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Alexander Borell Kommentar
Rolleiflex SL35E
Die Brave mit dem Beißzangencharme
Ihr fehlt eigentlich nichts. Der Rollei SL 35 E. Ein prachtvolles Werkzeug. Zum Fotografieren. Mit "sauberem" Sucherbild. Und diagonalem Schärfen-Indikator! Verschlußzeiten von vollen 16 Sekunden bis zur 1/1000! Durch rote Leuchtdioden angezeigt. Aber warum nicht immer lesbar?
Nur sehr junge Männer ohne jegliche Erfahrung finden es begehrenswert, mit einer Frau verheiratet zu sein, nach der alle übrigen Männer sehnsüchtig schielen und sich dabei was wünschen. Wenn Sie sich eine Rollei SL 35 E kaufen, werden Sie das begehrliche Glitzern in den Augen anderer Fotografen vermissen. Vielmehr ist es so, wie es in einer guten Ehe sein soll: nur Sie allein wissen, was Sie da Kostbares besitzen, bewährt in allen Lebenslagen. Und um das Fazit der folgenden Zeilen gleich vorwegzunehmen: dieser Rollei SL 35 E fehlt nichts, aber auch gar nichts, was ein engagierter Amateurfotograf sich wünscht. Daß sie äußerlich, mit mancher anderen Kamera verglichen, den Charme einer Beißzange ausstrahlt, bestätigt nur die Tatsache, daß sie ein prachtvolles Werkzeug zum Fotografieren ist.
Es fängt bei dem sehr sauberen, durch keinen Mikroprismenring verunstalteten Sucherbild an. Zwar gibt's auch hier Mikroprismen, aber sie sind überaus fein, und der Meßkreis ist so klein, daß er im Sucher nicht stört. Dazu kommt noch ein diagonaler "Schärfenindikator", mit dem es sich erheblich besser einstellen läßt, als sonst mit dem üblichen Schnittbild. Es bleibt noch Umfeld genug, so daß man auch mit langen, lichtschwachen Brennweiten sehr gut einstellt.
Ich kann, als Brillenträger, das ganze Sucherbild sehen und sogar die unten eingespiegelte Blende erkennen. Die ist wichtig, weil die SL 35 E ein Zeitautomat ist. Die Verschlußzeiten wiederum (von vollen 16 Sekunden bis zur 1/1000!) werden mittels roter Leuchtdioden beim leichten Druck auf den Auslöser neben einer Zeitenskala angezeigt, die man bei schwachem Licht ebensowenig ablesen kann, wie bei anderen Kameramodellen. Was denken sich die Hersteller eigentlich grundsätzlich dabei, wenn von zwei notwendigen Informationen oft nur die eine sichtbar ist?
Die Filmempfindlichkeit wird links an einem griffigen Stellrad, - nein, damit stellt man nur auf Plus oder Minus bis zu zwei Blendenstufen ein; die Empfindlichkeit wird mit der "Abdeckscheibe" eingesteuert, die sich ab Windstärke 7 von selbst verstellt. Kleben Sie sie sofort fest, wenn Sie nicht böse Überraschungen erleben wollen, und schicken Sie vor allem nicht gleich die Kamera zur Reparatur ein, wenn ein ganzer Film versehentlich total über- oder unterbelichtet wurde, weil sich dieses Scheibchen verstellt hat. Ein typischer Reißbrett-Fehler. Aber den gibt's ja woanders auch, oft noch teurer.
Dafür hat deutsche, bzw. Braunschweiger Gründlichkeit einen hübschen, grünen Knopf zum Testen der 6-Volt-Batterie angebracht: ist sie noch gut, leuchtet es vorn an der Kamera rot auf, wie auch dann, wenn der Selbstauslöser läuft.
Das Verschlußzeitenrad ist konventionell rechts neben dem Schalthebel angebracht. Die Zeiten lassen sich von 16 Sekunden bis zur 1/1000 einstellen, in die Automatikstellung "A" kommt man nur rein oder aus ihr heraus, wenn man eine Sperre drückt. Das ist gut so.
Wer mit manuellen Zeiten arbeiten will, findet an der SL 35 E etwas Ungewohntes: Die manuell einstellbaren Zeiten rasten nicht, wie man das so gewohnt ist, ein. Nein, das Zeitenrad läßt sich stufenlos verstellen, genaue Kontrolle erfolgt im Sucher!
Die Elektronik wird nur bei Druck auf den Auslöser eingeschaltet, trotzdem kann man den Auslöser noch arretieren, um versehentliches Auslösen oder Stromgeben zu verhindern. Das Meßsystem, wie üblich "mittenbetont` aber nicht genau definiert, ist gegen Störlicht durch das Sucherokular empfindlich, weshalb Rollei eine Augenmuschel mitliefert, die man zur Abdeckung hochschieben muß. Anderswo haben das sogar Porsche-Designer auch so steinzeitlich gelöst, man sollte das also Rollei nicht anlasten. Viel wichtiger und erfreulich ist der Taster für die Arbeitsblende, der einer guten Kamera heute nicht mehr fehlen sollte. Er ermöglicht auch bei der SL 35 E mit Offen- oder Arbeitsblende zu messen.
Der Rückspulschalter auf der Kamerarückseite ist zugleich Schalter für Mehrfachbelichtung, und damit ist diese Kamera tatsächlich ein Gerät, mit dem man sehr anspruchsvoll fotografieren kann.
Der "heiße" Sucherschuh fehlt ebenso wenig, wie ein gesonderter Kontakt für Blitzkabel. Durch Hochziehen der Rückspulkurbel öffnet man die Rückwand, die gegenläufige Film-Aufwickelspule wurde vor einem genialen Geistesblitz sorgfältig bewahrt. Und sogar an die Einschub-Vorrichtung für die Filmpackungs-Lasche hat man gedacht. Die SL 35 E ist eine komplette Kamera. So komplett, daß man auf ihrem Kameraboden die Kontakte und Übertragungs-Öffnungen für einen Winder findet.
Den soll's auch tatsächlich geben. Ich habe ihn am 5. Dez. 79 angefordert, am 18. 12. montiert, ihn aber bis heute, - Anfang Januar -, wo ich diese Zeilen schreibe, noch nicht erhalten. Dies deckt sich mit Anrufen von Amateuren bei mir, die über eine gewisse Säumigkeit im Hause Rollei, sowohl bei Reparaturen als auch bei Neulieferungen klagen. Was die Objektive von Rollei angeht, braucht man keine Sorge zu haben: Es sind Zeiss-Konstruktionen von höchster Qualität.
So bekommt man also für knappe 700.- eine sehr sauber gearbeitete Kamera, bei der manches notwendige Detail besser gelöst ist, als bei anderen, die mehr kosten.
Die Bedienungsanleitung ist der Kamera entsprechend: sie enthält sachlich alles Wissenswerte, aber ermutigt nicht zu Ausbrüchen der Begeisterung. Von 131 Seiten Text sind 20 deutsch.
Vielleicht sollte man in Braunschweig nicht nur gegen die roten Zahlen kämpfen, sondern auch mal verstopfte Werksleitungen freischaufeln. Und noch vielleichter sollte das KB-Team allmählich einsehen, daß man einen abgefahrenen Zug nicht einholt, wenn man stets dann an eine Station kommt, wenn der Zug sie bereits wieder verlassen hat.
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