← Zurück

Artikel

1998

Thema des Monats

Photokina-Rückschau

Traum oder Flop

Die neue photokina '86 macht sich bemerkbar und erzeugt bei den einen Hoffnungen, bei anderen das große Grausen. Es ist ebenso interessant wie aufschlußreich, einmal in der Vergangenheit zu graben und zu sehen, was dabei herauskommt: erfüllte Träume oder Mißerfolge, Schlager oder Flops. Gehen wir ein Dutzend Jahre zur photokina 74 zurück und versuchen wir, diese sechs "Weltmessen der Fotografie" zu analysieren und zu sehen, was blieb und was verschwand. COLOR FOTO hat über jede photokina ausführlich berichtet!

1974

Die photokina '74 beginnt mit einem heftigen Streit, der die Fotowelt in zwei Lager spaltet: der Eintrittspreis wird saftig erhöht! Man will damit verhindern, daß die nähere Umgebung von Köln diese Messe als eine Art Volksfest betrachtet und sowohl Neugierige als auch ganze Schulklassen den wirklich interessierten Profis und Amateuren die Hallen verstopfen. Die hohen Preise sind bis heute geblieben, Neugierige gibt es immer noch, aber Kinderwagen und Schulklassen sind verschwunden, der Streit ebenso.
Kodak zeigt zum ersten Mal "Ektasound", eine Art Volks-Tonfilm-Kamera für Super 8. Dieses Gerät ist durchaus brauchbar, ich habe ihm damals sogar eine Zukunft prophezeit, aber es schlägt nicht ein, und heute spricht niemand mehr davon.
Eine Spiegelreflex von Soligor hat nicht lange überlebt, aber die Objektive haben heute einen guten Ruf. Pentax bringt die Spotmatic F heraus, einen Superweitwinkel 3,5/15 mm und ein neues Zoom 4/45-120 mm das heute in diesem Brennweitenbereich nicht mehr gefragt ist. Während sich damals Olympus darauf beschränkt, die OM-1 auch für einen Motor Drive zu liefern, hagelt es Neuheiten bei Rollei: die SLX, damals die fortschrittlichste und sensationellste Mittelformatkamera, die kleine Pocket A-110 und die SLR Rolleiflex SL 350. Während inzwischen die SL 350 und die A-110 vom Markt verschwunden sind, wird die SLX wegen des Nachfolgemodells (Magazin) 6006 zu günstigen Preisen angeboten, obwohl sie immer noch eine Spitzenkamera ist.
Über Voigtländer zitiere ich aus COLOR FOTO 10/74: "Über 200 Jahre fertigt Voigtländer optische Geräte. Eine Tradition, die zu höchster Präzision verpflichtet..." Es liegt bestimmt nicht an der Präzision, daß es heute keine Voigtländer Kameras mehr gibt.
Die damals schon nicht mehr ganz junge Hasselblad ist heute eine würdige alte Dame, der man mit gebührendem Respekt begegnen wird. Vermutlich wird sie noch weitere sechs Messen in Köln überstehen, ohne sich wesentlich zu verändern.
Agfa verblüfft im Jahre 1974 mit einer Serie von Blitzgeräten, von denen heute niemand mehr spricht. Polaroids Sofortbild-Sensation heißt SX 70, zur photokina '86 kommt nun ein völlig neues System. Die Kowa Six gibt es '74 noch; sie ist inzwischen nach längerer Krankheit verschieden. Auch die Minolta XM, damals "bahnbrechende Technik", steht heute nur noch bei Liebhabern auf dem Gelegenheitsmarkt hoch im Preis.
Der neue Doppelprojektor Braun "Tandem" erweist sich schon als Flop, und Braun/Nizo heißt heute Bosch. Leitz treibt, wie üblich, vor allem Modellpflege; und Kameras, die damals "Petri" hießen, gibt es heute nicht mehr, wie ja auch der Name "Eumig" praktisch aus der Fotolandschaft verschwunden ist. Die wirkliche Sensation 1974 aber ist die "Contax RTS", ein Kind aus der Ehe von Zeiss mit Yashica. Ich war von ihr nicht ganz so begeistert wie ihre Eltern, was mir einigen Ärger einbrachte, aber Canon und Nikon tat sie nun mal wirklich nicht weh. Die Yashica FX-1 kommt in den folgenden Jahren besser an. Ein Hanimex-Pocket-Projektor stirbt vor allem an der Schwindsucht dieses Formats. Auch die 6x6 Norita, damals noch von Canon betreut, geht in die Fotogeschichte ein. Das, was man wirklich als Sensation bezeichnen könnte, gibt es 1974 nicht!

1976

Im ganzen gesehen ist diese photokina eine ziemlich ruhige Veranstaltung: ein paar neue Objektive, viel Zubehör, aber immerhin zwei Kameras, die Aufsehen erregen - die Leica R3 und die Rollei SL 2000. Wie Sie wissen, sind beide inzwischen zu Oldtimern avanciert, nicht wegen ihres Alters, sondern weil sie technisch längst überholt sind. Überhaupt hat man 1976 den Eindruck, als herrsche Ruhe vor dem Sturm und jeder warte ab, was der andere bringen würde. Immerhin gibt es auch Kurioses zu sehen, z. B. die handgeschmiedete Alpa aus der Schweiz mit Elektronik, und eine Minolta Spiegelreflex für die Pocket-Kassette, die ebensowenig eine Regatta gewinnen würde wie eine Hochseeyacht auf einem Dorfweiher. Der ehemalige Canon-Boss Peperzak, jetzt Retter der auf Sand gesetzten Firma Rollei, erklärt in einem Interview über die Zusammenarbeit zwischen Braunschweig und Singapur: " Ein Werk kann ohne das andere nicht leben, und ohne Singapur würden wir nicht mehr wettbewerbsfähig bleiben. Herr P. ist nicht geblieben, trotzdem bleibt Rollei, und die kubistische SL 2000 erweckt in Köln mehr Interesse als später Käufer. Heute gibt es eine logische Weiterentwicklung, während die Rollei 126 in der Versenkung verschwunden ist. Bei Pentax setzt man deutlich auf Miniaturisierung, die ME ist heute noch beliebt, ebenso wie die erstmals gezeigte MX. Minolta ergänzt das Programm mit der XE-5, von der sich auch jetzt noch manche Besitzer nicht trennen wollen. Fuji überrascht mit dem damals empfindlichsten Negativ-Colorfilm der Welt mit 400 ASA, und Ilford stellt den HP-5 vor. Konica setzt die T-Reihe fort und Canon bringt - schon vor der Ausstellung! - die heute fast legendäre AE-1 unters Volk.
Hinter dem Vorhang wird bei Pentax ein Autofokussystem gezeigt: warum gibt es das wohl bis heute noch nicht? Ebenfalls schon bei Halbzeit, also ein Jahr früher, gab es die Mamiya M-645, auf der photokina '76 erstmals von Interessenten umlagert. Bei Leitz ist man stolz auf den Projektor "ohne Dunkelpause", und ist es heute, zehn Jahre später, immer noch. Plaubel - uralter deutscher Adel - preist eine neue "Makina" an, an die ich derzeit nicht glaubte, die inzwischen aber ihre Liebhaber gefunden hat.

1978

Diese photokina bringt vor allem den deutlichen Trend zu Winder und Motor, selbst Agfa versucht es nochmal mit einer Motor-Pocket, läßt aber - zum Glück! - die Finger von Sofortbild, während Polaroid mit riesigem Tamtam seinen 8-mm-Sofortfilm "Polavision" in einen ebenso kostspieligen, wie totalen Flop startet. Immerhin: "man sprach - auf der Messe - Polavision".
Konica bringt mit der FS-1 den in die Kamera integrierten Motor und zeigt damit allen anderen, wie man sowas macht. Es wird Jahre dauern, bis man das z. B. bei Canon begriffen hat. Yashica ist da mit der Contax 137 schneller! Kodak hat nun auch den schnellsten Diafilm mit 400 ASA. Mamiya geht mit einer Kleinbildkamera fremd und hat in den kommenden Jahren kein Glück damit während sich die Praktica immer noch mit Schraubgewinde verkaufen läßt. Grundsätzlich werden die Objektive lichtstärker, die Zoomobjektive bei immer weiter wachsenden Brennweitenbereichen kürzer, und die "Fremdhersteller" gewinnen spürbar an Boden und Vertrauen. Mehr läßt sich - rückblickend - über die photokina '78 nicht sagen.

1980

Leitz hat mit der R-4 den technischen Anschluß an die Weltproduktion nicht nur erreicht, sondern mit Einführung der "Selektivmessung" durchs Objektiv überholt. Die Automatik bei Kameras schreitet fort und beunruhigt konservative Fotografen wie jene Fachleute und Wissenschaftler, die einmal nachwiesen, daß Menschen verrückt werden, wenn sie aus einer fahrenden Eisenbahn durchs Fenster blicken. Heute sind Automatik und Programme kein Thema mehr: sie sind da! Minolta zeigt die kleine Meßsucherkamera CLE, die ursprünglich bei Leitz zu Hause war und dort leider - als interessantes Pendant zur späteren M6 - nicht weiter gepflegt wurde. Minolta ist - wie sich bald herausstellen wird - auch nicht das richtige Elternhaus für sie.
Die neue Pentax LX erregt als hochtechnisierte Kamera großes Interesse, während man bei Agfa immer noch neue Pockets entwickelt: für die Katz. Auf die neuen "Spiegelobjektive" fallen die Kunden herein, benützen sie dann ein paarmal, sind enttäuscht, und heute liegen sie in Schubladen herum. Die Zoomobjektive werden immer öfter mit Naheinstellung ausgerüstet, was man in Japan ebenso euphorisch wie falsch als Makros bezeichnet.
Mehr und mehr Kamerahersteller haben auch eine neue Einnahmequelle angebohrt: sie liefern zu ihren Kameras systemeigene Blitzgeräte, während Metz mit dem Mecablitz 45 CT 5 einen hochmodernen Kraftprotz an Licht anbietet. Hama und Rowi sorgen inzwischen dafür, daß auch das Zubehör nicht zu kurz kommt. Auch alles, was mit dem Heimlabor zu tun hat, erregt bei den Messebesuchern großes Interesse, vor allem Durst und Jobo perfektionieren ihre Geräte.
Die Nikon F3 schockiert zunächst alle Besitzer der guten, alten F2, die jedoch bald auf dem Gebrauchtmarkt hohe Preise erzielen wird. Nikons Unterwasserhit die Nikonos IV, erfreut die Taucher, und eine gewisse Zenza Bronica schickt sich an, der Hasselblad Konkurrenz zu machen.
Agfa wagt wieder einmal einen Alleingang mit Diarähmchen (CS) und neuem Magazin, und immer noch aufwendigere und kompliziertere Super 8-Tonfilmkameras versuchen, die beginnende Schwindsucht dieses Schmalfilms zu verdecken. Die große Überraschung, die Belebung des ganzen Marktes und die Aktivierung des Vergnügens am Fotografieren durch aufregende neue Techniken, bleibt aber auch auf dieser photokina des Jahres 1980 aus.

1982

Rollei stellt die perfektionierte und elektronisierte SL 66 E vor, und Konica macht einen Versuch mit kleinen Kompaktkameras in poppigen Farben, während Minolta sich mit einer Kompaktkamera in den Autofokusbereich vortastet. Überhaupt wird diese photokina von diesen kleinen, kompakten und einfachen Kameras weitgehend geprägt, und man ist geneigt, die für sensationell zu halten, weil wirkliche Sensationen fehlen. Manche Beobachter sehen für die wertvolle und leistungsstarke Spiegelreflex kaum noch große Chancen, zumal ihr Umsatz abnimmt. Dafür gibt es mehr und mehr - Videos zu sehen, das bei vielen Fotofreunden Kaufkraft abschöpft. Fast wie ein erster Lichtblick wirkt da Minoltas neue X-700, und Nikon setzt zum ersten Mal einen wirklich neuen Maßstab mit der 1/4000 Sek. bei 1/200 Blitzsynchronzeit. Trotzdem kommt keine sehr frohe Stimmung auf: wird die Fotografie - insbesondere bei den Hobbyfotografen - nicht allmählich zu seniler Opa-Beschäftigung? Na, vielleicht bringt 1984 eine Wende?
Den größten - voraussehbaren! - Flop seit Bestehen der photokina lieferten zwischendurch (1983) die Herren Nims und Lo mit ihrer "Nimslo"-Stereokamera, die schon bald dem Fotohandel wie Blei im Magen liegt; in England wird sie schließlich sogar verschenkt.

1984

Wie eine Leuchtkugel in finsterer Nacht setzt Canon mit derT-70 ein Signal für moderne Kameratechnik: nicht nur der längst bekannte integrierte Motor, nicht der automatische Filmeinzug sind es, sondern das "Display", die Mattscheibe als Kontrollorgan aller Funktionen. Und das zu einem erschwinglichen Preis! Sie wird ein "Renner" und bleibt es bis heute. Sozusagen als Gegenpol dazu wirkt die Leica M-6 und macht sich rasch bei den anspruchsvollen Amateuren beliebt, bei den Profis für dezente Reportagen unentbehrlich.
Nun hat auch Olympus endlich die Notwendigkeit einer "Spotmessung" erkannt und mit der OM-2 SP verwirklicht. Nikon überrascht mit einer Autofokus-Version der professionellen F3, vorerst allerdings noch mit beschränktem Objektivangebot, aber man kann mit dazu einem speziellen Konverter, den Nikon auch 1986 in seiner brandneuen F-501 beibehält, viele Nikon-Objektive als AF-Objektive verwenden. Hasselblad hat seine historische Kamera ein wenig mehr ausgestattet, tatsächlich Neues kommt nicht aus Schweden. Erstaunen ruft bei sachkundigen Besuchern dieser Messe eine neue Exakta 6x6 hervor, und auch Fuji startet einen Versuchsballon im großen Format. Von durchschlagenden Erfolgen kann man heute, kurz vor der photokina '86, noch nicht sprechen. Die eigenwillige Rollei SL 2000 hat sich zur 3003 entwickelt und ist deutlich handlicher geworden. Das Mittelformat zieht weiter stärker an, was man am Mut der Pentaxleute mit ihrer ebenso handlichen, wie praxisnah konzipierten (und mit Display versehenen!) 645 erkennen kann. Auch einige neue Praktica-Modelle versuchen, uns östlichen Charme näher zu bringen.
Die Zoom-Objektive beherrschen die Objektiv-Szene mit immer kürzeren Konstruktionen bei immer höheren Lichtstärken und größeren Brennweitenbereichen. Sie haben inzwischen eine optische Qualität erreicht, die den alten "Festbrennweiten" gefährlich geworden ist. Die Osowa-Pleite versetzt alle Mamiya-Fans in Angst und Schrecken, ist jedoch bald überwunden: heute, 1986,zeugt das neue Modell 645 Super von der völlig überwundenen Krise und neuer technischer Intelligenz.
Die kleinen Kompakten haben sich seit der Messe 1982 wie Bakterien vermehrt. Aber noch ahnt auf dieser photokina '84 niemand etwas von den Zeitbomben, deren Lunten bereits ~ brennen, und die ungeheure Bewegung samt neuem Auftrieb in die ganze Szene bringen werden: Der Minolta 7000 und von der Canon T-90.

{ewl Thnhlp32.dll,THIN,SKIN.LZH;STEIMERM.BMP}