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Artikel
2004
Oldtimer
Schon 1907: Mit rotierender Kamera im Kreis fotografieren
Die Bertram-kamera
Ein besonderer Reiz in der Fotografie war es immer, die Möglichkeit zu haben, eine große Fläche mit der Kamera zu erfassen. Nicht nur japanische und russische Firmen konstruierten entsprechende Kameras, sondern auch deutsche Firmen waren berühmt, mit ihren Superweitwinkel- oder Panoramakameras einen Interessentenkreis zu erreichen. Ganz aktuell ist in diesem Zusammenhang die Technorama von der Firma Linhof. Mit ihrem Schneider Super-Angulon 90 mm Objektiv liefert die Technorama verzeichnungsfreie Bilder mit sehr guter Randschärfe. Da sie nur in relativ kleinen Stückzahlen hergestellt wird, ist sie bestimmt ein Sammlerstück von morgen. Aber zurück in die Vergangenheit, zurück in das Jahr 1907.
Panoramaaufnahmen waren sehr beliebt
Ganz groß in Mode waren zu dieser Zeit Panorama-Aufnahmen. Meist wurden diese Aufnahmen mit einer gewöhnlichen Kamera gemacht; die Aufnahme musste dann in mehreren, zeitlich schnell aufeinander folgende Fotos geteilt werden, wobei die Kamera immer ein Stück weitergedreht wurde. Das Einstellen musste allerdings sehr genau erfolgen; besonders war darauf zu achten, dass die einzelnen Aufnahmen nicht einen wichtigen Teil ausließen oder durchschnitten, denn die Teilbilder mussten nach dem Kopieren zusammengepasst werden, und die Verbindungsstellen störten sehr, wenn sie durch wichtige Bildteile gingen. Gleichmäßige „Gesamtbilder" ließen sich bei solchen Teilaufnahmen auch nur unter günstigen, längere Zeit gleichbleibenden Lichtverhältnissen erzielen und waren schwierig.
Benutzte man aber eine Spezialkamera für Panorama-Aufnahmen, so war man immer an einen bestimmten Bildwinkel gebunden. Gerade wegen all dieser Nachteile begrüßte man eine Neukonstruktion der -Dresdner Firma Ernemann im Jahre 1907: die Ernemann Rundblick-Kamera. Ihr Erscheinen bedeutete, wie die Fachpresse damals anpries: „... einen der hervorragendsten Fortschritte auf dem Gebiet der Kamerakonstruktion”.
Der Hauptvorteil der Ernemann Rundblick-Kamera gegenüber anderen Panoramakameras bestand darin, dass der Fotograf nicht mehr an einen bestimmten Bildwinkel gebunden, sondern vielmehr in der Lage war, so viel oder so wenig aufzunehmen, wie er wollte. sogar bis zu einem geschlossenen Kreis von 360xGRADx.
Die Vorteile nun, die sich daraus ergaben, steigerten die Begeisterung für diese Kamera. Fachjournalisten berichteten: „Man erhält mit einer einzigen Momentaufnahme, die als ein Bild entwickelt und kopiert wird, Bilder ausgedehnter Gebiete. ja des ganzen sichtbaren Geländes, was bisher bekanntlich nur vom Ballon aus möglich war. Bei Wettrennen, Manövern, Paraden, Volksfesten, Umzügen kann man nunmehr nicht nur alles. was vor und seitwärts der Kamera vor sich geht, sondern fast gleichzeitig alles hinter ihr aufnehmen. Ebenso entfallen bei größeren Gruppenaufnahmen die unschönen pyramidenförmigen Aufstellungen, bei denen man bekanntlich fast nur Köpfe und auch diese nicht immer vollkommen sieht, die Personen können sich vielmehr ganz zwanglos in Platz und Stellung rings um die Kamera gruppieren, die sie dann ohne langwierige, ermüdend quälende und damit den Gesichtsausdruck beeinträchtigende Stellerei im Moment vielleicht sogar ganz unbemerkbar, aufnehmen wird.” Die Fachwelt war von den vielseitigen Möglichkeiten begeistert.
Natürlich ermöglichte die Rundblick-Kamera auch Aufnahmen beliebig großer Geländeabschnitte; sie ließ sich auf jedes gewünschte Teilbild einstellen und arbeitete dann automatisch, d. h. die Kamera rotierte auf einem Spezialstativ.
Als Aufnahmematerial diente ein besonders präparierter Rollfilm von 12 cm Breite und 1 m Länge. Der „Schlager” der Kamera-Saison 1907 maß 14 x 19 x 19,5 cm und kostete
mit Doppelanastigmat 1:5,4/135 mm Objektiv 500 Goldmark (das Stativ 40 Mark). Zwei Jahre später konnte man die Kamera für 360 Mark erwerben. Die einzige, mir bekannte Ernemann Rundblick-Kamera ist im Deutschen Museum, München, zu sehen. Es dürfte sehr, sehr schwer sein, ein weiteres Exemplar dieses Kameratyps zu finden - und wenn, wird man für sie wahrscheinlich DM 4.000,- anlegen müssen.
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Nun machen wir einen Sprung in das Jahr 1954. Die Münchner Firma Bertram, die als Herstellerin von Belichtungsmessern internationalen Ruf erlangte, wagte den „Sprung ins Wasser", als sie erstmalig eine Kamera patentieren ließ (Patent Nr. 696531 v. 27. Nov. 1952) und auf der photokina 1954 vorstellte: die Bertram-Kamera.
In jahrelanger Entwicklungsarbeit war es der Firma Bertram gelungen, mit einer Kamerakonstruktion die Vorteile der Kleinbildtechnik ` in Verbindung mit der beweglichen Konstruktion einer mittelformatigen Kamera zu erreichen. Im Prinzip war die Bertram eine 6 x 9 cm Platten- und Rollfilmkamera mit gekuppeltem Entfernungsmesser, getrenntem optischen Sucher und auswechselbaren Objektiven mit Bajonettfassung. Als wesentliches Konstruktionsmerkmal war die automatische Kupplung des hervorragenden Entfernungsmessers mit dem jeweiligen eingesetzten Objektiv anzusprechen.
Die Großbasis des E-Messers von 80 mm ermöglichte nicht nur schnelleres, sondern auch genaueres Einstellen als auf der Mattscheibe. Dies war nur ein Punkt der vielen technischen Wünsche, die aus Fach- und Amateurkreisen laut geworden waren und die die Bertram erfüllte. Mit dem Einsetzen eines Objektivs vollzogen sich automatisch drei andere Funktionen: der optische Sucher wurde von der Zentralautomatik für jede Brennweite gesteuert. Die im Sucher sichtbare Abbildungsgröße passte sich automatisch dem jeweils eingesetzten Objektiv an und entsprach genau dem Mattscheibenbild. Der Parallaxenausgleich war für die optischen und den aufsteckbaren Sportsucher für alle Entfernungseinstellungen von nah bis unendlich gültig. Als optische Ausstattung standen fünf Schneider Objektive in den Brennweiten 65, 75, 105 und 180 mm zur Verfügung. Das 75 mm Xenar war eine Sonderausführung für das Format 6 x 6 cm.
Da alle Objektive genormt waren, gab es keine Nachjustierung. Jedes nachträglich angeschaffte Zusatzobjektiv war dadurch unmittelbar verwendbar.
Der Verschluss der Bertram-Kamera war ein Synchro-Compur mit Vorlaufwerk und Zeiten von 1-1/400 sec. Ein Lamellen-Offnungshebel erlaubt das Offnen und Schließen bei jeder beliebigen Verschlusseinstellung wodurch das Arbeiten mit Mattscheibenkontrolle wesentlich vereinfacht wurde.
Zur Beseitigung stürzender Linie sowie zur Gewinnung von Tiefer schärfe ohne abzublenden, dient das nach allen Seiten schwenkbar Mattscheibenrückteil. Ein zusätzliches Plus: bei vollausgezogener Balgen und Rückteil wurden bei Verwendung des Weitwinkelobjektive Aufnahmen im Abbildungsmaßstab bis 1:1 möglich.
Die "Camera für Anspruchsvolle" wie die Herstellerfirma ihre Kamera nannte, war insgesamt drei Jahre auf dem Markt - produziert wurden ca. 2.000 Kameras dieses Typs. De Sammlerwert der Bertram-Kamera liegt bei ca. DM 1.500,-.
Ihrer Zeit weit voraus - aber zu teuer
Meiner Meinung nach war die Bertram ihrer Zeit weit voraus. Ein anderer Faktor, weshalb die Bertram relativ schnell vom Markt wieder verschwand, lag bestimmt in ihrem Preis begründet. Sie kostete im Jahr 1954 mit dem Standardobjektiv Xenar 1:4,5/105 mm DM 1.172,-. M dem 3,5/105 mm Xenar DM 1.211,- und das war einfach viel zu teuer.
Trotz der vielen guten Features, die diese Kamera aufweisen konnte hat sich die Bertram bei den Anwendern nicht durchgesetzt.
Als Sammlerstück ist sie begehrt Auf jeden Fall bleibt die Bertram ein Prachtstück im deutschen Kamerabau. Gerade als diese Zeilen geschrieben werden, erreichte mich ein Brief eines Oldtimer-Lesers aus: Essen, der eben eine Bertram durch Zufall erwerben konnte. Tja, Glück muss man haben!
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