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Artikel

1998

Color Foto Report

50 Jahre Einäugige Spiegelreflexkamera

Reflexionen über ein halbes Jahrhundert

Die einäugige Kleinbild-Spiegelreflexkamera 

Stationen einer Entwicklung

1936: Karl Nüchterlein Otto Helfricht und Rudolf Groschupf entwickeln bei Ihagee in Dresden die erste einäugige Kleinbild-Spiegelreflexkamera die Kine-Exakta.

1939: erstes Ihagee-Patent für eine TTL-Innenmessung 

1948: Einführung des M-42 Schraubanschlusses mit der Praktica 

1949: Contax S - erste Kamera mit Dachkantprisma

1950: Exakta Varex - erste Kamera mit austauschbaren Suchern 

1952: erste japanische Spiegelreflexkamera Asahiflex I

1954: Rückschwingspiegel bei der Asahiflex 

1957: Topcon realisiert automatische Springblende 

1959: Nikon F wird präsentiert, Canon, Minolta und Nikon stellen gültiges Bajonett vor 

1960: Prototyp Pentax Spotmatic mit TTL-Belichtungsmessung. ab 1964 in Serie 

1960: Metallschlitzverschluß für 2000stel Sekunde bei der Konica F 

1968: Contarex SE mit elektronisch gesteuertem Verschluß 1971 Asahi Pentax ES erste Kamera mit Zeitautomatik 

1972: Olympus OM-1 kleinste SLR der Welt 

1974: Contax RTS mit elektromagnetischer Auslösung 

1975: Autodynamisches Meßsystem bei der Olympus OM-2 

1977: erster Multiautomat: Minolta XD7 

1979: Konica FS 1 mit integriertem Motor

1981: erste Kamera mit Wechselmagazin und integriertem Motor - Rolleiflex SL 2000

1985: Minolta 7000 und 9000 - die ersten echten AF SLR-Kameras

Eine bahnbrechende Erfindung feiert Jubiläum. Die einäugige Kleinbild-Spiegelreflexkamera wird fünfzig. Ein Prinzip, das sich in der anspruchsvollen Fotografie durchgesetzt hat. Die Welt durch den Reflexsucher sehen, erleben wie das Motiv beim Fokussieren in die Schärfezone rückt und dann auslösen, das war es, was die Fotografen meinten. Die Handlichkeit der 35 mm-Kamera steigert diesen Genuß noch. Drei Dresdner Erfinder schufen 1936 die Exakta für Cinefilm Urahn auch der Minolta 9000, die den Schlußpunkt einer Entwicklung markiert, deren Meilensteine hier noch einmal Revue passieren.

Deutschland im Herbst 1985. Ein vorweihnachtlicher Bummel durch Einkaufsstraßen vorbei an verlockend dekorierten Schaufenstern der Fotogeschäfte, die jeden, der das Hobby mag, zum verweilen einladen, bietet überall das gleiche Bild: Opulent präsentiert, die Spiegelreflex-Schlager der Saison, Minolta 7000 und 9000, auf Displays rotierend und angestrahlt, daneben eine Canon-Ecke mit der T80, darüber die neue F-301 von Nikon. Von deutschen Namen kaum eine Spur, Japan-Ware dominierte gänzlich wenn einem nicht gelegentlich aus einer mit rotem Samt ausgekleideten Schatulle eine Leica R4 entgegenlächelte, die ohne Japan auch nicht existierte. Allenfalls noch die Rolleiflex 3003 ansonsten kein Hinweis auf die ruhmreiche Kameravergangenheit dieses unseren Landes die uns vor nunmehr fünfzig Ihren das bescherte, was die Japaner nun so geschickt weiterentwickeln und noch geschickter vermarkten, nämlich die einäugige Kleinbild-Spiegelreflexkamera. Einst renommierte Namen wie Voigtländer oder Exakta sind zu bloßen Etiketten teilweise japanischer Produkte degradiert. Was in einigermaßen großen Stückzahlen blieb heißt Praktica, stammt aus dem anderen Teil Deutschlands und führt die große Dresdner Tradition fort, wenn auch mit etwas bescheideneren Mitteln und nicht so revolutionär wie damals. Deutschland im Herbst 1936. Die Olympischen Spiele, das große Selbstdarstellungszeremoniell des machtbesessenen schwarzbraunen Regimes hatte das Reich hinter sich. Dennoch galt es damals als das fotografische Ereignis schlechthin, an dem auch die Industrie heftig partizipierte.
Zeiss baute exklusiv für die First Lady des deutschen Reiches, Leni Riefenstahl, ein Objektiv, das als Olympia Sonnar 2,8/180 mm zur Meßsucher Contax in die Geschichte eingehen sollte. Lothar Rübelt und Hans Hubmann blickten durch die Guckloch-Sucher ihrer Schraubleicas um das Zeitgeschehen verkniffenen Auges festzuhalten.
Doch drei Techniker der alteingesessenen Firma Ihagee aus der Hauptstadt Sachsens, Karl Nüchterlein, Otto Helfricht und Rudolf Groschupf, konnten sich nicht länger mit dem verzerrten realitätsfremden Sucherbild abfinden, das Leica und Contax - damals noch ohne aufwendigen Leuchtrahmensucher - entwarfen.
Sie zogen es eindeutig vor, genau das zu sehen, was nachher auf den Film kommt, wenn auch seitenverkehrt.
Basierend auf einer Konstruktion für das Bildformat 4x6 cm auf Rollfilm, die auch auf den Namen Exakta hörte, nahmen sich die Drei des zukunftsträchtigen Kinofilms an und bauten die Kine-Exakta. Ihr Prinzip hat heute noch Gültigkeit für die Masse der auf der Welt erzeugten Spiegelreflex-Kleinbildkameras. Zeiss-Ikon, der illustre Nachbar in Dresden mit dem großen Namen Contax kam dem Ihagee-Trio zwar in puncto Kleinbild-Spiegelreflex um ein Jahr zuvor, doch variierten sie lediglich mit der Contaflex das Prinzip der zweiäugigen Rolleiflex mit starrem Spiegel für Kleinbild.

Mit dem Dachkantprisma kam der Durchbruch

Karl Nüchterlein und seine Mannen begnügten sich allerdings nicht mit der Erfindung eines neuen Kamerakonzepts, sie verbesserten es in den Jahren bis zum Krieg kontinuierlich. Schon 1939 wurde Nüchterlein vom Reichspatentamt erneut als Erfinder registriert. Diesmal handelte es sich um eine Exakta mit Belichtungsmessung durch das Objektiv, die freilich nur als Denkmodell existierte.
Die politische Neuordnung nach 1945 schuf generell andere Voraussetzungen. Die verbliebenen Reste der Dresdner Kameraindustrie stellten die sowjetischen Besatzer unter einheitliche Führung. 1949, der neue Staat DDR erblickte soeben das Licht der Welt, machten die Dresdner Kamerabauer erneut von sich reden: Sie belebten wieder den prestigeträchtigen Namen Contax, der vor dem Krieg für hochpräzise Meßsucherkameras stand.
Diesmal hörte jedoch eine 35 mm Spiegelreflexkamera, die Contax S auf die Zeiss-Ikon Marke. Das Revolutionäre an der Contax S war das Dachkantprisma. Es ermöglichte erstmals seitenrichtigen Durchblick in Augenhöhe. Bislang war der Faltlichtschacht noch Usus. Der Name Contax mußte später an den Westen abgetreten werden, die Carl Zeiss Stiftung Oberkochen machte Ansprüche geltend. Fortan gab es nur noch zwei Kameranamen in Dresden: Exakta und Praktica, wobei Exakta noch bis Mitte der sechziger Jahre als Synonym für die schweren, mechanisch anspruchsvollen und teuren Bajonettkameras vom Schlage des 36er Urahns stand, und Praktica für die populärere und moderne Konstruktion mit dem 1948 eingeführten, später international verbreiteten M-42 Gewinde. Im Westen wollte man vom Spiegelreflexprinzip bei Kleinbildkameras noch lange Zeit nichts wissen. Der Meßsucher dominierte beim anspruchsvollen Kameratrio namens Leica, Contax und Voigtländer Prominent mit Wechselobjektiven. Für Universalität und zum Anerziehen unbestrittener spiegelreflextypischer Vorteile mußte der komplizierte Spiegelkasten herhalten. Wozu also eine Spiegelreflexkamera zusätzlich konstruieren?
Erst 1954 schuf Zeiss Ikon mit der Contaflex ein ebenso beliebtes wie populäres Spiegelreflexmodell, das allerdings wie viele andere Konstruktionen der bundesrepublikanischen Konkurrenz wie beispielsweise Voigtländer (Bessamatic und Ultramatic), einen Irrweg ging.
Hatte doch bereits die erste Exakta einen Schlitzverschluß, der die 1000stel Sekunde realisiert, bauten Zeiss Ikon und Co. noch Zentralverschlüsse in ihre Reflexkameras ein. Deshalb konnten sie einen wichtigen Systemvorteil der SLR, nämlich die große Objektivvielfalt, nur bedingt ausschöpfen und mußten sich teilweise mit "Vorsteckmutaren" (Contaflex) begnügen.
Erst die Schlitzverschluß-Contarex, das Spitzenprodukt des Hauses, räumte später mit diesem Handicap auf.
Trotz eines solchen technischen Höhenflugs namens Contarex war der Schwanengesang der deutschen Kameraindustrie schon leise hörbar. Größtenteils noch dem antiquierten, aufnahmetechnisch beschränkten Sucherprinzip verhaftet, erkannte sie das Zeichen der Zeit, sprich Spiegelreflex, einfach zu spät.
Die Morgendämmerung kommt aus dem Land der aufgehenden Sonne und läßt unsere Fotoindustrie jäh erwachen. Noch lange von den Deutschen belächelt, gelingt den Japanern ein Coup nach dem anderen.
Schon 1954 geht der Rückschwingspiegel, der das lästige Verdunkeln des Sucherbildes nach der Aufnahme abschafft auf das Konto der Asahi Pentax-Ingenieure. Sechs Jahre später greifen sie die alte Idee des Karl Nüchterlein auf und integrieren die Belichtungsmessung in die Kamera. 1964 ist es dann soweit. Die Asahi Pentax Spotmatic feiert Premiere, die erste Kamera mit TTL-Belichtungsmessung. Doch verweilen wir noch ein wenig in den Fünfzigern: Das Jahr 1959 geht als Jahr der Konsolidierung in die Geschichte der japanischen Kameraindustrie ein. Hier formiert sich auf dem Spiegelreflex-Sektor bereits ein Trio, das ein Jahrzehnt später zur beinahe marktbeherrschenden Stellung aufrückt. Canon, Minolta und Nikon legen jeweils ihr Bajonett fest, das bis heute seine Gültigkeit hat.
Die Minolta SR-1 kommt auf den Markt und begründet den Siegeszug einer SLR-Kamerareihe, die erst 1982 mit der SRT 100 X ihr Ende findet. Die automatische Springblende, zwei Jahre vorher von Tokyo Kogaku (Topcon) eingeführt, gehört bereits zum technischen Standard der SR-1. Nikon nimmt den Profis die Leica M aus der Hand und beglückt sie mit der "F" ein Buchstabe, der die Professionellen in aller Welt bis heute begleitet. Dann geht es Schlag auf Schlag. Die Japaner lassen in der SLR-Innovation nicht locker.
Konishiroku baut den ersten, schnellen MetallschlitzverschluB der Welt (1/2000 Sek.) in die Konica F ein. Topcon, inzwischen verblichen, verpaßt der Spiegelreflexkamera erstmals einen Motor. Die Marktanteile japanischer Kameras in Deutschland steigen unaufhaltsam.
Da nützt es auch nichts, wenn die königliche Contarex, diesmal mit der Zusatzbezeichnung SE, 1968 zum Trendsetter wird und Zeiss Ikon in dieser Kamera den ersten elektronischen Verschluß der Welt präsentiert.
Leitz, mehr als andere Spätzünder in Sachen Spiegelreflex setzt bei der ersten Leicaflex noch auf Außenmessung ( 1965), die Wetzlarer machen den Fehler drei Jahre später wieder wett, indem sie die Leicaflex SL mit der ersten Selektivmessung der Welt und mit einem ebenso schnellen (4 B/Sek.) wie voluminösen Motor ausrüsten.
Die siebziger Jahre setzen den Siegeszug von japanischen Spiegelreflexkameras weltweit fort. Olympus rückt das Thema 1972 mit der OM-1 in eine neue Dimension und sorgt mit der kleinsten und leichtesten für einen sensationellen Erfolg. Die Asahi Pentax ES bringt erstmals den elektronisch gesteuerten Verschluß in Verbindung mit Zeitautomatik nach Blendenvorwahl. Elektronik und Miniaturisierung heißen denn auch die Schlagworte, welche die Spiegelreflexkameras ins vierte Jahrzehnt begleiten.
Zur photokina 1974 feiert der Name Contax in adretter von Ferdinand Porsche gestalteter Verpackung ein glänzendes Spiegelreflex-Comeback. Eine Fülle von neu gerechneten Carl Zeiss-Objektiven läßt den alten Namen nach glänzender erstrahlen. Die schöne RTS verfügt über eine Menge fortschrittlicher Elektronik und über ein reaktionsschnelles elektromagnetisches Auslösesystem, von dem sich der Name Real Time System (RTS) herleitet.

Trends den Siebziger: Kompaktheit und Elektronik

Olympus holt 1975 zum zweiten Schlag aus. Die neue OM-2 wartet mit der bis dahin einzigartigen autodynamischen Messung auf, die das Licht erst nach Hochklappen des Spiegels auf einem speziellen Muster des Verschlußvorhangs mißt. Die TTL-Blitzsteuerung stempelt umständliches Blendenübertragen endlich zum alten Zopf. Canons AE-1 erscheint 1976, ein Blendenautomat mit viel zeitgemäßer Elektronik. Diese Kamera soll noch mit über vier Millionen Exemplaren zur meistverkauften Spiegelreflexkamera aller Zeiten avancieren und die Canon Marktposition stärken.
Der Kooperationsvertrag zwischen Leitz und Minolta, 1971 abgeschlossen trägt fünf Jahre später erste SLR- Früchte - die Leica R3 macht Schluß mit dem alten Problem Integral- oder Selektivmessung. Sie bietet auf der Basis der Minolta XE-1 einfach beides, eine Weltneuheit. Pentax treibt die Miniaturisierung mit seinen beiden zierlichen Kompakt-Schwestern MX und ME auf die Spitze und sichert sich sogar mit der mechanischen MX das begehrte Prädikat " kleinste und leichteste Spiegelreflexkameras der Welt.
Auf die alte Streitfrage ob denn nun Zeit- oder Blendenautomatik das richtige sei, gibt Minolta 1977 mit der XD 7 die passende Antwort: sowohl als auch. Das Zeitalter der Multiautomaten ist angebrochen, Canon ruhte nicht lange und setzt dem Trend 1978 mit der AE-1 noch eins drauf, nämlich die Programmautomatik, die sich zum begehrtesten SLR-Feature der achtziger Jahre entwickeln sollte. Dem Schnellschalthebel geht es 1979 an den Kragen. Konica opfert ihn skrupellos 1979 "all den schönen Bildern, die ihm zum Opfer gefallen sind". Der integrierte Winder in der Konica FS-1 ist geboren.
Rollei veränderte 1981 Ansichten, das alte Leica-Prinzip vom Aufbau einer Kamera hat für die Braunschweiger endgültig ausgedient. Die SL 2000 F gibt sich anarchistisch in konsequent funktioneller Würfelform und mit Wechselmagazin, eine Idee, die Zeiss Ikon vor Jahren mit den Modellen nicht konsequent genug realisierte.
Hybrid-Technik - eine Mischung aus mechanischem und elektronisch gesteuertem Verschluß fand erstmals bei der Canon EF (1971) zur Anwendung, sie soll die Betriebssicherheit erhöhen. Auch die Canon F-1 N erfüllt diese Profiforderung, die von der Pentax LX (1980) wiederbelebt wird. Nikon schafft 1982 mit der FM 2 die superschnelle 4000stel Sekunde in Verbindung mit der ultrakurzen Synchronzeit von 1/250 Sek. Hauchdünne Titanfolien machen's möglich.

Autofokus in den Achtzigern

Nach dem Motto so viel wie möglich rein in eine Kamera entsteht 1984 Canons T70. Sie bietet eine Vielzahl von Bedienungshilfen, sogar zwischen Spot- und Integralmessung kann der Fotograf wählen. Ein neuartiges LCD-Display ist Kommunikationsbasis zwischen Kamera und Fotograf.
Seine neue Autofokustechnik schließlich katapultiert Minolta mit einem Riesenschwung nach vorn. Die zunächst mutigen Neuentwicklungen 7000 und 9000 geraten zu Verkaufsschlagern, die alle Erwartungen in den Schatten stellen. Minolta markiert mit der 9000 bislang eindeutig den Gipfel der Spiegelreflex-Technologie. Kleine Ironie des Schicksals, am Rande bemerkt: Leitz verkaufte schon lange nicht mehr so viele Meßsucherkameras wie 1985, auf der Schwelle des Spiegelreflex-Jubiläumsjahres. Und die Lieferzeiten wachsen.

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