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Artikel
1998
Historie
Skurrile Kameras der letzten hundert Jahre
Nicht gesellschaftsfähig
Von einer Kamera erwartet man seit jeher ein bestimmtes Äußeres: In der Regel schwarz, verchromt oder früher Holzfarben, ein Kasten mit einem deutlich exponierten Objektiv vorne dran. Es gab jedoch immer wieder Konstruktionen, die sich solch angepaßtem Wohlverhalten widersetzten. Meist spielt dabei Hinterlist eine Rolle: Sie wollen unerkannt bleiben in der Hand ihres Benutzers, der gleichwohl "Böses" im Schilde führt.
Als die Fotografie den Kinderschuhen entwachsen war und sie durch Einführung des trockenen Gelatine-Bromsilberverfahrens quasi mündig wurde, ersannen findige Kamerakonstrukteure neue Anwendungsbereiche für das noch junge Medium.
Die vorher dominierende nasse Kollodium-Verarbeitung hatte ausgedient, das beschwerliche Hantieren mit Entwicklungsmaterialien sofort nach der Aufnahme fiel weg. Da die Menschheit schon seit den Tagen von Adam und Eva einen Hang zur Neugier und Indiskretion nicht hat verleugnen können, waren es gut getarnte Geheimkameras, die die Phantasie der Fotografen beflügelten und es ihm erlaubten, unauffällig Bilder von Zeitgenossen oder wichtigen Ereignissen zu machen. Der englische Schriftsteller Arthur Conan Doyle schrieb um die Jahrhundertwende sein berühmtestes Werk das später als Vorlage für diverse Verfilmungen diente: "Die Abenteuer des Sherlock Holmes". Seine beiden Hauptfiguren kennt auch heute noch jedes Kind. Und damals verkörperten sie eine gewisse geistige Grundhaltung. Detektivspielen war ein Traum der Masse, Kriminalromane las die Gesellschaft gerne und Geheimkameras erlebten einen regelrechten Boom.
Uhrenkameras- Die Zeit war Nebensache
Den Anfang machten 1885 die technisch versierten Briten. Die Birminghamer Feinmechanikerschmiede Lancaster and Son präsentierte im Jahre 1885 die Patent Watch Kamera. Äußerlich von einer gewöhnlichen Taschenuhr nicht zu unterscheiden, beherrschte sie bereits die Regeln der perfekten Tarnung. Aufgeklappt entfaltete sie eine Art Teleskop, an dessen Ende das Objektiv fixiert war. Die Berliner Polizei erkannte spontan den Wert des Geräts für ihre Arbeit und orderte prompt ein paar Dutzend. Als Aufnahmematerial dienten fotografische Platten im Miniformat 50 x 38 mm.
Doch mit der Lancaster war die Karriere des als Uhr getarnten Fotoapparates keineswegs beendet. Im Gegenteil - es kam zu einer wahren Explosion von ähnlich gearteten Geheimwerkzeugen. Eine New Yorker Firma mit dem bezeichnenden Namen Magie Introduction and Company ersann die Photorat. Das magische Ding war für sechs Aufnahmen im Format 12 x 12 mm gedacht und wurde als komplettes Set in Holzschachtel mit Plattenkassette feilgeboten.
Die amerikanische Expo-Watch galt wegen ihrer Handlichkeit seinerzeit als beliebteste Uhrenkamera. Der Auftritt in einem frühen Stummfilm krönte ihr Dasein. Was Erfolg hat, wird gerne kopiert. Diesem Grundsatz folgten die Briten, nahmen die Expo zum Vorbild und schufen die "Ticka" um das Jahr 1906. Das Objektiv verbarg sich sinnigerweise in der Aufzugskrone. Eine Art Wärmflaschenverschluß an einer Kette übernahm die Rolle des Objektivdeckels.
Dieser im wahrsten Sinne des Wortes gesichtslosen Apparatur folgte zwei Jahre später die Watch Face Ticka mit Email-Zifferblatt. Wohl eher für neureiche Angeber und Parvenus gedacht war die Luxusversion Solid Silver Ticka aus 925er Sterling Silber. Allen Tickas gemein war der aufsteckbare optische Sucher. Im Laufe der Jahrzehnte kamen die Taschenuhren aus der Mode. Die Armbanduhr, seinerzeit von Louis Gartier für den brasilianischen Kaufmann Santos Dumont geschaffen, eroberte den Erdball und zwang die Geheimkameraproduzenten zur Anpassung. Der Tutzinger Dr. Steineck schuf erst 1951 eine Armbanduhrkamera. Die Steineck A-B-C besaß ein laut Hersteller scharf zeichnendes Steinheil Objektiv 1:2,5/12 mm. Auslösen, Verschlußaufzug und Filmtransport geschahen in einem Arbeitsgang. Konstante Verschlußzeit war die 125stel.
Eine echte Kamera ohne Mirnikry wollte die Schweizer Tessina aus den Siebzigern sein. Die Verwendung von Kleinbildfilm unterstrich ihre Ernsthaftigkeit. Das Armband diente lediglich dazu, sie überall dabeizuhaben.
Das Fotografierverbot in Gerichtssälen reizte bereits im vorigen Jahrhundert Fotografen zur Übertretung. Ermöglicht wurde es ihnen damals durch die Buchkamera des Dr. Rudolf Krügener. Sie erschien 1888 und wurde von der Frankfurter Firma Haake und Albers hergestellt. Für problemlose Serienaufnahmen sorgte der Vorrat von 24 Platten der Größe 4 x 4 cm im Federdruck-Magazin. Als fortschrittliche Weiterentwicklung erschien 1889 die Goerz "Reporter" Buchkamera für Rollfilm.
Die Konstrukteure von Geheimkameras machten sich schon früh die damals noch aufwendige und bisweilen voluminöse Kleidung
als ideales Versteck für ihre Aufnahmegeräte zunutze. Das Repertoire reichte sozusagen von Kopf bis Fuß. Von Aufnahmeeinrichtungen in den Ende des letzten Jahrhunderts noch gerne getragenen Chapeau claques und Bowlern über Westenkameras, die durch ein Knopfloch lugten, bis hin zur Gürtelkamera war alles geboten. Sogar aus dem Absatz des Boulevard-Treters äugte eine Linse. Die verbreitetste Gattung ist wohl die der Knopfloch- oder Westenkameras für fotografische
Platten. Als potentielle Klientel für die Westenkamera, deren berühmteste Version von Carl P. Stirn aus Brooklyn stammt, kamen insbesondere Detektive, Kriminelle, Militärs und Journalisten in Frage. Lediglich korpulente Anwender dürften Probleme mit dem Bildwinkel gehabt haben.
Nach dem Motto, das Auffälligste erregt am wenigsten Aufsehen, bildete sich besonders in Frankreich die Gattung der Fernglaskameras der sogenannten "Jumeles" heraus. Da der Benutzer das Ding ohnehin auf sein Objekt richten mußte, fiel das Foto als Nebenprodukt ohne jegliche Tarnbemühungen ab. Die bekannteste deutsche Schöpfung auf diesem Gebiet war das Goerz Photo Stereo Binocle für Einfach- und Stereoaufnahmen 45 x 50 mm im Format. Für guten Durchblick und brauchbare Abbildungsqualität sorgen zwei Doppel-Anastigmate aus dem gleichen Hause der Spezifikation 1:11/75 mm. Zwei Verschlußzeiten ]/20 und i/60 Sekunde versuchten die Belichtung zu manipulieren. Etwa um 1900 tauchte das Goerz-Binokular erstmals auf, das durch Vorklappen eines weiteren Linsenpaares vom Opernglas zum Fernglas mit dreieinhalbfacher Vergrößerung mutierte. Ein entfernter Ableger der "Jumellen" ist die Argus der zwanziger Jahre, die ab 1924 Ergo genannt wurde. Ein Winkelsucher ermöglichte es, mit ihr um die Ecke zu fotografieren. Im Moment des Auslösens öffnete sich seitlich eine Klappe und gab das Zeiss-Objektiv frei. Sie verwendete Rollfilm und wurde von der Firma Contessa Nettel bis in die dreißiger Jahre hinein gebaut. Dank der Japaner überlebte die Spezies der Fernglaskameras bis etwa 1974. Als "Nicnon" oder Ricoh Teieca waren sie jedoch auf Kleinbildfilm ausgelegt.
Gegenüber den vorher betrachteten zivilen Geheimkamera-Ausführungen weist die Revolverkamera eher militante Züge auf. Fast analog zum Lieblingskind von Samuel Colt funktionierte der Photo Revolver des Franzosen Enjalbert. Nebenbei gesagt, sah er auch exakt so aus. Reserveaufnahmeplatten im Format 2 x 2 cm steckten im Magazin der Waffe. Obwohl die Revolverkameras eher Aufsehen erregten statt vermieden und ihnen sicher ohne bösartig zu sein eine gewisse Scherzartikelfunktion unterstellt werden kann, waren Reporter der New Yorker Daily News damit ausgerüstet. Ernstzunehmender wirkte da schon der Photo Revolver von Krauss-Paris, sowohl als Platten- als auch als Rollfilmkamera zu verwenden. Immerhin nahm das Plattenmagazin 48 Stück auf, mit Rollfilm waren 25, 50 und 100 Aufnahmen möglich. Das Negativformat betrug 20 x30 mm. Den höheren Anspruch unterstreicht das eingebaute Adlerauge. Aber damit nicht genug des Aufwandes. Ein Postkarten-Vergrößerungsapparat gehörte zum Lieferumfang.
Ein Spazierstock gehörte früher wie Anzug und Hut zum Outfit des feinen Mannes. Daß er darüber hinaus noch ohne Anstrengung seiner Fotografierleidenschaft frönen konnte, dafür sorgte "Ben Akiba". Der orientalische Name stand für die Spazierstockkamera, die von Lehmann, Berlin, ab 1903 hergestellt wurde. Sie bildete auf Rollfilm ab, vier Ersatzfilme hatten im verzierten Griff Platz, in dem auch die gesamte Fotografiermechanik untergebracht war.
Die Mode wandelt sich bekanntlich und die echten "Miniaturkameras", die wie stark verkleinerte Kopien einer "Großen" aussahen, kamen zu einer Zeit auf, als Hut, Taschenuhr und Spazierstock bereits ihren langsamen Tod starben. Als erste der tatsächlichen Miniaturkameras erschien 1936 in England die Coronet Midget. Sie belichtete im Format 13 x 18 mm, das etwa einem heutigen Pocketbild entspricht, auf dem von der Filmkamera entliehenen perforierten 16-mm-Film. Der technische Aufhau galt als recht primitiv, allerdings - welch moderner Marketinggag - konnte
der Käufer sie in den Farben schwarz, braun, grün und rosa wählen. In den fünfzigerjahren erlebten die Miniaturen vor allem im
miniphilen Japan einen regelrechten Boom. Die Mycro Kamera Company stellte 1951 die Mycro IIIa vor. Eine drollige Kleinstkamera, für die es sogar Zubehör wie Filter und einen Spezial-Verprößerer gab, der aus den 14 x 14-mmNegativen Vergrößerungen zauberte. Auch die Steky war so eine Miniatur-Systemkamera, für die es sogar ein Teleobjektiv gab.
Alltags-Accessetres- Beliebte Verstecke
Das Bemerkenswerte an der Tuximat, von dem Frankfurter Hersteller Walter Kunik entwickelt, war ihr Einbau-Selen-Betichtungsmesser. Nicht zuletzt dieser trug zu der frappierenden Ähnlichkeit mit den großen Vorbildern bei. Anno 1959 sah eine Voigtländer Bessamatic nicht anders aus, nur war sie einige Zentimeter größer. Der perforierte 16-mm-Film paßte knapp in das Tuximat-Kameragehäuse.
Kameras in Accessoires - gleich welcher Art - zu verstecken war seit den Zeiten des Buch-Apparates nichts Neues. Doch im Laufe der Jahrzehnte verfeinerten die Konstrukteure ihre Spielzeuge. Die berühmte Spionin Mata Hari betörte ihre zahlreichen Liebhaber mit den Waffen einer Frau, benutzte die Zärtlichkeiten jedoch als Ablenkungsmanöver, um mit ihrer Puderdosenkamera Geheimes abzulichten. Das geschah schon in den zwanziger Jahren. Ähnlich unauffällig schabe es
dreißig Jahre später Gregory Peck in dem Film "Ein Herz und eine Krone" mit Hilfe der Feuerzeugkamera Echo 8 Aufnahmen von seiner angebeteten Audrey Hepburn zu machen. In der japanischen Konstruktion steckte ein 8-mmSchmalfilm. Den größten Teil des Gehäuses nahm der Benzintank für das Sturmfeuerzeug ein.
Das verräterische Verschlußgeräusch übertönte bei der Kamera (das Wort bedeutet eine Kontraktion von Kamera und Radio) der sicherlich blechern klingende Lautsprecher. Die japanische Firma Kowa - nachher baute sie recht ernsthaft Mittelformat- und Kleinbildkameras - brachte dieses Unikum 1960 auf den Markt. Fast zwanzig Jahre später gab es ein Remake dieses Gags von National. Diesmal allerdings brachte man einer Pocketkassette die Flötentöne bei.
Die sechziger Jahre mit der in der bildenden Kunst dominierenden Pop-Art von Roy Liechtenstein bis Andy Warhol blieb auch auf das Kameradesign nicht ohne Einfluß. Die Micky Maus mit in der Nase eingebautem Fix-Fokusobjektiv ist ein gutes Beispiel für Fotokitsch aus dieser Zeit. Auf . 126er-Kassette brachte die possierliche Maus mit dem Namen Mic-A-Matic tatsächlich brauchbare Bilder zustande.
Den meisten Kameras aus diesem Kabinett der Kuriositäten blieb nur ein kurzes Leben vergönnt. Trotz des häufig ins Feld geführten Anspruchs der Geheimkamera waren sie in der Bedienung umständlich, ihre Bildergebnisse konnten ernsthafte Amateure häufig nicht zufriedenstellen. So sind sie mehr Spielzeug denn ernstzunehmende Kamera trotz des bisweilen beachtlichen technischen Aufwands. Keiner nahm sie so recht ernst, um gesellschaftliche Anerkennung rangen sie vergebens. Die heimsten andere (Leica, Ermanox, Contax) ein, die wegen ihrer lichtstarken Objektive und ihrer Aufnahmequalität den eigentlichen Geheimkameras überlegen waren, ohne unhandlich zu sein. Walter Zapp, der Erfinder aus Riga, löste das Geheimkameraproblem noch für heutige Zeiten in allgemein gültigerWeise, indem er die Minox schuf. Auch sie hat sich ihre gesellschaftliche Anerkennung erst durch zahlreiche Verbesserungen verdienen müssen. Aber ganz so nüchtern darf man die "Outlaws" nicht sehen. Vielen Sammlerherzen geht ob ihrer das Herz auf und die Fotografie wäre ohne sie ein ganzes Stück ärmer. Und obwohl sie oft milde belächelt wurden, hin und wieder reichte es dann doch zum Filmruhm.
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