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Artikel

2001

Kameras

Test Voigtländer Bessa-R

Die Bessa-R und der Mess-Sucher

Die Voigtländer Bessa-R ist eine typisch deutsche Kamera, wie sie nur Japaner bauen können: sehr gute Fertigungsqualität und Ausstattung zu einem Preis, den die Konkurrenz als Kampfansage deuten muss. Die kleine Messbasis des Entfernungsmessers spart Geld aber schränkt den Einsatz lichtstarker Teleobjektive ein. Und dennoch ist die Bessa-R in vielen Disziplinen so gut wie die teure Konkurrenz, in einigen sogar besser.

+ kompakte, leichte und dennoch solide Bauweise

+ preisgünstiger Einstieg ins M-39-Mess-Sucher-System

+ großer, heller Mess-Sucher

+ sehr gute, klare Rahmeneinblendung im Sucher 

+ exzellent ablesbare Lichtwaage im Super

+ schneller Verschluss für eine Mess-Sucher-Kamera

+ sehr einfache Bedienung 

+ Blendeneinstellung am Objektiv in halben Stufen

- kleine Messbasis

Mit feiner Nischenpolitik baut Ringfoto unter dem Label Voigtländer die Reihe der M-39 Kameras und Objektive aus. Anders als die „Black Box" Bessa-L ist die neue Bessa-R eine vollwertige Mess-Sucherkamera. Die erste für Testzwecke freigegebene Kamera ist ein einwandfrei verarbeitetes Exemplar, das trotz üppigem Metall-Einsatz weniger als 400 Gramm auf die Waage bringt. Damit empfiehlt sich die Bessa-R als unauffälliger Reisebegleiter, der weder die Foto- noch die Brieftasche belastet. Mit dem Color-Skopar 2,5/35 mm bestückt, kostet die Bessa-R nämlich weniger als 17 Hundertmarkscheine. Dafür erhält die Fotografin oder der Fotograf eine exzellente Ausstattung für eine klassische Mess-Sucherkamera.
Der für die Brennweite 35 mm ausgelegte Sucher liefert ein sehr helles Sucherbild, das in der Praxis größer erscheint als man es aufgrund des Vergrößerungsfaktors von 0,7fach erwarten würde. Sehr präzise erfolgt auch der automatische Parallaxenausgleich und die Einblendung der vier hellen Leuchtrahmen für die Brennweiten 50 mm, 75 mm sowie paarweise für 35 mm und 90 mm. Die Einstellung der Leuchtrahmen erfolgt mit einem griffigen, sehr präzise einrastenden Schalter auf der Gehäuseoberseite.
Für seine Positionierung ließen sich jedoch bessere Standorte ausmachen, wie zum Beispiel auf der linken Frontseite neben dem Gewindeanschluss. Die Platzierung unmittelbar am Ort des Geschehens (direkt über den Suchermasken) spart weitere Kosten und hängt sicher auch damit zusammen, dass bei einer Kamera ohne Bajonett und ohne automatische Rahmeneinblendung der manuelle Umschalter nicht ohne weiteres zwischen der Objektivkupplung und den Suchermasken angebracht werden kann (wie bei der Leica M6).
Das Schraubgewinde ist sowohl an der Kamera als auch an den Objektiven mit der nötigen Präzision gefertigt, aber es macht einem dennoch bewusst, welche Handhabungsvorteile das Bajonett bringt. Verglichen mit einem Bajonett ist das Schraubgewinde nun mal eine antiquierte Lösung. Das wird jedoch die nostalgischen Besitzer zahlreicher M-39-Objektive in keiner Weise stören. Im Gegenteil, besagte Zielgruppe wird sich über die Vorzüge der TTL-Belichtungsmessung freuen. Richtig eingesetzt, liefert die mittenbetonte Integralmessung der Bessa-R auch auf Diafilm korrekte Belichtungen.
Der Belichtungsabgleich geschieht im Sucher durch eine hervorragend ablesbare Lichtwaage. Zwei mit Plus bzw. Minus markierte, hell leuchtende rote Pfeile zeigen die Belichtungsabweichung, ein roter Punkt dagegen die korrekte Belichtung an. Die Verschlusszeiten lassen sich in ganzen, die Blenden sogar in halben Stufen einstellen. Die Drehrichtung des Blendenrings am Objektiv stimmt mit der Pfeilrichtung überein, was sehr praxisgerecht ist. Das Verschlusszeitenrad muss jedoch für den Belichtungsabgleich entgegen der Pfeilrichtung gedreht werden. Das ist sicher ein Feld für zukünftige Modellpflege, wobei sich Cosina damit ruhig Zeit lassen kann. Schließlich hat Leica auch 40 Jahre benötigt, um das gleiche Manko bei den M-Kameras zu beheben. Dem mechanischen Metalllamellen-Verschluss der Bessa-R fehlt die leise Unauffälligkeit des Tuchverschlusses der Leica M-Kameras. Dafür ist er jedoch schneller: 1/2000 Sekunde als kürzeste Verschlusszeit und 1/125 Sekunde als Blitzsynchronzeit (Leica M6: 1/1000 s kürzeste Verschlusszeit und 1/45 s Blitzsynchronisation). Und die Bessa-R kann noch ein praxisgerechtes Argument anführen: Die Kamerarückwand lässt sich wie bei einer Spiegelreflexkamera öffnen, was den Filmwechsel einfacher macht als bei den M-Leicas, bei denen der Filmwechsel über den Kameraboden durchgeführt wird.

Der Mess-Sucher. Das Wesentliche an einer Mess-Sucherkamera ist - Sie ahnen es - der Mess-Sucher. Und zwar nicht weil er der Kameragattung den Namen gegeben hat, sondern weil er maßgeblich über die Schärfe der Aufnahmen entscheidet. Mit einem Messsucher kann man sogar vom extremen Weitwinkelbereich bis zum moderaten Telebereich genauer scharf stellen als mit einer Spiegelreflexkamera. Entscheidend für die Genauigkeit der Scharfeinstellung ist die optisch wirksame Messbasis (effektive Messbasis). Bei einer Spiegelreflexkamera wird sie bei Fokussierung auf der Mattscheibe nach folgender Formel vereinfacht berechnet, ohne die Beschaffenheit (Körnung) der Mattscheibe zu berücksichtigen:
 
(Objektivbrennweite : Blende) x (Objektivbrennweite : Okularbrennweite) = effektive Messbasis
 
Konkretisieren wir die optisch wirksame Basislänge am Beispiel der Leica R8 (Okularbrennweite 66,66 mm) mit folgenden Objektiven:

mit Objektiv 2,8/21 mm: 2,33 mm

mit Objektiv 2,8/28 mm: 4,20 mm

mit Objektiv 2/50 mm: 18,75 mm

mit Objektiv 1,4/50 mm: 26,79 mm

mit Objektiv 2/90 mm: 60,76 mm

mit Objektiv 2,8/135 mm: 97,64 mm.

Grundsätzlich gilt: Je größer die effektive Messbasis ist, desto genauer ist auch die Scharfeinstellung. Bei einer Mess-Sucherkamera ist die effektive Messbasis vollkommen unabhängig von der Brennweite des Objektivs oder seiner Anfangsöffnung. Sie wird lediglich durch die Kamerakonstruktion bedingt und kann wie folgt errechnet werden:

 

Mechanische Messbasis x Suchervergrößerung = effektive Messbasis

 

Daraus ergeben sich bei den aktuellen Mess-Sucherkameras des Marktes folgende Daten für die optisch wirksame Basislänge: 

Leica M6-0.85 = 69,25 mm x 0,853 = 59,07 mm

Leica M6 = 69,25 mm x 0,72 = 49,86 mm

Konica Hexar RF = 69,2 mm x 0,6 = 41,52 mm

Voigtländer Bessa-R = 36,5 mm x 0,7 = 25,55 mm

Damit ist die effektive Messbasis der Bessa-R zwar das Schlusslicht bei den Mess-Sucherkameras, aber im Weitwinkel- und Standardbereich wesentlich genauer als eine Spiegelreflexkamera (es sei denn, man verwendet ein Heliar 2,5/75 mm). Es gibt zwar noch eine Rahmeneinblendung für 90 mm, aber sicherheitshalber sollte man bei und ab dieser Brennweite keine lichtstärkeren Fremdobjektive als 1:3,5 oder 1:4 verwenden. Neben der optisch wirksamen Messbasis beeinträchtigen nämlich zwei weitere Faktoren die Genauigkeit der Entfernungseinstellung: Erstens die begrenzte Sehleistung des menschlichen Auges, die zudem noch von Person zu Person schwankt, und zweitens die Fertigungstoleranzen bei der Herstellung des Mess-Suchers und der Übertragungskupplung zum Objektiv. Folglich darf die Ungenauigkeit der Scharfeinstellung, die durch die Leistungsschwäche des menschlichen Auges verursacht wird, den Bereich der Schärfentiefe bei offener Blende auf keinen Fall übersteigen. Wenn man den Wert der so genannten Punktschärfe mit einer Bogenminute annimmt (was einem Durchschnittswert entspricht, denn die Schwankungsbreite kann von Mensch zu Mensch zwischen 40 Bogensekunden und 3 Bogenminuten betragen), ergeben sich bei einer effektiven Messbasis von 25,55 mm folgende Grenzwerte für die Genauigkeit der Fokussierung bezogen auf die Anfangsöffnung und die Brennweite der Objektive: 1:1,4 bei 60 mm, 1:2 bei 70 mm, 1:2,5 bei 75 mm, 1:3,5 bei 90 mm und 1:4 bei 100 mm. Dabei sind die produktionsbedingten Ungenauigkeiten nicht berücksichtigt. Und die sind angesichts der erforderlichen sehr geringen Fertigungstoleranzen fast schon vorprogrammiert. Hier ein Beispiel: Der Winkel der Spiegelfläche im Teilerprisma des Mess-Suchers muss auf eine Bogenminute genau geschliffen und in das Chassis eingesetzt werden. Wenn man das auf die Entfernung London - Paris überträgt, müsste eine imaginäre Linie, von London aus gezogen, in Paris einen Menschen mit ausgebreiteten Armen treffen. Oder ein weiteres Beispiel: Die Achse der Gleitrolle des Entfernungsmessers (Übertragungsrolle zur Optikfokussierung) muss praktisch mit null Toleranz eingeschliffen werden. Das ist deswegen erforderlich, weil sämtliche Entfernungen zwischen 70 cm und unendlich auf einem Stellweg von nur 4,437 mm eingestellt werden. Wer also hochgeöffnete Teleobjektive an die Bessa-R einsetzen möchte, der sollte sicherheitshalber mindestens auf Blende 4 oder noch besser 5,6 abblenden. Man ist aber auf jeden Fall auf der sicheren Seite, wenn man sich an die Originalobjektive zur Bessa-R hält. 

FAZIT:

Die Bessa-R ist eine überzeugende, funktionale Interpretation der klassischen Mess-Sucher-Kamera mit M39-Schraubgewinde. Leistungsbewusste Fotografen, die den Abstand zu den Großserienversionen herkömmlicher Fotoapparate suchen, finden in der neuen Voigtländer-Kamera von Cosina das passende Arbeitsgerät. Sie gibt im Fotoalltag keine Rätsel auf, und der Fotograf hat die Gewissheit, dass diese Kamera ihn nie überfordern kann.

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