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2000

Kameras

Leica-Krise

ROTER Punkt für schwarze Zahlen

Seit zehn Monaten wirbt Hanns-Peter Cohn, neuer Vorstandschef der Leica Camera AG in Solms, bei Mitarbeitern, Kunden, Banken und Aktionären um Vertrauen für seinen Versuch, den Mythos durch Realpolitik zu retten - und flirtet parallel dazu mit neuen Partnern.

COLOR FOTO: Guten Morgen, Herr Cohn. Heute mussten Sie aufs zweiwöchentliche Frühstück mit 15 Ihrer Mitarbeiter verzichten, die jeweils nach dem Zufallsprinzip aus allen Abteilungen neu zusammengewürfelt werden. Sind diese Gespräche symbolisch für eine Wende weg von verkrusteten Strukturen in Solms?

Hanns-Peter Cohn: In erster Linie wollen wir die Potenziale, die in unseren Leuten stecken, ausschöpfen. Deshalb lernen unsere Mitarbeiter auch von einem erfahrenen Trainer, offener als bisher miteinander zu reden. Keiner soll mehr fürchten müssen, dass seine Vorschläge auf taube Ohren stoßen. Ebenso gehe ich auch immer wieder in Mitarbeiterbesprechungen der elf neu geschaffenen Unternehmensbereiche. Denn ich möchte mit allen Mitarbeitern mindestens einmal pro Jahr sprechen. Damit wollen wir uns von hierarchisch geführten Unternehmen absetzen, in denen die Kunst der Kommunikation leider nicht praktiziert wird. 

COLOR FOTO: Sie mögen keine Hierarchien? 

Cohn: Hierarchisches Verhalten ist Energieverschwendung. Es wird von Managern gefordert, die anders keine Disziplin in ihren Betrieb bringen können. Ich will zwar Disziplin; Energieverschwendung aber können wir uns nicht leisten.

COLOR FOTO: Das bedeutet... 

Cohn: Leica kann letztlich nur durch die Ideen in den Köpfen seiner Mitarbeiter neue Spezialprodukte entwickeln und wirtschaftlichen Erfolg erzielen. 

COLOR FOTO: Die Situation bei den Frühstücksgesprächen ist für die Mitarbeiter erst einmal... 

Cohn: Fremd. Es dauert eine Stunde, bis die Leute locker werden. Dann erst glauben sie, dass ich Kritik will. Ich schreibe selbst mit, verbinde die Anregungen sofort mit Maßnahmen und Terminen. 

COLOR FOTO: Spürten Sie anfangs Zurückhaltung nach dem Motto: Was will der Möbelmann bei Kameras? 

Cohn: Skepsis gab es am Anfang sicherlich, sie ist auch jetzt partiell noch spürbar. Das ist aber nichts Ungewöhnliches. Das ist mir sogar recht, denn mit Speichelleckern könnte ich nicht leben. Vertrauen muss ich mir erst erarbeiten. 

COLOR FOTO: Durch schwarze Zahlen? 

Cohn: Ja, den roten Leica-Punkt über dem Herzen hefte ich mir erst ans Revers, wenn ich ihn mir verdient habe. 

COLOR FOTO: Sie waren erfolgreich und konsolidiert, warum jetzt das Abenteuer Leica? 

Cohn: Ich kann einen Beitrag leisten, den Mythos zu erhalten. Es geht mir nicht darum, dass am Ende der Mission der Cohn als der große Messias dasteht. Meine Aufgabe ist, ein Team zu formen und so stark zu machen, dass es irgendwann wieder auf mich verzichten kann. 

COLOR FOTO: Planen Sie bereits Ihren Abschied? 

Cohn: Nein. Aber eine Nachfolgeregelung muss da sein, denn ich kann morgen gegen einen Baum fahren. 

COLOR FOTO: Die Fama von einer Berufung des ehemaligen VW-Einkäufers Jose Ignacio Lopez in den Aufsichtsrat von Leica, von wo aus er das Unternehmen gesundsanieren soll, geistert seit einigen Monaten durch den Blätterwald. Doch die Realität sieht so aus, dass Sie, ein ehemaliger Möbelmanager, das Ruder bei der Sanierung von Leica in der Hand haben. Haben Möbel mehr mit Kameras gemein als Autos, zumindest, wenn es ums Reparieren betrieblicher Fehlentwicklungen geht? 

Cohn: Das ist das Gleiche. Viele Mitarbeiter aus Traditionsunternehmen haben das Gefühl einer großen Sicherheit. Je älter das Unternehmen, desto weniger kann passieren - das scheinen Mitarbeiter zu glauben. Auch wir wollen keine Unsicherheit im Sinne einer „hire and fire"-Mentalität streuen. Aber wir wollen Mitarbeiter, die ständig mitdenken und auch einmal sagen: „Entschuldigung, kann das wirklich gut gehen?" 

COLOR FOTO: Es gibt Familien, in denen es Tradition ist, bei Leica zu lernen und in Rente zu gehen. 129 Mitarbeiter am Standort Solms müssen jetzt Kurzarbeit leisten. Wie fühlt man sich als Neueinsteiger der dennoch 16 Prozent der Beschäftigten auf die Straße setzen musste, nicht zuletzt, um die Arbeitsplätze der insgesamt in der Leica Camera AG verbliebenen 564 Mitarbeiter zu erhalten?

Cohn: Lausig. Wir müssen es aber tun, um Erhaltenswertem eine Zukunft zu geben. Unserer sozialen Verantwortung kommen wir mit Sicherheit im Moment nicht nach. Hätte das Unternehmen jedoch so weiter gewirtschaftet, wer weiß, was dann heute wäre. 

COLOR FOTO: Sie wollen am Ende dieses Geschäftsjahres, im März 2000, eine schwarze Null schreiben. Ist das realistisch, angesichts von 17,1 und 13,8 Millionen Mark Verlust in den vorangegangen Jahren? Hat Ihr 7-Punkte-Sanierungsplan solch eine Durchschlagskraft? 

Cohn: Auf jeden Fall. Wir haben unsere Bankverbindlichkeiten schon in den ersten Monaten des Kalenderjahres von über 100 auf unter 70 Millionen Mark gesenkt und wollen bis März 2000 auf 50 Millionen Mark herunterkommen. Und wir sparen ganz gezielt. Unser Maßnahmenkatalog wird exakt eingehalten. 700 000 Mark Einsparungen bei den Einkaufspreisen wurden bereits realisiert, 1,5 Millionen bei den Werbekosten fixiert. Die Reduzierung des Materialmehrverbrauchs bringt 1,3 Millionen, im nächsten Jahr 2,6 Millionen Mark. Durch bessere Fertigungsverfahren und eine höhere Qualität der Zulieferteile wollen wir den Ausschuss deutlich senken. Wir müssen dann kaum noch etwas wegwerfen. Selbst die Lieferantenpreise können wir nicht im Stile eines Herrn Lopez mit Brachialgewalt drosseln. Zunächst müssen wir uns von den enormen Plansprüngen der jüngeren Vergangenheit verabschieden. Wenn wir das Bestellte zuverlässig abnehmen, kann der Lieferant bei den Preisen nachgeben. Beim Personal werden in diesem Jahr vier Millionen und 2000/2001 voraussichtlich acht Millionen Mark eingespart. In der Vergangenheit wurde weitgehend nach Jahresplan gefertigt. Wir haben uns von dieser veralteten Methode verabschiedet. Zukünftig soll ein Logistikprofi aus der Automobilzulieferung diesen Bereich leiten. 

COLOR FOTO: Wie funktioniert's jetzt? 

Cohn: Die Fertigungssteuerung hängt an einer rollierenden Dispositionsplanung. Das heißt, Produktmanagement, Vertrieb und Logistik stimmen sich alle 14 Tage neu ab.

COLOR FOTO: Welchen Beitrag können Werbemaßnahmen für die Zukunft leisten?

Cohn: Wir gehen mit einer neuen Kampagne für die Leica M in die Offensive. Wichtigster Bestandteil ist eine neue Broschüre, in der diese einzigartige Kamera umfassend vorgestellt wird. 

COLOR FOTO: Sie fürchten nicht, wie Ihr Vorgänger, plötzlich durch eine unverhoffte Negativbilanz aus dem Dornröschenschlaf gerissen zu werden? 

Cohn: Nicht mehr, denn wir haben unser Controlling deutlich verbessert und wissen jetzt ständig, wo wir stehen. 

COLOR FOTO: Sie erhoffen sich von der Digitalkamera für Amateure rund 15 Millionen Mark Umsatz bereits in den ersten vier Monaten nach ihrer Einführung zum Jahreswechsel? 

Cohn: Wir beteiligen uns am Markt der Digitalfotografie, auch wenn die digitale Bildaufzeichnung nicht unsere Kernkompetenz ist. Mit diesen Kameras können wir neue Zielgruppen erschließen. Wir wissen, dass eine Digitalkamera nicht 30 oder 40 Jahre hält. Aber wir versuchen, im Rahmen dieses digitalen Marktes eine Wertigkeit zu erreichen, die den Leica-Attributen möglichst nahe kommt.

COLOR FOTO: Was durchaus schwierig ist bei den Verfallszeiten digitaler Kameras.

Cohn: Auch wenn alle paar Monate neue Digitalkameragenerationen auf den Markt kommen, muss man die einmal gekaufte Kamera ja nicht wegwerfen. Schauen Sie sich doch die fantastischen Bildergebnisse an, die eine Kamera mit 1,5 Mio. Pixel macht! Sie liefert nämlich bei einer DIN-A4-Vergrößerung eine Qualität, die sich kaum von einer Kamera mit 2,5 oder 3 Millionen Pixel unterscheidet. Damit haben wir ein gutes Gewissen. 

COLOR FOTO: Würde Sie eine Berufung des bei VW immerhin ziemlich unrühmlich ausgeschiedenen lose Ignacio Lopez in den Aufsichtsrat der AG reizen, könnten Sie sich dadurch einen Gewinn fürs Image und für die Sanierung von Leica erhoffen? 

Cohn: Eine Wahl dieses Mannes wäre absolut kontraproduktiv. Der Name Lopez hat Qualität, aber nicht für Leica. Wir müssen Rücksicht nehmen auf die Emotionen unserer Kunden. Wir sind kein Großbetrieb, der durch eine neue Einkaufsphilosophie Millionen sparen könnte. Schließlich vergeben wir nur kleine Orders an unsere Lieferanten, die großteils in Fernost sitzen. Da muss die Chemie stimmen. 

COLOR FOTO: Sie halten also nichts von Hauruck- und Brachiallösungen?

Cohn: Sollen wir noch radikaler herangehen und damit wissentlich bestehende Werte für immer zerstören? Leica muss die berechtigten Interessen unserer Anleger mit Rücksicht auf unsere Produktkultur und das Image verbinden. Wenn mit Brachiallösungen Leica beschädigt wird, nutzt dies auch den Aktionären nichts. Die Aktivitäten einer Hamburger Investorengruppe, die Lopez in den Leica-Aufsichtsrat drücken will, haben uns sicherlich nicht geholfen, denn sie führten beispielsweise bei den Banken zu Verunsicherungen. 

COLOR FOTO: War der Börsengang Leicas vor drei Jahren ein Fehler? Denn wäre alles beim Alten geblieben, könnten schlecht in formierte Spekulanten, wie Rüdiger Beuttenmüller, nicht ihre Zukunft durch rosarote Brillen mit dem prestigeträchtigen Label „Leica" sehen. 

Cohn: Beuttenmüller nutzte die Verbindung der Namen Lopez und Leica, um sich selbst bekannt zu machen. Am liebsten hätte er auch noch unseren Aufsichtsratsvorsitzenden, den ehemaligen Bundeswirtschaftsministers Dr. Hans Friderichs, mit vor den eigenen Karren gespannt. Dies ist ihm ebenso wenig gelungen, wie mit der Ankündigung einer Radikalsanierung selbst für den Anstieg des Börsenkurses zu sorgen. Dies haben wir mit dem Publikmachen unserer eigenen Restrukturierungsmaßnahmen Anfang April durchkreuzt, ohne dass wir die Investorengruppe zu diesem Zeitpunkt überhaupt kannten. Der Börsengang birgt für jedes Unternehmen Gefahren, weil es danach viel stärker im Licht der Öffentlichkeit steht. Zudem kann es sich leicht überschätzen. Leica bleibt ein Mittelständler, auch wenn sich das Unternehmen kurzzeitig als Global Player gefühlt hat. Fehlentscheidungen wurden getroffen, weil man schnell nach außen was bieten musste. Das Unternehmen ist durch den Börsengang abgehoben, wir müssen schnellstens wieder auf dem Boden der Tatsachen landen. 

COLOR FOTO: Hält Ihr Sanierungskonzept dem Konkurrenzdruck stand, oder besteht Gefahr, dass Leica auf japanisch geschluckt wird? 

Cohn: Wir streben an, unabhängig zu bleiben, wobei eine Partnerschaft durchaus auch fruchtbar sein kann. Eine echte Symbiose, wie im Falle von Jaguar, das von Ford übernommen wurde, ist durchaus denkbar. Ja, das ist sogar sinnvoll. Jaguar partizipiert ohne Identitätsverlust am Knowhow von Ford. 

COLOR FOTO: Gibt es schon konkrete „Symbiose"-Pläne bei Leica? 

Cohn: Nein. 

COLOR FOTO: Sie stünden einer fruchtbaren Partnerschaft und Firmenverschmelzung aber offen gegenüber? 

Cohn: Alles was der Marke und dem Fortbestand des Unternehmens Leica nutzen könnte, wird von mir kritisch, aber mit positiver Grundeinstellung geprüft. Sinnvollen Veränderungen stehen wir ganz offen gegenüber. Hier geht es nicht um die Interessen einzelner. Hier geht es darum, dass dieser Mythos, der weltweit Menschen Freude bereitet, erhalten bleibt.

COLOR FOTO: Das ist auch Ihr persönlicher Traum, Ihre Traumaufgabe - den Mythos Leica zu erhalten?

Cohn: Ja. Wobei mir die zurückliegende, unbefriedigende Umsatzentwicklung im Konzern von rund 266 Millionen Mark zum 31. März 1997 auf 277 Millionen 1998 und auf 266 Millionen 1999 ein Ansporn ist.

COLOR FOTO: Planen Sie im Entwicklungsbereich Ihrer Produktpalette den großen, Segen bringenden Wurf. Hält ein neuer Oskar Barnack etwas in der Hinterhand? 

Cohn: Wir haben viele kleine Oskar Barnacks bei uns. Und jede faszinierende Weiterentwicklung eines Objektivs ist eine kleine Revolution. Aber der Sprung von der Platten- zur Kleinbildkamera gehört heute leider nicht mehr zum Alltagsgeschäft. Eines jedoch ist sicher: Es wird kein Auto und auch keine Videokamera der Marke Leica geben. Wir müssen aufhören, über Dinge zu reden, die für uns nicht erreichbar sind. Erreichbar ist für uns eine hohe optische und mechanische Leistung, und wir können wertbeständige Kameras herstellen, die eine lange Lebensdauer haben. Die Elektronik sehen wir als sehr stark unterstützendes Element. Unsere Kernprodukte sind Mess-Sucher und Spiegelreflex. Hier müssen wir unsere Stärken zeigen. 

COLOR FOTO: Was heißt das konkret? 

Cohn: Wir haben Stärken im M-System, erzielen dort auch den meisten Umsatz. Deshalb arbeiten wir daran, die Kameras des Leica-M-Systems zu einer Familie auszubauen. Es wird also kein neues Modell geben, das die heutige Kamera ablöst, sondern die Freunde der M-Fotografie werden zusätzliche Wahlmöglichkeiten erhalten. Die positive Entwicklung bei den Ferngläsern, unserem Umsatzbringer Nummer zwei, ist für unseren Sprint in die schwarzen Zahlen essenziell. Wir wollen unseren Umsatz bei Spektiven und Ferngläsern in den nächsten drei Jahren weiter um rund 50 auf 100 Millionen Mark steigern. Im insgesamt rückläufigen Markt der Diaprojektion wollen wir unsere starke Position, nicht zuletzt auch durch die neueingeführten Rundmagazinprojektoren, halten. Bei den Kompaktkameras bringen wir Optik und Produktästhetik ein. Bereits bei einer neuen Kompaktkamera, deren Einführung wir zum Jahresende planen und mit der wir innerhalb von zwei Jahren 25 Millionen Mark erwirtschaften wollen, nutzen wir eine klassische Formensprache. „Wiedererkennungswert einer Leica" heißt schlichte, zeitlose, technische Ästhetik. Wir bleiben eindeutig Nischenanbieter, die Dinge tun, die andere nicht tun können oder wollen. 

COLOR FOTO: Auch im R-Bereich? 

Cohn: Weltweit ist der Druck aufs Spiegelreflex-Segment sehr hoch. Doch zumal bei den Objektiven gehen wir weiterhin mit Neuentwicklungen in die Offensive. 

COLOR FOTO: Würden Sie den Kauf von Minox als Fehler bezeichnen? 

Cohn: Leica hätte genug mit sich selbst zu tun gehabt, ohne Kraft und Kapazitäten in die Integration von Minox zu investieren. Man kann Akquisitionen nicht nebenbei laufen lassen. Zumal Minox eine eigene Identität, eine eigene Technologie entwickelt hat. 

COLOR FOTO: Aber die Legende Leica werden Sie retten können? 

Cohn: In anderen Unternehmen sieht es weit schlimmer aus. Da können wir nicht sagen, dass es uns schlecht geht. Die Stimmung ist ernst, aber nicht hoffnungslos.

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