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Artikel
1998
Historie
Kameras der dreißiger Jahre
Meine erste Fotoliebe
Horst Uhrig, Jahrgang 1918, promovierter Geograph, pensionierter Beamter und leidenschaflicher Fotoamateur, schildert seine erste Berührung mit der Kameratechnik in den frühen dreißiger Jahren. Er zeichnet eine genaues Bild des damaligen Kameraangebots, insbesondere für Anfänger, und läßt dabei auch etwas Zeitgeschichte einfließen.
Es war vor einigen Jahren im September, da entdeckte ich in Stein am Rhein (Schweiz) in einem Schaufenster eine mir sehr vertraute Kamera, eine "Box Tengor" 6x9 cm, das gleiche Modell, das ich als Schüler einst besessen hatte. Schweizer Pfadfinder boten Antiquitäten an, um aus dem Erlös den Ausbau ihres Heims zu finanzieren. Die alte Box Tengor war für 150 Schweizer Franken zu haben. Meine Box Tengor hatte nur einen Bruchteil dessen gekostet. Im Sommer 1931 wurde sie noch für 16 Reichsmark angeboten. Doch infolge der Notverordnungen des damaligen Reichskanzler Brüning war sie um die Weihnachtszeit für 14,40 Reichsmark zu haben. Nachdem ich, angeregt durch die Plattenkamera meines Vaters, als Quartaner begonnen hatte, mich für Fotografie zu interessieren, wurde natürlich bald der Wunsch nach einer eigenen Kamera wach.
Im Sommer 1931 hatte ich in einer illustrierten Zeitschrift einen Prospekt der Firma Ihagee aus Dresden, der späteren Erfinderin der Spiegelreflexkamera, mit einem Preisausschreiben entdeckt. Es galt einen Namen für eine neue Ihagee 3x4 cm Kamera zu finden, es war die spätere "Parvola".
Ich beteiligte mich am Wettbewerb, gewann aber mit meinem Vorschlag keine der ausgeschriebenen Photoapparate, erhielt je doch einen Gutschein, der beim Erwerb einer Ihagee-Kamera einen Preisnachlaß von 10 Prozent gewährte. Kurz darauf kam ein Schreiben der Nürnberger Firma Photo Porst. Diese gewährte noch einmal 10 Prozent, wenn man die Kamera bei Porst bestellte.
Die Box Tengor als "Trostpreis"
Mich interessierte eine Ihagee Auto Ultrix 6x9 cm mit Anastigmat 1:6,3 für 36 Reichsmark. So machte ich meinem Weihnachtswunschzettel meinen Eltern den Vorschlag, die Ihagee Auto Ultrix 6x9 bei Photo Porst zum Preis von 36 Reichsmark minus 7,20 RM Rabatt also für 28,80 Reichsmark zu bestellen. Wir lebten 1931 aber in der Zeit der großen Wirtschaftskrise. So halbierten die Eltern die verfügbaren Mittel. Das reichte gerade für eine Box Tengor.
Die Box Tengor 6x9 war mit einem Goerz "Frontar", einem Achromaten mit der Lichtstärke 1:11 und der Brennweite 11 cm ausgestattet sowie mit einem Box-Verschluß, der Zeitaufnahmen und Momentaufnahmen von 'As Sek. zuließ. Das Objektiv hatte einen Rasthebel für 3 Entfernungsbereiche: 5 m, 5 bis 2 m und 2 bis 1 m. Für die Nahbereiche wurden in der Kastenkamera Nahlinsen vor das Objektiv geschaltet, das mit einem Planglas gegen Außeneinflüsse geschützt war. Die versenkte Lage des Objektivs machte eine Sonnenblende überflüssig. Über einen Rasthebel konnte man auf einer Scheibe noch die Lochblenden 16 und 22 vorschalten. Zwei Brillantsucher (für Hoch- und Querformat), zwei deutsche Stativgewinde und eine Auslöserverriegelung, mit der auch Zeitaufnahmen durch Feststellen des Auslösehebels möglich waren, ergänzten die Ausstattung der Kamera.
Als Autodidakt wuchs ich schnell über das Anfänger-Box-Stadium hinaus. In der Quarta besaß neben mir nur einer die Box, bis zu Ostern der Primus eine Agfa Box (die spätere Agfa ("Viermarksbox") als Prämie bekam.
So fotografierte ich denn im folgenden Jahr mit der Box Tengor und träumte von einer Ikonta 3x4 oder Nagel Vollenda 3x4, einer Rolleiflex 4x4 oder gar einer Leica oder Contax I. Für Fotoexperimente benutzte ich die berühmte Ernemann-Reporterkamera aus dem Besitz meines Vaters.
Als ich dann zu Weihnachten 1932 die ersehnte Ikonta 3x4 bekam, schenkte ich die Box Tengor meiner Schwester, die aber nicht damit fotografierte, weil ihr aus weiblicher Eitelkeit die Kastenkamera nicht elegant genug war
Es lohnt sich, in diesem Zusammenhang einen Rückblick auf das Fotojahr 1932 im damaligen Deutschland zu werfen. Die Weltwirtschaftskrise im Oktober 1929 die vom "schwarzer Freitag" an der New Yorker Börse ausgelöst wurde, erreichte ihren Höhepunkt. "Not macht erfinderisch" heißt eine altes Sprichwort. Das ist politisch und wirtschaftlich zu verstehen. Und so war der deutsche Fotomarkt in diesem Jahr besonders reich an Innovationen.
Certo, Foth, Nagel, Pupille und Kollbri-Namen die keiner mehr kennt
Da erschien im Februar die Leica II mit gekuppeltem Entfernungsmesser. Und als Konkurrenz zu der im Dezember 1931 erschienenen Rolleiflex 4x4 kam von der Dresdner Kamerawerkstätten die Pilot 3x4 als zweiäugige Klapp-Spiegelreflex auf den Markt. 3x4 Kameras (16 Aufnahmen 3x4 cm auf 127er Film) waren die große Mode im Jahre 1932, um nur einige zu nennen: Certo Colly, Foth Derby, Nagel Vollenda und Pupille, Plaubel Makinette, Rodenstock Ysella und Rodinett, Zeiss Ikon und Kolibri.
Im März kam die Agfa Billy III 6x9 mit 5,6er Objektiv und Vierpunkt-Scharfeinstellung auf den Markt. Um die Pfingstzeit wurde dann die Ikonta 4,5x6 eingeführt. Und mit der Contax von Zeiss Ikon bekam die Leica als 35 mm Kamera die erste Konkurrentin, gefolgt von der Krauss Peggy. Im Sommer startete Agfa die Viermark-Box-Aktion. Es folgten im September die Voigtländer Perkeo 3x4 und im Oktober die Agfa Billy, eine sehr handliche und flache 4x6,5-Kamera (für den heute selten gewordenen 127er Film) "für die Handtasche". Rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft kam die Voigtländer Brillant, eine Kastenkamera 6x6 cm mit einem hellen Brillantsucher im Aufnahmeformat.
Soweit die Erinnerung an die Fotowelt im Krisenjahr 1932, dem letzten Jahr der "Weimarer Epoche". Eine Zeiss Ikon "Baby Box" 1:11 3x4 cm kostete damals RM 9.90, eine Rolleiflex 4x4 mit Tessar 2.8 RM 200,-, eine Leica II mit Elmar 3,5/50 ohne Langzeiten RM 240,-, eine Pilot 3x4 mit Schneider-Kreuznach Xenon 1:2 oder eine Kolibri 3x4 mit Carl Zeiss Jena Biotar 1:2 waren für RM 225,- zu haben. Das war viel Geld, wenn man bedenkt, daß ein Brötchen damals lediglich 2 1/2 bis 3 Pfennig kostete.
Von meinem bescheidenen Taschengeld leistete ich mir einen Agfa-Rollfilm im Monat, dazu als Foto-Lektüre die Zeiss Ikon "Photo Technik" zum Bezugspreis von 20 Pfennig. Ansonsten stillte ich meinen Informationshunger aus Foto-Prospekten, die es gratis gab. Darunter befand sich ein Contax-Prospekt in Broschürenform, der mir manche Motiv-Anregungen vermittelte.
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