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Artikel
1998
Kameras
Exakta 66
Voll-Gummiert
Das Mittelformat scheint sich größter Nachfrage zu erfreuen. In rascher Folge kommen neue Kameras auf den Markt, wie beispielsweise die Rollei 6002, die von Normtest unter die Lupe genommen wurde, wie die Mamiya 645, der sich Alexander Borell widmet, oder die 6x6-cm-Kamera Exakta 66, die wir Ihnen auf diesen beiden Seiten vorstellen.
Pessimisten befürchteten bereits, es würde bis zur nächsten photokina dauern, um die während der letzten photokina vorgestellte Exakta 66 zur Serienreife zu entwickeln. Nun ist sie doch früher fertig geworden Lieferschwierigkeiten für einzelne Teile sollen Schuld sein, daß diese in West-Berlin und Kreuznach gefertigte Kamera ("made in Germany"!) erst jetzt endgültig zur Auslieferung freigegeben werden konnte.
Nicht nur der Name "Exakta" weckt Erinnerungen - an die deutsche Kamerageschichte, an die erste Kleinbild-Spiegelreflexkamera etwa und an ihre Nachfolgerinnen mit der so charakteristisch abgeschrägten Gehäusefront. Auch das Aussehen der Exakta 66 weckt Erinnerungen - an eine Kamera aus dem anderen Teil Deutschlands. Die Rede ist von der Pentacon six, die die handliche Form einer Kleinbildkamera ins Mittelformat transformierte - wie auch die Pentax 6x7, deren Nachfolgerin wohl noch in diesem Jahr vorgestellt werden wird.
Und so präsentiert sich die Exakta 66 also als Kleinbildspiegelreflex, an der alles ein bißchen groß geraten ist: Der Spiegelkasten mit dem Bajonett ragt um gute dreieinhalb Zentimeter über die Frontplatte des Gehäuses hinaus, das eine Höhe von 13,5 cm (mit zugeklapptem Schachtsucher) erreicht - allerdings (mit Lichtschacht aber ohne Objektiv) nur verblüffende 1080 Gramm wiegt.
Bedienung: Nicht optimal
Das Einstellrad für die Verschlußzeiten von 1 Sek. bis zur 1/1000 Sek., dazu kommen "B" und das Blitzsymbol für die 1/25 (!) Sek. als Blitzsynchronisationszeit, ist mit seinem Durchmesser von 3,2 cm so dimensioniert, daß der Benutzer der Exakta 66 es sogar mit dicken Winterhandschuhen problemlos verstellen könnte, wenn nicht jemand auf die Idee gekommen wäre, daß sich das Verschlußzeitenrad von denen anderer Hersteller unterscheiden müsse: Man verzichtete kurzerhand darauf, den Rand des Rades irgendwie zu strukturieren und beließ es glatt. Ergebnis: nicht nur wer im Winter im Freien seine wärmenden Wollhandschuhe anlassen will, muß sich mühen, die richtige Verschlußzeit zu treffen.
Auch der Schnellschalthebel mit dem der Rollfilm (wahlweise 120 oder 220 für 12 oder 24 Aufnahmen im Format 6x6 cm) von Bild zu Bild transportiert wird, ist größer als sein Gegenstück an einer Kleinbildkamera - aber leider ein gutes Stück schlechter zu bedienen. Nicht daß er zu glatt wäre und dem Daumen nicht genug Halt böte: Nein, das Problem ist anders gelagert. Der Schnellschalthebel, der diesen Namen eigentlich gar nicht verdient, muß so weit nach vorne geschwenkt werden (gute 270 Grad), daß man es beim ersten Mal gar nicht glauben mag. Der zweite Versuch belehrt einen aber eines besseren. Haben die Konstrukteure denn noch nie etwas von einem Doppelschwunghebel gehört, wenn man schon die Übersetzung nicht so wählen konnte, daß ein kurzer Schwung genügt?
Da der "Schnell"-Schalthebel den Platz auf der rechten Oberseite des Gehäuses ganz für sich beansprucht, wurde das Bildzählwerk in den Hebel integriert, das Fenster im Hebel zeigt in dessen Ruhestellung die Bildnummer an. Nach 12 Aufnahmen (auf einem 120er-Film) wird der Transport blockiert und erst, wenn ein sehr kleiner Hebel unter dem Transporthebel betätigt wurde, kann weitergeschaltet werden, entweder, um auf einem der wenig verbreiteten 220er-Filme die nächsten 12 Bilder zu belichten oder um den Filmnachspann aufzuwickeln damit die Rolle entnommen werden kann. Die Umstellung von 120er- auf 220er-Film ist lobenswert leicht zu bewerkstelligen: Es genügt, die Andruckplatte auf der Innenseite der Rückwand gegen einen leichten Widerstand zu verschieben.
Der große leichtgängige Auslöser wurde von der Kameraoberseite auf die Vorderseite verlagert, wo er schräg nach vorne steht, wie von der Alpa oder vielen Praktica-Modellen aus neuerer Zeit bekannt, auch die alten Kleinbild-Exaktas wiesen eine ähnliche Auslöser-Anordnung auf. Unter dem Auslöser liegt der Selbstauslöserhebel, der den Verschlußablauf mit einer Verzögerung von etwa 10 Sek. startet der Selbstauslöser kündet mit einem leisen, etwas schnarrenden Geräusch von seiner Tätigkeit und davon, daß er mechanisch und nicht elektronisch gesteuert ist, wie die ganze Kamera in der Grundausstattung mechanisch arbeitet und ganz ohne Batterien auskommt.
Oberfläche: Gummi statt Kunststoff
Die Exakta 66 kommt im "Ranger-Look" einher, der dem Interessenten signalisiert: Hier steht eine robuste Kamera für den harten Einsatz, die auch einmal einen Schlag wegstecken kann - sinngemäß so publiziert in den Pressemitteilungen zum ersten Anlauf 1984. Gemeint ist die Voll-Gummierung der Kamera. Der Gummimantel ist in einem dezenten Grau gehalten, das der großen Kamera recht gut steht und dürfte die Kamera, die einen sehr robusten Eindruck macht, tatsächlich gegen Stoß und Schlag sichern.
Passend präsentieren sich auch die Objektive aus dem renommierten Hause Schneider-Kreuznach (u. a. bekannt als Lieferant für Hasselblad) in ihrem Äußeren als "Gummilinsen". Der Fokussierring entbehrt wie der Verschlußzeitenring jeglicher Struktur, die die Griffigkeit erhöhen könnte. Das 2,8/80 mm, das als Normalobjektiv zur Grundausstattung gehört, läßt sich in sehr leicht rastenden (und damit sehr leicht auch ungewollt zu verstellenden) Schritten in halben Stufen auf- und abblenden. Insgesamt sollen 10 Wechselobjektive, darunter zwei Zooms und ein Shiftobjektiv zum Perspektivausgleich zur Verfügung stehen. Zur Grundausstattung gehört auch der Faltlichtschacht, der den Blick von oben auf die Mattscheibe freigibt, die etwas kleiner ist als das Filmformat. Eine ausklappbare Lupe soll das Scharfstellen sicherer machen als es Mikroprismenring und Schnittbildentfernungsmesser alleine vermögen. Die Mattscheibe mit diesen Einstellhilfen läßt sich schnell und einfach gegen eine Vollmattscheibe auswechseln.
Belichtungsmessung: Nur mit dem Prismensucher
Erst wer den Lichtschacht gegen das TTL-Prisma tauscht was viel zu leicht geht, denn keine Sicherung hält den Sucher wirklich fest - kommt in den Genuß einer Belichtungsmessung durch das Objektiv und kann auf einen separaten Belichtungsmesser verzichten. Trotz dieses Vorteils des Prismensuchers mit Innen- und Außenanzeige sollte der Lichtschacht nicht ganz zur Seite gelegt werden: Der Blick von oben auf ein seitenverkehrtes Sucherbild zwingt mehr zur Auseinandersetzung mit dem Motiv als der Durchblick durch das Prisma. Ein Zusatzteil verdient jetzt noch Erwähnung: Der Trageriemen, wohl der einzige, der in einer eigenen kleinen Schachtel ausgeliefert wird. Es wurde zu seiner Befestigung auf die üblichen Haken und Ösen verzichtet. Ein fester Teil des Riemens umfaßt vielmehr den unten halbrunden Vorbau des Spiegelkastens, greift mit zwei Vorsprüngen in entsprechende Vertiefungen in der Frontplatte der Kamera und wird im Stativgewinde festgeschraubt - bei sehr langen Objektiven wahlweise in deren Stativgewinde. Die Schraube selbst ist ebenfalls mit einem Gewinde versehen, so daß die Kamera auch mit Riemen leicht aufs Stativ zu setzen ist. Durch diesen Kunstgriff hängt die Kamera wunderbar ausgewogen am Trageriemen, doch wird, weil der Riemen sehr breit ist, der Zugriff zum Auslöser etwas beeinträchtigt.
Leistungen: Lobenswert
Der Druck auf den Auslöser startet einen waagerecht ablaufenden Tuchschlitzverschluß, der seine Arbeit offensichtlich sehr präzise verrichtet - eine Reihe von Aufnahmen mit verschiedenen Zeiten (und den passenden Blenden) brachte sehr gleichmäßig belichtete Dias - das Normalobjektiv sorgte für Schärfe und Kontrast, wie sie von einem Schneider-Objektiv erwartet werden.
Fazit
In der Grundausstattung (mit Lichtschachtsucher und Schneider Objektiv 2,8/80 mm) kostet die Exakta 66 etwa 2500 DM viel Geld, aber dennoch ein sehr günstiger Einstieg ins Mittelformat mit einer einäugigen Spiegelreflex. Wie sicher der Belichtungsmesser arbeitet, kann noch nicht beurteilt werden, da das TTL-Prisma noch nicht zur Verfügung stand, die Belichtungszeiten geben auf keinen Fall Anlaß zur Kritik - wie das die Handhabung tut. Verschlußzeitenring und Schnellschalthebel sollten so bald als möglich überarbeitet werden. Daß die Sucher ohne Sicherung auf dem Gehäuse halten sollen, ist nicht gerade ein Glanzstück deutschen Kamerabaus und die Blitzsynchronisationszeit von 1/25 Sekunde auch nicht. Positiv ist dagegen zu vermerken, daß die Exakta 66 ganz stromlos funktioniert, Batterien braucht nur der Belichtungsmesser im TTL-Prismensucher.
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