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Alexander Borell Kommentar
Quo vadis - Minolta?
Die X-Modelle von Minolta sind seit ihrem Erscheinen klar und übersichtlich geordnet: Mit der XM fing es bekanntlich an, die in den USA mit X-1 bezeichnet wurde. Kurze Zeit danach kam die XE-1 auf den Markt, wer in den USA die gleiche Kamera kaufte, hatte XE-7 darauf stehen. Etwas später führte Minolta die XE-5 ein, die merkwürdigerweise auch überm Teich so hieß, während das heute noch gültige Prachtstück aus dieser Serie hierzulande XD-7 heißt und in den Staaten zur XD-11 befördert wurde. Die bald folgende XD-5 trug diese Bezeichnung weltweit, was den Planern in Japan offenbar sofort eine Rüge der Geschäftsleitung einbrachte, denn das etwas magerere Folgemodell, bei uns XG-2 genannt, wurde in den USA als XG-7 und in Japan gar unter XG-E verkauft. Das aber war den Minolta-Leuten immer noch nicht genug, sie starteten die XG-1, das magerste Modell und schon sehr "economy"-verdächtig. Und nun gibt es als Neuheit die XG-9, eine praktisch nicht mehr abgemagerte, sondern vollwertige und recht interessante Kamera, die wiederum auf der ganzen Weit so heißt, außer in Japan: dort steht XG-S drauf.
Für uns Europäer mag das verwirrend sein, was wohl damit zusammenhängt, daß die meisten kaum in der Lage sind, die vierundzwanzig Zeichen unseres Alphabets richtig anzuwenden, während japanische Kinder schlechte Noten bekommen, wenn sie keine zweitausend beherrschen. Jedoch erlaubt der Rest auch unseres Alphabets Minolta noch die Produktion von einigen Millionen verschiedener Modelle, was für die nächsten Jahre genügen dürfte. Bleiben wir aber diesmal bei der neuen XG-9.
Natürlich ist die XG-9 ein Zeitautomat, wie sollte es bei Minolta anders sein? Der Meßumfang von Lichtwert 2-17 ist nicht umwerfend, darf es auch nicht sein, sonst käme diese Kamera der XD-7 zu nahe, deren helles Sucherbild sie ohnedies bekommen hat. An dieser Stelle eine kleine Lektion über die Glaubwürdigkeit der Werbung: Im ausgedruckten Minolta-Prospekt für die XG-9 heißt es: "Sie ist eine ideale Synthese zwischen gekonnter Formgebung, perfekter Technik und hochqualifizierter Optik." Da im Deutschen die Worte "ideal" und "perfekt" einen Endwert darstellen und sich nicht mehr steigern lassen, fragt es sich, wer dann eigentlich noch die XD-7 kaufen soll, die doch wohl noch einiges mehr kann, z. B. die Korrektur falscher Bedienung - was die XG-9 nicht mitmacht. Dafür blockiert sie bei Überbelichtung und zeigt das auch im Sucher an. Man sieht auch im Sucher die eingestellte Blende, was sie, ebenso wie das hellere Sucherbild, von der XG-2 unterscheidet. Am wichtigsten für den anspruchsvollen Fotografen scheint mir die Möglichkeit, über die Abblendtaste die Schärfentiefe zu kontrollieren. Und damit hat jeder, der sich die XG-2 gekauft hat, dies etwas zu früh getan.
Die Verschlußzeiten der XG-9 von 1 Sekunde bis 1/1000 reichen für die Praxis aus, wenn man auch von mancher anderen Kamera im Langzeitenbereich etwas mehr geboten bekommt. Mir scheint das unwichtig, denn wenn ich schon ein Stativ verwenden muß, dann kann ich auch zählen und dabei ein paar Aufnahmen mit 2, 4, 8 und 16 Sekunden machen. Immerhin, wenn die XD-7 "perfekte" Technik sein sollte, ist es die XG-9 nicht. Allein in der Perfektion einer Kamera liegt aber niemals ihr Wert, denn nach wie vor machen Kamera und Optik nur einwandfrei scharfe und korrekt belichtete Aufnahmen; die guten Bilder macht allein der Fotograf. Und mit der XG-9 kann er das ohne Einschränkung. Die Meßelektronik, die ja allein den Strom verbraucht, schaltet sich nur bei leichtem Druck auf den Auslöser ein. Für besonders vorsichtige Sparer kann man aber den Strom noch zusätzlich abschalten, was besonders schmerzlich wird, wenn man ein Schnappschuß-Motiv entdeckt und sofort auslösen will: absolute Untätigkeit der Leuchtdioden neben den Verschlußzeiten zeigt an, daß ... na ja, und dann ist der Schnappschuß keiner mehr. Einem weiteren Sicherheitsbedürfnis entspricht auch das Rotlicht an der Kamerafront, das bei der Batterieprüfung in Hebelstellung "B.C." beruhigend leuchtet. Da jedoch die kleinen Quecksilberbatterien, deren die XG-9 zwei Stück braucht, die tückische Eigenschaft haben, von einer Auslösung zur anderen ihren Dienst zu quittieren, um in den Ruhestand zu treten, nützen diese Kontrollen alle nichts: Vor dem Flug ausprobiert - am Flugplatz schon Feierabend. Das verteuert eine Kamera nur.
Die zweite Anwendung dieser Illumination zeigt dem aufmerksamen Beobachter, daß der Selbstauslöser läuft: im wahrsten Sinne des Wortes "gestochene" Gruppenbilder sind der Lohn für soviel technischen Firlefanz. Ein Trost nur: auch in anderen Branchen setzt sich Modeunfug allemal leichter durch, als technische Notwendigkeiten, wie es z. B. auswechselbare Suchermattscheiben sind.
Die Blitzsynchronisation findet bei der 1/60 Sekunde statt. Gegenlicht-Aufnahme-Theoretikern wird das zu wenig sein. So viel ich weiß, blitzen aber Amateure zur Aufhellung der Schatten bei Sonne nur 3 von 4000 mir reicht diese 1/60 Sekunde, obwohl ich mich frage, warum andere 1/125 können und auch nur "perfekt" sind.
Es gibt zur XG-9, wie zu anderen neuen Minolta-Modellen, natürlich auch Automatikblitzgeräte, die nach dem Einschieben in den Sucherschuh automatisch kuppeln und sogar Serienfotos mit dem Winder erlauben.
Den Winder gibt es ebenfalls - was wäre heute eine Kamera ohne ihn? Selbstverständlich ist es nicht der gleiche, der an die XD-Modelle paßt, und wer etwa auf den recht klugen Gedanken kommen sollte, seine XD-7-Ausrüstung mit einer zusätzlichen XG-9 für alle Zwecke zu komplettieren, braucht auch zwei Winder, die untereinander nicht austauschbar sind. In manchen Betrieben müssen Leute sitzen und planen, denen man in Osterreich den Titel "Konfusionsrat" verleihen würde.
Wenn Sie sich demnächst eine gute KB-Ausrüstung zulegen wollen, sollten sie ruhig die Minolta XG-9 kaufen, zumal an ihr nicht nur die neuen MD-Objektive automatisch arbeiten, sondern auch die älteren der MC-Serie, die man heute aus zweiter Hand recht preiswert bekommen kann.
Das Bemerkenswerteste an dieser Kamera ist eigentlich nicht ihr Design und ihre Technik, sondern die Tatsache, daß es sie Überhaupt gibt! Sie läuft nämlich dem augenblicklichen Trend aller anderer Kamerahersteller entgegen! Minolta schwimmt hier gegen den Strom der Abmagerung und Versimplitizierung, der anderswo schon fast zum Hochwasser angeschwollen ist. Ist es ein Zufall, daß Minolta als neuestes Modell nicht nur nicht abgespeckt hat, sondern ein vorhandenes Modell deutlich aufwertet, verbessert und damit auch den Preis (etwa bei DM 700,-) bewußt von der magischen Fünfhunderter-Grenze weg anhebt? Mir soll's recht sein, zumal ich bei einer anderen großen Branche noch nie Anzeichen dafür gesehen habe, daß jemand durch Abmagern neue Kunden erfassen will: Ich habe auf der Funkausstellung in Berlin niemanden gesehen, der einen Volksempfänger anbietet und glaubt, damit Aufsteiger für HiFi-Anlagen ködern zu können. In diesem Sinne danke ich Minolta für die XG-9.
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