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Artikel

1998

Kameras

Pentax 645

Perfektion im Mittelformat

Den gleichen Komfort und die gleiche Ausstattung wie eine moderne Kleinbildkamera verspricht die neue Pentax 645. Setzt sie Zeichen für die Zukunft der Mittelformatfotografie?

Nicht jede Liebe auf den ersten Blick hält, was man sich von ihr versprochen hat. Nach den ersten Berichten über die neue Pentax 645 empfand ich bereits jenes verräterische Prickeln, das einen Schnupfen oder eine Liebe ankündigt. Nach weiteren Informationen steigerte sich das Prickeln zu Verlangen, ich verliebte mich in diese "freundliche Vision" (Richard Strauss: "Nicht im Schlafe hab' ich das geträumt...").

Schwärmerei im Mittelformat

Als Herbert Kaspar nach Hamburg fuhr, um mit der Pentax 645 intim zu werden, habe ich ihn beneidet. Heute beneidet er mich, denn inzwischen gehört diese neue Mittelformatkamera mir, sogar mit ein paar Objektiven, und was Herbert Kaspar in COLOR FOTO 9/84 über die Pentax 645 geschrieben hat, klingt noch sehr sachlich... nun ja, er konnte nur ein paar Stunden mit ihr flirten, ich bin mit ihr verheiratet und lebe noch mitten in den Flitterwochen.
Wenn Sie zu jenen ernsthaften Lesern gehören, für die Fotografie harte Arbeit ist und denen eine Kamera nicht mehr bedeutet, als eine Beißzange, lesen Sie bitte nicht weiter: Sie finden auch in diesem Heft anderswo genug ernsthafte Lektüre. Ich aber erlaube mir, von dieser Kamera zu schwärmen und ich weiß, daß sich auch COLOR FOTO-Leser (und es sind nicht wenige!) diese Fähigkeit bewahrt haben. Natürlich gibt es einige Text-Doubletten mit dem Bericht von Herbert Kaspar, aber schließlich handelt es sich ja auch um die gleiche Kamera.
Nimmt man die Pentax 645 zum ersten Mal in die Hand, ist das auch schon der erste Genuß: sie ist klein, leicht und handlich. Sollten Sie das, verglichen mit anderen Mittelformatkameras, etwa nicht so berühmt finden, darf ich Sie daran erinnern, daß Sie eine Motor(!)-Kamera in Händen halten. Finden Sie sie jetzt nicht auch klein, leicht und handlich?
Das sind, wenden Sie jetzt vielleicht ein, nur Äußerlichkeiten. Dann fragen Sie doch mal, woher ein Profi seine Sehnenscheidenentzündung in den Unterarmen hat! Er hat nur einen Tag lang Mode mit einer Mittelformat-Motorkamera im Freien fotografiert. Allerdings noch nicht mit der Pentax 645.

Technik nach dem letzten Schrei

Was mich von Anfang an fasziniert hat, ist die technische Konzeption dieser Kamera, die so sehr an die modernste Technologie auf dem Kleinbild-Sektor erinnert: ich meine die revolutionäre Canon T-70. Keine Hebel, keine Räder, keine Hebelchen und keine Räderchen: Drucktasten und ein Display! Neben einem Hauptschalter müssen Sie allerdings lernen, 7 (sieben!) Tasten richtig zu bedienen. Bedenken Sie dabei aber bitte zweierlei: erstens können Sie kaum eine Aufnahme verschustern, wenn Sie die "falsche" Taste gedrückt haben, weil sich meistens die Werte nur ändern, so daß sie mit 1/250 und Blende 5,6 fotografieren, statt mit der 1/125s und Blende 11. Zweitens hat eine Schreibmaschine rund zwischen 50 und 60 Tasten, und die müssen Sie alle richtig bedienen, nur um einen kurzen Brief zu schreiben! Ich möchte den sehen, der mit den sieben Tasten der Pentax 645 nicht fertig wird.
In der Praxis haben Sie mit dieser Mittelformatkamera den fototechnischen Komfort einer hochgezüchteten KB-Kamera: Blendenautomatik (Sie wählen die Verschlußzeit, die Kamera wählt die dazu passende Blende!), die für schnelle Motive so notwendig ist; Zeitautomatik mit elektronischer oder manueller Blendenwahl, womit Sie den Bereich großer Schärfentiefe (z. B. bei Gruppen- oder Architekturaufnahmen!) steuern; Programmautomatik, bei der eine günstige Zeit/Blendenkombination automatisch gebildet wird, und die Sie einstellen, wenn Sie statt eines Selbstauslösers, den es nicht gibt, eine Person um die Aufnahme bitten, die noch nie fotografiert hat, oder wenn Sie bei 40xGRADx im Schatten und nach neun Whiskies den Tanz der Hulamädchen fotografieren wollen. Die Programmautomatik ist außerdem eine Alibifunktion: Man stellt an Sylvester auf "P", fotografiert so das ganze Jahr, und wird als Könner bewundert, weil stets mindestens 80% aller Aufnahmen "was geworden" sind.
Natürlich können Sie auch manuell arbeiten, also erst messen, dann das Ergebnis einstellen: die Methode der Pessimisten, die Gürtel und (!) Hosenträger benutzen, um sicher zu gehen. Diese werden sich natürlich auch an den sechs nötigen, normalen 1,5-Volt-Batterien stoßen, und noch mehr an der eingebauten Lithium-Batterie, die jede Speicherung auch bei Arbeits-Batteriewechsel erhält. Man muß sie frühestens nach fünf Jahren vom Service auswechseln lassen: welches gigantische Risiko!
Man kann, höre ich besorgte Einwände, den Prismensucher nicht auswechseln und gegen einen Lichtschachtsucher austauschen. Richtig, und alle jene Fotografen tun mir vorerst leid, die sich auf das Portraitieren von Ameisen spezialisiert haben: die müssen warten, bis auch der Winkelsucher lieferbar ist. Die Einstellscheiben kann man natürlich selber wechseln, und darüber hinaus können Sie Ihren Sehfehler am Sucherokular weitgehend korrigieren.

Filmeinsätze ersetzen Magazine

Aber jetzt kommt das Schlimmste: stellen Sie sich vor, diese Pentax 645 hat keine auswechselbaren Magazine, schon gar nicht von Disc bis Großbild 9x12 cm! Aber kein vernünftiger Profi wird doch diese Kamera für ein ideales Studiogerät halten, wo man mit Kassetten, Magazinen und dem Polaroid-Rückteil arbeitet! Pentax nennt sie eine "field"-Kamera, frei übersetzt eine Feld-Wald-und-Wiesenkamera. Also überall dort einzusetzen, wo es leicht und schnell hergehen muß. Wer Sport fotografiert, macht von Niki Lauda in der Kurve nicht erst eine Polaroidaufnahme, und wer Mode auf einer Segelyacht aufnimmt, weiß, mit welchem Film er das tun will und braucht keine Magazine dazu. Was man jedoch braucht, sind die Filmeinsätze, die man  vorgeladen! - in leichten Kunststoffbehältern mit sich führt, und die man schneller wechseln kann, als ein Magazin. Dabei zieht die Kamera den Film anfangs automatisch zum Bild 1 und rollt ihn am Schluß, nach der letzten Aufnahme, entnahmebereit auf. Das alles ist ein überaus schnelles und angenehmes Arbeiten. Aber noch mal zurück zu den Tasten: Links neben dem Sucherokular sind es fünf. Zwei davon könnten Sie vergessen, aber Sie drücken ganz von selber drauf, wenn Ihnen etwas fehlt. Beispielsweise genug Licht auf dem Display, im verdunkelten Raum, am Lagerfeuer usw. Die Taste mit dem roten Ring schaltet das Licht ein. Oder Sie wollen im Sucher sehen, was Ihre Kamera macht: dann drücken Sie die Taste "LED", "Leuchtdioden" wie Sie inzwischen wissen: jetzt haben Sie, was immer Sie auch einstellen, rechts unten in der Sucherbild-Ecke rot leuchtend die Verschlußzeit und die Blende. Und das sogar bei Programmautomatik! Brauchen Sie etwa noch mehr Illumination und Ablenkung im Sucher? Was Sie mit der Taste +EF tun können, bringen Sie wahrscheinlich schon mit etwas Nachdenken heraus. Richtig: Sie korrigieren damit die Belichtung nach plus oder minus um bis zu je drei Werte! Sie sehen das dann im Sucher und im Display, das Ihnen übrigens auch die Anzahl der gemachten Aufnahmen meldet, auch bei Hauptschalter auf "OFF". Höchst verwirrend hingegen dürfte die Taste "ISO" sein, wenn man nicht weiß, daß ISO ein Jux ist und für ASA steht, und dies wiederum die Filmempfindlichkeit international anzeigt. Wir Deutsche bleiben bei DIN, weil wir auch wer sind, aber wie auch immer: auf Tastendruck zeigt Ihnen das Display, welche Empfindlichkeit in ISO/ASA Sie eingestellt haben. Nun sind die beiden kleinen Tasten rechts dran: bei einer zeigt die Marke nach oben, bei der anderen nach unten, und wer nicht weiß, daß er nach "oben" drücken muß, wenn er von 200 ASA auf 400 ASA möchte, hat auch diese Kamera nicht verdient. Bleiben wir kurz beim Geld, das ist wichtig, und hier kann ich mich der Meinung meines Vor-Autors Herbert Kaspar in 9/84 nicht anschließen: er meint, daß der Preis von über 3000 DM manchen Käufer abschrecken wird.
Ich hingegen meine, daß es selbst in der größten Restriktion, geschweige in normalen Zeiten, immer genug Leute gibt, die lediglich vom Produkt ausgehen und bereit sind, auch viel Geld zu bezahlen, wenn es sich lohnt und man für sein Geld einen realen Gegenwert bekommt. Und den hat man mit der Pentax 645 ganz bestimmt.
Immer noch ist eine linke Taste unerklärt: es steht "Mode" darauf und hat weder mit der Taille Ihres Sakkos etwas zu tun, noch mit Umweltschutz. Wer eine moderne Armbanduhr besitzt, kennt das schon: mit "Mode" stellt man die Arbeitsweise um, also etwa von Arbeitsblenden-Automatik auf manuell oder Blitzautomatik, welch letztere es zur Pentax 645 mit eigenen Blitzgeräten und Messung durchs Objektiv (TTL) ebenfalls gibt, genauso wie eine Infrarot-Steuerung und anderes Zubehör, was zu einer kompletten Systemkamera gehört.
Falls Sie zu jener Sorte Mensch gehören, die niemals erst eine Bedienungsanleitung liest, sondern stets erst hinterher nachschaut, warum etwas kaputt ist: Sie können mit dieser Kamera nicht spielen, wenn kein Film drin ist; damit Sie aber spielen können, lassen Sie die Kamera-Abdeckung solange drauf, bis Sie den Filmhalter mit (!) Film eingeschoben haben. Vielleicht sollten Sie noch wissen, daß Sie bei manuell eingestellter Blende über einen Hebel die Schärfentiefe kontrollieren können; daß Sie den Spiegel nicht vorauslösen können, weil das bei dieser Kamera gar nicht nötig ist: ich kenne keinen weicheren Spiegelschlag in diesem Format; daß Sie links noch ein Stativgewinde haben für Aufnahmen im Hochformat; daß Mehrfachbelichtungen möglich sind; und daß Sie den Film auch manuell weiterschalten können; daß der vertikal ablaufende Tuchschlitzverschluß von vollen 15 Sekunden bis zur 1/1000 schafft; daß es ein Zentralverschlußobjektiv gibt, mit dem Sie bis zur 1/500 Sek. blitzen können; daß sich der Trageriemen leicht abnehmen läßt und der Motorgriff ebenso: wozu letzteres, ist mir nicht klar.
Ich bin davon überzeugt, daß sich nach den Flitterwochen eine treue Partnerschaft ergeben wird, und ich meine, daß dieser Hecht im Karpfenteich - von Goeteborg über Braunschweig bis Tokyo - dafür sorgen wird, daß die übrigen Karpfen nicht fett und faul werden.

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