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Artikel

2004

Der Alexander-Borell Kommentar

Die neue Rollei A110 Pocket Kamera

Auf der photokina 74 sagte mir der damalige Canon-Boss, Peter Peperzak: „Ich halte nichts von einem Journalisten, der um irgendwelcher Interessen willen nicht seine wahre Meinung sagt." Im Gegensatz hierzu vertreten manche Foto-Bosse heute noch die Ansicht, man gäbe einer Fachzeitschrift Inserate, und dafür habe sie die Produkte entsprechend zu loben. Ich habe mich noch nie um Inserate gekümmert, mein Verleger hat mir noch nie einen Text geändert oder gar abgelehnt. Und Peter Peperzak hat mit Sicherheit nur seinen Posten gewechselt, nicht aber seine Ansicht über die Aufgaben eines Journalisten. Ich musste diese vorausschicken, um meinem Kommentar zur neuen Rollei A 110 das nötige Gewicht zu geben.

Ich habe sie im März 1973 zum ersten Mal gesehen, sie war damals gewissermaßen gerade gezeugt worden und hat nun bis zu ihrem Erscheinen auf der Welt ebenso lange gebraucht, wie ein Elefant, falls er männlichen Geschlechts ist: 24 Monate. Dafür ist sie jetzt wohl ebenso gesund, wie ein junger Elefant, und mit allem dran, was man zum Leben braucht. Wenn Sie, liebe Leser, dieses kleine Ding beim Fotohändler zum ersten Mal in die Hand nehmen, beugen Sie sich dabei über die Theke, oder besser: hängen Sie dieses winzige Stück Präzision sofort an die mitgelieferte Kette. Die A 110 faßt sich nämlich nicht nur so appetitlich und angenehm an wie ein Stück Markenseife, sondern sie benimmt sich auch so: ehe Sie es sich versehen, ist sie Ihnen aus der Hand geglipscht. Sie ist etwa ebenso griffig, wie ein Netsuke, jene asiatische Elfenbeinschnitzerei, die ein Mann in der zweiten Generation in seiner Hosentasche poliert hat. Die A 110 in der Hosentasche liebevoll weiter zu polieren ist beruhigend und gibt Ihnen innere Sicherheit, auch bei der schwierigsten Verhandlung.
Was sie kosten wird, war noch nicht zu erfahren, aber sicherlich ist sie billiger als ein echtes Netsuke und hat obendrein den Vorteil, dass man damit auch fotografieren kann, und somit bin ich beim eigentlichen Thema. Geladen wird sie mit der inzwischen längst bekannten „Pocket-Kassette", dem 110er Format also, und macht Bilder im Originalformat 13 x 17 mm. Über dieses Format wurde schon viel berichtet, auch ich habe das getan, es eignet sich für Leute, die einen normalen KB-Film entweder nicht einspulen können oder wollen, und es eignet sich ebenso für sehr anspruchsvolle Vergrößerungen bis etwa 13x18, ein Format, das für Urlaubs- oder Erinnerungsfotos meistens nicht einmal gefragt wird. Aus 13x17 mm Negativ bekommt man 221 mm' Fläche, aus dem KB-Format 24x36 mm 864 mm', also fast viermal soviel. Eine Colorvergrößerung kann vom Pocketformat auf 30 x 40 cm nicht die gleiche Farbsättigung haben wie vom KB-Format. Aber ich habe SW-Aufnahmen auf Kodak Verichrome gemacht, die Vergrößerungen auf 18 x 24 cm aufgeblasen, und damit einen versierten KB-Mann aufs Glatteis geführt: Er tippte auf „tadelloses Kleinbild". An dieser verblüffenden Qualität sind vornehmlich zwei Dinge schuld: Einmal das Tessar 2,8/ 23, ein Vierlinser in 3 Gruppen, und zum zweiten der Auslöser, der über ein elektrisches Relais bei nur 0,5 mm Hub so weich auslöst, dass man es fast nicht merkt.
Das heißt, man merkt es an einem grünen Licht, das die Auslösung im Sucher signalisiert, und das außerdem noch anzeigt, ob man aus der Hand mit über 1/30 sek. belichtet oder mit einer längeren Zeit bis zu 4 sek. Damit ist zugleich gesagt, dass der Verschluss mit der kürzesten Zeit von 1J400 sek. elektronisch arbeitet. Er wird von einem Programm gesteuert, von 2,8 und 4 sek. bis 16 und 1/400 sek. Dass ich diesen Ablauf nicht beeinflussen kann, stört mich an dieser Kamera, für andere Leute jedoch ist das wiederum ein Vorteil: sie können absolut nichts falsch machen. Es stört mich noch mehr, dass ich die Entfernung, die mittels eines Schiebers an der Frontseite der Kamera zu betätigen ist, nur einstellen kann, wenn ich dabei durch den Sucher blicke und die Entfernungssymbole sehe. Sicherlich reichen diese Symbole bei 23 mm Brennweite zum Scharfstellen voll aus, aber ich würde das gern auch von außen und unauffällig tun können, sonst ist es mit unbemerkten Schnappschüssen Essig. Es würde weder der Eleganz dieser A 110 Abbruch tun, noch würde es Fotolaien verwirren, wenn Rollei hier noch etwas für Leute täte, die sonst mit ganz anderen Systemen arbeiten, die A 110 jedoch gern immer in der Tasche hätten. Zwei Punkte auf Schieber und Gehäuse könnten hier schon Abhilfe schaffen. Apropos Schieber: Wer dieses abscheuliche Orange an dieser sonst so geschmackvollen Kamera ausgewählt hat, trägt vermutlich auch Ringelsocken zum Blazer. Die Belichtungsmessung erfolgt mittels einer Siliziumdiode, ist also enorm schnell, so schnell, dass auch der Blitz aus dem Würfel tatsächlich gemessen wird. Um zu blitzen, steckt man einen kleinen Adapter an die Kamera, aus der dann ein dicker Stift herauskommt, den man hineindrücken muss, um den Blitzadapter wieder von der Kamera zu lösen. Will man die A 110 etwa abends komplett mit Blitzadapter in die Tasche stecken, drückt sich dieser Stift selber ein und man findet hinterher zuerst nur die Kamera in der Tasche, den gelösten Adapter muss man, weil er sehr klein ist, zwischen dem Tascheninhalt suchen. Dieser Stift ist vielleicht billig, aber für diese Kamera mit ihrem hohen technischen Standard zu billig und zu unelegant. Dafür verwendet man, technisch konsequent und adäquat zu dem superleichten Auslöser, nicht die bekannten X-Blitzwürfel, sondern die elektrischen. Weil man sich bei Rollei gesagt hat: was nützt ein zarter, beinahe zärtlicher Druck auf den Auslöser, wenn ein Hammerschlag zur Zündung eines X-Würfels nötig ist. Überraschenderweise habe ich aber bisher z. B. mit einer Agfa Optima 5000, durch den X-Würfelknall auch noch nie verwackelt. Warum nicht, das wiederum wird Agfa wissen. Jedenfalls knallt an dieser Rollei nichts, und das ist sympathisch, insbesondere bei einer Taufe in der Kirche. Die A 110 mißt geschlossen 84x 44x30 mm und ist bei ihrer kompakten Spitzentechnik mit 185 Gramm auch nicht schwer. Sie ist optimal um die Pocket-Kassette herumgebaut. Billig wird sie nicht sein, und billig darf sie gar nicht sein. Denn wer hat jetzt noch besondere Freude an etwas Billigem, auf dem Rollei steht? Vielleicht ist die A 110 sogar der erste Schritt dorthin, dass der Name Rollei wieder auf etwas Gutem steht, wie er früher einmal auf dem Besten stand. Diese kleine A 110 hat mich in meinem Glauben an Rollei bestärkt.

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