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Alexander Borell Kommentar
Polaroid 600SE
Feinkost aus Übersee
Polaroid - ein Name, der weithin Synonym für Einfachstkamera ist. Nicht zuletzt durch den Schwerpunkt von Polaroids Werbeaktivitäten. Dabei hat Polaroid auch noch eine andere Schokoladenseite. Die für Profis und Fotografen, die mehr verlangen als bunte Knips-Bildchen. Damit beschäftigt sich dieser Kommentar.
Während für die Profis Polaroid längst zu einem unentbehrlichen Hilfsmittel geworden ist, hat der bundesdeutsche Hobbyfotograf noch immer ein etwas geknicktes Verhältnis zu den Produkten dieser amerikanischen Firma: Einerseits möchte man liebend gern "sofort Bilder" haben, andererseits entsprachen die meisten Kameramodelle zu diesem Verfahren nicht dem, was man sich hierzulande unter einer ernstzunehmenden Fotokamera vorstellt. Vor allem aber möchte man, als engagierter Hobbyfotograf von der kritischen Öffentlichkeit weder für einen Amerikaner, noch für einen Knipser gehalten werden. Daher die gewissen Vorbehalte gegen ein Produkt, das - richtig angewendet - einfach großartig ist. Nun hat Polaroid also etwas getan, was auch dem Hobbyfotografen sowohl von praktischem Nutzen sein, als auch sein Image eher heben als lädieren kann: Es gibt die Polaroid 600 SE, ursprünglich eine Presse- und Reporterkamera von Mamiya in Japan, dem Spezialisten für das größere Format.
Dieser Fotokoloß mit dem fest angebauten Handgriff hat Wechselobjektive (drei Stück!) und als auswechselbares Rückteil die Polaroid-Kassette. Da in der Kamera auch ein recht präziser Entfernungsmesser eingebaut ist, kann man sie zurecht als Universalkamera bezeichnen. Wirklich universell aber wird sie erst, wenn man sich darüber klar ist, welche Sofortbild-Filme man dann mit ihr verwenden kann:
a) den bekannten 36 DIN (!) SW-Film mit Sofortbildern;
b) den SW-Film 665/20 DIN, der neben einem SW-Foto sofort ein Negativ liefert, das anschließend in fast jedes Format (Poster!) vergrößert werden kann, weil es nahezu kornlos ist und bis zu 160 Linien auflöst; und schließlich
c) den 20 DIN Polacolor Film 2, von dem man sofort Farbe auf Papier bekommt. Das ist ein fotografisches Angebot, von dem man bisher eigentlich nur träumen konnte.
Läßt es sich aber mit dieser Kamera auch realisieren?
Nun, diese Kamera ist voluminös und schwer. So schwer, daß Sie 1/2 Sekunde aus der Hand nur bei zusätzlichem Erdbeben verwackeln. Und das mit einem 36-DIN-Film! Die Bilder werden scharf genug, um sie als Pressefotos von besonderen Ereignissen jederzeit verkaufen zu können. Ein Kontrollbild mit zusätzlichem Negativ (alle Formate sind gleich: 8,3 x 10,8 cm) hat ebenfalls seinen Reiz, zumal die Vergrößerungen vom Negativ aufregend gut werden; und dann hat man schließlich noch Farbe, die bescheidenen Ansprüchen fürs Album in Originalgröße reichen kann. Es gibt da aber zusätzlich das "Bild vom Bild", das jeder Fotohändler über sein Labor anfertigen läßt. Nimmt man dieses "Bild vom Bild", kann man zwar keinen Ausschnitt wählen - aber das kann man ja bereits mit der Kamera und den Objektiven tun und bezahlt für ein Color-Foto 13 x 18 ca. DM 6,-. Wünscht man Ausschnittvergrößerungen, kostet es zusätzlich ein Repro-Negativ.
Drei Objektive stehen zur Verfügung, d. h. eigentlich braucht man nur zwei, weil die Polaroid 600 SE gleich mit dem Standardobjektiv 4,7/127 mm geliefert wird. Das 5,6/150 mm Tele kann man wohl vergessen, die Differenz zum Standardobjektiv bringt zu wenig. Dafür ist das Weitwinkelobjektiv 5,6/75 mm - zu dem man einen eigenen Aufstecksucher braucht - sehr interessant. Die Preise sind es wohl auch: So kostet die 600 SE mit 127er-Objektiv und Filmkassette ca. DM 1.150,-, das Weitwinkelobjektiv knappe DM 600,- und jede Filmkassette extra ca. DM 225,-. Die Objektive sind mit einem Zentralverschluß ausgerüstet (B und 1 Sekunde bis 1/500), der voll "ausgeblitzt" werden kann, über alle Zeiten hinweg. Allerdings muß man ihn vor jeder Aufnahme von Hand spannen; dafür sind Mehrfachbelichtungen kein Problem. Man braucht auch einen Belichtungsmesser, an den man sich sehr schnell gewöhnt. Schon nach kurzer Zeit hat man das Gefühl, man belichte präziser und zielbewußter als mit jeder Automatik. Nur eins wünsche ich mir von Polaroid und Mamiya: Gebt dieser Kamera eine präziseren Sucher! Der vorhandene Leuchtrahmen mag für das Negativ genügen, weil man hier ja beim Vergrößern korrigieren kann, Will man aber das Format in SW oder Color voll ausnützen - und das sollte man - ist es mit diesem "Leuchtrahmensucher" fast nicht möglich: Einmal fehlt unten was, einmal oben, einmal ist links zuviel, einmal rechts zu wenig drauf.
Dieses japanisch-amerikanische Menü schmeckt im ersten Augenblick wie ein Steak, mit rohem Fisch garniert. Aber man findet sehr schnell Geschmack daran, und wenn man's gar länger genossen hat, kann man gar nicht mehr so recht verstehen, wie man bisher ohne es überhaupt leben konnte.
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