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Artikel
2003
KAMERAS PHOTOGRAPHICA
Agfas 4-Mark-Box
Doppeltes Jubiläum
Mit einer spektakulären Marketing-Aktion für eine Agfa-Billig-Kamera begann vor 70 Jahren das Zeitalter der Massenfotografie in Deutschland.
Kaum zu glauben, dass dieses unscheinbare Ding eine Massenhysterie ausgelöst haben soll: Ein schwarzer Kasten aus Pappe mit Leder-Trageriemen. Zwei Blechdeckel vorn und hinten, dazu winzige Mattscheibensucher und im Inneren versteckt eine Brillenglas- Linse. Mehr ist nicht dran an der legendären Agfa „Preis-Box", die im Sommer 1932 halb Deutschland in Aufregung versetzte. Mit der Absicht, neue Bevölkerungsschichten für die Fotografie zu gewinnen, hatte Deutschlands größter Kamera- und Filmhersteller Agfa über Presse und Rundfunk ein Münz-Suchspiel angekündigt. Die Teilnehmer mussten vier Markstücke mit den Prägeort-Kürzeln A-G-F-A finden. Für diese vier „Agfa-Mark" gab es dann beim Fotohändler „einen richtigen Photo-Apparat", eben die „Preis-Box".
Damit trat Agfa eine Lawine los. Ausgerechnet im wirtschaftlichen
und politischen Chaos des Krisenjahres 1932 schien den Deutschen nichts begehrenswerter als der Papp-Knipskasten. Die Direktion in Berlin hatte zwar 100 000 Preis-Boxen bereitgestellt, doch die waren schon nach zwei Tagen weg. Für den Fotohandel entstand eine brenzlige Lage. Gebieterisch forderten die Kunden den versprochenen Umtausch ihrer Agfa-Mark gegen eine Box, die wochenlang nicht lieferbar war. Wegen der stürmischen Nachfrage musste die Aktion mehrfach verlängert werden. Bei Agfas Zulieferbetrieben und in einem Bierzelt neben dem Münchner Kamerawerk leimten, nagelten und nieteten 800 zusätzlich eingestellte Kräfte täglich bis zu 12 000 der schwarzen Knipskästen zusammen. Der Rummel endete erst Mitte Oktober. Da hatte der Handel fast 900 000 Preis-Boxen unters Volk gebracht. Sie reichten - wie die Agfa-Firmenleitung stolz verkündete - aneinander gereiht gut 117 Kilometer weit. Die berühmte Vier-Mark-Box ist mittlerweile nicht nur eine Reliquie für Photographica-Sammler, auch in der Werbebranche gilt die Kampagne von 1932 noch heute als Schulbeispiel für geniales Marketing.
Box-Kameras
Die Deutschen starteten spät. Erst nach dem Ende der großen Inflation von 1923 brachten die Kamerahersteller Ica/Dresden und Goerz/Berlin die ersten „echten" Rollfilm-Boxen heraus. Damals war das Konzept dieser Jedermanns-Knipskästen bereits ein Vierteljahrhundert alt. Kodak-Gründer George Eastman hatte es Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt, um sein revolutionäres Negativmaterial „Film" zu vermarkten. Zu Zeiten, als Fotografie den Laien noch als schwierig, umständlich und teuer erschien, eröffnete die Box einen Einstieg auf niedrigem Preisniveau. Ihre Benutzung war fast so simpel wie bei einer modernen Kleinbildkamera und der Erfolg ebenso garantiert. Vorausgesetzt, der Knipser konnte die Einheits-Belichtungszeit von 1/30 Sekunde ruhig halten - und die Sonne schien, denn mit Offenblende 11 und wegen der anfangs noch sehr bescheidenen Filmempfindlichkeit taugte die Box zwar nur als Schönwetter-Gerät, doch mit ihr entwickelte sich die Fotografie bereits in den dreißiger Jahren zum echten „Volkssport". Beim Neubeginn nach Krieg und Währungsreform setzte die Fotowirtschaft dann erneut auf die bewährten Knipskästen. Vor 50 Jahren, im Sommer 1952, riefen Industrie und Handel auf zu einem großen „Photowettkampf mit der Box". Er entwickelte sich mit 53 000 eingesandten Bildern zum größten Fotowettbewerb, den es je in Deutschland gab. So kam die eingeschlafene Amateurfotografie wieder mächtig in Schwung.
Die Box - ein Erfolgskonzept
Kennzeichen der Box: Einfach-Kamera für Rollfilm in Kastenbauweise, meist mit Spiegelsucher(n), Fixfokus und nur einer Momentverschlusszeit.
Aufnahmetormate: überwiegend 6x 9 cm (auf Rollfilm Typ 120), aber auch 4,5 x 6, 4 x 6,5 und 6 x 6 cm. Seltener sind die Größen 3x4, 5x7,5 und 6,5x 11 cm. Optik: In der Regel einfache Menisken, teils als „Frontlinse" (sichtbar), teils als „Hinterlinse" (nicht sichtbar) im Gehäuse montiert. Außerdem gibt es Boxen mit „Doppelobjektiv" (Periskop), bestehend aus zwei symmetrisch angeordneten Menisken. Selten sind Achromate (verkittete, farbkorrigierte Zweilinser).
Lichtstärke: Um ihre Abbildungsfehler zu unterdrücken, sind die Box-Objektive meist zwangsweise abgeblendet auf 11 im Format6 x 9 oder 8 bei 6 x 6 cm.
Verschluss: Typisch ist der Rotationsverschluss, bei dem sich eine Scheibe mit Langloch vor (oder hinter) der Blendenöffnung dreht. Außerdem gibt es einfache Klappen-Verschlüsse. Standard-Momentbelichtungszeit ist meist 1/30 Sekunde.
Produktionszeit: Beim Box-Erfinder Kodak (USA) etwa ab 1900, in Deutschland von 1924 bis 1970.
Verbreitung: Etwa zwei Dutzend deutsche Hersteller lieferten rund 12 Mio. Box-Kameras. Die Hälfte ging in den Export.
Sammlerpreise: Agfas Nachkriegs-Massenboxen „Synchro" und „Clack" gibt es oft schon für zehn Euro, die meisten anderen Modelle für 15 bis maximal 50 Euro. Raritäten wie Zeiss Ikons „Balilla" oder die Welta „Sica" können 400 oder mehr als 500 Euro kosten.
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