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Artikel

2001

Photographica

AMATEURKAMERAS AUS DER ZEIT UM 1930

Leder & Nickel

Seit den 20er Jahren EROBERTEN BALGENKAMERAS DIE HERZEN DER AMATEURE. Wir stellen zwei filigrane Meisterwerke aus dieser Zeit vor.

Balgenkameras der 20er und 30er Jahre gehören zu den schönsten Fotoapparaten: lackiert und wunderbar nostalgisch mit Leder und Nickel sowie mit vielen Hebelchen und Verstellmöglichkeiten versehen. Es sind Kameras für das Filmformat 6,5 x 9 cm. Zwei Exemplare stehen hier stellvertretend für das ganze Genre: die Voigtländer Bergheil aus Braunschweig und die Welta aus Freital bei Dresden. Für den heutigen Fotoamateur wäre alles an diesen Kameras ungewohnt. Schon das Öffnen birgt seine Tücken: Bei der Bergheil ist immerhin ein seitlicher Knopf dafür vorhanden, bei der Welta jedoch verrät nur eine kleine Beule im Leder, wo man drücken muss, damit die Frontplatte herunterklappt. Anschließend drücken Sie die beiden Griffe unterhalb des Objektivs zusammen und ziehen die Objektivstandarte auf den Schienen des Laufbodens heraus, bis sie in der Unendlichstellung einrastet. Die Drehknöpfe ganz vorne dienen zur Justierung der Entfernungseinstellung. Dabei ist eine kleine Skala am Boden behilflich. Für Nahaufnahmen hat der Boden einen doppelten Auszug, was Fotos im Maßstab 1:1 ermöglicht.
Der kleine „Brillantsucher" funktioniert nach dem Spiegelreflexprinzip, zeigt jedoch nur ein winziges seitenverkehrtes Bild. Der klappbare Rahmensucher dagegen arbeitet besser als man zunächst vermutet: Er bietet ein Bild in Lebensgröße, und durch die Größe der Rahmen und den dadurch bedingten großen Augenabstand sieht man den Rahmen recht scharf.
Trotzdem sind diese Kameras für Schnappschüsse nur bedingt geeignet. Ihre Stärken zeigen sie erst, wenn sie auf einem Stativ stehen. Nur dann lässt sich das Motiv auf der großen Mattscheibe optimal beurteilen. Sie können die Kamera - etwa bei Architekturaufnahmen mit Hilfe der eingebauten Wasserwaagen ausrichten und die Objektivverschiebung einsetzen. All die Möglichkeiten, die sich Kleinbildfotografen mit einem Shiftobjektiv erst teuer erkaufen müssen, sind hier bereits gegeben: Die Objektive lassen sich seitlich und in der Höhe verschieben. Wer einen Kirchturm fotografiert, braucht die Kamera nicht nach oben zu neigen (was stürzende Linien ergäbe), sondern er richtet die Kamera waagerecht aus und verschiebt das Objektiv nach oben. Das funktioniert an der Bergheil mittels der beiden Rändelschrauben links oberhalb des Objektivs. Bei der Welta ist an derselben Stelle die Höhenverstellung untergebracht, die seitliche Verstellung befindet sich unten. Übertreiben sollte man die Verschiebung freilich nicht, um unscharfe Bildränder zu vermeiden.
Das Objektiv der Welta ist ein Xenar 4,5/120 mm von Schneider, Kreuznach - ein sehr guter Vierlinser, dessen Name und Konstruktionsprinzip bis in die jüngste Zeit beibehalten wurde. Die Bergheil weist gar ein Heliar auf, einen Fünflinser, der die Lichtstärke 1:3,5 bei einer Brennweite von 105 mm ermöglicht. Die Markennamen Voigtländer und Heliar wurden vor kurzem in den „Bessa"-Kameras wieder belebt, aber konstruktiv besteht kaum eine Verwandtschaft mit den alten Apparaten.
Das Objektiv der Bergheil ist auswechselbar. Wer von seiner modernen Spiegelreflexkamera ein robustes Bajonett gewohnt ist, wird dem Objektivanschluss der Bergheil allerdings nicht allzu viel zutrauen: ein Blechring hakt hinter drei Stifte, die aussehen wie verkleinerte Polsternägel. Aber es hält, und sicher hat sich mancher Fotograf ein „Tele-Dynar" geleistet, auch wenn es teurer war als die ganze Kamera mit Normalobjektiv, oder gar einen „Collinear"-Satzanastigmat, mit dem verschiedene Brennweiten zu erreichen waren.
Die Verschlüsse sind beide vom Typ Compur der Münchner Firma Deckel, die ganze Generationen von Kameras mit diesen mechanischen Meisterwerken ausgerüstet hat. Zugleich bietet die Bauart ein gutes Indiz für die Entstehungszeit der Kameras. Vor 1920 war der pneumatische Compound-Verschluss die Regel, dann kam der Compur-Verschluss mit kleinem Einstellrad, und um 1930 erhielt der Compur-Verschluss einen großen Zeitenring (siehe COLORFOTO 2/1996). So dürfte die Bergheil aus der Zeit kurz vor 1930 stammen und die Welta vom Anfang der 30er Jahre. Die Voigtländer bietet 1 bis 1/200 Sekunde, die Sie am Rad über dem Objektiv einstellen. Das kleine Rädchen links dient zur Wahl zwischen Momentaufnahme, B oder T. Wenn der Verschluss auf T steht, öffnet der erste Druck auf den Auslöser den Verschluss, ein zweiter Druck schließt ihn wieder - eine unentbehrliche Einstellung, um das Motiv auf der Mattscheibe betrachten zu können. Zum Spannen dient der Hebel rechts, ausgelöst wird mit dem Auslöser links unten oder per Drahtauslöser. Die Welta zeigt die fortschrittlichere Lösung: hier stellen Sie alles an einem Ring ein; die kürzeste Zeit ist 1/2-50 Sekunde.
Die Qualität beider Kameras beeindruckt: Die Gehäuse sind bereits aus Leichtmetall, während einfachere Apparate noch aus Holz gebaut wurden. Als Bezug dient echtes Leder. Die Bergheil verrät durch ihr Äußeres, dass sie stark strapaziert wurde, aber sie funktioniert bis auf den heutigen Tag einwandfrei, ebenso wie die Welta. Qualität hatte schon damals ihren Preis: Die Voigtländer Bergheil kostete über 200 Reichsmark, was zu der Zeit ein kleines Vermögen war. Die Welta dürfte etwas billiger gewesen sein.
Trotzdem sind es Amateurkameras. Unter gestandenen Fotografen galt das Format 6,5 x 9 cm als zu klein, denn die Vergrößerungstechnik war noch nicht weit verbreitet. Im Vergleich zu größeren Modellen boten die 6,5 x 9-Konstruktionen jedoch enorm kompakte Gehäuse und niedrigere Filmkosten. Verwendet wurde normalerweise Planfilm oder Filmpack. Es gab allerdings auch schon Rollfilmkameras, doch noch war man gewohnt, die Negative einzeln zu entwickeln, und wem das Einlegen des Planfilms in die Kassette (selbstverständlich in der Dunkelkammer!) zu kompliziert war, der kaufte fertige Filmpacks. Ein derartiger Filmpack bestand aus zehn Einzelfilmen, die man jeweils durch Ziehen an einer Papierlasche in Aufnahmeposition brachte. Später konnte man dann jedes Bild einzeln entwickeln.
Heute sind Balgenkameras aus der Zeit um 1930 noch keine Raritäten. Daher kann man sich den Wunsch nach einer solchen Kamera heute leichter erfüllen als unsere Vorfahren, denn ihr Preis auf Flohmärkten und Fotobörsen ist kaum höher als damals der Neupreis.

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