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Artikel

1998

Kameras

Rolleiflex 3003

Neuinszenierung

Seit der Erfindung der Kleinbildfotografie werden Kleinbildkameras nach dem Vorbild der Ur-Leica gebaut. Nur Rollei kam vor Jahren auf eine neue Idee...

Seit der badische Forstmeister Karl Freiherr von Drais im Jahre 1817 das Fahrrad erfunden hat, änderte sich nicht viel daran: es bekam zwar eine Tretkurbel, wurde aus Metall gebaut und leichter, es wurde schneller und bekam Gangschaltungen. Eins aber ist geblieben: es hat zwei Räder, eins vorn, eins hinten, und keinem Erfinder ist es je gelungen, beide Räder nebeneinander anzuordnen; das wäre eine echte Neuheit gewesen. Und seit Oscar Barnack in Wetzlar ein Stück Kinofilm in einem kleinen, flachen Gehäuse belichtete, änderte sich nicht viel an der Kleinbildkamera: ein längliches Gehäuse, Filmpatrone auf einer Seite, Aufwickelspule auf der anderen, der Film läuft an einem Fenster vorbei und wird durch ein Objektiv belichtet. Details haben sich geändert: Selbstauslöser wurden eingebaut, Schnellschalthebel erfunden, ein Spiegel und eine Mattscheibe kamen hinein, Objektive konnten ausgewechselt werden, man konnte die Belichtung durch das Objektiv messen und schließlich buddelte man auch noch ganze Programme hinein, aber immer war es die gleiche Kamera: länglich, flach, und der Film lief von einem Ende zum anderen. Letzter Komfort: er tat dies mittels Motor, den man, winzig klein, auch noch in dem unterbringen mußte, was für zwei Generationen schlichtweg "Kleinbildkamera" hieß.

Der untypische Würfel

Dabei gab es ebenso weltweit längst Kameras für Rollfilm, die einem Kubus glichen. Und so war eine säuberliche Trennung in den Konstruktionsbüros und in den Köpfen der Fotografen entstanden: Kleinbild ist flach, Mittelformat ein Würfel. Bis sich jemand bei Rollei in Braunschweig fragte: warum eigentlich? Die haben doch in ihren Flachmännern weder Platz für einen starken und vernünftigen Motor - drum schrauben sie ihn ja meistens irgendwo draußen an! - noch sind sie in der Lage, zuverlässige Magazine anzubringen, damit auch der Kleinbildfotograf mal angefangene Filme wechseln kann wie sein Kollege vom Mittelformat. Und so entstand ein Kubus für KB-Film, mit eingebautem Motor und Wechselmagazinen, zusätzlich mit einigem Komfort, und das Ganze wurde vor Jahren als Rollei SL 2000 F der Öffentlichkeit vorgestellt. Diese reagierte zunächst genauso, wie Öffentlichkeit immer reagiert: neugierig zwar, aber voller Mißtrauen. Und da sich Mißtrauen mindestens achtzigmal so rasch fortpflanzt wie Vertrauen, und weil eine schlechte Erfahrung tausend Menschen begeistert, während von einer guten Erfahrung nur drei Kenntnis nehmen, hatte es Rollei mit der SL 2000 F besonders schwer. Kam noch hinzu, daß man sich - ebenso töricht wie überflüssig - den Fotohändler vergrätzte, so daß dieser die Rolleis madig machte und lieber dreimal einen Standardladenhüter verkaufte als eine SL 2000 F. Und tatsächlich hatte sie anfangs ein paar Kinderkrankheiten; aber welche Eltern schmeißen ihr Kind weg, wenn es Mumps hat?
Immerhin hat man in Braunschweig an der SL 2000 F einiges getan, und die neue Rolleiflex 3003 ist einfacher, handlicher und im praktischen Gebrauch weit mehr in die Hand gebaut. Sie ist eine mit Erkenntnissen aus der Praxis angereicherte Neuinszenierung der SL 2000 E Vielleicht hätte es genügt, sie nur SL 2001 Fa zu nennen; aber ich bin - nachdem ich mit beiden Kameras fotografiert habe - mit dem totalen "Rollei 3003" einverstanden.
Was sich am augen- und händefälligsten geändert hat, ist das Griffsystem. Wer will, kann natürlich immer noch den Pistolengriff anschrauben, die Kamera wie eine Schmalfilmkamera halten und so die 1/4 Sekunde verwacklungsfrei belichten. Aber so war diese Kamera unerhört sperrig und bestimmt nicht jedermanns Geschmack.
Ganz anders ist das bei der Rollei 3003: hier ist ein Handstück mit verstellbarer Lederschlaufe seitlich oben so angebracht, daß Sie sozusagen "in die Kamera schlüpfen", die Ihnen dann paßt, wie ein alter Handschuh, und Sie halten allerdings nur als Rechtshänder! - die Kamera mit einer Hand völlig ruhig und sicher. Zum Glück hat man nicht kurz vor 12 Uhr zu Denken aufgehört, sondern der 3003 noch zusätzlich einen weiteren Auslöser oben auf der Kamera mitgegeben. Er liegt - wenn sie gar nichts dazutun - genau unter Ihrem rechten Zeige- und Auslösefinger. Das Einstellrad daneben, mit dem Sie Verschlußzeiten von vollen 16 Sekunden bis zur 1/1000 und darüber hinaus auch die Zeitautomatik (auf "A") einstellen, ist griffiger geworden und somit auch fingerfreundlicher. Einige andere Hebel und Schalter hat man ebenfalls aus ihrer bisherigen Verspieltheit erlöst und Knüppel draus gemacht, die man auch nachts oder mit Handschuhen bedienen kann. Die Energiekontrolle liegt nun außen und signalisiert deutlicher den Zustand der Batterien, bzw. der Akkus, zu denen das praktische Dauer-Ladegerät mit Schutz vor Überladung geblieben ist.

Riesenvorteil: Spotmessung

Vor allem jedoch wurde der Hauptschalter am Magazin geändert, so daß er jetzt griffiger und deutlicher ist, wodurch Fehler - auch im Eifer des Schnappschuß-Gefechts! vermieden werden. Die Stellung für Mehrfachbelichtungen - die in beliebiger Menge ein wahres Vergnügen sind - ist rot ausgelegt, so daß man jetzt nicht mehr - wie bisher- überlegen muß, ob auf Einzel- oder Mehrfachbelichtung eingestellt ist. Die - immer noch auswechselbare - Einstellscheibe ist deutlich heller geworden, was dringend nötig war, und der rechteckige Meßfleck in der Mattscheibe zeigt den Bereich der selektiven Belichtungsmessung an. Selektive (oder Spot-)Messung ist für den Fotografen eine der wichtigsten Eigenschaften, die eine Kamera haben sollte, ganz besonders wenn zugleich Automatiken zur Verfügung stehen. Bekanntlich ist es hauptsächlich bei nachträglich unkorrigierbaren Dias - nötig, sich beim Belichten etwas zu denken, nämlich wo im Motiv die Belichtung "richtig" sein muß, wo sie also bild- oder motivwichtig ist. Bei integraler Messung kann man das - als erfahrener Fotograf! - schätzen und gibt dann zu oder reduziert. Man kann sich dazu auch einen Spotbelichtungsmesser (800 DM bis 1000 DM) kaufen, das Motiv an- und ausmessen, und die Werte dann auf die Kamera übertragen; ein Verfahren, dem einige Profis noch heute huldigen, weil sie es nicht besser wissen. Und schließlich kann man bei einigen hochmodernen Kameras - bei der Leica und der Rollei schon lange - selektiv und gezielt durch den Sucher die Stelle anmessen, die für gerade diese Aufnahme bildwichtig ist.
So erweckt die neue Rollei 3003 einen überaus guten Eindruck, und wer nicht glaubt, eine KB-Kamera müsse für alle Zeiten der Ur-Leica nachempfunden sein, und wer lieber einen integrierten Motor mag, statt ihn dranzuschrauben, und wer schließlich - vor allem auf Reisen mit Filmen verschiedener Empfindlichkeit und daher mit vorgeladenen Wechselmagazinen fotografieren möchte, sollte sich ernsthaft mit dieser Kamera anfreunden, einmal ganz abgesehen davon, daß er dazu auf Wunsch Spitzenobjektive von Zeiss bekommt.
Nur eins sollte man in Braunschweig auch bei dieser erheblich verbesserten Rollei 3003 endlich tun: diesen geschmacklosen und das ganze Kamerabild zerstörenden roten Drücker zum Objektivwechsel endlich gegen einen normal-schwarzen austauschen. Selbst wenn ein Neuling aus Versehen mal auf den rechten Knopf drückt, der die Blende schließt: passieren kann dabei ja wirklich nichts!

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