 m, 0,9 ... 1,5 m, 1,5 ... 3,9 m und 3,9 m ... -. Durch diese Kombinationsoptik wird zusammen mit dem elektronisch gesteuerten Dreilamellen-Blendensystem eine Blende von 51 für Aufnahmen bis zu einer Entfernung von 0,6m und Blende 10 bei der maximalen Blitzentfernung von 4,2 m eingestellt. Bei vorhandenem Licht gehen die Blendenwerte von 1 0 bis 45 innerhalb jeder der 4 Brennweiten. Der Ultraschall-Meßwandler des Modells 660 sendet ein 50 kHz-Hochfrequenz Ultraschallsignal aus. Anhand der Rücklaufzeit des Echos ermittelt die Kameraelektronik die entsprechende Entfernung und gibt diese Information zur Scharfeinstellung weiter. Die jeweils erforderliche Zusatzlinse wird dann automatisch eingestellt und die erforderliche Laufzeit des Blitzes berechnet.
Die Rechner des 660-Lichtmischsystems machen eine Weitergabe der digitalisierten Information möglich.
Sobald sich das Dreilamellen-Blendensystem öffnet, wird das einfallende Licht durch eine Öffnung über der Fotozelle gemessen. Diese Vorinformation wird durch einen die Helligkeit bestimmenden Schaltkreis erfaßt. Diese Real-Time-Automatik entscheidet über die Aufhellblitz-Dosierung bei ausreichend vorhandenem Licht oder Vollblitz bei geringem Licht. Bei Unendlicheinstellungen (über 7 m) wird das Ultraschallecho nicht mehr erfaßt. Deshalb wird der Blitz bei solchen Aufnahmen voll gezündet, beeinflußt aber die Aufnahme nicht mehr.

Fixfokuskamera 640

Bei dieser Kamera wird das Blitzlicht durch eine spezielle Infrarotmessung gesteuert. Dabei wird der Wellenlängenbereich von 700 ... 110 nm zur Messung genutzt. Es hat sich nämlich gezeigt, daß die Meßgenauigkeit bei Verwendung dieser Wellenlinien größer ist als beim sichtbaren Licht. Hinzu kommt, daß typische Motive in diesem Wellenlängenbereich besser reflektieren. Dabei werden vor allem dunkle Motive und stark kontrastierende Farben besser erfaßt, weil die Kontrastwerte herabgesetzt werden.
Diese Kamera hat eine Fotodiode mit Linsensegmenten für Infrarot- und sichtbares Licht. Ein grünes Linsensegment übermittelt sichtbares Licht bei Abschattung des IR-Lichtes, ein schwarzes Segment blockiert das sichtbare Licht und übermittelt lnfrarotlicht. Wenn durch das grüne Linsensegment eine zu geringe Lichtmenge von der Fotozelle erfaßt wird, wird der Vollblitz ausgelöst. Dabei bewirkt eine elektronische Schaltung die völlige Öffnung der Verschlußlamellen bei gleichzeitiger Blockierung der grünen Linsensegmente. Dann kann nur das reflektierte lnfrarotlicht die Fotozelle durch das schwarze Linsensegment erreichen. Nach Messung der erforderlichen Blitzleuchtstärke schaltet der Schaltkreis das Überschußlicht aus.

Resümee

Mit der Technologie des automatischen Kontrastausgleichs bei Bildvorlagen im nahen und mittleren Entfernungsbereich ist es abermals möglich geworden, technisch und ästhetisch hochwertige Bildausleuchtungen mit vollautomatischen Kameras zu erzielen. Voraussetzung dafür war eine praxisgerechte Abstimmung von Filmempfindlichkeit, Licht- und Kontrastmessung, wobei ein Oberwiegen des vorhandenen Lichtes bei der Mehrzahl der Aufnahmen gewährleistet sein mußte. Die beschriebene Problemlösung beeindruckt vor allem durch den auf das äußerste rationalisierten Einsatz elektronischer Technologie, wodurch auch die überraschend günstige Preiskalkulation möglich wurde. Die beiden Modelle 640 und 660 liegen bei etwa 170 DM und 250 DM. An dieser Technologie wird man nicht vorbeigehen können. Es gibt keine Gründe, diese nicht auch bei Kameras mit konventionellen Filmen früher oder später einzusetzen.

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