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Artikel
2001
Kameras Test
Zurück in die Zukunft
Bronica RF645
Mischbild-Entfernungsmesser statt Autofokus: Bei der RF645 für das Format 4,5x6 cm setzt Bronica zumindest zum Teil auf die Technik der Vergangenheit. Weil Messsucherkameras Aber Immer Beliebter Werden, ist vielleicht gerade dies ein Schritt in die Zukunft.
Das Mittelformat in der Variante 4,5x 6 cm kann man so oder so sehen: Die einen finden, dass die Bilder am Rollfilm eigentlich nicht groß genug sein können, also alles unterhalb 6x 6 oder 6x 7 eher überflüssig ist. Für die anderen ist 4,5x 6 cm die einzig wahre Alternative zum Kleinbildformat. Es bietet deutlich mehr Filmfläche als Kleinbild, aber immerhin noch 16 Aufnahmen pro 120er-Rollfilm - und nicht nur zwölf wie bei 6x6 oder zehn wie bei 6x7. Und wer mit 4,5x6 cm Freundschaft geschlossen hat, der sollte an einer Mess-Sucherkamera dieses Formats erst recht Gefallen finden: Der schwere Prismensucher einer Spiegelreflexkamera entfällt, das Kameragehäuse und die Objektive sind leichter und kompakter.
Dementsprechend präsentiert sich die Bronica RF645 als handlicher Kasten mit Ecken und Kanten, die durchaus einen gewissen Charme vermitteln. Weniger gilt dies für die goldenen Schriftzüge an Oberfläche und Vorderseite - sie wirken antiquiert, was nicht in Einklang mit den modernen inneren Werten der Kamera steht.
Positiv fällt dagegen auf: Das Gehäuseoberteil besteht aus einer Magnesiumlegierung; die Kamera liegt satt und angenehm in der Hand. Und die findet wegen des rechts angesetzten gummierten Griffs überdies ausgezeichneten Halt. Der Auslöser ist, wie heute üblich, am abgeschrägten Oberteil des Griffstücks zu finden. Das an der Gehäuserückseite angesetzte Kunststoffteil ist so ausgeformt, dass sich der Daumen einhaken kann und somit die Kamera auch mit einer Hand sicher greifen lässt.
Kleinbildfotografen, die nach dein Ansetzen des Objektivs durch den Sucher der Bronica schauen, werden überrascht sein.
Quer oder hoch?
Hält man die Kamera nämlich wie gewohnt, präsentiert sich der für Messsucherkameras typische Leuchtrahmen im Hochformat. Ist man dagegen auf querformatige Fotos aus, muss man folglich die Kamera in eine Position bringen, die bei Kleinbild der einer Hochformataufnahme entspricht. Diese verquer anmutende Tatsache ergibt sich aus der Lage des Rollfilms im Kameragehäuse und der Position des Bildfensters (siehe Foto auf der nächsten Seite). Bei Spiegelreflexkameras für 4,5 x 6 cm umgeht man dieses Problem - wenn man es denn als solches sehen will - mit einer um 90 Grad gedrehten Filmführung in der Rollfilmkassette. Aber vielleicht sollte man die Bronica einfach als Einladung betrachten, künftig mehr Hochformataufnahmen zu machen.
Der Sucher der Bronica ist sehr hell und verzeichnet leicht tonnenförmig. Der eingespiegelte Leuchtrahmen ist gut zu sehen, links davon findet sich ein gelbgrünes Anzeigefeld, das unter anderem Auskunft über das gewählte Belichtungsprogramm, Verschlusszeit oder Arbeitsblende gibt. Fotografiert man in Querformat-Position, so ortet man das Anzeigefeld je nach Kamerahaltung ober- oder unterhalb des Leuchtrahmens. Zahlen und Buchstaben befinden sich dann in „liegender" Position, was zunächst ungewohnt, aber eben nicht zu ändern ist.
Der Leuchtrahmensucher der Bronica 645EF ist mit einem automatischen Parallaxenausgleich versehen: Der Rahmen wird permanent so verschoben, dass die Parallaxe zwischen Aufnahmeobjektiv und Sucher bei verschiedenen Entfernungseinstellungen automatisch ausgeglichen wird. Man hat also bei allen möglichen Entfernungseinstellungen jenen Motivausschnitt auf dem Foto, den man zuvor im Sucher gesehen hat. Der Mischbildentfernungsmesser der 645EF arbeitet einwandfrei, wenngleich dieses Fokussiersystem von SLR-Fotografen generell eine gewisse Einarbeitung verlangt.
Belichtungssteuerung
Die Messzelle des Belichtungsmessers befindet sich direkt neben dem Sucherfenster. Laut Herstellerangabe wird die Belichtung „in fünf voneinander unabhängigen Segmenten gemessen und mit einem mittenbetonten Algorithmus bewertet." Berücksichtigt werden dabei der Bildwinkel des Objektivs, die Helligkeit des abzubildenden Objekts, der Kontrast zwischen den verschiedenen Messsegmenten und eine Reihe weiterer Faktoren.
Gesteuert wird die Belichtung wahlweise mittels Programm- oder Zeitautomatik. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten, die Belichtung zu korrigieren: Mit einem Druck auf die AEL-Taste speichert man den gerade aktuellen Belichtungswert. Er bleibt bis zu fünf Minuten gespeichert, kann aber durch abermaligen Druck auf die AEL-Taste auch wieder gelöscht werden.
Über den mittig an der Gehäuserückseite angeordneten Korrekturwahlschalter lässt sich die Belichtung in halben Blendenstufen korrigieren. Am Korrekturwahlschalter stört nur, dass er nicht in Nullstellung arretiert und zudem ziemlich leichtgängig ist. Ein versehentliches Verstellen ist daher leicht möglich. Dem ISO-Drehrad und der Wählscheibe für die Be Lichtungsprogramme haben die Konstrukteure dagegen eine Arretierung spendiert. Was darüber hin aus positiv auffällt: Die Wählscheibe für die Belichtungsprogramme und Verschlusszeiten ist so groß bemessen, dass sie über die Vorderkante des Gehäuses hinausragt und deshalb mit dem Zeigefinger bequem bedient werden kann. Ein Gummiring an der Scheibe erhöht die Griffigkeit.
Wer will, kann Verschlusszeit und Blende bei Bedarf manuell einstellen; eine Plus-Minus-Digitalanzeige, abgestuft in halben Blendenwerten, ermöglicht die Nachführmessung. Die Differenz zum korrekten Belichtungswert wird in einem Bereich von bis zu drei Blenden angezeigt.
Zentralverschluss
Die Bronica arbeitet mit einem elektronisch gesteuerten Zentralverschluss im Aufnahmeobjektiv; die Verschlusszeiten werden in Stufen von 1/12 Blende automatisch eingestellt und reichen von 1 bis 1/500 Sekunde bei Zeitautomatik (1/750 Sekunde bei Programmautomatik). Manuell lassen sich Zeiten von 1 bis 1/500 Sekunde in ganzen Stufen einstellen. Blitzgeräte können, wie bei Zentralverschluss üblich, mit allen zur Verfügung stehenden Zeiten synchronisiert werden. Mit dem Betätigen des Filmtransporthebels wird gleichzeitig auch der Verschluss gespannt.
Erwähnenswert ist außerdem der so genannte Hilfsverschluss im Kameragehäuse. Dieser schließt sich automatisch, wenn das Objektiv von der Kamera abgenommen wird, und verhindert damit, dass das Licht ungehinderten Zutritt zum Film in der Kamera hat. Setzt man das Objektiv wieder an, so öffnet sich der Hilfsverschluss automatisch und die Kamera ist sofort wieder schussbereit. Dieses Komfortmerkmal ist keine Selbstverständlichkeit.
Praktische Extras
An der Rückseite der Kamera findet sich neben dem bereits erwähnten Korrekturwahlschalter und dem Hauptschalter auch der Selbstauslöser mit einer Vorlaufzeit von zehn Sekunden. Während des Vorlaufs blinkt eine LED an der Vorderseite der Kamera; zwei Sekunden vor der Auslösung erhöht sich die Blinkfrequenz.
Mehrfachbelichtungen sind mit der Bronica RF645 ebenfalls möglich: Die Taste ME hebt die elektronische Verriegelung des Auslösers auf, so dass auf den gleichen Filmabschnitt belichtet werden kann wie bei der Aufnahme zuvor. Der Modus Mehrfachbelichtung lässt sich nur aktivieren, während die Sucheranzeige aktiv ist -und das sind maximal fünf Sekunden. Dies ist zwar ein wirksamer Schutz gegen versehentliche Mehrfachbelichtungen, setzt den Fotografen aber auch etwas unter Zugzwang. Zum Trost: Die Funktion lässt sich beliebig oft aktivieren. 1
Fazit
Karl Stechl
Die Bronica RF645 überträgt das klassische Messsucherkonzept auf eine 4,5x6Kamera mit robuster Konstruktion und fortschrittlichen Features. Die Kamera ist mit allen wesentlichen Mess- und Steuerfunktionen ausgestattet, wirkt aber keinesfalls mit Technik überfrachtet. Entsprechend einfach und schlüssig lässt sich die RF645 bedienen. Ein Ärgernis ist nur, dass sich der Aufstecksucher für das 45-mm-Objektiv und das empfehlenswerte Systemblitzgerät R20 ein und denselben Blitzschuh teilen müssen - ein Manko, das man auch von vergleichbaren Kameras kennt. Abgesehen davon leistet sich die Kamera keine nennenswerte Schwäche und kann deshalb jedem Messsucher-Fan wärmstens empfohlen werden.
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