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Artikel
1998
Kameras
Leica M6
Die Sechste von Leitz
Nach der Leica M5 und der Leica CL wurde zur diesjährigen photokina wieder eine Meßsucherkamera mit eingebautem Belichtungsmesser aus den Hause Leitz präsentiert.
Wenn ich mich nach meinem Lexikon richte, bedeutet "Sensation" ein "aufsehenerregendes Ereignis". In diesem Sinne ist die neue Leica M6 eine Sensation, denn es erregt sicherlich weltweites Aufsehen, daß Leitz nunmehr einer Kamera, die es als M 4-P seit 1980 gibt, eine Belichtungsmessung durch das Objektiv zugebilligt hat. (Mit billig hat das natürlich nichts zu tun, muß ja auch nicht sein.) Schon 1970 ist da jemand in Wetzlar tollkühn vorgeprescht, hat eine M-5 gemacht - ebenfalls mit Innenmessung und ist damit aus zweierlei Gründen bruchgelandet. Erstens war die Kamera zu groß, zu schwer und zu kompliziert, und zweitens waren die Profis seelisch noch nicht für sowas reif. Sie vertrauten nur dem alten Handbelichtungsmesser. Hierzu muß man etwas über Profis sagen: sie gleichen in ihrer stockkonservativen Einstellung den guten Hausfrauen, die ja auch nur mit Gewalt von dem abzubringen sind, was sich bei ihren Großmüttern bewährt hat. Sie haben weder Elektroherde, noch Geschirrspülautomaten erfunden: das waren Männer, die das Leben in der Küche leichter machen wollten. Und ebenso brachten nicht die Profis die Belichtungsmessung durch das Objektiv, Zeit-, Blenden- und Programmautomatik in die Fotografie: die Hefe im Teig, ohne die man Pflastersteine hätte, statt Kuchen.
Eine bildschöne Kamera
Es ist daher kein Zeichen von besonderem Entwicklungsgespür, vor der Konzipierung neuer Geräte zu sehr auf Profis zu hören; immerhin konnten sie, und das ist Leitz hoch anzurechnen, die neue M6 nicht verhindern.
Sie ist, genau genommen, die bewährte M4-P geblieben, was Größe und Gewicht betrifft.. Einige Details wurden natürlich geändert.
Man braucht jetzt nicht mehr diesen nostalgischen Huckepack-Belichtungsmesser. Der große Schriftzug "Leitz" links oben auf der Kamera ist einer sachlichen Zeile "Ernst Leitz Wetzlar GmbH" gewichen. Ebenso wurde der rote Leitz-Signalpunkt von der linken Vorderfront verkleinert nach oben in die Fensterreihe versetzt, und auf der linken Vorderfront prangt nun der belederte Deckel zum Batteriegehäuse. War schon die M4-P eine schöne Kamera, ist die M6 nun eine bildschöne Kamera geworden. Das einzige, was äußerlich ihre neue Funktion - die Belichtungsmessung durch das Objektiv - verrät, ist auf der Rückseite zu sehen. Dort, wo nun seit einem Jahrzehnt - und zum Schluß fast als Ärgernis - eine "DIN/ASA-Merkscheibe" etwas vortäuschte, was es nicht gab, nämlich die Einstellung der Filmempfindlichkeit, kann sie nun über diese Scheibe wirklich vorgenommen und auf das Meßsystem übertragen werden: nämlich von ASA 6-6400, bzw. von 9-39 DIN. Das reicht auch für Filmexperimente.
Auch der Meßumfang von EV0 bis EV 20 (bei 21 DIN) dürfte für alle Situationen in der praktischen Reportagefotografie ausreichen.
Die Einstellscheibe wird - wie auch der Batteriekammer-Deckel! - mit dem Daumen betätigt. Da die meisten Daumen undurchsichtig sind, bedarf es einiger Geduld und guter Laune, die Marke auf 22 DIN zu stellen, wie auch nicht jeder Daumen zum Öffnen des Batteriedeckels taugt, vor allem wenn jener- bei der langen Haltbarkeit der Batterien! - etwa fest sitzt. Der überall längst bewährte Münzschlitz wäre hier wohl besser gewesen.
Ästhetik contra Praxis
Wer aber, wie ich, die Firma Leitz seit Jahrzehnten kennt, weiß, was sich da abgespielt hat: da war vom Praktiker - der Schlitz geplant. Dem Chef-Ästheten hat das nicht gefallen. Er fand Unterstützung bei der Geschäftsleitung "Praxis" mit dem Argument: "Wenn einer nackt in der Wüste Gobi fotografiert, hat er keine Münze bei sich". Und damit hatte die Daumenlösung gewonnen.
Nimmt man das Objektiv ab - es passen alle Objektive der M4-P sieht man auf dem ersten Vorhang des Schlitzverschlusses einen runden weißen Punkt. Das ist der Punkt, auf den die Meßzelle - die irgendwo oben im Bajonett sitzt! selektiv mißt! Normale Bürger finden das bewundernswert genial und einfach; etwas kritischere Typen fragen, warum Leitz dazu so lange gebraucht hat. Beides ist berechtigt.
Wünschenswert: ein Hauptschalter
Blickt man durch den Sucher, ist zunächst kein Unterschied zur M4-P festzustellen. Tippt man jedoch den Auslöser leicht an, erscheint unter dem Bildrand ein rot leuchtendes Dreieck, nach dessen Spitze man nun z. B. den Blendenring drehen muß, bis zwei gleichwertig rot leuchtende Dreiecke sichtbar sind: dann ist die Belichtung richtig eingestellt. Da die Pfeile langsam abdunkeln, ist gezielte Unter- bzw. Überbelichtung möglich. Nach ca. 15 Sekunden verlöschen diese Signale, wodurch Strom ebenso wie lästiges Aus- und Einschalten gespart wird. Werfen Sie aber mal achtlos Ihre Handschuhe auf die Kamera, mißt sie und mißt und mißt und mißt. Ich hätte ihr einen Hauptschalter, verbunden mit dem Ausschwenken des Filmtransport-Hebels, gegönnt und ihn mir gewünscht. Aber schließlich gehen Hobbyfotografen ja auch längst nicht so behutsam mit einer M6 um wie etwa ein Profi während der Reportage über eine Straßenschlacht!
Da ich mir - als Hobbyfotograf wohl auch das wünschen darf, was die Profis vermutlich überhaupt nicht interessiert: Ich sehe, wenn ich die Leuchtrahmen für die verschiedenen Brennweiten verstelle, immer nur zwei Rahmen im Sucher, kann mir aber nicht merken, welcher Rahmen nun zu welcher Brennweite gehört, und das Meßfeld für den Belichtungsmesser ist wohl der Rahmen für das 90-mm-Objektiv, aber wo ist der 90er-Rahmen? Hebel links, Mitte oder rechts? Vielleicht kann man das bis zur photokina 1990 irgendwie markieren.
Schließlich erinnere ich mich, daß es zu meiner Leica Ende der 30er Jahre einen kleinen, orangefarbenen Filter gab, den man vor den Ausblick des E-Messers schrauben konnte, um den Kontrast des zweiten Teilbildes zu erhöhen und so das Einstellen noch leichter und schneller zu machen. Und da man das in Wetzlar offensichtlich vergessen hat, gebe sich allen Besitzern einer M4-P bzw. den Käufern einer M6 den Rat: besorgen Sie sich ein mittleres Glas-Grünfilter (noch besser als orange!), lassen Sie es sich vom Augenoptiker zuschneiden und schleifen, und mit Canadabalsam vor das kleine Fensterchen des E-Messers kleben: Sie werden Ihr grünes Wunder an deutlichem und schnellem Einstellen erleben.
Fazit
Es gibt viele Fotokameras auf dieser Welt, aber nur eine M-Leica, ob nun M4-P oder die neue M6: so handlich, so schnell und vor allem so leise ist keine andere! Selbst die Profis haben dies inzwischen erkannt und lassen immer häufiger ihre konventionellen Kameras zu Hause.
Darüber hinaus ist die Leica M6 nicht nur ein Prestigeobjekt für Snobs und Leute, die es werden wollen, sondern ein konkurrenzloses Arbeitsgerät für so manch knifflige fotografische Situation. Das vielfältige Angebot von einem runden Dutzend Objektive reicht vom 21 er Weitwinkel bis zum 135er Tele, dazu gibt es noch längerbrennweitige Teles in Verbindung mit dem Visoflex-Ansatz, der die Leica M-Kameras in Spiegelreflexkameras verwandelt. Ganz zu schweigen vom Noctilux mit der Lichtstärke 1:1.
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