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Artikel

2004

TEST-LINIE COLOR FOTO-JOURNAL

Alexander Borell über:

AGFAMATIC 2000 sensor pocket

Dienstag, der 2. Oktober 1973... Draußen scheint die Sonne über einer Industrielandschaft, die von hier oben, dem 27. Stock des Bayer-Hochhauses in Leverkusen faszinierend aussieht. Gedämpfte Spannung unter den rund zwei Dutzend Fachjournalisten, die als Gäste der AGFA für würdig befunden wurden, als erste das jüngste AGFA-Baby streicheln zu dürfen. Man hat, von der Industrie aus gesehen, stets zwei Möglichkeiten, wenn die Konkurrenz was Neues bringt: entweder man spekuliert und baut sofort drauf los, um möglichst bald schon „auch da" zu sein. Oder man schaut sich die Neuheit erst einmal gründlich an, prüft sie auf Herz und Nieren, - Verzeihung, auf Optik, Transport, Größe und Leistung, - und überlegt sich dann, wie man es noch besser machen kann.
Diesen zweiten Weg hat AGFA gewählt. Mir scheint er richtig gewesen zu sein, und der Anschein verdichtete sich zur Gewißheit, als ich die neue AGFAMATIC 2000 in die Hand und - verehrt bekam. Sogar mit meinem eingravierten Namen.
Es ist nicht die erste Kamera mit meinem Namen, damit kann man mich nicht kaufen, und erst recht nicht mit einer Kamera, die komplett in einem Geschenk-Set so um die hundert Mark im Laden kostet.
Ich weiß, als COLOR-Leser sind Sie kein Knipser. Billige Bildermachschachteln haben Sie bisher nicht interessiert. Mich auch nur am Rande. Aber ich glaube doch in Ihrem Sinne zu handeln, wenn ich hier über diese neue 110er Kamera schreibe, also über eine Kamera für die kleinen Pocket-Kassetten. Denn sicherlich gehe ich nicht fehl in der Annahme, daß ich mich nicht allzusehr von vielen engagierten Amateuren unterscheide, die nicht nur gute Fotos, sondern auch saubere Technik lieben.
Man kann über Pockets denken, was man will, aber eins muß man dieser neuen, kleinen und handlichen AGFAMATIC 2000 auf Anhieb bestätigen: eine blitzsaubere und verblüffend gut durchdachte Technik!
Inzwischen habe ich bei allen meinen Bekannten, denen ich diese Kleine gab, die gleiche Beobachtung gemacht: man nimmt sie in die Hand und fängt an, sie zu streicheln. So ähnlich, wie Asiaten das zur Beruhigung ihrer.Nerven mit jenen kleinen Elfenbeinfiguren tun, die man Netsukes nennt.
Schon vom Design her ist die Kamera gelungen: das matte Chrom mit dem tiefen Schwarz ist hübsch. Erstaunlich das Verfahren, Kunststoff durch entsprechende Behandlung so zu verarbeiten, daß er sich wie Metall anfaßt. Das nimmt der AGFAMATIC 2000 schon äußerlich den Geruch von billiger Pappe. Aber auch sonst ist an dieser Kamera nichts von Pappe: die völlige Abdeckung aller Glasteile, wenn die Kamera geschlossen ist, der Schieber an der Unterseite, der die Kamera mit leichtem Druck in die offene ArbeitsStellung sausen läßt, und als nächstes der Blick durch einen Leuchtrahmen-Kristall-Sucher, der mit zum besten gehört, was ich von dieser Sucherart kenne. Selbst mit zwei linken Händen kann man die Kamera nicht so anfassen, daß Sucher und Auslöser nicht von selber genau da liegen, wo sie hingehören. Als Auslöser dient selbstverständlich der rote AGFA-SENSOR, der nicht nur federleichtem Druck gehorcht, sondern auch hinten, zur Kamerarückseite hin liegt, so daß ein Druckverreißen um die Längsachse der Kamera nahezu unmöglich ist. Nach dem „Schuß" schiebt man die Kamera zusammen, durch Federdruck springt sie wieder auf und ist für die nächste Aufnahme bereit, aber der Film wird nur dann transportiert, wenn ausgelöst wurde. Zieht man den Bodenschieber zurück, bleibt die Kamera wieder verschlossen wie ein kleiner Tresor. Dieses Ruck-Zuck, Auf-Zu kann blitzschnell erfolgen, man bringt es auf mindestens ein Bild pro Sekunde. (Mit sowas Ähnlichem habe ich schon im Frühjahr in Singapur fotografiert, und Minox macht's seit einer Generation: warum sollte man nicht übernehmen, was sich offenbar bewährt hat?)
Das Objektiv ist kein billiges Monokel, sondern ein solider, scharfzeichnender Dreilinser mit fixer Blende 9,5. Zwei Verschlußzeiten stehen nach Symbolen zur Wahl: eine präzise 1/100 und eine ebenso zuverlässige 1/50 Sekunde. Darüber, daß die 1/100 bei Sonne funktionieren würde, hatte ich keine Zweifel. Aber die 1/50 schafft es auch noch bei wirklich sehr trübem Wetter.
Die Brennweite wurde mit 26 mm ausgelegt, die Fixfocus-Einstellung gibt Schärfe von 1,2 Metern bis unendlich. In der ausführlichen Gebrauchsanweisung sollte die Nahdistanz von 1,2 Metern genannt werden: es heißt dort nur J im Nahbereich", und das wird Ärger geben, wenn Speisekarten, aus fünfzig Zentimeter Abstand fotografiert, dann unscharf werden.
Sie können auf die AGFAMATIC 2000 einen X-Blitzwürfel direkt aufsetzen, aber dann gibt's die berüchtigten „roten Augen". Deshalb wird gleich ein kleiner Adapter dazugelierfert, der den Abstand Blitz/Objektiv etwas vergrößert. Selbstverständlich dreht sich der Würfel beim Filmtransport automatisch mit. Ein roter Querbalken im Sucher signalisiert den abgeschossenen Blitz, so daß Sie auch ruhig einen nur teilweise verblitzten Würfel einstecken können: drehen Sie ihn dann nur solange, bis das rote Signal aus dem Sucher verschwunden ist.
Die Rückwand wird zum Einlegen der Kassette aufgeklappt, beim Öffnen kommt sie Ihnen durch Federdruck entgegen, man kann sie leicht herausnehmen, ohne zu schütteln oder zu klopfen. Das alles ist eine so gescheite und praktische Technik, daß es Freude macht, mit der AGFAMATIC 2000 zu fotografieren. Allein, diese durchdachte Technik würde wenig nützen, wenn es zur AGFAMATIC 2000 nicht auch zugleich einen neuen ColorNegativ-Film von AGFA gäbe, den AGFACOLOR pocket spezial. Er ist eine Weiterentwicklung des CNS und feinkörniger als dieser. Er leistet bei 29 DIN Erstaunliches an Schärfe und Farbsättigung. Aber ich glaube, über einen Film sollte man nicht nur schreiben, man sollte seine Leistung im Bilde zeigen, und das werde ich in einer der nächsten Nummern von COLOR tun. Allein aus dieser Tatsache könnten Sie schon schließen, daß die hübsche, kleine Kamera einiges zu bieten hat, denn ich würde mich hüten, Ihnen Murks zu zeigen. Durch neuartige Kombinationen der einzelnen Schichten konnte nicht nur ihre farbliche Wirksamkeit deutlich verbessert werden, sondern die Dicke der Gesamtschichten wurde um volle 25xGRADx/o gegenüber dem CNS dünner gehalten. Meine ersten Probeaufnahmen ermutigen mich dazu, Ihnen solche Aufnahmen demnächst zu zeigen. Heute nur soviel zu diesem neuen AGFA-Film. Es ist vielleicht ein Fehler von mir, daß mir die nüchterne Trokkenheit vieler Fachleute abgeht, ich neige ein wenig zu Extremen und freue mich, wo andere nur lauwarm reagieren, und ich urteile manchmal härter, als es besonnene Routiniers tun. Ich glaube aber, daß Kurven mit ausgeprägten Zacken deutlicher zu lesen sind, und wenn mir eine Kamera Spaß macht, möchte ich meine Freude daran gerne weitergeben.
Nun, die kleine AGFAMATIC 2000 macht mir Freude. Sie ist keine Kamera, die sich ein COLORLeser als einzige zulegen wird. Aber sie ist eine ideale Zweitkamera, wenn man einmal ganz unbeschwert sein will und seine kiloschwere Ausrüstung so richtig dick hat. Dann steckt man die AGFAMATIC 2000 in irgendeine Tasche, zwei Blitzwürfel in eine andere und - vergißt beides. Und irgendwann freut man sich unterwegs, daß man nun doch rasch ein paar Aufnahmen machen kann, Aufnahmen sogar zum Herzeigen. (Sie ist rund 11 cm lang, 5 cm breit und 2,5 cm tief. Sie wiegt mit Film ca. 160 Gramm, und Sie bekommen auf Wunsch eine Kette und ein Lederbeutelchen mit Klettverschluß dazu.)
Sie ist im Auto wichtiger als ein Höhenmesser oder ein Kompaß, und überhaupt schenkt man diese Kamera entweder sich selbst zum Vergnügen, oder, diplomatischer, seiner Frau oder Freundin. Die können nämlich damit auch plötzlich das, wohin wir sie bisher nicht gebracht haben, sie verstehen unser Hobby besser, und sie jammern nicht mehr so laut, wenn wir uns mal ein Vierhunderter oder gar eine neue Kamera kaufen wollen. Sie werden zu unseren Verbündeten. Zum Schluß noch etwas zum Nachdenken: als ich meine erste Leica anfing abzustottern, winkten die damaligen „ernsthaften" Amateure ab. Für sie galt 6 x 9 als Kleinbildgrenze, unter die man nicht ging, wenn man auf sich hielt. Unsere Filme waren grauenhaft, aber das kleine, dynamische und hosentaschenfreundliche Ding von Leitz machte uns Spaß. Dann bekamen wir von Perutz den „Fliegerfilm", und später immer bessere, und  alle, die heute auf 24x36 schwören, rümpfen die Nase über das 110er-Format. Es wiederholt sich aber alles, das Böse und das Gute, und wenn man in spätestens einem Jahr dieses Format durchaus ernstnehmen wird, dann hat AGFA jetzt mit der AGFAMATIC 2000 neben den Kodak-Grundstein einen ganz gewaltigen Brocken gelegt!

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