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Artikel

Test & Technik Praxisbericht

Nikon F 90

Vorbote einer neuen Generation

Zur photokina 1992 hat Nikon eine neue SLR-Kamera der Spitzenklasse vorgestellt: die Nikon F 90. Sie schließt die Lücke zwischen der Nikon F4 und der Nikon F-801 s und ist, so die hauseigene Werbung, eine gelungene Kombination aus modernster Technologie und herkömmlichen Funktionsprinzipien und Bedienungselementen. Ob die Nikon F 90 dieses Werbeversprechen im Fotoalltag einlöst, hat COLOR FOTO in der Praxis geprüft.

Die F 90 ist mit so viel neuer Nikon-Technologie ausgestattet, daß man sie getrost als Vorreiter einer neuen Generation bezeichnen kann. Zu den wesentlichen Neuheiten gehören beispielsweise ein neues Hochleistungs-Autofokussystem mit kreuzförmig angeordneten Sensoren, ein Belichtungsmeßsystem mit einem 8-Felder-Sensor, der die Entfernungsdaten bei der Belichtungsmessung mitberücksichtigt (ähnlich wie auch bei der Minolta Dynax 7xi und der 9xi, bei denen das Meßfeld in vierzehn Zonen eingeteilt ist), ein Blitzsystem mit einem neuen 5-Felder-TTL-Multisensor sowie neuer Meßblitztechnik bei Nutzung der Entfernungsdaten. Neu ist außerdem ein Vari-Programm-System mit insgesamt sieben automatischen Belichtungsprogrammen für verschiedene Aufnahmesituationen und Motivbereiche (ähnlich wie die Motivprogramme der meisten Canon-EOS-Modelle).
Die sogenannte 3D-Matrixmessung mit acht Meßzonen funktioniert aber nur mit den neuen AF-Nikkoren des Typs D. Neu sind auch das Systemblitzgerät SB-25, die Datenrückwand MF25 und die Multifunktionsrückwand MF-26, die durch vielfältige Verknüpfungen der verschiedensten Funktionen die Einsatzmöglichkeiten der F 90 erweitern. Darüber hinaus wird die F 90 mit dem voraussichtlich im Herbst 1993 auf den Markt kommenden Nikon-Data-Link-System die erste Kleinbild-Spiegelreflexkamera der Welt sein, die sich an einen Electronic-Organizer anschließen läßt.
Wir haben die Nikon F 90 mit der Multifunktionsrückwand MF-26 und den neuen D-Objektiven AF Nikkor 3,5-4,5/28-70 mm D, AF Nikkor 2,8/35-70 mm D und AF Nikkor 2,8/80-200 mm D-ED geprüft.

Autofokussystem

Ein völlig neues Autofokus-Modul (CAM 246) mit 172 horizontalen und 74 vertikalen CCD-Elementen macht laut Nikon das Fokussieren schneller und auch gleichmäßiger als bisher. In Verbindung mit superschnellen Mikrocomputern und dem "kernlosen" Autofokus-Motor der Nikon F 90 garantiert das CAM246-Modul schnelle und präzise Scharfeinstellung. Auch durch horizontale Strukturen läßt sich dieses System nicht beirren.
Das große Meßfeld erfaßt selbst Objekte, die sich nicht unmittelbar in der Bildmitte befinden, und bewegte Objekte lassen sich leichter verfolgen. Für präzises Fokussieren auf kleinere Motivdetails bietet sich das kleine Meßfeld mit einem 3 Millimeter großen Sensor-Meßkreuz in der Bildmitte an. Die Umschaltung der AF-Meßfelder erfolgt über eine Taste, die neben dem Einstellrad angeordnet ist. Neben dem Einzel-Autofokus mit Schärfenpriorität hat die Nikon F 90 kontinuierlichen Autofokus mit Auslösepriorität zu bieten. In allen AF- und Filmtransport-Betriebsarten schaltet die Kamera automatisch auf die dynamische Schärfennachführung, sobald sie eine Objektbewegung erkennt. Außerdem ist auch die manuelle Fokussierung mit elektronischer Einstellhilfe möglich. Die helle BriteView-Einstellscheibe liefert auch bei schwachem Licht ein klares Sucherbild, so daß auch direkt auf der Sucherscheibe nach Sicht fokussiert werden kann.
Wir haben alle Varianten der Scharfeinstellung mit der Nikon F 90 geprüft und nichts Nachteiliges festgestellt. Allerdings hatten wir den Eindruck, daß der Autofokus nicht so schnell arbeitet wie beispielsweise bei der Minolta 9xi. Eine genaue Auskunft darüber ist jedoch erst von den Normtest-Messungen in einer der nächsten COLOR FOTO-Ausgaben zu erwarten.

Belichtungsmeßmethoden

Mit der F 90 stellt Nikon eine weiterentwickelte, perfektionierte Form der Matrixmessung vor, ,die mit dem Autofokus-Modul CAM 246) über die Software verknüpft ist. In Kombination mit der 8-Felder-Matrixmessung Lind den neuen D-Objektiven werden die Meßwerte über Motivhelligkeit und Kontrast erstmals durch Informationen über den Aufnahmeabstand ergänzt. Durch diese dritte Dimension wird die Auswertung der 8 Meßzonen laut Nikon optimiert. In der Praxis haben wir jedoch bei Motiven mit hohen Kontrasten trotz 3D-Matrixmessung eine Tendenz zur Unterbelichtung wiederholt festgestellt. Bei der mittenbetonten Integralmessung wird das Motiv über das Belichtungsmeßfeld, das in der Mitte des Sucherbilds gekennzeichnet ist, mit einer Gewichtung von 75 Prozent angemessen. Das Umfeld wird mit 25 Prozent berücksichtigt. Die Spotmessung eignet sich für selektives Anmessen kleiner Objekte oder bestimmter kleiner Motivpartien. Das erfaßte Feld wird durch einen kleinen Kreis in der Mitte des Suchers gekennzeichnet.

Das Blitzsystem

Auch beim Blitzmeßsystem der F 90 hat Nikon neue Wege zur Problemlösung gefunden. Für die hochpräzise Blitzinnenmessung verwendet die Nikon F 90 den ersten 'ITL-Multi-Sensor der Welt mit fünf Meßzonen. Bisher beschränkten sich Blitzmeßzellen im Boden des Spiegelkastens auf ein einziges Meßfeld. Bei der F 90 erfaßt der Multi-Sensor das vom Verschlußvorhang beziehungsweise der Filmoberfläche reflektierte Licht mit fünf verschiedenen Meßzonen.
Zusammen mit dem neuen Blitzgerät SB-25 und einem D-Nikkor-Objektiv können die Vorteile der neuartigen Blitzsteuerung voll ausgeschöpft werden. Durch nicht wahrnehmbare, ultrakurze Meßblitze des SB-25 unmittelbar vor Öffnen des Verschlusses werden die Helligkeitswerte des Motivs in den fünf Meßzonen "blitzschnell" analysiert. In die Auswertung der Meßdaten wird die Entfernungsinformation vom D-Nikkor mit einbezogen. Auf diese Weise werden meßverfälschende Motivteile - wie zum Beispiel stark reflektierende oder dunkle Flächen, aber auch zu nah oder zu weit entfernte Motivpartien ignoriert. Zusätzlich wird die Stärke des Blitzes dem vorhandenen Umgebungslicht automatisch angepaßt, was vor allem beim Aufhellblitzen wichtig ist. Bei der Aufhellblitztechnik der Nikon F 90 haben wir nichts zu bemängeln, die Bildergebnisse waren stets korrekt belichtet.
Mit den manuell zu fokussierenden Nikkor-Objektiven ohne eingebauten Mikrocomputer bietet die F90 mittenbetontes und Spot-Aufhellblitzen. Der TTL-Meßsensor fungiert in diesem Fall als Einzelmeßzelle.

Belichtungsfunktionen

Die Nikon F 90 ist mit einem Vari-Programm-System ausgestattet. Sieben fest in die Kamera installierte Programme für häufig vorkommende Motivsituationen bieten demjenigen, der unbeschwert fotografieren möchte, eine willkommene Hilfe: Porträtprogramm, Porträts mit Vorblitzen gegen rote Augen, Schärfentiefenprogramm, Landschaftsprogramm Silhouettenprogramm, Sportprogramm sowie Nahaufnahmeprogramm.
Außer dem Vari-Programm hat die F 90 eine Multi-Programmautomatik mit Programmverschiebung (Shift), Blendenautomatik, Zeitautomatik mit Verschlußzeiten von 1/8000 Sekunde bis zu 30 Sekunden sowie manuelle Belichtungseinstellung.
Die Programme können mit den drei Belichtungsmeßmethoden eingesetzt werden. Sehr bequem ist Arbeitsweise in der Programmautomatik, bei der dank einer Shift-Möglichkeit Blende und Verschlußzeit durch Drehen des Einstellrades beliebig eingestellt werden können, ohne den gemessenen Belichtungswert zu verändern. 
Die Belichtungskorrektur reicht von -5 bis +5 EV in dritter EV-Stufen. Dies ist eine sinnvolle Funktion, die man in der Praxis öfter benötigt, als man denkt.

Handhabung und Sonstiges

Die Nikon F 90 liegt recht gut in der Hand. Die Bedienungselemente sind ohne Fingerakrobatik zu erreichen. Die Einstellung der Funktionen erfolgt auf dem Display durch das von Autofokus-Kameras hinlänglich bekannte gleichzeitige Antippen mehrerer Tasten beziehungsweise durch Drehen am Einstellrad bei durchgedrücker Taste.
Die Multifunktionsrückwand MF-26 bietet interessante Erweiterungen der Einsatzmöglichkeiten der Nikon F 90. Zu ihren Funktionen zählen unter anderen die Dateneinbelichtung, ein Intervall-Timer, Langzeitbelichtungen bis zu fast 100 Stunden, eine Bildserienautomatik, eine Belichtungsreihenautomatik für drei bis neunzehn Aufnahmen mit unterschiedlicher Belichtung für alle Betriebsarten, ferner eine Blitzbelichtungsreihen-Automatik sowie die individuelle Proggrammiermöglichkeit der Grundeinstellung der F 90.
Die Datenrückwand MF-25 von Nikon enthält eine Quarz-Signaluhr mit automatischem Kalender zur Einbelichtung des Datums oder der Uhrzeit.
Mit der voraussichtlich im Herbst 1993 auf den Markt kommenden Nikon-Data-Link-IC-Karte AC-IE (in englischer Version) wird die F 90 zur ersten Kleinbild-Spiegelreflexkamera der Welt, die sich an einen taschengerechten Electronic Organizer anschließen läßt. In Verbindung mit einem Sharp Electronic Organizer der 8000er Serie gestattet diese Karte eine interessante Erweiterung der Funktionssteuerung der Nikon F 90. Die Einprogrammierung individueller Belichtungsvorgaben sowie individueller Programmkurven und benutzerspezifischer Rückstellungen ist mit dieser Karte möglich. Die Nikon-Data-Link-Karte enthält darüber hinaus noch eine Vielzahl wichtiger Informationen, die durch die Bedienung der F 90, des Blitzgeräts SB-25, der Multifunktionswand MF-26 und der Nikon Datenrückwand MF-25 führen. Sämtliche Informationen erscheinen auf dem LCD-Schirm des Electronic Organizer.
Der eingebaute Motor bietet drei Betriebsarten: S für Einzelbilder, CL für Serienbilder mit bis zu zwei Aufnahmen pro Sekunde und CH für Serienbilder mit bis zu 3,6 Bildern in der Sekunde. Der Selbstauslöser kann auf eine oder zwei aufeinanderfolgende Auslösungen eingestellt werden, wobei eine variable Vorlaufzeit zwischen 2 bis 30 Sekunden einstellbar ist.
Der festeingebaute High-Eyepoint-Sucher zeigt das Sucherbild mit den Belichtungsdaten aus 19 Millimetern Abstand, was für Brillenträger wertvoll, aber auch für den Normalsichtigen von Vorteil ist. Einstellung der Filmempfindlichkeit (DX-Kodierung), Filmeinzug, Filmtransport und Rückspulung erfolgen automatisch.
Das Nikon-Bajonett wurde nicht verändert. Jedes Nikon-Objektiv mit Al-Kupplung ist für die F 90 geeignet, doch erst das umfangreiche Programm an AF-Nikkoren einschließlich des Al-P-Nikkors gestattet eine umfangreiche Nutzung der vielfältigen Funktionen der Nikon F 90. Diese Objektive sind mechanisch und elektronisch optimal auf die F 90 abgestimmt und gewährleisten perfekten Datenaustausch zwischen Kameragehäuse und Optik. Die neuen AF-Nikkore des Typs D allerdings gehen noch einen Schritt weiter. Sie melden auch die Entfernungseinstellung an den Mikrocomputer der F 90, so daß die Matrixmessung um eine dritte Dimension bereichert wird.

Fazit

Die Nikon F 90 hat in unserem Praxisbericht ihre Stellung zwischen der Nikon F4 und der Nikon F-801s bestätigt. Die Kamera läßt sich für verschiedene Motivbereiche gut einsetzen. Zu bemängeln ist, daß - mit Ausnahme der Programmautomatik - die Blenden und Verschlußzeiten nur in ganzen Stufen einzustellen sind (obwohl die Anzeigen in Drittelstufen erfolgen). Das Batteriefach (für vier Mignon-Zellen) läßt sich bei dieser Kamera nur mit einer Münze öffnen. Dasselbe gilt auch für das Batteriefach der Rückwand, wo außerdem beim ersten Öffnen die schwarze Farbe vom Schraubenschlitz abgesprungen ist.
Negativ aufgefallen ist uns außerdem die Abblendtaste, die sich nur mit einem doch relativ hohen, in den Sehnen und in der Fingerspitze spürbaren Kraftaufwand betätigen läßt.
Hierbei handelt es sich jedoch lediglich um kleine Schönheitsfehler, welche die ansonsten positiven Eigenschaften dieser rund 1700 Mark teuren Kamera nicht entscheidend beeinträchtigen. Die Nikon F 90 ist nach unserer Prüfung insgesamt positiv zu bewerten und erhält das COLOR FOTO-Prüfsiegel Praxisbericht sehr gut****.

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