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Alexander Borell Kommentar

Die neue Canon F-1 - eine alte Canon F-1?

Monatelang bewegte uns die Frage, was Canon nun eigentlich als neues Spitzen- und Profimodell bringen würde. Nach der PMA, der amerikanischen "photokina", stand mein Telefon tagelang nicht mehr still: ich hatte einigen hundert Canon-Fans in Aussicht gestellt nach dieser PMA mehr über eine neue Canon F-1 zu wissen - ich mußte sie enttäuschen, ich wußte nichts. Aber die Sorge bei Hobbyfotografen und Profis wuchs; würde nun auch Canon, einer japanischen Neigung folgend, mit einem Supermodell die Konkurrenz übertrumpfen wollen und eine Kamera bauen, die noch mehr Hebel, Schalter, Beleuchtungen und nie gebrauchte Möglichkeiten hatte, so daß man vor lauter Perfektion überhaupt nicht mehr mit ihr fotografieren könnte?

Nun wissen wir es: die neue F-1 sieht auf den ersten Blick aus wie die alte; sie ist nicht einmal eine F-4, eine F-1 Super oder ähnliches geworden; sie ist eine schlichte F-1 geblieben.
Aber ein wenig anders ist sie doch, das merkt man auf den zweiten Blick: sie ist ein wenig niedriger geworden, etwas mehr abgerundet, etwas eleganter.
Beim dritten Blick, natürlich durch den Sucher, wissen wir es: sie ist die alte, unverwüstliche F-1 geblieben! Wir sehen rechts neben dem Sucherbild - von jeher ein Unding mancher Hersteller, ein "klares" Sucherbild mit Skalen und Zeigern zu verhunzen! - die bekannte Skala mit dem Zeiger für die Verschlußzeit und der Nachführkelle mit dem kleinen Ring für die Blenden-Nachstellung. Bringt man beides zur Deckung, stimmt die Belichtung. Also volle manuelle Bedienung wie gehabt. Dann aber kommt es einem (alten F-1-Besitzer) so vor, als sei der Sucher erheblich heller. Ein Vergleich mit der alten Kamera und tatsächlich, deren als vorbildlich bekanntes Sucherbild wird noch übertroffen.
Spätestens jetzt fällt auf, daß sich diese F-1 auch besser anfassen läßt; natürlich, sie hat ein Griffstück ähnlich der A-1, unter dem sich eine 6Volt Batterie verbirgt. Aha, denkste, da hat sie also auch mehr Elektrisches als die Alte mit ihrem 1,3 Volt-Knopf, und stellst den Objektiv-Ring auf das grüne "A" für Automatik. Tatsächlich ist nun die Messkelle von der Skala verschwunden, der Zeiger pendelt über die Blendenzahlen, zeigt die richtige Blende an - aber man kann nicht auslösen. Zum Blendenautomaten wird die neue F-1 nämlich erst, wenn Sie ihr den Winder bzw. den Motor-Drive angeschraubt haben.

Auf Wunsch mit Komfort

Halten wir fest: ohne alles eine rein manuell einstellbare Kamera; mit motorischem Filmtransport beides wahlweise: manuell oder Blendenautomat.
Inzwischen haben Sie an der Rückseite noch einen Schalter gefunden, der sich auf "NORMAL`, "HOLD" oder "LIGHT" einstellen läßt. Und schon haben Sie kapiert, was damit zu machen ist: auf "NORMAL" erfolgt die Messung nur, wenn Sie den Auslöser leicht andrücken; auf "HOLD" bleibt das Meßwerk ca. 16 Sekunden lang eingeschaltet, und auf "LIGHT" passiert beides; das Meßwerk arbeitet und die Skala wird beleuchtet, 16 Sekunden lang nach Antippen des Auslösers, egal, ob den an der Kamera oder den am Winder.
Es gibt noch eine Taste zur Prüfung der Batterie; eine Belichtungskorrektur um gedrittelte zwei Stufen nach plus und minus, der Auslöser kann blockiert werden, zugleich schaltet man mit ihm den Selbstauslöser ein, der weder flackert noch blinkt, sondern piepst, die letzten zwei Sekunden schnell. Ich habe diese Einrichtung mein Leben lang noch nie zur Selbstdarstellung benützt, aber mit dieser F-1 habe ich folgendes gemacht: in einem dunklen Raum wo ich bei offener Blende 1/4 Sekunde brauchte, habe ich den Selbstauslöser eingeschaltet, und als er anfing, hektisch zu piepsen, atmete ich aus und hielt ganz still. So verwackeln Sie evtl. auch die halbe Sekunde nicht!
Und damit ist über die neue Ur-F-1 bereits einiges, aber noch längst nicht alles gesagt.
Noch etwas hätte ich fast vergessen, weil's so selbstverständlich ist: das Rechteck im Sucher, das die selektive Messung anzeigt, ist natürlich auch geblieben. Die ganze Einstellscheibe jedoch ist neu. Nicht nur heller, sondern auch deutlicher dank besonderer Bearbeitung der optischen Fläche - und der Schnittbild-Kreis bleibt hell bis Blende 5,6 und dunkelt auch dann nur langsam etwas ab.
Nun könnten Sie meinen, das alles sei doch recht wenig für eine neue F-1. Das dachte ich auch und fing an, den ausführlichen englischen Text, den man mir zur Kamera für ganze drei Stunden überlassen hatte, zu überfliegen. Anschließend wechselte ich das normale, serienmäßige Prisma gegen das AE-Prisma aus, was leicht, zügig und mit einem Handgriff möglich ist. Und das Ergebnis?

Ohne Winder oder Motor haben Sie wieder die Standard F-1 mit manueller Nachführmessung. Mit Winder oder Motor haben Sie die Nachführmessung und den Blendenautomaten wie beschrieben.
Stellen Sie nun aber das Verschlußzeitenrad auf das rote "A" - ein weiterer Unterschied zur alten F-1! dann sehen Sie plötzlich rechts keine Skala mehr (unter der übrigens stets die Verschlußzeiten in grün zu sehen ist), sondern da ist eine neue Skala unterhalb (!) des Sucherbildes mit Verschlußzeiten von acht Sekunden bis zur 1/1000 Sekunde, und wenn Sie den Auslöser antippen, bewegt sich der Zeiger über die Skala: Sie haben einen Zeitautomaten!
Rechts ist die gewählte Blende eingespiegelt, jedoch nur mit den neuen Objektiven.
So haben Sie also wahlweise von einer einfachen Nachführ-Meßkamera über Blenden - und Zeitautomatik alles, was Sie heute von einer modernen Spitzenkamera verlangen können.
Und das ist immer noch nicht alles, was über diese F-1 zu sagen wäre. Vor allem, ehe wir über weitere technische Leckerbissen sprechen, sollten wir uns über die grundsätzliche Konzept an dieser neuen Canon F-1 unterhalten. Ich möchte hier zitieren, was Canon selber dazu sagt:
"Konzipiert ist sei als Nonplusultra an Widerstandsfähigkeit und Zuverlässigkeit für den Profi und den engagierten Hobbyfotografen. Sie ist eine Kamera, die auch dann noch funktionieren soll, wenn jedes herkömmliche Aufnahmegerät wegen extremer Umweltbedingungen den Dienst versagt. Besondere Maßnahmen schützen vor allem die elektronischen Schaltkreise vor Schwingungen und Feuchtigkeit. Im Bereich von -30xGRADx C bis + 60xGRADx C ist die neue F-1 voll funktionsfähig. Hinzu kommt die durch Einsatz modernster, computergesteuerter Werkzeugmaschinen wesentlich erhöhte Präzision: galten für die Alte F-1 noch Toleranzen von 0,05 mm, so sind es bei der neuen F-1 nur noch 0,02 mm." Sagt Canon. In drei Stunden kann ich das nicht überprüfen, möchte aber trotzdem noch etwas zur Konzeption sagen: Diese F-1 ist für harte Berufsarbeit gedacht oder für jene Fotografen, die ihr Hobby sehr ernst nehmen und die nicht durch die Lande wandeln in der Hoffnung, es möge ihnen etwas vor die Linse kommen. Die F-1 ist für gezieltes Arbeiten konzipiert, d.h., der Fotograf weiß meistens schon im voraus, was er vorhat und richtet sich entsprechend danach. So wird er z. B. für Arbeiten vom Stativ, etwa bei technischen Aufnahmen, die "nackte" F-1 mit Nachführmessung verwenden, für Sportaufnahmen wird er Winder oder Motor anschließen und mit Blendenautomatik arbeiten usw. Er wird sich auch vorher überlegen, welches der Suchersysteme er zur Lösung einer Aufgabe am besten verwendet, denn es stehen ihm fünf Suchereinsätze zur Verfügung. Die beiden Prismen-Einsätze kennen wir schon, darüber hinaus gibt es zwei Sucherlupen bis zu 6-facher Vergrößerung und einen Sportsucher, mit dem man in einigem Abstand vom Auge das Motiv beobachten kann.

Manuell kann der Verschluß übrigens auch noch die 1/2000 Sekunde schaffen, und der gesamte Meßbereich reicht von LW- 1 bis + 20, was wirklich allen Ansprüchen genügen kann.
Und weil wir gerade von der Belichtungsmessung sprechen: Sie haben schon erfahren, daß die F-1 - wie bisher auch - selektiv mißt. Diese genau definierte Messung ist zur Lösung der meisten fotografischen Aufgaben wichtiger als eine Automatik mehr. Daher wird die Canon F-1 auch mit dieser Meßmethode geliefert.
Sie kann aber noch mehr, nämlich auf drei Arten die Belichtungsmessung steuern: integral mit deutlicher Mittenbetonung, selektiv und "Spot". "integral mittenbetont" ist eine Universalmeßung, die in die meisten Kameras eingebaut wird, weil man mit ihr niemals etwas ganz falsch machen kann; allerdings ist sie auch nur selten optimal.
Bei der Canon-Selektiv-Messung hingegen werden nur 12% des Sucherbildes angemessen und die sieht man im Sucher als liegendes Rechteck angedeutet. (Standardausrüstung) Die Spot-Messung erfaßt gar nur 3% des Motivs, erlaubt somit unerhört präzises Anmessen des bildwichtigen Teils eines Motivs; auch hier wird der Meßwinkel im Sucher genau definiert.
Und jetzt wollen Sie endlich wissen, wo an der Kamera der Hebel sitzt, der diese drei Meßverfahren steuert.
Es gibt dafür keinen Hebel! Wenn wir nämlich wieder davon ausgehen, daß jeder Hebel oder Knopf eine mechanische oder elektronische Funktion haben muß, hat jeder Hebel oder Knopf auch die Möglichkeit zu versagen.
Canon hat dieses Problem ebenso interessant wie einfach und zuverlässig gelöst: Sie wechseln nur ohne Werkzeug und mit einem Griff die Sucherscheiben aus!
Für meinen Geschmack sind Canon, was die Sucherscheiben betrifft, die Gäule durchgegangen: es gibt deren 32! Allerdings teilen sich diese wieder folgendermaßen auf: mit 13 Scheiben können Sie integral mit Mittenbetonung messen, mit weiteren 13 Scheiben messen Sie - wie schon beschrieben - definiert selektiv, und mit 6 weiteren Scheiben haben Sie einen 3% - Spot als Meßkreis zur Verfügung. Die einzelnen Einstellscheiben sind natürlich jedem Zweck angepaßt, u.a. gibt es auch die neue Einstellscheiben mit dem Kreuzschnittbild. Serienmäßig wird die neue F-1 mit der Schnittbild/Selektiv-Einstellscheibe geliefert, die man auch am häufigsten anwenden wird.

So hat Canon also eine Systemkamera geschaffen, die - ohne Erker Balkone und Spitzgiebel - alles da kann, was der Fotograf von eine Topmodell verlangt und alles ohne großen Bedienungsaufwand. Man ist gottlob nicht der Versuchung erlegen, jede erdenkliche Technik in einen Kamera-Body einzubauen, der das alles gar nicht mehr aufnehmen kann, ohne nahezu irreparabel zu werden. Dabei ist die Funktion dieser Kamera so logisch und übersichtlich aufgebaut, daß man sie sofort "im Griff" hat und die umfangreiche und deutliche Bedienungsanleitung später nicht mehr braucht. Einige Punkte müssen noch erwähnt werden:
Der horizontal ablaufende Schlitzverschluß aus sehr dünnen Titaniumumfolien ist mit 1/90 Sekunde blitzsynchronisiert. Er läuft ab dieser Zeit bis zur 1/2ooo Sekunde mechanisch, und zwar nur dann, wenn sich keine Batterie in der Kamera befindet! Das wird hauptsächlich jene Fotografen befriedigen, die in ständiger Angst leben, es könnte ihnen die Batterie in der Sahara oder am Südpol versagen. Die langsamen Zeiten von 1/60 - zu vollen 8 Sekunden werden elektronisch gesteuert, um höchst Präzision in diesem Bereich zu gewährleisten.
Das Meßwerk arbeitet mittels eine Silizium-Zelle, die in Höhe der Einstellscheibe so angeordnet ist, daß sie - Über die Einstellscheibe - die drei verschiedenen Meßarten ausführen kann.
Mit einem Schieber kann der Suchereinblick verschlossen werden, um rückseitiges Störlicht bei Stativaufnahmen zu verhindern.
Die neue F-1 ist keine ausgesprochen leise Kamera, der Spiegel ist jedoch gedämpft, man spürt den Schlag nicht, aber man hört den Rückschlag. Das Geräusch ist sauber, nicht scheppernd.
Der Film wird konventionell eingelegt: Spule mit Schlitzen und kleinen Haken, die zwar gut fassen und beim Einlegen keine Schwierigkeiten machen, trotzdem hätte ich mir für diese Kamera einen neuen statt des alte Zopfs gewünscht. Der Normalverbraucher wird sich - um vor allem in den Genuß der Automatiken zu kommen - das AE-Prisma und den Winder zulegen, der zwei Bilder pro Sekunde zieht und nur vier normale Batterien benötigt. Er gibt auch der F-1 eine besonders gute Handlage. Wer glaubt, er müsse bis zu fünf Bildern pro Sekunde belichten, kann mit dem Motor-Drive arbeiten, zu dem es wieder mehrere Stromquellen gibt.

Man wird sich in der Praxis auch wahrscheinlich das normale Prisma sparen und gleich die Kamera mit dem AE-Automatik-Prisma kaufen, um alle ihre Vorteile ausnützen zu können.
Ober die Preise war bis jetzt, wo ich diesen Kommentar schreibe, noch keine genaue Angabe zu erhalten; es ist aber anzunehmen, daß man bei Canon auch hier ein Auge auf die Konkurrenz hat und nicht bemüht sein wird, sie im Preis zu überbieten. Ich habe Ihnen zum Schluß noch einmal die Möglichkeiten dieser Kamera tabellarisch aufgestellt, damit Sie eine klare Übersicht haben, Dazu ist jedoch noch zu bemerken, daß es selbstverständlich möglich ist, auch mit der Arbeitsblende automatisch (Zeitautomatik natürlich) zu arbeiten, und daß beide Prismensucher mit einem "heißen" Blitzschuh mit zwei Zusatzkontakten ausgerüstet sind, so daß es mit den entsprechenden Canon-Blitzgeräten auch noch eine Blitzautomatik gibt.
Wegen der kurzen Zeit, in der mir die F-1 zur Verfügung stand, konnte ich mit ihr nur drei Filme belichten. Die Ergebnisse waren mit allen Einstellungen gleich hervorragend -wie bei meiner alten F-1, die ich am 8. 3. 1973, abends im Hotel New Otani, Tokio, gekauft habe und die bis heute noch nie versagt hat.

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