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Artikel

2004

Oldtimer

Der Boom der 30er Jahre: 3x4-Kameras

Wir schreiben das Jahr 1930. Auf dem Gebiet der Kamerafabrikation ging von 1925 bis 1930 das Bestreben dahin, Kameras zu schaffen, die möglichst handlich und schnell aufnahmebereit waren. Diese Bestrebungen gipfelten in der Konstruktion von Kleinbildkameras (24 x 36 mm), bei denen diese beiden Eigenschaften am besten verwirklicht werden konnten. Die Kleinbildfotografie hatte in der Zeit kurz vor 1930 eine außerordentliche Verbreitung gefunden (Leica), sie hatte sich sogar zu einer speziellen Technik entwickelt. Berufsfotografen, insbesondere Reporter und Standbildfotografen, wie auch Amateure bedienten sich dieser handlichen Geräte gleich gern. Im Zuge dieses Trends stellten sich Firmen wie Zeiss Ikon die Frage, wie eine Kleinbildkamera beschaffen sein muss, um nicht nur handlich zu sein, sondern auch sofort aufnahmebereit. Bewährt hatten sich in dieser Hinsicht Apparate mit starrem Kameragehäuse (Leica), bei denen lediglich das Objektiv vor der Aufnahme mit einem Griff herausgezogen werden musste. Diese Konstruktion bot zugleich auch den Vorteil, dass sämtliche Kamerahandgriffe, z. B. der Blendenhebel, die Entfernungseinstellung, der Verschluss usw., leicht zugänglich waren.

Eine Kamera dieses Typs, die alle Forderungen, die man im Jahre 1930 an eine ideale Kleinbildkamera stellte, erfüllte, war eine Neuschöpfung der Firma Zeiss Ikon - die „Kolibri". Sie war in jeder Beziehung eine originelle und durchdachte Konstruktion. Besonderes Gewicht wurde bei der Konstruktion der Kolibri auf eine technisch zweckmäßige Ausführung mit geschmackvollem und elegantem Aussehen gelegt. Das elegante Aussehen übertrugen die Designer bei Zeiss Ikon auch gleich auf die Kolibri-Tasche. Die Fachpresse hatte es auch gemerkt und kommentierte entsprechend!

KOLIBRI - LEGENDÄRE KAMERA IM SCHMUCKKÄSTCHEN

„Die kleine Kamera wird in einer besonderen Tasche geliefert, die den Eindruck eines Schmuck-Kästchens macht." Sehen wir aber jetzt die Technik der Kolibri an. Um die Kamera aufnahmebereit zu machen, war es lediglich erforderlich, den Objektivtubus an den beiden seitlichen Griffen unter leichter Linksdrehung bis zum Anschlag herauszuziehen. Der Tubus wurde dann durch Federdruck selbsttätig festgehalten. Damit dieser Handgriff nicht vergessen wurde, hatten sich die Konstrukteure etwas ausgedacht: Die Entfernungsskala wurde bei eingeschobenem Tubus durch einen Metallstreifen abgedeckt. Um die Kolibri bei Queraufnahmen auch ohne Stativ aufstellen zu können, wurde an der Unterseite des Objektivtubus die in der Ledertasche untergebrachte Objektivstütze eingeschraubt. Oftmals wird eine Kolibri ohne diese Objektivstütze angeboten! Zu der „Normal-Ausstattung" der 3 x 4-cm-Kolibri gehörte ein Zeiss Tessar 1:3,5 in Ringcompurverschluss 1-1/300 sec). Während diese Ausführung ca. DM 500,- Wert hat, bezahlt man heute für die sog. „Nacht-Kolibri" mit Biotar 1:2 bis zu DM 100,-.

IKONTA 3 x 4-SCHWESTER DER KOLIBRI AUS DEM HAUSE ZEISS

Die Fa. Zeiss Ikon hatte nicht lange gezögert, bis sie sich entschloss, eine 3 x 4-Kamera in billiger Preislage auf den Markt zu bringen. Man konnte es ihr auch nicht verdenken, denn neben der erstklassig konstruierten Kolibri musste eine weniger gute und billige 3 x 4-Kamera abfallen. Erst als es möglich war, eine solche Kamera wie die „Ikonta" in den Handel zu bringen, fielen diese Bedenken. Denn die bis 1930 als beste Konstruktion einer Springrollfilmkamera angesehene Ikonta bildete die Grundlage auch für die abgebildete 3 x 4 Ikonta und man muss sagen, dass diese Konstruktion in ihrer Einfachheit und noch dazu in ihrer damaligen mäßigen Preislage (zwischen RM 31,50 und RM 102,-) eine Spitzenleistung der Fa. Zeiss Ikon war. Die Ikonta 3 x 4 wurde in ihrer Konstruktion und Ausführung der Ikonta-Serie angepasst. Man drückte auf einen Knopf und das Objektivbrett mit Optik sprang in Aufnahmestellung. Dieses kleine Leichtgewicht (290 g) mit den Maßen 3 x 7 x 10 cm gab es in 9 verschiedenen Ausführungen (Verschluss-Objektiv-Kombinationen). Die Größe der Ikonta besticht auch heute noch eindrucksvoll!

JEDER MÖCHTE SIE BESITZEN: DIE KORELLE 3 x 4

„Durch einen Druck auf einen seitlich angebrachten Knopf springt der Objektivträger gleichzeitig mit dem Durchsichtssucher in Gebrauchsstellung. Sie ist das erste Kameramodell, das mittels eines Druckes aufnahmebereit ist." So wurde die Korelle 3 x 4 angepriesen, die zum Ende des Jahres 1930 erschien. Mit den Maßen 26 x 65 x 115 mm und einem Gewicht von nur 280 g kann man sich schon vorstellen, dass sie als ideale Taschenkamera sehr beliebt war. Es gab nach meinen Recherchen mindestens 19 (!) verschiedene Objektiv-Verschluss-Kombinationen für die Korelle 3 x 4. Das Modell fand so großen Anklang beim Publikum, dass nur nach neun (!) Monaten schon ca. 35.000 Kameras in den Handel geschleust werden konnten. Auch an Wintersportler wurde gedacht: Alle Handgriffe konnten mit Handschuhen ausgeführt werden. 1931 warb die Fa. Kochmann, Dresden, für ihr Produkt: „Sie ist so begehrenswert, dass jeder der sie sieht, den Wunsch hat, sie zu besitzen." Dieser Slogan hat heute noch seine Gültigkeit. Die Kamera ist kaum zu finden, aber jeder möchte sie besitzen. Sammlerwert: DM 150,- bis 200,-.

MENTOR DREIVIER - SOGAR MIT OBJEKTIV LEITZ HEKTOR

An Tubuskameras im Format 3 x 4 cm waren im Jahre 1931 zwei Modelle neu herausgekommen. Die erste, die „Klein-Ultrix" - fertigte die Fa. Ihagee in Dresden. Die zweite war die Mentor „Dreivier" der Mentor Kamerafabrik, auch in Dresden. Beide hatten Ähnlichkeit mit der bis dahin eingeführten und bekannten Pupille und der Ranca von Dr. A. Nagel, Stuttgart. Ober die Pupille habe ich in einem früheren „Oldtimer"-Artikel berichtet (COLOR FOTO Nr. 9/77, S. 61). Auf der Leipziger Frühjahrsmesse im Jahre 1931 stellte die Fa. Mentor die neue Dreivier erstmalig vor - und sie kam auf Anhieb beim Publikum „an", nicht zuletzt wegen ihrer Größe und Form. Der Kamerakörper war nicht tiefer als 50 mm! Ihre Höhe betrug nur 55 mm und ihre Länge 105 mm. Ihr Gewicht lag bei nur 400 Gramm. Eine große Objektivauswahl hatte der Kunde, der die Dreivier anschaffen wollte. Nachfolgend die diversen Ausführungen: Tessar 3,5/5 cm, Tessar 2,8/5 cm, Tessar 4,5/5 cm. Ende des Jahres 1933 wurde die Mentor Dreivier nicht nur mechanisch, sondern auch optisch verbessert. Der neue Leitz Aufsteck-Entfernungsmesser „Fokus" wurde ergänzend angeboten. Gleichzeitig konnte man die Dreivier entweder mit Leitz Objektiven Elmar 3,5/5 cm oder Leitz Hektor 2,5/5 cm erwerben. Nicht nur mit einen Leitz-Objektiv ist die Mentor Dreivier sehr selten. Ihr Sammlerwert liegt bei ca. DM 500,-. Mit einem Leitz-Objektiv etwa bei DM 750,-. Die Mentor Dreivier bildete unter allen 3 x 4-Kameras mit eines der populärsten Kameramodelle.

PATENTIERTER SCHNECKENGANG - IHAGEE KLEIN-ULTRIX

Wie bereits erwähnt war die Ihagee „Klein-Ultrix" 3 x 4 auch ein Produkt des Jahres 1931. Sie stammte aus der größten Kamerafabrik des Kontinents, die noch im Familienbesitz war, der Firma Ihagee in Dresden. Das Ihagee Kamerawerk hielt immer mit der Entwicklung der Technik Schritt und verstand es auch, durch tonangebende Neukonstruktionen, den Wünschen der Fotoamateure entgegenzukommen. Das Besondere an der Ihagee Klein-Ultrix war, dass ihr Objektiv in einem patentgeschützten Schneckengang mit doppeltem Gewinde eingebaut war. Das doppelte Gewinde machte es möglich, dass beim Fotografieren bis auf 50 cm an das Objekt herangegangen werden konnte.

Zum Jahresende erfuhr die Klein-Ultrix eine Verbesserung, nämlich insofern, als sie an ihrer Querseite mit zwei Ösen versehen wurde. Erst dann konnte man sie auch mit einem Lederriemen tragen. Für den Kamerasammler ist es sicher interessant zu wissen, dass die Klein-Ultrix 3 x 4 im Jahre 1933 umbenannt wurde. Der neue Name „Parvola" wurde kreiert und unter dieser Bezeichnung verließen mehrere tausend Kameras bis zum Kriegsanfang das Werk. Man findet die Klein-Ultrix und Parvola in über 13 verschiedenen Objektiv-/Verschluss-Kombinationen. Wenn Sie, lieber Sammler, unterwegs sind, dann achten Sie bitte auf die Klein-Ultrix ohne Trageösen, sie wurde ca. nur ein halbes Jahr gebaut. Sammlerwert: DM 100,- bis DM 150,-.

FOTOGRAFISCHE ALTERNATIVE ZUR LEICA - FOTH DERBY

Der Boom der 3 x 4-Kameras begann im Jahre 1930 und endete ca. 5 Jahre später. Nur vereinzelt gab es sie bis zum Jahre 1940. Eine dieser wenigen Kameras, die bis zum Kriegsanfang „überlebte" war die populäre „Foth Derby". Hergestellt von der Firma C. F. Foth & Co., Berlin, erblickte die Derby das Licht der Welt 1931 (allerdings in 24 x 36), und sie wurde von vielen als das Ereignis des Jahres bezeichnet. Warum? Es gab viele Fotoamateure, die sich eine Schlitzverschlusskamera in Form einer Leica oder der später erschienenen Contax oder Peggy zulegen wollten, jedoch das Geld dafür nicht aufbringen konnten. Hier bot die Fa. Foth mit ihrer Derby eine echte Alternative. An dieser Stelle möchte ich die vielen Kamerasammler „aufklären", die immer noch glauben, dass es nur eine Foth Derby gab. Als die erste 3 x 4-Derby erschien, hieß sie schlicht und einfach Derby. Es gab zwei Versionen dieser Kamera und sie sind nur an der Objektiv-Lichtstärke zu unterscheiden: Einmal mit dem Foth-Anastigmat 1:3,5, und mit dem gleichen Objektiv, aber der Lichtstärke 1:2,5. Der Schlitzverschluss reichte von '/25 bis 1/500 sek. und Schneckengangeinstellung bis 1 m. Als aber eine verbesserte Version erschien (1936), lief o. g. Typen parallel unter der Bezeichnung Derby 1. Das Nachfolgemodell Derby II bot u. a. eingebauten Selbstauslöser. Also vier Versionen der Foth Derby und alle entweder mit schwarzem Leder oder brauner Krokodilbelederung lieferbar. Sammlerwert: ca. DM 150,-, da relativ häufig.

NIKETTE - DIE ERSTE BAKELITROLLFILM-FLACHKAMERA

Wie schon erwähnt, erfuhr die Leica um 1930-1932 eine gewisse Popularität. Trotzdem war die „Leica"-Lösung für viele nicht das Ideal. Da kam das überraschende Kleinformat 3 x 4 cm den Wünschen schon eher entgegen, das durch geschickte Aufteilung des alten Rollfilmformates 4 x 6,5 entstand. So ergaben sich aus dem geteilten Film statt der früheren 8 Aufnahmen 4 x 6,5 cm mit Hilfe einer kleinen Kamera 16 Bilder in der Größe 3 x 4 cm.

Das Jahr 1932 brachte eine neuartige Kamera - die „Nikette". Das Neue war, dass sie „die erste Bakelit-Rollfilm-Flachkamera" verkörperte. Gefertigt wurde die Nikette von der kleinen Berliner Werkstatt C. F. G. Fischer, die damit zum ersten Mal als Kamerafabrikant hervortrat. Die optische Ausstattung bestand aus dem Dreilinser namens „Luxar" (Hersteller F. L. Lucht, Berlin) mit einer Lichtstärke von 1:3,5. Ihr 5-teiliger Zentral-Verschluss bot Geschwindigkeiten von 1/25, 1/50 und 1/100 sek. Ein

Druck auf die Verriegelung des Kamerafrontteils und die Scherenspreizen des Aufzugs sprangen in Aufnahmeposition.

Ein verbessertes Modell der Nikette kam erstmalig während der Leipziger Messe 1936 heraus. Es trug die Bezeichnung Nikette II. Nicht nur die Optik wurde geändert (Maxar 3,5/50 mm), sondern die gesamte Kamerafrontplatte bekam ein neues Gesicht, sodass die Kameras attraktiver wurden. Das Modell II gab es nicht nur in schwarz, sondern auch farbig. Beide „Niketten" sind selten - ihr Sammlerwert liegt bei ca. DM 300,-.

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