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Artikel
1998
Normtest
Rolleilex 6006
Rolleis neues Flaggschiff
Bereits mit der SLX konnte Rollei Profis begeistern und wer sich damals mit Superlativen verausgabte, der wird heute bei der neuen Rolleiflex 6006 Schwierigkeiten haben, noch weitere Steigerungen zu finden. Trotz der deutlichen Verbesserungen am neuen Modell kommt im NORMTEST jedoch auch Kritik nicht zu kurz.
Die Ähnlichkeit der beiden Kameras ist so frappierend, wie es der aufmerksame Beobachter nur bei eineiigen Zwillingen gewohnt ist. Auf den zweiten und jeden weiteren Blick sind jedoch immer mehr Details zu erkennen, die im Vergleich mit der SLX die Weiterentwicklung zu einer sehr wandlungsfähigen Kamera verdeutlichen. Die wichtigsten Neuerungen sind, ohne andere Details zu gering würdigen zu wollen, im System der wechselbaren Filmmagazine zu sehen. Vier unterschiedliche Magazine werden angeboten, wobei die für "normalen" Rollfilm in 1 20er Länge als Standard zu betrachten ist. Ein weiteres Magazin erlaubt den Einsatz von 220er Filmen für das 6 x 6-cm-Format (bei doppelter Filmlänge). Das dritte Magazin im Bunde reduziert das Format auf 4,5 x 6 cm und das vierte schließlich knüpft an den Erfolg einer Rollei an, die es heute nur noch als Sammlerstück gibt: mit dem Format4x4cm.
im NORMTEST wurde die Standardzusammenstellung der neuen Rolleiflex 6006 getestet.
Das heißt: ein Kamerabody mit dem Magazin für 120er Filmlänge und das Format 6 x 6 cm. Als Objektiv wurde das Standardobjektiv Planar 1:2,8/80 mm eingesetzt. Die erste Kamera im Test mußte bereits nach wenigen Messungen als Totalausfall ausgesondert werden. Der Verschluß war nicht mehr in Gang zu bringen, doch dies sollte man weder als typisch noch als Ausnahme in der täglichen Tester-Praxis bewerten. Ebenso darf es nicht als Auswirkung moderner Technologie auf elektronischer Basis gesehen werden, die heute noch zu oft als Prügelknabe der Nation betrachtet wird, auf inflexible Zeitgenossen wirkt wie der Zivilisations-verbreitende Missionar und dennoch nicht mehr Fehler in sich birgt als eine reine Mechanik hervorzubringen imstande ist. Auch in der Elektronik gilt wie in der Mechanik, daß Fehler zu beheben sind - nur das "Gewußt wo" besitzt andere Vorzeichen. Soviel zu einer kleinen Panne, die durch das zweite Testgerät bedeutungslos wurde.
Die Rolleiflex 6006 besitzt einen Lichtschachtsucher und als Standard eine (auswechselbare) Mattscheibe mit Mikroprismenring und Schnittbildindikator. Das Mattscheibenumfeld ist mit einem Linienraster (Abstände der Linien ca. 11 mm) versehen. Diese Linien können einerseits zum Ausrichten der Aufnahme (wenn es beispielsweise um Architekturfotos geht) benutzt werden, sie sind jedoch ebenfalls eine Orientierungshilfe beim Wechsel auf andere Filmformate. Der senkrechte Suchereinblick (der auch bei den zweiäugigen Rolleis angewendet wurde) zeigt ein aufrecht stehendes, seitenverkehrtes Bild. Problematische "Über-Kopf-Aufnahmen" können mit diesem System mühelos und gezielt bewerkstelligt werden. Eine Sucherlupe, die nach Bedarf hochgeklappt werden kann, verbessert die Möglichkeit der Scharfeinstellung, die allerdings auch ohne Lupe gut ist. Übrigens: Kurzsichtige Brillenträger können auf der Mattscheibe auch ohne Brille bei vollem Überblick über das gesamte Format unbehindert arbeiten - eine Möglichkeit, die sie mit keinem anderen Suchersystem besitzen.
Für bestimmte Aufnahmesituationen läßt sich eine Klappe der Sucherabdeckung einrasten dann steht ein Sport- bzw. Rahmensucher zur Verfügung, der dem Bildwinkel des normalbrennweitigen Objektivs entspricht.
Im Blickfeld des Suchersystems sind vier Leuchtdioden untergebracht. Zwei rote LEDs am rechten Rand signalisieren Über- bzw. Unterbelichtung. Leuchten beide LEDs gleichzeitig auf, so ist dies ein Signal für eine Überschreitung des Meßbereichs. Die elektronische Kontrolle der Batteriekapazität kann zu einer weiteren LED-Anzeige führen, die diesmal im oberen Rahmen zu sehen ist. Leuchtet sie auf, dann kann dem Akku nur noch Strom für wenige Aufnahmen entnommen werden. Im NORMTEST wurde ein recht hoher Stromverbrauch mit 160 bis 220 mA (ohne Motoranteil) gemessen. Die hohe Leistung des Akkus, die leichte Austauschbarkeit (die Anschaffung von wenigstens einem Zusatzakku soll ausdrücklich empfohlen sein, wenn recht viel fotografiert wird) und auch die Möglichkeit einer blitzschnellen Aufladung (innerhalb von zehn Minuten) gleichen den vermeintlichen Nachteil jedoch vollkommen aus.
Eine weitere, diesmal grüne LED, dient zur Bereitschaftsanzeige und Rückmeldung in Verbindung mit einem systemgerechten Blitzgerät. Diese LED ist ebenfalls im oberen Rahmen untergebracht.
Der Arbeitsbereich des elektronischen Verschlusses bietet als kürzeste Zeit die 1/500 Sekunde, als längste elektronisch gesteuerte Zeit 30 Sekunden. Für noch längere Belichtungen steht die Position "B" zur Verfügung. In dieser Position bleibt der Verschluß so lange offen, wie der Auslöser gedrückt und gehalten wird. Ein Anschluß für einen (mechanischen) Drahtauslöser findet man an der Vorderseite unterhalb das Objektivs, wo im Fall langer Belichtungszeiten ein feststellbarer Drahtauslöser benutzt werden kann. Eine andere Vorgehensweise ist jedoch ebenfalls praktizierbar: Man stellt die Kamera auf "B" ein, löst aus und schaltet die Kamera am Zentralschalter ab (Position "OFF"). Damit bleibt der Verschluß so lange offen, bis man den Zentralschalter wiederum einschaltet und durch einen erneuten Druck auf den Auslöser die Belichtung beendet.
Der Verschluß ist als Zentralverschluß im Objektiv untergebracht und unterscheidet sich einschließlich der Übertragungskontakte nicht vom bei der SLX verwendeten System (Objektive sind zwischen den Kameratypen austauschbar). Im Test beweist dieser Verschluß sehr genaue Funktion. Die maximalen Abweichungen liegen bei höchstens ]/3 Blendenstufe. Allerdings kann sich diese Abweichung noch durch eine dem Zentralverschluß eigene Besonderheit vergrößern. Diese allen Zentralverschlüssen eigene Besonderheit führt bei der Kombination kleiner Blende und kurzer Zeit zu einer effektiven Verlängerung der Belichtungszeit.
Für die Standardaufgaben gilt jedoch der Durchschnitt, der normgerecht bei voll geöffneter Blende gemessen wurde und dabei mit einem durchschnittlichen Wert von +1/6 Blendenwert Abweichung weit innerhalb der Toleranz bleibt. Das Verhalten der Kamera in der Belichtungsautomatik weicht vom eben gesagten nicht wesentlich ab. In der Betriebsart Automatik wurde sie bei der Einstellung auf eine Empfindlichkeit von 100 ASA und einer Belichtungszeit von 1/60 Sekunde getestet. Die Automatik steuert die Blende und zwischen EV 9 und EV 15 ergaben sich Abweichungen von -1/3 bis - 1/2 Blendenwert. Bei kürzeren Zeiten in Verbindung mit kleinen Blendenwerten ergibt sich eine reichlichste Belichtung durch die eben geschilderte Besonderheit der Zentralverschlüsse. Die gegensätzliche Wirkung (Neigung zu minimaler Unterbelichtung im Automatikmodus und definierte Überbelichtung bei kurzer Zeit und kleiner Blende) sorgt jedoch über den Standardfall hinaus für ein Verbleiben der Belichtungseigenschaften innerhalb der Toleranz. Die Ausnahme ist die Kombination von kleinster Blende und kürzester Zeit, wo ein Erreichen bzw. geringfügiges Überschreiten der Toleranz festzustellen ist.
Die Meßcharakteristik mit einer auffälligen dreiblättrigen Form (siehe auch Diagramm der Belichtungsmeßzonen) kommt durch die Anordnung der Meßzellen unterhalb des Spiegels zustande. Diese Meßcharakteristik ist als "mittenbetont" einzuordnen. Sie besitzt ferner eine gewisse Betonung im unteren Bilddrittel. Da die Messung durch einen teildurchlässigen Spiegel hindurch vorgenommen wird, sollte bei Verwendung eines Polarisationsfilters ein Zirkular-Polfilter verwendet werden. Linear-Polfilter könnten (unter bestimmten Winkeln) eine Fehlmessung und dementsprechende fehlerhafte Belichtung verursachen.
"Kosmetik" verbessert den Bedienungskomfort sehr
"Kosmetische" Veränderungen an dieser Kamera beziehen auch einige Bedienungselemente ein. Die Auslöser, die wulstartigen, U-förmigen Erhöhungen, womit ein wenig vom Schutz gegen Fehlauslösungen aufgegeben wurde. Die Kombi-Meßtaste wurde rund, ist im Gegensatz zur SLX nicht mehr bündig zum Gehäuse und damit wesentlich leichter aus allen Kamerahaltungen heraus bedienbar. Diese Taste kann für die Blendenanzeige (mit Memo-Funktion), für die Akkuprüfung und zur Kontrolle der Schärfentiefe genutzt werden. Oberhalb dieser Taste kam ein kleiner Druckknopf hinzu, mit dessen Hilfe eine Spiegelvorauslösung eingeleitet wird. Eine begrüßenswerte Neuerung, die gerade bei langen Belichtungszeiten genutzt werden sollte und das völlige Ausschalten von Spiegelerschütterungen ermöglicht.
Weitere Bedienungselemente und Anschlüsse erfuhren nur geringe oder gar unwesentliche Änderungen. So erhielt der Universal-Steckeranschluß (für externe Steuer- und Zusatzgeräte) eine neue Abdeckkappe, die sich leichter greifen läßt. Der Zentralschalter, mit dem die Kamera ein- bzw. ausgeschaltet und die Auswahl für Einzel- oder Serienbelichtungen vorgenommen wird, erhielt eine Knebelform, die leichter zu greifen und zu bedienen ist. Der Blitzgerät-Anschluß auf der linken Kameraseite wurde umgeordnet und erhielt mehr "Intelligenz". Da die Kamera in Verbindung mit systemgerechten Blitzgeräten TTL-Blitzautomatik bietet, sind drei Kontakte vorhanden. Der Buchsen-Synchronanschluß wurde nur gering versetzt.
Eine Taste zum Objektivwechsel ist natürlich ebenfalls vorhanden, und wenn auch hier der naheliegende Vergleich zur SLX vorgenommen wird, so sieht man, daß er breiter und damit ebenfalls leichter bedienbar wurde und außerdem in auffällig rotem Kunststoff hergestellt ist.
Eine Systemkamera war (oder ist) bereits die SLX. Als Rolleiflex 6006 kann man jedoch eine Steigerung der System-Idee bescheinigen, womit die Sprache auf die Magazine kommen soll.
Ein Rollo-Schieber sorgt unverlierbar für Sicherheit
In vier unterschiedlichen Ausführungen sind sie, wie bereits weiter vorn geschildert, lieferbar. Die Magazine sind mit einem Handgriff annehmbar, was "mitten im Film" geschehen darf. Dazu muß jedoch ein "Schieber" für ein lichtdichtes Magazin sorgen. Diesen Schieber hat Rollei als Rollo unverlierbar in das Magazin eingebaut. Um das Magazin tatsächlich von der Kamera entfernen zu können' ist nicht mehr Sorgfalt gefordert als ein Heraufschieben des Rollo-Schiebers bis zum Anschlag. Ähnliches gilt für das Ansetzen des Magazins und das Vorbereiten zur Aufnahme. Die Kamera löst nämlich erst aus, sobald der Schieber exakt bis zum Anschlag (diesmal nach unten zu bewegen) gebracht wurde.
Will man das Magazin von der Kamera lösen, so muß nach dem Schließen des Rollos am oberen Ende des Magazins gleichzeitig auf zwei Knöpfe gedrückt werden. Diese Knöpfe sind übrigens gesperrt, solange das Magazin mittels Rollo nicht geschlossen ist. Zwei ähnliche Jedoch größere) Knöpfe am unteren Ende des Magazins sind nicht derart gesichert, weswegen ein Üben des Magazinwechsels (bis man es im Schlaf beherrscht) nicht schaden kann. Nach Druck auf die beiden größeren Knöpfe am unteren Ende des Magazins öffnet sich nämlich der Innenraum zum Filmwechsel. Die ganze Magazinkonstruktion ist übrigens mit einem raffinierten System verwirklicht worden, das bei Rollo-Betätigung die Andruckplatte zurückzieht bzw. (beim öffnen und Vorbereiten auf die Aufnahme) die Platte in die richtige Andruckposition zur Aufnahme bringt und anhebt. Eine Film-Merkscheibe am Magazin ist im Weiteren funktionslos. Die Einstellung der Filmempfindlichkeit für den Belichtungsmesser muß wie bei der SLX am Einstellknopf für die Belichtungszeiten vorgenommen werden. Rollei stellt damit augenscheinlich unter Beweis, daß in diesem Punkt das Magazinsystem der Rolleiflex SL 2000F nicht nachempfunden werden sollte, die das der Forderung nach einem entsprechend professionell schnellen Magazin-(und damit auch möglichen Film-)Wechsel auf einer moderner Elektronik angemessenen Ebene zeitgemäß durchdacht ist.
Fazit
"Made in Germany by Rollei" steht auf diesen Kamera-Bodies und man muß nicht auf Spitzfindigkeiten (wie der Frage nach der Chip-Herkunft) zurückgreifen' um restlicher deutscher Kameratechnologie einen Standard zu bescheinigen, mit dem sie auf dem Weltmarkt konkurrieren kann. Der im Durchschnitt gute Eindruck, den diese Kamera vor der unbestechlichen Testelektronik und Testpraxis im NORMTEST machte, ist "Brief und Siegel" dieser Auffassung.
Bedauerlicherweise gilt die Einschränkung, daß dieser Qualitätsstandard sich in einer Preislage abspielt, die Profis und finanzstarken Amateuren vorbehalten sein wird und ehemals auch als Massenprodukt weltberühmte deutsche Produkte weiter in Vergessenheit geraten.
Moderne Technologie, eigenständige Entwicklung (hier soll an die spezielle Verschluß- und Blendenkonstruktion in diesen Kameras erinnert werden) und der Mut zur zukunftsweisenden Entwicklung einer Kamera ist beachtlich, wenn auch deutsche Konstrukteure manches Mal der Mut zur Konsequenz verläßt - womit noch einmal die Anregung weitergegeben werden soll, den kleinen Schritt zur hundertprozentig profigerechten Ausführung der Magazine nach dem erwähnten Muster zu vollziehen.
+ Wechselmagazine für unterschiedliche Filmformate und Längen
+ Gesteigerter Bedienungskomfort
+ Leistungsfähige Stromversorgung
+ Gute Belichtungseigenschaften
- Empfindlichkeitseinstellung des Belichtungsmessers nicht mit den Magazinen gekoppelt
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