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Artikel
1998
Beratung
Mittelformatkameras
Acht Alternativen mit Format
Über 30 Kameras repräsentieren zur Zeit das gehobene Geräte-Genre der Fotografie, das Mittelformat. Eingebettet zwischen der populären Kleinbild und dem elitären Großformat mag es fast als Kompromißlösung erscheinen. Viele Anwender sehen es aber vielmehr als goldene Mitte. COLOR FOTO wählte acht Kameras aus, allesamt individuelle Erscheinungen, welche die Entscheidung für mehr Format erleichtern helfen.
Reinhart Wolf, deutscher Fotograf von internationalem Rang, fotografiert seine schmackhaft aussehenden "Stern-Delikatessen" nicht mit der standesgemäßen Großbildkamera. Er greift gleich zum anderen Extrem, nämlich zur Kleinbild-Nikon F 3, die der Meister mit einem Micro-Nikkor und einem Kodachrome 25 bestückt. "Spontaneität und Schärfentiefe" sind laut Wolf die Gründe für seine unpopuläre Wahl. "Beides schafft die Großbildkamera nicht", betont er. Freilich könnte sich Reinhart Wolf genauso gut für eine Mittelformatkamera entscheiden, schließlich benutzt er seine Hasselblad im Stern-Küchenstudio für die Polaroid-Probeschüsse.
Das Mittelformat ist immer noch erste Wahl bei jenen anspruchsvollen Fotoamateuren oder Profis, wenn es um Schärfe, Farbsättigung und Bildqualität geht. Dies gilt umso mehr, zumal es jetzt den superscharfen Kodachrome 64 als Rollfilm gibt und die Bilderbuchsituation, daß das Kleinbild von Kodachrome 25 profitiert, in der Praxis mangels Lichtmenge selten vorkommt.
Schon das kleine Mittelformat 4,5x6 cm bietet 2,7 mal so viel Fläche wie ein gewöhnliches Kleinbildnegativ oder Dia noch eklatanter fällt der Größenvergleich mit 6x6 cm, das immerhin noch eine effektive Fläche von 58x58 Millimetern garantiert, aus. Beim Idealformat 6x7 in dieser Auswahl mit der Plaubel Makina W 67 vertreten steigt der Vergrößerungs- oder besser Qualitätsmultiplikator sogar auf 4,5 an. Doch es herrscht nicht eitel Sonnenschein, auch nicht im großzügigen Mittelformat. Der Preis für die Größe im Format für prachtvolle Bilder ist meist in Form von recht unhandlichen teuren Kameras zu zahlen und ein Brennweitenluxus, wie ihn so mancher Kleinbildfotograf bei seiner Ausrüstung zelebriert, ist für den normalen unkommerziellen Hobbyfotografen-Geldbeutel eine unzumutbare Belastung. Wer allerdings eine Mittelformatkamera nicht als kompletten Ersatz für seine vorhandene Kleinbildausrüstung sieht, sondern vielmehr als eine Ergänzung für eine andere, eine bewußtere Art der Fotografie, der kommt zweifellos auf seine Kosten, ohne daß er ein Opfer derselben wird.
Den preiswertesten Einstieg in die höheren Formatweihen offeriert innerhalb unserer Auswahl die Yashica Mat 124 G. Auch von der Größe und vom Gewicht her gibt sich die nach dem millionenfach bewährten zweiäugigen Prinzip, das 1929 von der Rolleiflex begründet wurde, recht bescheiden. Die sehr gute Bildqualität, das leise Auslösegeräusch, prädestiniert sie in Zusammenarbeit mit dem Lichtschachtsucher, den man nicht krampfhaft ans Auge pressen muß, als unauffällige Schnappschußkamera. Für knappe 500 Mark gibt es auch noch einen eingebauten Belichtungsmesser, der vom zugeklappten Lichtschacht automatisch abgeschaltet wird, und eine Bereitschaftstasche. Nahlinsen erweitern den Einstellbereich bis 45 cm, außerdem sorgt ein Filtersatz für eine Ausweitung der gestalterischen Möglichkeiten. Getrennte Einstellrädchen für Zeit und Blende ermöglichen einen problemlosen Belichtungsabgleich.
In einer Welt, in der alles nach Wechselobjektiven schrie wanderten die klassischen Zweiäugigen unverdient aufs Abstellgleis.
Mamiya trat die Flucht nach vorne an und schuf für seine C Kamera sieben Objektive von 55 mm bis 250 mm Brennweite. Sie lassen bei der Bildgestaltung kaum Wünsche offen. Gerade mit dem Sekor 4,5/ 180 mm empfiehlt sie sich als Porträtkamera für Studio und Location. Das machte sie einst zur Favoritin zahlreicher Fotoateliers. Mit einem Preis von 1300 Mark in der Grundausstattung kann die Mamiya C 330 S zusammen mit ihrer spartanischeren Schwester C 220 f den Anspruch für sich erheben, die preiswerteste Mittelformat-Systemkamera zu sein. Nicht weniger als 51 Posten inklusive diverser (auch TTL) Suchersysteme, Handgriffe, Taschen und Koffer offeriert der Mamiya-Prospekt.
PARALLAXE BEI ZWEIÄUGIGEN
Das alte Leiden mit dem Namen Parallaxe verbindet die Zweiäugigen mit einem gänzlich anderen Kameratyp dieser Gruppe, der Plaubel Makina W 67. Gemeint ist damit der Unterschied zwischen Sucherbild und dem tatsächlich vom Objektiv erfaßten Bildausschnitt. Während die automatische Parallaxenanzeige durch pfeilartige Markierungen im Sucher der Mamiya C 330 S den Nachteil weitgehend kompensiert, stimmen Foto und Sucherbild bei der Makina W 67 leider nicht optimal überein. Dafür wird der Fotograf allerdings mit dem fantastisch großen Bildformat und einer vorzüglichen Eignung der W67 als Reportage-Kamera entschädigt. Auch Architektur-Fans schätzen sie sehr. Das scharf und kontrastreich zeichnende Nikkor 4,5/55 mm entspricht etwa einem 28er Kleinbildweitwinkel. Die Handhabung ist der einer Kleinbildsucherkamera früheren Stils nicht unähnlich. Der gekuppelte (mit Zeit und Blende) Belichtungsmesser erlaubt in Verbindung mit dem gleichfalls gekuppelten Entfernungsmesser schnelles Arbeiten.
Das Scheren-Spreizsystem der Kamera mag etwas vorsintflutlich anmuten, den Transport der überlebensgroßen "Kleinbildsucherkamera" erleichtert es dank des klappbaren Balgens sehr. Gerade, wenn sich der Plaubel-Aspirant für die attraktive Lederumbängetasche entscheidet, die auch noch Scheckkarte, Bares und den Führerschein aufnimmt.
Ebenfalls mehr für unterwegs ist die Exakta 66, jene Kamera im klassischen Mittelformat 6x6, gedacht, die ihre Abstammung von der Pentacon Six nicht verleugnen kann. Die Werbebroschüre der deutschen Durst - sie managt den Vertrieb der Kamera - spricht denn auch von einer "typischen Location-Kamera." Daß sie Wind, Wetter und Erschütterungen zu trotzen vermag, verrät schon der robuste gummiarmierte Anzug, der einen Hauch von Militär ausstrahlt. Freilich wurde die Arbeiter- und Bauern-Erbmasse der Exakta gründlich überarbeitet. Der Filmtransport funktioniert einwandfrei, die Planlage ist ausgezeichnet, und das Sucherbild fällt durch angenehme Helligkeit auf. Früher war eine helle Einstellscheibe bei Mittelformatkameras oft nur Wunschdenken, heute ist dies durchweg Standard. Rollei und Hasselblad glänzen ebenfalls mit klaren Mattscheiben, die schnelles Fokussieren erleichtern. Der Prismensucher mit TTL-Messung erscheint bei den übrigen Kandidaten mit Wechselsucher dieser Runde absolut entbehrlich. Bei der Exakta sollte der Fotograf ihn sich gönnen. Denn die Kamera, das verrät schon ihr Konzept und ihr Äußeres, will ans Auge genommen werden.
Um so erfreulicher ist unter dem Aspekt der Location-Kamera die Tatsache, daß der Käufer das Prisma nach der Preissenkung quasi geschenkt kriegt. Bemerkenswert an dieser Kamera erscheint das Xenotar 2,8/80 mm von Schneider-Kreuznach das in der Bildqualität einen Vergleich mit den Planaren des Erzrivalen Carl Zeiss nicht zu scheuen braucht und das mit einer Naheinstellung von 60 cm gesegnet ist. Der Schlitzverschluß läßt zwar lediglich eine Synchronzeit von 1/30 Sek. zu, entschädigt aber dafür mit der schnellen 1000stel. Filmtransport und Verschlußaufzug geschehen zwar mit einer Hebelbewegung, doch muß der Fotograf den Daumen allzu unergonomisch um die Ecke bringen. Die Exakta 66 eignet sich nicht als Renommierobjekt, sie ist vielmehr ein robustes Werkzeug für gute Fotos.
Diese beiden Ansprüche vereinigt die Hasselblad 500 C/M par excellence. Ihre Robustheit und die durchdachte, überzeugende Konzeption macht sie seit nunmehr 30 Jahre zum Favorit der Profifotografen. Häufig verdrängte sie sogar wegen Ihres enorm umfangreichen Zubehörprogramms, das alle Anwendungsbereiche beinhaltet, die Großbildkamera aus den Fotostudios. Der beinahe asketische Verzicht auf besondere Ausstattungsmerkmale macht sie enorm handlich. Gerade in der Grundausstattung wirkt sie auch beim Fotospaziergang nicht unbequem, und die sorgfältige Bildkomposition per Lichtschacht und das bedächtige Anmessen des Objekts mit einem Gossen Lunasix kommt der eigenen Bildqualität zugute.
Vom Prestige her beinahe ebenbürtig, doch im Vergleich zur Hasselblad technisch geradezu progressiv, gibt sich die Rolleiflex 6006. Ihr Preis von rund 4700 Mark, mag zwar zunächst manchen abschrecken, doch wer 6x6 in seiner fortschrittlichsten Form genießen will, der kommt an der Kamera aus Braunschweig nicht vorbei. Sonderausstattungen wie ein TTL-Prisma oder einen Motor kann sich der 6006 Käufer getrost sparen. Auch der Handbelichtungsmesser, sonst typisches Requisit der Mittelformatfotografen darf zuhause bleiben. Bei unseren Probeaufnahmen beeindruckten gerade die 6006-Fotos mit einer Belichtungsausgewogenheit, die überzeugend ist. Die Blendenautomatik und ebenso der eingebaute Motor mit einer Bildfrequenz von 1,5 Bilder pro Sekunde macht die Rolleiflex zu einer Action-Kamera für Sport, Reportage, Mode und Porträt.
TTL-Blitzsteuerung und Linearmotore im Objektiv. Deutsche Gründlichkeit verrät die Jalousie am Magazin, die den Schieber ersetzt, den man bei Hasselblad und Zenza Bronica so leicht verliert.
Zenza Bronica orientierte sich schon immer an den Schweden, und so nimmt es kaum Wunder, daß die ETR-S bei nahe wie eine verkleinerte Hasselblad daherkommt. Zu den gewohnten Bauelementen wie Zentralverschluß und Wechselmagazin spendierten die Japaner noch jenes Quentchen Elektronik, ohne das in Nippon kaum etwas geht.
Sie allerdings steuert nicht nur den Verschluß sondern macht die Bronica in Verbindung mit dem AE-Prismensucher zum Zeitautomaten Bemerkenswert ist das neue Zenzanon Makro 4/100 mm, das man den Bronica-Interessenten nachdrücklich statt eines Normalobjektivs verordnen sollte. Es erhöht den Reiz der kleinen für eine Wechselmagazin-Kamera enorm handlichen Mittelformatkamera immens. Weniger schön ist die reichliche Verwendung von Kunststoffteilen am Bronica-Gehäuse und das vernehmliche Auslösegeräusch. Solides, gut verarbeitetes Metall hält dagegen der Mamiya M 645 J-Fotograf in den Händen. Nicht nur der Preis, das kleine Mittelformat und die riesige Objektivpalette machen die M 645 J zur idealen Einsteigerkamera für Kleinbildaufsteiger. Sie werden das Wechselmagazin wohl kaum vermissen, und der Schlitzverschluß sorgt ebenfalls für Vertrautheit und macht die Wechselobjektive preiswerter. Gerade Mamiya lockt mit einer unglaublichen Vielfalt interessanter Objektive. Ob Zooms, Makro, Fisheye oder Shift, es läßt keine Wünsche offen.
Unsere ausgesuchten acht Mittelformatkameras beweisen, daß gepflegte Mittelformatfotografie, zusätzlich zum Kleinbild betrieben, keineswegs zum finanziellen Ruin führen muß. Vorausgesetzt, man beschränkt sich auf das Wesentliche und überläßt das Gestalten mit Brennweiten, der Kleinbildkameras. Konverter und Nahlinsen trösten häufig über ein anderes Objektiv hinweg, ein solider Handbelichtungsmesser von Gossen oder Sekonic läßt das teure TTL-Prisma verschmerzen. Der Faltlichtschacht vermittelt kompositorisches Feingefühl.
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