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Artikel

1998

Historie

Voigtländer Perkeo 3x4

Der Zwitter

Horst Uhrig verbindet Kamerageschichte mit zeitgenössischen und autobiographischen Details. Diesmal widmet er sich der Voigtländer Perkeo 3 x 4.

Es war im Spätwinter 1932, seit Weihnachten fotografierte ich mit der Box Tengor 6 x 9, und mein stiller Traum war eine Ikonta 3 x 4 cm. Das 3 x 4-cm-Formatwar sehr im Kommen. Gerade hatten die Dresdner Kamerawerkstätten Guthe und Thorsch die zweiäugige Klapp-Spiegelreflex "Pilot" auf den Markt gebracht. Für die Pilot warb die damals bekannte Fliegerin Elly Beinhorn. Sie saß mit der Pilot in der Hand auf ihrer Sportmaschine. Ob sie damit fotografierte, weiß ich nicht.
Ich hatte mir um diese Zeit als 13jähriger Quartaner eine stattliche Fotokatalog-Sammlung zugelegt. Sie waren meine Lieblingslektüre, wenn ich mit Schularbeiten fertig war. Ich erinnere mich an einen Voigtländer-Prospekt, in dem man vom Kleinbild noch nichts wissen wollte. Das kleinste Format, das man anzubieten hatte, war das ausgefallene Rollfilmformat 5 x 7 cm. Für dieses heute nicht mehr gebräuchliche Format wurde eine handliche flache Klappkamera "für die Damenhandtasche" angepriesen.

Erste Begegnung mit der Perkeo

An meinem 14. Geburtstag bekam ich einen Patent-Selbstauslöser geschenkt. Anstelle eines Uhrwerks rutschte ein Gummimantel langsam an einem Metallstab entlang. Aber das Ding funktionierte nicht so recht. Deshalb ging ich zu Foto Steinle in Bonn, um zu reklamieren. Herr Steinle nahm mich mit in seine kleine Werkstatt hinter dem Laden und bastelte an dem Selbstauslöser. Auf dem Regal über der Arbeitsplatte aber stand eine neue Kleinbildkamera, die er gerade ausprobieren wollte. Es war eine Voigt mit der Perkeo 3 x 4 cm. Nun hatte Voigtländer doch dem Trend zum Kleinbild nachgegeben, war aber bestrebt, die Mängel des kleinen Bildformats durch technische und feinmechanische Qualität auszugleichen, sozusagen ein Zwitter.
Während viele Hersteller ihre 3 x 4 Kameras mit dreilinsigen Schneider Radionaren oder Rodenstock Trinaren 1 :2,9 f = 5 cm ausstatteten, bot Voigtländer seine Perkeo nur mit vierlinsigem Skopar 1 :3,5 an und später sogar mit dem damals berühmten "Heliar", dem Fünflinser mit der "duftigen Schärfe". Anstelle der sonst üblichen 5cm Brennweite, waren die Perkeo-Objektive mit 5,5 cm Brennweite ausgestattet. Wahrscheinlich wollte man damit erreichen, daß nur ein Teil des Bildkreises der Objektive genutzt wurde, so daß auch die kleinsten Randfehler wie Schärfeverlust in den Bildecken oder Lichtabfall zum Bildrand peinlich vermieden wurden.
Und während die einfachen 3 x 4 Kameras eine Frontlinsen-Entfernungseinstellung hatten, wurde bei der Perkeo über einen komplizierten Mechanismus die gesamte Linsengruppe verstellt, einstellbar über einen Rändelknopf am Kameragehäuse.

Die Gewissensfrage: Voigtländer Perkeo oder Balda Rigona

80 RM waren allerdings ein Preis, der von meinen Eltern auf dem Weihnachtswunschzettel nicht akzeptiert werden würde. Ich war sehr froh, als ich zu Weihnachten 1932 eine Ikonta 3 x 4 mit Novar 1:4.5 f = 5 cm und Telma-Verschluß zu 46 RM bekam. Als unser Turnlehrer an die besten Turner einige Exemplare der Voigtländer Hauszeitschrift "Der Satrap" austeilte, gefiel mir diese Zeitschrift so gut, daß ich von da an statt der Agfa Photoblätter und der Zeiss Ikon Photo Technik zu je 20 Pfennig mir lieber den "Satrap", was soviel wie "persischer Statthalter" bedeutet, jeden Monat zu 25 Pfennig kaufte.
So um 1935, als ich eifrig mit der Ikonta fotografierte, hatte mich eine Voigtländer "Virtus" 4,5 x 6 zu etwa 96 RM sehr interessiert. Ausstattung etwa wie Perkeo, doch mit Teleskopsucher mit Parallax-Ausgleich. Aber auch eine Virtus lag außerhalb meiner finanziellen Möglichkeiten.
Im Spätwinter 1938 war ich Flak-Rekrut in Mainz. Und ich fotografierte immer noch mit der Ikonta 3 x 4. Als ich eines Tages mit der Ikontatasche über der Schulter ausging, sprach mich der Wachhabende, Unteroffizier Timmermann, auf meine Kamera hin an. Er fotografierte mit einer Balda Rigona 3 x 4 cm, ausgerüstet mit Rodenstock Trinar 1 :2,9 und Prontor-Verschluß von 1 - 1/175 Sek. mit Selbstauslöser zu 46 RM. So viel hatte meine Ikonta 1932 auch gekostet.

21 DIN ermöglichen "Available Light"-Aufnahmen

Ich begann mich für die Rigona zu interessieren, denn mit dem neuen Agfa ISS-Film mit 21 DIN waren mit dieser Kamera "Available Light"-Fotos (dieser Begriff kam allerdings erst in den 50er Jahren auf) möglich. Das war wichtig, denn wenn der Soldat ausgehen durfte, war es meist schon dunkel. Einige Zeit später bot mir Unteroffizier Timmermann seine Rigona zum Kauf an. Aber mein Wehrsold von 50 Pfennig am Tag, also ein Taschengeld von 15 RM im Monat, das von daheim um 5 RM aufgestockt wurde, reichte zu einer solchen Anschaffung nicht aus.
Im Frühjahr 1938 wurde auch unsere Einheit, die Flakstammbatterie Mainz, nach dem Anschluß Österreichs an das damalige Deutsche Reich nach Österreich verlegt, als Kadereinheit für eine schwere Flakabteilung in Wiener Neustadt zum Schutze des großen Flugplatzgeländes zwischen Wiener Neustadt und Bad Fischau. Unsere Einheiten wurden mit österreichischen Soldaten verstärkt. Unter diesen österreichischen Kameraden war ein Maturand (Abiturient) aus der Steiermark, Herbert Holanik. Er kaufte sich bei "Herlango" in Wien eine "Renox" 3 x 4 cm mit Meyer Trioplan 1 :2,9/5 cm mit Prontor Verschluß 1-1/175 s Sek. zu 46 RM, die genau der Balda Rigona 3 x 4 cm entsprach. Frei von fotografischen Kenntnissen kaufte er einen 16 DlN-Film, stellte eine mittlere Blende ein (1:5,6), eine mittlere Verschlußzeit (1/50 Sek.) und eine mittlere Entfernung (3-5 m). Damit gelangen 80 Prozent seiner Schnappschüsse. Seine Erfolge bekräftigten mein Interesse an einer Balda Rigona.

Nach langem Zaudern fiel die Entscheidung

Im August ließ ich mir einen Prospekt von Photo-Porst aus Nürnberg kommen. Schon korrespondierte ich mit Photo-Porst wegen einer Balda Rigona, in Aussicht auf die im Herbst zu erwartende Beförderung zum Gefreiten. Doch die uns ins Haus stehende Sudetenkrise des Spätsommer-Herbst 1938 verzögerte die Geschäfte. Endlich teilte mir Porst mit, daß man keine Rigona 3 x 4 mehr auf Lager habe, bot mir ersatzweise aber eine Ihagee Parvola 3 x 4 und eine Perkeo 3 x 4 mit Zubehör für 63 RM an.
Da entschloß ich mich, zuzugreifen, zumal die Perkeo mit Teleskopsucher ausgestattet war und über ein "Heliar" 1 :3,5 und Compur 00-Verschluß verfügte. Ich verkaufte meine Ikonta für 18 RM einem Kameraden, das war die erforderliche Anzahlung. Den Rest beglich ich in 10 Monatsraten zu 5 RM.
Die ersten Perkeofotos waren für mich sehr enttäuschend. Der Balgen war undicht. Ich schickte die Kamera noch einmal zurück und ließ diesen ärgerlichen Fehler beheben.

Mit der Perkeo durch dick und dünn

Aber dann begann die "Perkeo-Ära", die von Herbst 1938 bis zum Frühjahr 1946 dauerte. Die Perkeo wurde meine "Soldatenkamera", ich habe sie ab Herbst 1939 auch mit ins Feld genommen. Zwar bekam ich im Herbst 1940 noch eine Rolleicord II anstelle einer ein Jahr vorher bestellten Rolleiflex Standard, doch die Rolleicord habe ich nie mit ins Feld genommen. Sie war mir zu schade dazu. Sie blieb "Urlaubskamera" und ruhte bombensicher im Safe einer Bank. Das Schicksal wollte es, daß mir viele Perkeofotos, bzw. deren Negative, von 1938-1946 erhalten bleiben.
Als ich im Herbst die Perkeo 3 x 4 cm erwarb, war sie nur noch als Gelegenheit im Handel. Die 3 x 4 cm-Welle zu Anfang der 30er Jahre war längst abgeklungen. Ein Teil der Anhänger dieses Formats hatte sich inzwischen dem Kleinbild 24 x 36 mm verschrieben, seitdem die Kodak Retina und ihre Konkurrenzmodelle seit 1934 das Kleinbildformat volkstümlich gemacht hatten. Ein anderer Teil hatte sich dem 1932 erstmals von Zeiss Ikon als Rollfilmformat kreierten Format 4,5 x 6 cm zugewandt. Kameras dieses Formats waren kaum größer und schwerer als 3 x 4 Kameras. Etwa zur gleichen Zeit, als ich die Perkeo erwarb, kam die Balda Jubilette 24 x 36 mm mit Radionar 1 :2,9 und Compur 00-Verschluß zu 50 RM auf den Markt. Da man sich damals jedoch aus Sparsamkeitsgründen auf Kontaktabzüge fürs Fotoalbum beschränkte, blieb ich dem veralteten 3 x 4-Format treu. Bei der Truppe hatte ich keine Möglichkeit, Vergrößerungen vom 24 x 36 mm-Format selber preiswert anzufertigen. Und für Farbfilm' der in 35 mm schon lieferbar war' reichten die Mittel schon gar nicht. Das waren Überlegungen in einer Zeit, in der man den Pfennig dreimal umdrehte, bevor man ihn ausgab.

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