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Artikel

1998

Aus Forschung und Entwicklung

Ricoh XR-P mit neun Programmen

Wer soll das bedienen?

Die "Programmautomatik" ist nichts grundlegend Neues. Schon vor einem Vierteljahrhundert gab es Kameras, die sowohl Blende als auch Verschlußzeit steuerten. Heute, nach dem Einzug der Elektronik in die Kameratechnik, ist diese Art der Belichtungssteuerung zum Spielplatz der Kamerakonstrukteure geworden.

Neben einer herkömmlichen Zeitautomatik mit Blendenvorwahl und Manuellbetrieb mit Flüssigkristall-Nachführzeiger bietet die neue Ricoh XR-P drei Programmschaltungen. Diese sind ihrerseits auf drei verschiedene Weisen einsetzbar und ergeben damit neun unterschiedliche Programme.

Die Mehrfachprogramme

Bei den Programmschaltungen handelt es sich um:

1. Drei vollautomatische Programme, die entweder kurze Verschlußzeiten, kleine Blenden oder einen Kompromiß bevorzugen.

2. die gleichen drei Programme mit einer Verschlußzeitenvorgabe. 

3. Drei Programme für Bildschirmaufnahmen.

Die verschiedenen Möglichkeiten werden durch die Einstellungen des Verschlußzeitenknopfes, das Blendenrings am Objektiv und des Programmwählschalters gebildet. Der Verschlußzeitenknopf hat dabei die üblichen Zeiteinstellungen von 4 Sek. bis 1/2000 Sek., dazu die Einstellungen A (Automatik), TV (Television) und B (Zeitaufnahmen). Der Objektiv-Blendenring hat am Ende der gewohnten Blendenskala die Einstellung P anstelle der kleinsten Blende und rastet hier ein. Durch Kombinationen ergeben sich folgende Betriebsarten:

Verschlußzeitenknopf auf A und Objektivblende auf P: Programmautomatik (mit Wahl der Programme über den Programmwählschalter).

Verschlußzeitenknopf auf TV, Objektivblende auf P: Programme für die Bildschirmaufnahme, wieder durch den Programmwählschalter bestimmt.

Verschlußzeitenknopf auf einem der Zeitenwerte, Blende auf P: Programmautomatik mit Verschlußzeitenvorgabe (Programm mit Zeitenhilfe) - ebenfalls mit Alternativen über den Programmwählschalter;

Verschlußzeitenknopf auf A, Blendenring auf einem der Blendenwerte: Zeitautomatik mit Blendenvorwahl;

Verschlußzeitenknopf und Blendenring auf Zeiten- bzw. Blendenwerten: Manuellbetrieb mit Nachführmessung.

Die Grundfunktionen der Programme

Bei normalem Programmbetrieb (Blendenring auf P, Zeitenknopf auf A) sind drei Programme durch den Programmschalter wählbar. Der Programmwählschalter umgibt den Auslöseknopf und weist drei Stellungen PD, P und PA auf. Der Einstellbereich der Blenden- und Zeitkombinationen reicht (mit Objektiv 1: 1,4) von EV (Lichtwert) -1 bis EV 20, also von 4 Sek. bei Blende 1,4 bis 1/2000 Sek. bei Blende 22. (Grundsätzlich gilt das für Filmempfindlichkeit ISO 100/21xGRADx; die Langzeitengrenze verschiebt sich bei anderen Empfindlichkeiten). Die drei Programme verkürzen zunächst bei steigender Objektleuchtdichte die Verschlußzeit bei offener Blende bis zu 1/8 Sek. Danach gehen die Blenden- und Zeitenkombinationen drei Wege:
Das Programm PD (D - Depth, also Schärfentiefe) geht schnellstens auf die kleinste Blende und erreicht Blende 22 schon bei der Verschlußzeit 1/125 Sek. Dann erst wird die Zeit kürzer. Das Programm PA (A - Action, also Bewegung) geht bei offener Blende bis zur 1/125 Sek. und fängt erst dann an, abzublenden. EV 12 wird hier bei Blende 3,5 (mit etwa 1/350 Sek. erreicht. Programm P ist das übliche "mittlere" Programm, das Blenden und Verschlußzeiten gleichermaßen beeinflußt. Bei allen drei Programmen erscheinen übrigens in der Sucheranzeige die gewählte Zeit und die Blende.

Belichtungsprogramme mit Zeitenvorgabe

Mehrfachautomatik-Kameras haben neben einer Zeitautomatik auch eine Blendenautomatik. In der XR-P ergibt sich dagegen bei einer entsprechenden Einstellung (Verschlußzeitenknopf auf einem der Zeitenwerte, Blendenring auf P) eine kuriose Mischautomatik, deren Umschaltpunkt zwischen Blenden- und Zeitautomatik durch den Programmschalter bestimmt wird. Es gibt hier eine ganze Anzahl von Variationen:
Wählt man eine längere Verschlußzeit vor als den Einsatzpunkt der Programmverzweigung (1/8 Sek ), funktioniert die Kamera als einfacher Blendenautomat.
Liegt die vorgewählte Verschlußzeit zwischen 1/8 und 1/125 Sek., so funktioniert die Kamera zunächst als Blendenautomat. Die Blende wird also bei zunehmender Objektleuchtdichte immer weiter geschlossen. Das läuft in einem Beispiel - bis Blende 4; von nun an hängt der weitere Verlauf von der Programmwahl ab. Mit dem Programmschalter auf P oder PA setzt sich der Verlauf nun nach dem P-Programm fort, und die Blenden und Verschlußzeiten werden in gleichen Intervallen kleiner bzw. kürzer (bis 1/2000 Sek. bei Blende 22). Wird aber das Programm PD gewählt, so bleibt die Blendenautomatik bis zur Blende 11 bestehen und schaltet dort auf den Programmverlauf PD umgeht also auf 1/125 Sek. bei Blende 22 über und dann zu kürzeren Verschlußzeiten.
Noch komplizierter wird der Verlauf bei kurzen Verschlußzeiten, denn hier schalten sich je nach Programmwahl alle drei Programme in einen Blendenautomatikverlauf ein:
Bei Einstellung PA läuft das Programm ab 1/125 Sek. bei Blende 2,8 nach dem üblichen PA-Programm: das Objektiv wird bei gleichzeitiger Verkürzung der Zeit bis Blende 22 abgeblendet.
Bei Programmwahl P schaltet sich der Blendenautomat bei 1/125 Sek. und Blende 8 auf diesen Programmverlauf um.
Bei Programmwahl PD durchläuft die Blendenautomatik die ganze Skala bis zur kleinsten Blende, bevor die Verschlußzeit kürzer wird.
Bei allen drei Einstellungen dieser Verschlußzeitenvorgabe wird die Verschlußzeit bei ungenügendem Licht (bei größerer Blende) länger - in jedem Fall ist der ganze Einstellbereich ab EV -1 verfügbar.

Programme für Bildschirmaufnahmen

Einzigartig in einer Reflexkamera ist die Einstellmöglichkeit von Programmen für Aufnahmen vom Bildschirm. Bekanntlich erfordern solche Aufnahmen genau festgelegte Verschlußzeiten, um einen Abtastzyklus des Bildschirms zu erfassen.
In der XR-P wird das durch die Einstellung TV am Verschlußzeitenknopf am Blendenring erreicht. Der Programmwählschalter ergibt drei Möglichkeiten:
Programm PD stellt eine feste Verschlußzeit von 1/25 Sek. ein, womit ein volles Fernseh-Einzelbild nach Europanorm erfaßt wird. Mit dieser Verschlußzeit funktioniert die Kamera als reiner Blendenautomat (ohne auf andere Programme überzugehen) und wählt die Blende je nach der Helligkeit des Bildschirms.
Programmeinstellung P wählt in ähnlicher Weise eine feste Zeit (1/30 Sek.) für die Erfassung eines vollen Fernsehbildes bei 60 Hz (amerikanische Fernsehnorm).
Programmeinstellung PA wählt eine feste Verschlußzeit 1/4 Sek. für andere Bildschirmaufnahmen, wie Computergraphiken und Oszilloskopbilder. Die 1/4 Sek. ist hier vorgesehen, weil das Bild auf Computer-Monitorschirmen oft recht lichtschwach ist und eine längere Belichtung erfordert.
Bei den Bildschirmprogrammen gibt es keine Nachstellung der Belichtungszeit bei übermäßiger oder ungenügender Helligkeit das würde ja ganz dem Prinzip der Videoaufnahme widersprechen. Der Programmbereich ist daher entsprechend eingeengt von EV 6 bis EV 14 mit Programm PD und P bzw. von EV 3 bis EV 11 mit Programm PA.

Sucheranzeige mit simulierter Meßnadel

Es kommt hier ein Flüssigkeitskristall-"Meßzeiger" zum Einsatz, der neben einer Verschlußzeitenskala auf- und abläuft. Bei Manuellbetrieb blinkt ein zweiter Zeiger bei der für eine richtige Belichtung erforderlichen Verschlußzeit. Durch Nachstellen der Zeit oder Blende werden dann der blinkende und stetige "Zeiger" in Deckung gebracht. Ferner erscheinen über und unter der Zeitskala noch verschiedene Signale: + bei eingeschalteter Belichtungskorrektur, AEL bei Meßspeicherung; M, P und TV für Manuell-, Programm- oder Bildschirmprogramme; Dreiecksmarken als Über- und Unterbelichtungsanzeige; eine Leuchtdiode als Blitzbereitschafts- und Rückmeldesignal; B und BAT für Langzeitbelichtung und als Batteriewarnsignal eine Flüssigkristall-(LCD)-Anzeige der programmgesteuerten Blende (verschwindet bei Zeitautomatik- und Manuellbetrieb) und der vom Objektivring eingespiegelte Blendenwert bei Zeitautomatik- und Manuellbetrieb.
Zur Lichtmessung dient eine Siliziumzelle im Sucher (mittenbetonte Ganzfeldmessung des Einstellscheibenbildes) und eine weitere Zelle im Kamerainneren zur Messung des vom Film reflektierten Lichts bei Blitzaufnahmen. Der Stromkreis basiert auf einem 6-V-System. Bei Programmbetrieb wird das Licht nach Abblendunq des Objektivs unmittelbar vor der Belichtung nochmals gemessen und die Verschlußzeit entsprechend nachgestellt. Damit wird nicht nur der unterschiedliche Programmverlauf, sondern auch die Übersteuerung des Programms bei Erreichen der jeweiligen Einstellgrenze gesteuert.

Das neue Wechselbajonett

Eine Betriebsart mit Blendenautomatik und einer Blendenanzeige im Sucher erfordert normalerweise eine Meldung an die Kameraschaltung über die Objektiv-Lichtstärke (die größte Blendenöffnung). In der Ricoh XR-P erfolgt das über einen im Objektiv eingebauten Widerstand und einen einzigen Kontakt unten am Kamerabajonett. Hat ein Objektiv von Ricoh (in der als Typ RK bezeichneten Version des K-Wechselbajonetts) einen entsprechenden Kontakt - ein Federstift im hinteren Objektivflansch -, so schaltet sich in den Meßstromkreis ein Widerstandswert zwischen 5 und 100 Kilo-Ohm ein. Zusammen mit der Eingabe des Blendensimulatorrings, der lichtmessenden Fotozelle und der Filmempfindlichkeitseinstellung wird dann die erforderliche Blenden- und Zeitenkombination errechnet und im Sucher angezeigt. Bei einem Objektiv ohne einen derartigen Kontakt (normale K-Fassung) ist der Widerstand in diesem Schaltungszweig unendlich groß (offener Stromkreis). Die Kamera fungiert dann nur als Zeitautomat mit Blendenvorwahl oder im Manuellbetrieb.
Von Ricoh kommen in der neuen Fassung vorerst die Objektive Rikenon 1:2,8/28 mm, 1:2,8/35 mm, 1:1,7/50 mm sowie die Zoom-Objektive 1:4/28-100 mm und 1:3,9/70-210 mm. Ricoh will künftig alle ihre Objektive in der Fassung RK liefern. Über einen Adapter sind sogar Objektive in der alten Schraubfassung 42 mm verwendbar -allerdings mit den in diesen Fällen üblichen Einschränkungen und ohne Programmautomatik.

Blitzprogramme, auch für die Mischtechnik

Eine Blitzbelichtungs-Innenmessung ab Film steuert mit entsprechenden Systemblitzgeräten (XR Speedlite 300P von Ricoh) die Blitzdauer, wie das ähnlich schon bei vielen anderen Kameras der Fall ist. Dabei stellt sich bei blitzbereitem Gerät die Verschlußzeit auf 1/125 Sek. um und im Sucher erscheint ein entsprechendes Bereitschaftssignal. Bei normalem Automatikbetrieb (mit Blendenvorwahl) erscheint nach dem Blitz im Sucher die Rückmeldung, ob die Blitzbelichtung ausreichte.
Bei Programmbetrieb berücksichtigt die Kamera außerdem vorhandenes Licht: ist dieses Licht schwach, so wird die Blitzintensität so geregelt, daß der Blitz als alleinige Lichtquelle gilt. Bei höheren Leuchtdichten dagegen wird der Blitz so gedrosselt, daß er als Aufhellblitz im üblichen Verhältnis 1:2 zum vorhandenen Licht wirkt. Die Blitzautomatik ergibt damit von selbst richtig belichtete Mischlichtaufnahmen. Das wird erreicht, indem sich der Blitz bei einer bestimmten Objekthelligkeit auf halbe Leistung umschaltet. Bei der normalen Programmeinstellung P entspricht das mit Filmempfindlichkeiten ab ISO 100/21xGRADx einem EV 12.

Selbstauslöser, Mehrfachbelichtung und Zubehör

Ganz neuartig ist die Selbstauslösersteuerung mit drei am Einstellknopf an der Kameravorderseite wählbaren Elektronik-Betriebsarten. Eine ist die übliche Selbstauslöserfunktion mit zehn Sekunden Vorlauf; dabei blinkt eine in die Knopfmitte eingebaute Leuchtdiode und wird von einem Piepston begleitet.
Eine zweite Funktion ist die Einstellung einer "Nullverzögerung".
Der Selbstauslöserknopf wird damit sozusagen ein Alternativauslöser für die linke Hand.
Bei angesetztem Motorantrieb oder Winder funktioniert der Selbstauslöser als Zeitschalter mit Intervallen von 2, 15 oder 60 Sek. Damit werden beliebige Aufnahmeserien in vorgewählten Zeitintervallen ausgelöst.
Der Verschluß ist ein senkrecht ablaufender Lamellenschlitzverschluß. Die XR-P hat auch den bei modernen Kleinbildreflexkameras üblichen anschraubbaren Griff für die rechte Hand, der weniger üblich - mit einem weiteren Auslöseknopf versehen ist. Der zusätzliche Auslöseknopf wird über Kontakte an der Kameravorderseite, die gleichzeitig als Anschluß für vorgesehene Fernauslösegeräte dienen, verbunden. Ein kleinerer Griff (allerdings ohne Zweitauslöseknopf) wird mitgeliefert.
Die doppelte Mehrfachbelichtungseinrichtung entkuppelt den Filmtransport und Verschlußaufzug. Dieser Hebel (neben dem Verschlußzeitenknopf) hat zwei Stellungen: Halbausgeschwenkt springt er nach einem Schaltzyklus (Verschlußaufzug) wieder zurück, liefert also eine einfache Doppelbelichtung. Voll ausgeschwenkt entkuppelt er den Transport permanent für beliebige Mehrfachbelichtungen.

Ist das vielleicht die Programmrevolution?

Die Ricoh XR-P nützt neue elektronische Steuermöglichkeiten konsequent aus. Die Konstrukteure haben ihr Konzept einer vielseitigen Kamera verwirklicht, die für den Benützer kompliziert wird. Der Zweck einer Programmautomatik sollte jedoch sein, dem Fotografen die Wahl der verschiedenen Einstellungen zu vereinfachen. Stattdessen muß er jetzt noch die Wahl der Betriebsarten lernen. In einer Hinsicht sind diese Neuentwicklungen eine Zwischenstufe, denn die Konstrukteure müssen lernen, mit den neuen Möglichkeiten benützerfreundlich umzugehen.
Die Ingenieure von Ricoh sind dennoch mit Berechtigung auf das elektronische "Wunderwerk" stolz. An Nachfolgemodellen für geringere Ansprüche wird es von diesem oder von anderen Herstellern - nicht mehr lange fehlen. Schließlich ist es seit einiger Zeit Mode, neben einem imageträchtigen Flaggschiff sparsamere Versionen anzubieten.

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