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BERATUNG Report

Porträt einer außergewöhnlichen Kamera

Kamera-Avantgarde made in Germany

Die Rolleiflex 3003 steht unverdient im Schatten der japanischen Kleinbild-Konkurrenz. Grund genug, diese außergewöhnliche Kamera einmal ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken.

Schon lange beschäftigt die Kamerakonstrukteure der Gedanke, nicht nur das Objektiv oder den Sucher einer Kamera während des Fotografierens zu wechseln, sondern auch den Film. Im Mittelformat wurde dies als erstes bei der Hasselblad verwirklicht, auf dem Kleinbildsektor kam Filmhersteller Kodak auf die Idee, dieses werbewirksame Ausstattungsmerkmal in den fünfziger Jahren zu etablierten. Adox, ebenfalls in erster Linie Filmhersteller, konterte im Jahre 1956 mit der Adox 300, die mit Wechselkassetten ausgerüstet war. Wenig später folgte Zeiss-lkon mit den Wechselkassetten für die Spiegelreflexmodelle Contarex und Contaflex, doch dann wurde es ruhig um dieses einst als revolutionär gefeierte Zubehör. Probleme wie mangelnde Abdichtung, klemmende Mechanik und ein oft störrischer Filmtransport trübten die Freude an dem fortschrittlichen Ausstattungsmerkmal. Das Wechseln des Films während einer Aufnahmereihe bliebt dem Mittelformat vorbehalten - hier bereitete es dank der kubischen Auslegung der Kameras auch keine Probleme -, bis Rollei, Hersteller der fortschrittlichsten Mittelformatkameras, 1974 daran ging, der Kleinbildkamera ein neues Gesicht zu geben.
Die neue Wechselmagazinkamera sollte ein Modell der Superlative werden. Zwei Suchersysteme, ein integrierter Motor und eine sogenannte Dualautomatik sollten im Kamerabau Zeichen setzen. Sogar eine Umschaltmöglichkeit der Meßcharakteristik war im Gespräch. Zunächst blieb es freilich beim Modellcharakter; auf der photokina im Jahr 1976 präsentierte Rollei erst einmal ein Holzmodell der Rolleiflex SL 2000 Motor. Das futuristische Konzept schlug sich auch in der Typenbezeichnung nieder. Die Rolleiflex SL 2000 Motor wurde allerdings in eine stürmische Rollei-Zeit hineingeboren. Nach Jahren euphorischer Gigantomanie, die zur Errichtung des Werkes in Singapur geführt hat - Ex-Rollei-Chef Peesel: "Die Japaner mit ihren eigenen Waffen schlagen" -, war nun ein radikales Kostenmanagement angesagt. Außerdem stellte sich heraus, daß die Versprechungen hinsichtlich der Dualautomatik nicht verwirklicht werden konnten, denn für eine Kombination von Zeit- und Blendenautomatik reichte das finanzielle Budget der Braunschweiger nicht aus. Die Entwicklungskosten waren einfach zu hoch, obwohl das Know-how bereits vorhanden war.
Dennoch verlor man bei Rollei die SL 2000 Motor nicht aus dem Auge. Das Kamerakonzept zeigt durchaus verwandte Züge mit der bereits 1976 zur Serienreife gebrachten SLX. Zwar verfügt die SLX nicht über ein Wechselmagazin, dafür aber eine Vielzahl integrierter Funktionen wie Belichtungsmessung, Belichtungsautomatik - hier allerdings eine Blendenautomatik - und den Transportmotor.
Fünf Jahre nach ihrer verfrühten Dummy-Premiere erschien die SL 2000 F dann doch noch, mitten im Rollei-Konkurs. Verschluß und Elektronik hatten ihre Bewährungsprobe in der SL 35 E bereits bestanden, die beiden Suchersysteme, der integrierte Film-Transport und die Wechselmagazine reichten dennoch, um die Fachwelt und die potentiellen Käufer zu begeistern.
Die in vielen Punkten verbesserte Rolleiflex 3003 kam 1984 heraus und sorgt noch heute für ein Aha-Erlebnis im großen Angebot der High-Tech-Kameras. Sie ist ein echtes Kameraoriginal. Ihre unkonventionelle Konstruktion spaltet die Fotografen in zwei Lager, die emotional stark aufgeladen sind. Die einen lehnen sie völlig ab, die anderen loben sie über alle Maßen. Letztere tun sich leichter, denn der Umgang mit der einzigen Kleinbild-Wechselmagazin-Kamera ist ein Erlebnis. Allerdings ist die Handhabung mit der Handschlaufe gewöhnungsbedürftig, ebenso wie der Auslöser, der mit recht hohem Druck betätigt werden muß und im nicht exakt vorhersehbaren Moment anspricht.

Mit Lichtschachtsucher

Darüber hinaus ist die Rolleiflex 3003 nicht gerade leise, und die Sucheranzeigen neigen gelegentlich zum Flackern. Der kleine Lichtschacht, der Motiv und Sucheranzeigen seitenverkehrt wiedergibt, erscheint vielen vorurteilsbehafteten Fotografen unbrauchbar - er ist es aber beileibe nicht. Mit ein wenig Übung läßt sich mit seiner Hilfe sehr unauffällig fotografieren: Menschen, die abgelichtet werden sollen, bemerken dies entweder gar nicht oder finden die Beobachtung per Lichtschacht doch zumindest viel angenehmer als das indiskrete Zielen mit dem Prisma. Wer es gern wie gewohnt hat, kann sich mit dem Fernrohrsucher anfreunden, der vor allen Dingen Fehlsichtigen, die ohne Brille fotografieren wollen, eine gute Hilfe ist. Sein Dioptrienausgleich ist nämlich aufgrund des hohen Einstellbereichs, der von plus 3 bis minus 4 reicht, wirklich brauchbar.
Für zirka 3600 Mark bekommt man viel geboten: Kamera plus Standardobjektiv plus Ladegerät und Akkus sowie eine vorbildliche Bedienungsanleitung gehören zum Lieferumfang. Bereits mit dieser Standardausrüstung lassen sich ganze Nachmittage spielerisch verbringen, ohne daß man einen einzigen Film belichtet hätte. Ein zweites Wechselmagazin ist allerdings ein Muß, sonst läßt sich der Kardinalvorteil dieser Kamera nicht auskosten. Mit welcher anderen Kleinbildkamera kann man schon während einer Porträtsitzung schnell einmal von Farbdia- zu Schwarzweißfilm wechseln? Nicht zu unterschätzen ist auch ein anderer Aspekt der Rolleiflex 3003: Die Kamera präsentiert sich bei alter Ausgefallenheit im Detail noch von konventionellem Zuschnitt. Der Fotograf hat alle Freiheiten, mit ihr umzugehen; Motivprogramme und Autofokus gehören nicht zu ihrer Welt. In vielen Belangen bietet sie Unauffälliges, dem Fotoalltag angemessen: Das Sucherbild ist hinreichend hell, das Belichtungsmeßsystem ist teilselektiv, die schnellste Verschlußzeit beträgt 1/2000 Sekunde, die Blitzsynchronzeit 1/125 Sekunde. Der Motor ist mit einer maximalen Frequenz von drei Bildern pro Sekunde weder besonders schnell noch besonders langsam. Etwas deplaziert in dieser Preisklasse wirkt allerdings die manuelle Rückspulung. Ein Meßwertspeicher muß genügen, uni hohen Motivkontrast zu meistern. Die teilselektive Messung schafft allerdings eine gute Grundvoraussetzung, um in unterschiedlichsten Situationen präzise zu messen. Eine TTL-Blitzbelichtungsmessung auf der Filmebene -gehört bei gehobenen Modellen inzwischen zum Standard.

Carl-Zeiss-Objektive

Als lohnendes Zubehör zur Rolleiflex 3003 bietet sich - neben einem zweiten Magazin - der Sportsucher an, der im Gegensatz zum auf längere Zeit ermüdenden Fernrohrsucher eine angenehme, sehr bequeme Motivkontrolle besonders für Brillenträger ermöglicht.
Ein besonders erfreuliches Kapitel zum Thema Rolleiflex 3003 sind die Objektive. Man kann zwischen zwei Objektivreihen wählen. Standesgemäß teils nur zum der Qualität entsprechenden recht hohen Preis erhältlich - sind die erstklassigen Carl-Zeiss- und Schneider-Kreuznach-Objektive, unter denen das F-Distagon 2,8/16 mm, das Distagon 4/18 mm, das Distagon 1,4/35 mm, das Planar 1,4/85 mm, das Makro-Planar 2,8/60 mm und das Schneider-PC-Curtagon 4/35 mm herausragen. In der "Economy-Klasse" bieten die Rolleinare eine sehr ordentliche optische Leistung, die das Preis-Leistungs-Verhältnis in ein gutes Licht rückt. Außerdem sind nur hier Zoomobjektive anzutreffen.
Es hieße die Rolleiflex 3003 nicht hinreichend zu würdigen, würde man das Spezialzubehör für die wissenschaftliche und technische Anwendung außer Acht lassen. Damit avanciert die 3003 zur spezialisierbarsten Kleinbildkamera überhaupt. Die in die Jahre gekommene 3003 hätte etwas Modellpflege nach dem Vorbild der 6000er Reihe verdient; Multiautomatik und Spotbelichtungsmessung - einst im Lastenheft des Prototyps vorgesehen - könnten sechzehn Jahre später allmählich Wirklichkeit werden.

Chronik der Rolleiflex 3003

1976: Präsentation des Prototyps Rolleiflex 2000 Motor mit Dualautomatik und Wechselmagazin als Holzmodell.

1978: Vorstellung des Volumenmodells SL 35 E mit der vorweggenommenen Verschlußelektronik der SL 2000 F.

1981: Beginn der Serienproduktion der SL 2000 F. Die Kamera ist als ganz normaler Zeitautomat konzipiert.

1982: Die Zusatzbezeichnung "Motor" kommt hinzu.

1984: Zur photokina erscheint die Rolleiflex 3003 mit TTL-Blitzsteuerung, 1/2000 Sekunde und zusätzlichem Auslöser oben.

1986-1990: Die Rolleiflex 3001 ohne Lichtschachtsucher wird der 3003 als Einsteigermodell zur Seite gestellt.

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