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Artikel

2004

Fritz Meisnitzer - Foto-Professional

Canon AE-1

Was bringt modernste Technik wirklich?

Jeder Journalist bekommt sein Päckchen Leserbriefe - interessante kritische Zuschriften, die viele wertvolle Anregungen geben. Manchmal sind Anregungen zur Diskussion ein wenig seltsam verpackt. So meint K. Lensch aus Hannover: „Sie schreiben zur Canon AE-1, die neu und wohl auch neu konstruiert ist, sie möchte jeder Profi. Meine Frage: Möchte der Profi wirklich Technik, die anderswo weiter ist? Möchte er wirklich die 1/60 Blitzsynchronisation? Möchte er wirklich eine Belichtungszeit bis nur 2 Sekunden? Möchte er wirklich ein Blitzlichtgerät mit einer Leitzahl von 17 bei 21 DIN? Das schafft doch fast jede Kamera auch! Wo nehmen Sie den Mut her, zu behaupten, dies wäre das Neueste? Allein aus den Ausdrücken der CPU LSI MOS, IC usw.? Haben Sie sich nicht von der Technik beeindrucken lassen, ohne diese objektiv zu überprüfen? Haben Sie einen Test gemacht, oder woher wissen Sie, dass die Kamera mit der Präzision einer Profikamera arbeitet? Der Bericht erinnert an Ihre Konkurrenz in München. Sie haben einen PR-Bericht der Firma Canon abgeschrieben, anders kann ich mir das nicht erklären. Vielleicht wurden Sie von dort bezahlt. Schade, bisher hatte ich von Ihrer Zeitschrift als einziger der Art erwartet dass Sie objektiver berichten und informativer. Fast hätte ich es vergessen. Die neue Canon hat immer noch 80 % der Mechanik, die alte Kameras auch haben. Störanfälligkeit ist also noch da. Und ist die Elektronik nicht auch störanfällig? Vielleicht etwas kritischer in Zukunft."

Auch wenn er die Sache der Profis zu seiner eigenen macht - ich glaube, Herr Lensch ist Amateur. Denn die Fragen, die er so provokativ stellt, dürften in erster Linie den Amateur bewegen. Doch sie enthalten so viel Grundsätzliches, dass ich versuchen will, sie nach bestem Wissen zu beantworten. Da ist zunächst die Blitz-Synchronisationszeit von 1/60 sek. Manche Schlitzverschlüsse erlauben kürzere Zeiten, doch das ist nicht wichtig, solange Blitz als einzige Beleuchtung eingesetzt wird.
Verwendet man den Blitz als Aufhell-Lichtquelle, so ist die 60stel Sekunde eine genauso lästige Einschränkung wie die höchstens um einen Wert kürzere Zeit anderer Verschlüsse.. Nur ein vollsynchronisierter Zwischenlinsenverschluss bietet hier die Problemlösung, die allen Belichtungssituationen gerecht wird.
Belichtungszeiten länger als eine Sekunde sind bei automatischer Belichtungssteuerung sinnlos: Das unterschiedliche Schwarzschild-Verhalten der verschiedenen Film-Typen kann dem Messwerk ja nicht mitgeteilt werden. Dass manche Hersteller Langzeitbelichtung auch bei Belichtungsautomaten einbauen, liegt einfach daran, dass die Möglichkeit dazu in der Verschlusskonstruktion enthalten ist. Vorteile bringt sie nur wenn man von Automatik auf manuelle Bedienung umschaltet und den Schwarzschild-Effekt aus Kenntnis der verwendeten Emulsion entsprechend berücksichtigt.
Diese beiden Punkte sind von grundsätzlicher Wichtigkeit. Einschränkungen in der Blitz-Synchronisation sind Einschränkungen in den technischen Möglichkeiten. Automatische Langzeitbelichtung erweitert die technischen Möglichkeiten nicht. Der Profi weiß das. Aber er nimmt es als gegeben hin, denn es ist nun einmal gerät-technisch bedingt und somit keine Diskussion wert, solange sich keine anderen geräte-technischen Lösungen anbieten. Erlauben Sie mir an dieser Stelle ein wenig Emotion: Ich bin es leid, immer wieder zu hören, dass irgendjemand in der Fotografie etwas deshalb kann, weil seine Ausrüstung etwas Bestimmtes zulässt. Man muss fotografieren können! Und kein Mensch kann nur deshalb eine exakt belichtete Vier-Sekunden-Langzeitaufnahme machen weil seine Kamera - automatisch gesteuert - vier Sekunden exakt belichtet. Das Messwerk der Kamera würde in einer solchen Belichtungssituation entsprechend seiner Programmsteuerung den Verschluss bereits nach ungefähr 2 1/2 Sekunden schließen, den Schwarzschild-Effekt der Filmemulsion also nicht berücksichtigen. Und die Aufnähme wäre schlicht unterbelichtet.
In einem Punkt am Rande hat Herr Lensch allerdings recht: Kaum ein Profi würde sich mit einem aufsteckbaren Blitzgerät an seiner Kamera erwischen lassen. Blitzlicht, das ziemlich genau parallel zur optischen Achse auf das Motiv fällt, führt zu Ausleuchtung, die flach und professionell selten verwendbar ist. Etwas schwieriger wird es, wollen wir die Vorteile aufwendiger Elektronik gegenüber bisherigen Steuersystemen diskutieren. Es gibt bislang nur zwei vollelektronisch gesteuerte Kameras - die Rollei SLX und die Canon AE-1. Ich habe mit beiden Kameras fotografiert, habe sie in sehr unterschiedlichen Lichtsituationen eingesetzt. Ich habe dabei die Lichtsituationen so gewählt, dass das Filmverhalten dass also fotochemische Einflüsse unberücksichtigt bleiben konnten. Der Schwarzschild-Effekt, den auch die Messwerke dieser modernen Kamera nicht einbeziehen können, blieb also ausgeschaltet. Um ganz sicher zu gehen, machte ich meine sämtlichen Aufnahmen auf Farbdia-Material, das anschließend einer Standard-Entwicklung unterzogen wurde - Kodak Ektachrome X im einen, Kodachrome 25 im anderen Fall, in beiden Fällen also auf leicht steil arbeitendem Material. Das Ergebnis war gleiche Dichte für sämtliche Belichtungssituationen. Fotografiert wurde mit Automatik und einer Schussfolge, wie sie der jeweils gegebene Motor zuließ. Die Kamera schwang dabei vom Licht in den Schatten und zurück. Ich stellte scharf und löste aus. Den Rest besorgte die Kamera.
Und das genau ist der Punkt, aus dem ich meinen „Mut" beziehe, zu behaupten, dass Profis solche Kameras brauchen können. Denn das ist genau der Punkt, an dem auch der Profi Automatik braucht, an dem er mit dem manuellen Nachstellen seiner Kamera nicht nachkommt. Die aufwendige Elektronik in einer Kamera bietet also eine Reihe von Benutzer-Vorteilen: Sie ist in der Lage, empfangene Informationen sehr genau und schnell auszuwerten. Und sie erlaubt Programm-Steuerung auch in jenen Grenzbereichen, die weit von Standard-Aufnahmesituationen abweichen und deshalb von bisherigen Systemen nur unvollkommen bewältigt werden konnten. Sie gibt also dem Fotografen in kritischen Situationen ein klein wenig mehr an Schnelligkeit, Erfolgssicherheit und macht sich dadurch für all diejenigen bezahlt, die perfekt belichtete Bilder aus Situationen gewinnen wollen oder müssen, welche sie auf Grund menschlicher Reaktionsschwäche oder mangelndem, geräte-technischem Wissen sonst nicht bewältigen könnten. Darin liegt Neuheitswert und Fortschritt dieser, in elektronischer Hinsicht perfektionierten Kameras. Vergleicht man sie - hinkend, wie bei jedem Vergleich - mit den bisherigen Systemen, so ist es wie mit röhren-bestückten Radios und modernen Transistorempfängern: Aus beiden kommt Musik. Die Empfangsbreite moderner Transistorgeräte der Spitzenklasse und deren Trennschärfe aber ist größer. Bestimmt kann noch viel getan werden, um im Kamerabau weitere Mechanik-Teile durch Elektronik-Elemente zu ersetzen. Diese Entwicklung - so überfällig sie im Vergleich mit anderen technischen Gebieten auch war - hat im Kamerabau ja erst begonnen. Erfahrungswerte darüber, dass durch den Einsatz elektronischer Baugruppen die Störanfälligkeit verringert wird, können noch nicht vorliegen, doch scheinen mir vergleichende Schlussfolgerungen erlaubt: Ein röhren-bestücktes Radio ist auch störanfälliger als ein modernes Transistorgerät, gewisse, charakteristische Verschleißerscheinungen treten beim Transistor nicht auf. Außerdem bietet die Elektronik einen wesentlichen Vorteil: Jede Funktion, die man ihr überträgt, wiegt am Ende nur einen Bruchteil dessen, was diese Funktion - mechanisch bewirkt - wiegen müsste. Die Canon AE-1 wiegt ohne Objektiv und Winder 590 Gramm. Wären all ihre Funktionen mechanisch ausgeführt - was in sich natürlich technisch unlösbar wäre - brauchten Sie wahrscheinlich ein Auto, um diesen Klotz Mechanik überhaupt zu bewegen. Zum Schluss ein Wort in eigener Sache: Als ich meine Versuche mit der AE-1 machte, gab es noch keinen PR-Bericht von Canon. Und mein Geld verdiene ich auch ein wenig anders. Aber regelmäßige Leser meiner Berichte wissen das wohl.

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