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Artikel

2003

KAMERAS PHOTOGRAPHICA

Pionierin der Kleinbildfotografie

Die Amourette

In den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts erschienen die ersten Kameras für 35-mm Kinofilm. Die „Amourette", ab 1925 von der Österreichischen Telefon-AG in Wien hergestellt, gehörte hier zu den Pionierinnen.

Leicht hatten es die Verfechter des 35-mm-Films nicht. Das Format galt als viel zu klein für ernsthaftes Arbeiten. Doch die Möglichkeit, zahlreiche Bilder auf einem Film festzuhalten und großzügig mit dem Material umzugehen, überzeugte doch einige Fotografen. Bei der Amourette (kleine geflügelte Liebesgöttin) waren die geringe Größe und die Handlichkeit weitere Argumente. Und vielleicht beflügelte sie ja auch manchen Anwender.

Wie in jenen Jahren üblich, gab es zwischen den einzelnen Serien Unterschiede, die sich nicht unbedingt nachvollziehen lassen. Es gab lackierte und belederte Ausführungen sowie verschiedene Objektive und Verschlüsse, die ganz unterschiedlich miteinander kombiniert wurden. Das abgebildete Modell gehört technisch zu den aufwendigsten und dürfte Ende der zwanziger Jahre hergestellt worden sein. Sein Objektiv ist vierlinsig, ein „Helioplan" der Firma Meyer, Görlitz, mit den Daten 4,5/40 mm. Da es keine Entfernungseinstellung hat, ist es für mittlere Distanzen justiert. Der Compur-Verschluss bietet Zeiten von 1/300 bis 1 Sekunde und gehört damit zum Besten, was damals zu haben war. Dass die Kameraproduzenten bei Objektiven und Verschlüssen auf Fremdhersteller zurückgriffen, war weithin üblich. Die Firma Deckel in München, Hersteller des Compur-Verschlusses, produzierte keine Kameras, und Meyer in Görlitz war Spezialist für Objektive.

Was die Österreichische Telefon-AG an der Amourette herstellte, ist wesentlich einfacher, aber ebenfalls gut gemacht: Das Gehäuse besteht aus Leichtmetall, die wichtigsten Teile werden durch nur vier Schrauben zusammengehalten. Federklemmen halten die abnehmbare Rückwand. Die technischen Aufwendungen beschränken sich im wesentlichen auf den Filmtransportmechanismus und das Bildzählwerk. Der Transportmechanismus befindet sich in der Rückwand. Zwei Haken greifen in die Filmperforation, und wenn man an dem außen sichtbaren Stahlband zieht, schieben diese Haken den Film in die leere Kassette und drehen das Rad des Bildzählers um eine Nummer weiter.

Eine besondere Kuriosität ist die Filmpatrone, die für 50 Aufnahmen vorgesehen ist. Sie besteht aus Holz, wobei die Bohrung für den Film oben und unten mit lichtdichtem Papier zugeklebt wurde. „Vor Nachahmung wird gewarnt!" steht auf dem Etikett. Diese Warnung sollte man zumindest heute getrost beherzigen. Eine Aufwickelachse gibt es nicht, der Film soll sich in der Patrone von selbst aufwickeln - was zumindest mit den heutigen Filmen nur bis zum 5. Bild funktioniert. Ein Stück Samt in der Rückwand soll den Film plan halten, was nur ansatzweise gelingt.

Die Amourette in der Praxis

Und wie fotografiert es sich mit einer Kleinbildkamera der ersten Generation? Nun, die kleine Liebesgöttin macht Spaß! Zugegeben, der Filmtransport lässt wirklich Fragen offen, eine Doppelbelichtungswarnung war damals nicht üblich, und der Klappsucher ohne Glaseinsätze erfordert Übung, weil man recht genau visieren muss, ähnlich wie bei einem Gewehr. Aber die Kamera ist wirklich sehr klein und liegt gut in der Hand; die Funktionen sind einfach und logisch. Der Probefilm zeigt akzeptable Schärfe. Da die Antireflexbehandlung der Linsen erst zwanzig Jahre später üblich wurde, sind die Farben etwas verschleiert, aber in den zwanziger Jahren wurde ohnehin schwarzweiß fotografiert. Kleinbildkameras dieser frühen Epoche tauchen nur selten im Handel auf, und wenn, dann zu hohen Preisen. Die Amourette wird für bis zu 400 Euro gehandelt; Leicas und andere Kleinbildkameras aus der Zeit sind heute wesentlich teurer. Die abgebildete Kamera erstand ich auf einem Budapester Flohmarkt. Wegen des verwahrlosten Zustandes und eines Sprungs in der Frontlinse bekam ich sie für 140 Euro. Was mag mit ihr in der bewegten Geschichte Ungarns alles fotografiert worden sein! Durch die ausgezeichnete Qualität des Compur-Verschlusses und die einfache Bauweise der Kamera war die Restaurierung (Reinigung, Teillackierung, Ersetzen einer Feder im Verschluss) problemlos.

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