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Alexander Borell Kommentar

Pentax MV

Die Konsequente

Als die Schweizer noch Individualisten waren und dem Hut des Herrn Gessler absolut keine Reverenz erweisen wollten, gab es noch keine Fotokameras. Heute hängen an jeder Straßenecke - nicht nur in der Schweiz, sondern überall in der Welt, sogar in Japan! - die uniformen Verkehrsampeln, vor denen wir unsere Reverenz zu erweisen haben: wenn sie nachts um 3 Uhr auf "Rot" stehen, müssen wir halten, auch wenn wir überdeutlich erkennen können, daß sich rundum keinerlei Verkehr mehr abspielt. Diese Verkehrssignale haben wesentlich dazu beigetragen, von staatswegen jeden Individualismus auszurotten. Und ohne diese internationalen Gesslerhüte wäre man bei Asahi-Pentax in Japan sicherlich nicht auf die Idee gekommen, eine Kamera mit den Signalen "Rot", "Gelb" und "Grün" zu bauen, in der Gewißheit, daß diese Signale auch vom hinterkünftigsten Analphabeten verstanden werden, die folglich mit der Pentax MV auch tadellose Aufnahmen machen können. Als die Pentax ME im Jahre 1976 auf den Markt kam, war sie die kleinste und leichteste Spiegelreflexkamera der Welt. Sie hat sich inzwischen viele begeisterte Anhänger erworben, Amateure, denen eine "Sucherkamera" schließlich nicht mehr genügte und solche, die zwar ohne technische Grübelei fotografieren, sich aber trotzdem die gestalterische Chance der Wechselobjektive nicht entgehen lassen wollen.
Die MV geht konsequent noch einen Schritt weiter: erstens wiegt sie mit ihren 420 Gramm noch 40 Gramm weniger, und zweitens braucht man beim Fotografieren tatsächlich nur auf die farbigen Signale links neben (!) dem Sucherbild zu achten. Das "neben" ist wichtig, weil weder Skalen noch Zeiger den Blick vom Motiv ablenken.
Welche Verschlußzeit die Automatik - die MV ist ein Zeitautomat! - einsteuert, sieht man nicht. Es wird einfach "Rot", wenn Überbelichtung erfolgen würde, z. B. mit höchstempfindlichem Film leicht möglich. Man schließt dann eben die Blende so weit, bis das Signal "Grün" anzeigt, und hat so zugleich die Gewähr dafür, daß die MV nun mit der kürzesten Verschlußzeit (1/1000) arbeitet. "Grün" bedeutet also immer "freie Fahrt". Wird's hingegen "Gelb", fotografiert man ebenso auf eigenes Risiko, wie wenn man die Kreuzung bei "Gelb" überfährt: Es kann gut gehen, dann macht die Pentax MV nämlich immer noch 1/30 Sekunde, sie kann dann aber auch eine volle Sekunde belichten, und dann geht's aus der Hand wohl schief. Man soll jetzt blitzen, natürlich nicht im Sportstadion oder vor der Burg Drachenstein. Nimmt man zu solchen Aufnahmen ein Stativ, belichtet die Pentax ins Uferlose: Ohne Licht im Keller auf Eierbriketts machte sie bei mir 2 Minuten und 57 Sekunden lang nicht zu. Das Ergebnis war schwarz. Immerhin schafft sie bei nächtlichen Aufnahmen mehr als die angegebene eine Sekunde, aber das sollte man selber ausprobieren. Eine angenehme Eigenschaft übrigens, die bei den Asahi-Pentax-Automaten schon von Anfang an so war: bereits die erste Zeitautomatik-Pentax schaffte je nach eingestellter Filmempfindlichkeit bis zu 20 sec. - allerdings ohne Rücksicht auf den Langzeiteffekt. Die Bedienung dieser Kamera ist grundsätzlich einfach; sobald jemand mit Messer und Gabel essen kann, kann er mit der MV auch fotografieren. Nach der Einstellung der Filmempfindlichkeit links an einem griffigen Rändelrad, wird rechts ein Schalter auf "Auto" gestellt, und damit hat sich's. Benützt man das dazugehörige Blitzgerät "AF 200 S", stellt sich die Kamera selber drauf ein. Verwendet man ein "Fremdgerät", stellt man auf die mechanische 1/100 Sekunde ein. Daß diese Zeit auch ohne Batterie funktioniert, beruhigt viele harmlose Gemüter, die beim Stichwort "elektronisch" sofort eine Art von Zwangsneurose bekomme und sich mitten in der Wüste mit erschöpfter Batterie sehen: sie habe dann immer noch die 1/l00 Sekunde Diese Tatsache wird auch von cleveren Werbeleuten - oft in Ermangelung anderer Gags - als positiv hochgespielt, dabei aber der harmlosen Fotografen verheimlicht daß er mit dieser Verschlußzeit ja nur weiterfotografieren kann, wenn er in seiner Ausrüstung noch einen Handbelichtungsmesser eingeplant hat und - dessen Batterie nicht tot ist! Es gibt dann auch noch die "B"-Stellung, mit der man vom Stativ aus die superlangen Zeiten beherrscht.
Auf einen Blitzkabel-Anschluß hat man verzichtet. Wer kauft sich schon, wenn er unbeschwert fotografieren will, einen Profiblitz mit Kabel?
Daß man jedoch auch auf einen Winderanschluß verzichtet hat, leuchtet mir nicht ein, noch dazu in einer Zeit wo die ersten Kameras mit integriertem elektrischem Verschlußaufzug den Markt bereichern. Man hat doch schon den schönen Winder der ME und viele Menschen kaufen, vorausschauend, Möglichkeiten.
Offensichtlich hat's hier bei Pentax kurz nach dem Start auch rot aufgeleuchtet, weshalb man sofort der MV die Pentax MV-1 nachfolgen ließ. Die MV-1 ist grundsätzlich die gleiche Kamera, nur hat sie einen Selbstauslöser, den man sicher gern und oft verwenden wird; eine auswechselbare Rückwand mit Memohalter für die verwendeten Filme, was ebenfalls heute zum Standard jeder Kamera gehört; und schließlich - Sie werden's kaum für möglich halten! - einen Anschluß für den Winder der Pentax ME! (Daß Sie nun zusätzlich auch noch eine Rückwand erwerben und verwenden können, die diverse Daten auf den Film mit einbelichtet, scheint mir weniger lebenswichtig zu sein.) Und so ist diese Kamera -ja welche nun? Ich schlage vor: vergessen Sie die MV und kaufen Sie gleich die MV-1, spätestens nach dem dritten Film werden Sie mir dafür danken.
Und so ist also diese MV-1 eine sehr nette, sehr sinnvolle Kamera für alle Verkehrsteilnehmer.
Wer allerdings mit dieser Pentax falsch belichtete Aufnahmen erhält, braucht nicht mehr zum Augenarzt zu gehen, diese Kamera liefert ihm den untrüglichen Beweis dafür, daß er farbenblind ist.

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