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Artikel

1998

Marktübersicht

Spiegelreflex-Mittelformatkameras

Mehr Format heißt die Devise

Format haben, das heißt entweder die Spielregeln gehobener Umgangsformen zu beherrschen oder sich mit einer Mittelformatkamera, lässig über die Schulter gehängt, vom Millionenheer der Kleinbildfotografen abzuheben. Color Foto zeigt in einer großen Marktübersicht zwanzig verschiedene Möglichkeiten auf, mehr Format zu beweisen und dabei den Durchblick im Spiegelreflexsucher zu behalten.

Die Branche stöhnt, denn Spiegelreflex-Kleinbildkameras lassen sich nur noch zögernd absetzen. Zweistellige Minusraten drücken auf die Erträge. Einzig Mittelformatkameras des Spiegelreflex-Genres erfreuen sich fast ungebrochener Beliebtheit, können sich hie und da sogar milder Steigerungsraten erfreuen.
Das liegt zum einen am gesteigerten Qualitätsbewußtsein vieler engagierter Hobbyfotografen, die vor allem in der Projektion höher hinaus wollen, als es die 864 Kleinbild-Quadratmillimeter zulassen. Zum anderen daran, daß der Preissprung von einer Luxus-Kleinbildkamera a la Contax RTS, Leica R4 oder Nikon F3 zur Mittelformat-Grundausstattung nicht mehr so unüberwindbar groß erscheint.
Andererseits verleiden viele Vorurteile potentiellen Aufsteigern die Lust an der Rollfilmkamera. Die Apparate, so heißt es oft, seien unhandlich und schwer. Bei der Objektivpalette und dem Filmangebot müsse man Abstriche gegenüber dem nahezu universellen Kleinbildprogramm machen. Neue Emulsionen kämen überdies erst später als Rollfilm. Außerdem brauche man einen kostspieligen Projektor und der finanzielle Aufwand für Filmmaterial und Bildverarbeitung erreiche ein höheres Niveau.

Mittelformat: Herausforderung für Könner

Sicherlich trifft dies alles zu, wenn man sich nicht die Mühe gibt, es differenziert zu sehen. Denn das "komplizierte Handling" von Mittelformatkameras fordert Könner geradezu heraus. Dazu gehört - wenn sich der fotografierende Emporkömmling nicht gleich ein TTL-Prisma leisten will - auch der Umgang mit einem Handbelichtungsmesser.
Auch der Lichtschachtsucher hat seine Tücken. Zwar helfen häufig ein Fadenkreuz oder ein Gitternetz sich in der Vertikalen und Horizontalen zu orientieren, doch verkantet der Anfänger oft allzuleicht und produziert oft schiefe Horizonte.
Dem 6x6-Aspiranten stehen bei einem 120er-Rolltilm nur 12 Bilder zur Verfügung. Das scheint auf den ersten Blick wenig, zwingt jedoch zur Beschränkung auf das Wesentliche. Im Zusammenhang mit der gestalterischen Komponente des Schachtsuchers wird der Fotograf zur kritischen Bildbetrachtung erzogen. Das abgegriffene Wortspiel "Qualität statt Quantität" drängt sich hier wieder auf. Dies nur zur Entkräftigung das Arguments "höhere Bildkosten". Fast alle in der Marktübersicht aufgeführten Kameras lassen sich auf 220erRollfilm einrichten. Er ist je nach Format für die doppelte Bildzahl gut. Es gibt ihn leider selten im Handel, obwohl gerade motorisierte Mittelformatler häufig nach ihm verlangen dürften.
Natürlich kommen Kleinbildkameras aufgrund ihrer erheblich höheren Stückzahlen, die eine schnelle Amortisation erhoffen lassen, eher in den Genuß technischer Neuerungen, Modellwechsel passieren folglich wesentlich häufiger.
So nimmt es nicht wunder, wenn einige Mittelformatkonstruktionen den Markt bereits seit Jahren unverändert begleiten. Die Zweiäugigen von Mamiya und Yashica sind solche Methusalems, sture Verfechter einer einst von Rollei begonnenen Tradition. Die Mamiyas bieten sogar Wechselobjektive bei den Modellen C 220 f und 330 S. Erfinder Rollei zog sich erst kürzlich mit einer limitierten Exklusivauflage von dieser Bühne zurück.
Schließlich hatte man in Braunschweig den Slogan "Fortschritt der Fotografie" Rechnung zu tragen. Dies geschah bereits 1966, als die Rollei SL 66 erschien. Als echte Sensation gefeiert, verfügt sie über ein eingebautes Balgengerät, mit dem sich Makrofotos ohne Zubehör machen lassen. Der zweite Paukenschlag folgte 1973, als der damalige Firmenchef Heinrich Peesel die SLX vorstellte. Sie erregte Aufsehen durch Features wie Blendenautomatik, wurde von neuartigen Linearmotoren im Objektiv gesteuert und hatte einen integrierten motorischen Filmtransport. Sie gelten als Basis für die Weiterentwicklungen SL 66 E (mit integrierter Belichtungsmessung) und 6006. Letztere ist quasi eine SLX mit Wechselmagazin und ein paar anderen Finessen wie beispielsweise Spiegelvorauslösung.
Einzig die Pentax 645 übertrug das heutige "know how" der Kleinbildtechnik konsequent auf das Mittelformat, übernahm dabei jedoch die Kleinbild-Erbsünde des starren Suchers und brachte sich somit um die Möglichkeit des Magazinwechsels.
Dem direkten Konkurrenten Mamiya 645 geht es nicht besser. Aber das soll ab Herbst dieses Jahres anders werden, wenn die lange angekündigte 645 Super auf den Markt kommt. Auch sie bietet als viertes Modell der Reihe das gegenüber 6 x 6 zwar kleinere, aber dynamischere Querformat 4,5 x 6 cm Immerhin ist es noch 2,7mal so groß wie Kleinbild. Das inzwischen wie ein "Phoenix aus der Asche" wiederauferstandene Unternehmen Mamiya strebt nach Konkurs und Sanierung wieder die Vorherrschaft auf dem deutschen Mittelformat-Markt an.
Für viele Studio- und Atelierfotografen immer noch ohne Alternative ist die Mamiya RB 67. Dank ihres praktischen Drehrahmenmagazins lobt sie sich ohne Probleme von Hoch- auf Querformat umstellen. Diese bei Stativbenutzung besonders wertvolle Tugend übernahm auch die modernere RZ 67. Ihre spendierten die Mamiya-Ingenieure einen elektronisch gesteuerten Seiko-Zentral-Verschluß und die neue Z-Objektivserie. Ganz nebenbei kam ein gefälliges schlichtes Design dabei heraus.

Auf dem Weg Rum Multiautomaten

Die Pentax-Idealformat-Kamera kommt mit ihrem etwas barockem Äußeren dagegen schon eindeutig betagter daher. Sie erblickte bereits 1969 das Licht der Welt, jedoch arbeitete ihr Verschluß schon damals elektronisch. Die Kamera eignet sich durch ihre an Kleinbildkameras erinnernde Handhabung für die schnelle Action-Fotografie draußen. Auf Wechselmagazin muß der Akteur leider verzichten. Als kurioses Ausstattungsdetail besitzt sie ein sogenanntes Doppelbajonett. Das Innenbajonett fixiert die Objektive von 35 bis 300 mm Brennweite, ein größer dimensioniertes Außenbajonett gibt den schweren Teleriesen von 400 mm bis 1000 mm halt.
Der Idealformat-Perfektionist - Idealformat heißt das 6 x 7 cm-Bild deshalb, weil es aufgrund seiner Größe, seines Seitenverhältnisses und wegen des rechteckigen Formates als Vorlage im grafischen Gewerbe sehr beliebt ist - kann eine weitere Alternative in der Zenza Bronica GS-1 finden: ein moderner Newcomer in Würfelform mit elektronisch gesteuertem Seiko-Zentralverschluß und einer Fülle von wählbaren Filmformaten. Die GS-1 läßt sich sogar zum Zeitautomaten umrüsten und zwar mittels TTL-Prisma. Leuchtdioden sorgen für die Information über Blende und Verschlußzeit.
Ebenfalls als Multi-Format-Kamera apostrophiert die zur Sony-Gruppe gehörende Firma Zenza Bronica das 6 x 6 cm-Modell SQ-A und ihr Schwestermodell SQ-Am. Nur 6 x 7 cm schafft sie eben nicht. Dafür verwandelt sie ein Prismenaufsatz in eine automatische Kamera, die zur vorgewählten Blende die richtige Zeit findet.
Auch die kleinste Bronica, die ETRS für das Format 4,5 x 6 cm besitzt diese Ausbaufähigkeit genauso wie die Konkurrenz in Gestalt der Mamiya 645. Jene arbeitet allerdings per Schlitzverschluß und verfügt nicht über Wechselmagazine.

Zentral- oder Schlitzverschluß - eine Weltanschauung

Die Frage, ob nun Schlitz- oder Zentralverschluß das bessere sei, schlägt heutzutage keine Wogen mehr, geschweige denn artet sie zum Glaubenskrieg aus. Beide Systeme haben ihre eindeutigen Vorzüge. Viele Hersteller wie beispielsweise Rollei, Hasselblad und Mamiya fahren deshalb in ihrem Modellprogramm zweigleisig.
Der Zentralverschluß steckt im Objektiv, er muß bei der Anschaffung einer neuen Brennweite immer mit dazu erworben werden. Das treibt die Kosten für Wechselobjektive in die Höhe. Dafür kann der Zentralverschluß mit allen Verschlußzeiten blitzsynchronisiert werden, ein unbezahlbarer Vorteil bei Studioaufnahmen mit Mischlicht und beim Aufhellblitzen im Freien. Deshalb bieten die Kamerahersteller auch zu ihren Schlitzverschlußmodellen mindestens ein Zentralverschlußobjektiv meist mittlerer Brennweite an, um die langen Synchronzeiten des Schlitzverschlusses geschickt zu umgehen.
Die höhere Dynamik dagegen zeichnet den Schlitzverschluß aus. Als Bestandteil der Kamera lobt er überdies den Objektivkonstrukteuren freie Hand. Ergebnis dieser schöpferischen Freiheit sind durchweg lichtstärkere Objektive, die sich überdies auf kürzere Entfernung scharfstellen lassen. Mit anderen, fachmännischen Worten: Sie erlauben einen längeren Auszug. Beispiel: Die F-Objektivserie zur Hasselblad 2000 FC/M. Die Schweden halten bei dieser Kamera mit 1/2000 Sekunde den Verschlußzeiten-Rekord und schmücken sich überdies mit dem Superlativ, das umfangreichste Mittelformat-Programm des gesamten Marktes feilzubieten.

Belichtungsmesser selten eingebaut

Mit der Belichtungsmessung ist das bei Mittelformat-Kameras auch so eine Sache. Entweder man entscheidet sich für ein TTL-Prisma und gibt die bequeme Fotografierhaltung in Brusthöhe Auf, um das in der Regel schwere Geschütz an den Kopf zu pressen. Oder der Fotograf arbeitet mit Handbelichtungsmesser. Hierbei muß der gemessene Belichtungswert allerdings zusätzlich auf die Kamera übertragen werden. Rollei- (außer SL66) und Pentax 645-Benutzer haben es da schon leichter. Bei ihnen steckt der Belichtungsmesser schon von vornherein im Gehäuse.
Die Objektivpalette der Mittelformatkameras kann naturgemäß im Umfang und bei der Lichtstärke nicht mit 35-mm-Systemen Schritt halten. Hier gilt noch das Motto Festbrennweiten sind Trumpf. Der renommierte deutsche Objektivhersteller Schneider-Kreuznach liefert allerdings Telezooms für diverse Hersteller: Exakta 66 - sie gibt es erst Ende des Jahres, Hasselblad, Rollei (SLX) und Zenza Bronica (ETR-S, SQ-A). Pentax hat auch ein Zoom 80-160 mm zur 645 im Programm.
Man muß schon ein engagierter Hobbyfotograf sein, um die Vorzüge des Mittelformats konsequent ausschöpfen zu können.
Außerdem gehört eine gewisse finanzielle Bonität dazu (Ausnahme Yashica Mat 124 G), wenn der Interessent es nicht bei der Standardausrüstung belassen wird. Obwohl in dieser Beschränkung ein gewisser Reiz liegt, der den Spaß am Fotografieren erhöhen kann. Doch auch für Mittelformatkameras gilt die vielstrapazierte Weisheit: Es war schon immer etwas teurer, einen besonderen Geschmack zu haben.

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